D. Shanzer u.a. (Hgg.): Avitus of Vienne

Cover
Titel
Avitus of Vienne. Letters and Selected Prose


Herausgeber
Shanzer, Danuta; Wood, Ian
Reihe
Translated Texts for Historians
Erschienen
Anzahl Seiten
450 S.
Preis
$21.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martina Hartmann, Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Alcimus Ecdicius Avitus (geb. um 460), Bischof von Vienne in den Jahren 494-518, entstammte dem gallo-römischen senatorischen Adel der Auvergne und war sowohl mit Kaiser Avitus (455-456) als auch mit dem Bischof und bedeutenden Literaten Sidonius Apollinaris (um 430/33-479/86) verwandt. Sein Bistum Vienne war ein wichtiger „Vorposten“ der römisch-katholischen Kirche im arianischen Westgotenreich, und Avitus bemühte sich um enge Kontakte zum burgundischen Königshaus. Er erreichte zwar nicht die Konversion des Burgunderkönigs Gundobad zum Katholizismus, sehr wohl aber die des Sohnes Sigismund, der als Gründer der Abtei Saint-Maurice d’Agaune, von der die Einrichtung der laus perennis ausging, und als Opfer der fränkischen Merowingerkönige bald nach seinem Tod (524) als Märtyrer verehrt wurde. So stand Avitus mit den weltlichen und geistlichen Großen seiner Zeit in (Brief-)Kontakt. Er gratulierte beispielsweise dem Gründer des merowingischen Frankenreiches, Chlodwig I., zu dessen Taufe - wobei das in der Forschung so umstrittene Taufdatum sich aber auch aus dem entsprechenden Avitusbrief nicht entnehmen lässt.

Insgesamt sind von Avitus 86 Briefe erhalten sowie Homilien und poetische Werke, die nur teilweise kritisch ediert sind. Die Briefe, unter denen sich Schreiben an Päpste und die Burgunderkönige finden sowie an den Kaiser in Konstantinopel, dem Avitus im Namen König Sigismunds schrieb, wurden 1883 von Rudolf Peiper in den MGH Auctores antiquissimi 6,2 und 1890 von Ulysses Chevalier in Frankreich kritisch ediert. Trotz der illustren Adressaten und der vielseitigen Themen sind die Avitusbriefe bislang von der Forschung eher vernachlässigt worden, was die Herausgeber des vorliegenden Bandes, Shanzer und Wood, wohl zu Recht darauf zurückführen, dass der lateinische Prosastil oft schwer verständlich ist. Die erste vollständige Übersetzung der Quelle in eine moderne Fremdsprache soll dem also abhelfen. Beide Herausgeber waren durch mehrere Arbeiten zu Avitus und seinen Briefen für diese Aufgabe prädestiniert.

Um es gleich vorwegzunehmen: Das Buch ist weit mehr als eine Übersetzung der Avitus-Briefe ins Englische, man wird es künftig als Ergänzung zur Peiperschen Edition bzw. auch als deren Berichtigung heranziehen müssen, denn Shanzer und Wood bieten nicht nur ausführliche Einleitungen und Kommentare zu allen Briefen, sie haben sich auch intensiv mit der handschriftlichen Überlieferung sowie den frühen Editionen, die teilweise auf heute verlorenen Codices basieren, auseinandergesetzt und liefern zu manchen Lesarten bei Peiper Konkjekturen sowie genaue Beschreibungen der Handschriften mit Avitus-Briefen und Korrekturen zum Stemma Peipers. Von daher ist es ungünstig, dass - wie bei der Konzeption der Translated Texts for Historians üblich - nur die englische Übersetzung geboten wird, nicht aber wie etwa bei der deutschen Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe auch der lateinische Text. Insofern hätte man sich das Ganze in einer anderen Reihe gewünscht, denn ohne dass man die Peipersche Edition, die durch eine Konkordanztabelle am Schluss des Buches (S. 416ff.) erschlossen wird, neben die Übersetzung von Shanzer undd Wood legt, ist manches nicht zu verstehen.

Nun zum Aufbau im Einzelnen: Die umfangreiche Einleitung (S. 3-85) stellt zunächst Avitus, sein Leben, seine Familie sowie seine politische und theologische Bedeutung dar (S. 3-27), befasst sich dann mit den (Papyrus-) Handschriften und Editionen der Briefe (S. 28-57) und schließt mit literarischen Aspekten zur Briefsammlung ab, also der Funktion von Briefen in dieser Zeit allgemein sowie speziell der Avitus-Briefsammlung; schließlich wird auch der charakteristische Stil des Avitus analysiert. Die eigentliche Übersetzung folgt nicht der Reihenfolge der Briefe in der MGH-Edition von Peiper, die sich auch so nicht in den früheren Ausgaben oder gar in den Codices findet, sondern sie teilt die 86 Briefe in „Dossiers“ auf, d.h. in Gruppen von Schreiben, die entweder alle an einen Empfänger gerichtet sind wie beispielsweise König Gundobad und Avitus’ Bruder, den Bischof Apollinaris von Valence, oder aber in Dossiers, die eine bestimmte Angelegenheit betreffen, etwa das Acacianische Schisma. Dies ist eine kluge Entscheidung, die dem Verständnis des Œeuvres sehr dient. Die insgesamt 24 Dossiers, denen auch (mitübersetzte) „Prose“ zum jeweiligen Thema zugeordnet ist, sind jeweils mit umfangreichen Einleitungen zum gesamten Thema des Dossiers und zu den einzelnen Briefen versehen sowie mit einem Kommentar zum jeweiligen Brief, der sowohl inhaltliche als auch sprachliche Erläuterungen gibt, oft auch bezogen auf Konjekturen, die die Autoren im Unterschied zu Peiper machen; zahlreiche Hinweise zu Parallelquellen und Literatur werden ebenfalls angeführt.

Welche Fülle von Informationen geboten wird und welche Sachkenntnis der Herausgeber zur Geltung kommt, zeigt sich beispielsweise gut an Brief 87 an Avitus’ Bruder, Bischof Apollinaris von Valence, in dem es um einen Siegelring geht, den Apollinaris seinem Bruder schenken möchte: Avitus gibt eine genaue Beschreibung für den Goldschmied, wie dieser Ring aussehen soll, und die Herausgeber machen hier nicht nur den schwer übersetzbaren lateinischen Text durch Übersetzung und erläuternde Fußnoten für den Leser verständlich, sie ziehen auch Vergleiche zu archäologischen Funden von Siegelringen der Zeit (S. 251-257). In ähnlich ausführlicher Weise wird auch der erwähnte Brief 46 des Avitus an Chlodwig I. anlässlich dessen Taufe behandelt (S. 362-376), ausgehend von der umfangreichen und kontroversen Literatur über das Taufdatum. Hier wäre allerdings als deutsche Übersetzung des Briefes noch die von Wolfram von den Steinen, Chlodwigs Übergang zum Christentum. Eine quellenkritische Studie, in: MIÖG Ergänzungsband 12, 1932, S. 480-484 (wiederholt von Reinhold Kaiser, Die Franken: Roms Erben und Wegbereiter Europas? [1997] S. 87-89) zu ergänzen. Im Falle des durch Flodoard von Reims bezeugten, aber verlorenen Avitusbriefes an Bischof Remigius von Reims (Shanzer/Wood, S. 373) wäre allerdings keinesfalls Migne PL 135 als Ausgabe zu zitieren gewesen, denn es gibt nicht nur eine MGH-Edition in Scriptores 13 (1881) von J. Heller und G. Waitz, sondern auch eine Neuedition in MGH Scriptores 36 (1998) von M. Stratmann. Aber dies sind Petitessen angesichts der geleisteten Arbeit, nicht nur eine stellenweise schwer verständliche Quelle auf eine gesichertere Textbasis gestellt zu haben, sondern sie auch durch Übersetzung sowie sprachliche und inhaltliche Kommentierung erstmals umfassend erschlossen zu haben. Zum besseren Verständnis, auch für Studienanfänger, trägt sicher das Glossar am Beginn des Bandes bei, das wichtige Begriffe der Spätantike erläutert, sowie das ausführliche Quellen- und Literaturverzeichnis am Ende des Buches, dem Karten des burgundischen Reiches, der königlichen Familie sowie der Familie des Avitus folgen.

Es bleibt zu hoffen, dass der Wert dieses Avitus-Buches von Shanzer und Wood von der Forschung gebührend zur Kenntnis genommen wird, obwohl es in einer Reihe erschienen ist, die nicht unbedingt erkennen lässt, dass hier viel mehr als eine Übersetzung geboten wird.

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