K. van Eickels: Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt

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Titel
Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt. Die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter


Autor(en)
van Eickels, Klaus
Reihe
Mittelalter-Forschungen 10
Erschienen
Stuttgart 2002: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
463 S., 6 Abb.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julian Führer, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Anzuzeigen ist ein Buch, das wohl als Meilenstein der Forschung zu bezeichnen ist. Klaus van Eickels, der für diese Schrift den Habilitationspreis der Universität Bamberg 2001 erhalten hat, setzt sich zum Ziel, die englisch-französischen Beziehungen im Hochmittelalter einer umfassenden Neubewertung zu unterziehen. Ausgehend von einem ursprünglichen Vorhaben, das die Verträge zwischen den Herrschern zum Thema hatte, ist ein Buch entstanden, das verfassungsgeschichtliche Fragestellungen mit einem Interesse für Fragen der Ehre und der gegenseitigen Wahrnehmung von Identitäten kombiniert und so beachtliche Ergebnisse erzielt. Regionaler Schwerpunkt seines Interesses ist der Festlandbesitz des englischen Königs. Dieser ist gleichzeitig Herzog der Normandie (und oft auch Herr über viele andere Bereiche) und so dem französischen König nach lehnsrechtlichen Kategorien untergeordnet. Ab wann nun wurde diese Kategorie auf französischer Seite zu einem Rechtsinstrument?

In einer umfangreichen Einleitung, die die Forschungslage, bisher vorgelegte Deutungsmuster wie Lehnsbindung, nationale Abgrenzung, Freundschaft und Treue thematisiert (S. 13-51), werden auch die erkenntnistheoretischen Grundlagen dieser Studie dargelegt. Nach Möglichkeit wird auf rechtshistorische Termini technici verzichtet, um der Frage auch nach der Wahrnehmung dieser Beziehungen gerecht werden zu können. Hier finden sich auch Überlegungen zu den für das Thema zentralen Begriffen „Spielregeln“, „Ehre“, „Konzept“ – wie Knut Görich gilt van Eickels die Ehre als bislang zu Unrecht missachtetes Movens mittelalterlichen Herrschertums.1

Die reichhaltigen Erkenntnisse, die van Eickels in seiner Darstellung gewinnen kann, lassen sich hier nur anhand weniger inhaltlicher Schwerpunkte andeuten. Eine Neudeutung erfährt hierbei der Akt von Saint-Clair-sur-Epte von 911, dem ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Schon der Titel „Normannische Maskulinität und karolingische Ordnungsvorstellungen im Konflikt“ deutet an, dass hier methodisch neue Wege eingeschlagen werden. Überliefert ist uns dieser Akt, durch den die Normannen unter Rollo das Christentum annehmen und gegen ein Friedensversprechen von Karl dem Einfältigen die Normandie erhalten, einzig bei Dudo von Saint-Quentin. Dieser Kleriker schreibt allerdings etwa ein Jahrhundert nach den berichteten Ereignissen, während der zeitgenössische Bericht Flodoards von Reims blass bleibt. Dudos Darstellung, im Auftrag des normannischen Herzogs verfasst, karikiert eine von Karl geforderte Unterwerfungsgeste: Rollo verweigert den Fußkuss; ein Krieger Rollos übernimmt dies, reißt aber den Fuß des Königs hoch, um nicht vor ihm niederknien zu müssen. Der auf den Rücken fallende König wird bei Dudo zum unterlegenen Gegenspieler des als Spitzenahn begriffenen Rollo. Van Eickels kann nun zeigen, dass Karl der Einfältige bei Dudo von Saint-Quentin als effeminatus dargestellt wird, der seine Männlichkeit aufgibt. Dies wird verbunden mit einer Analyse der normannischen Vorstellungen von Maskulinität, die zu wahren ein essentieller Bestandteil von Ehre und Herrschaft war. Zeugnis liefern hiervon neben der nicht selten als Strafe praktizierten Entmannung die nith-Verse, nordische Spottgedichte, die auf der Darstellung der Unmännlichkeit des Gegners beruhen (S. 266). Die im 10. Jahrhundert bei weitem nicht vollständig romanisch akkulturierte normannische Oberschicht habe eigene Vorstellungen von Männlichkeit gepflegt, die sich mit den Spielregeln des westfränkischen Königtums nicht vereinbaren ließen.

Ludwig VI. von Frankreich (1108-1137) wird von seinem Biografen Suger von Saint-Denis (1081-1151) dafür getadelt, dass er den englischen König Heinrich I. (1100-1135) herablassend wie einen Lehnsmann behandelt habe. Ludwig VI. legte dieses Verhalten wohl aufgrund seiner ungesicherten Herrschaft an den Tag: Ludwig war nicht zum Mitkönig erhoben worden, viele Große waren bei seiner „überstürzte[n] Krönung“ in Orléans abwesend, und sein Halbbruder Philipp von Mantes aus der zweiten Ehe seines Vaters Philipp I. (1060-1108) mit Bertrada von Montfort zeigte Ambitionen auf den Thron. Der König musste eine Anerkennung seiner Herrschaft einfordern (S. 306).

Philipp II. August (1180-1223) von Frankreich steht in enger Beziehung zu zwei englischen Königen, Richard I. Löwenherz und Johann Ohneland. 1187 treffen sich Richard Löwenherz, damals noch nicht König, sondern Graf von Poitou und präsumtiver Thronfolger, und der junge französische König in Paris. Die beiden Herrscher demonstrieren öffentlich ihre große gegenseitige Zuneigung, essen aus der gleichen Schüssel und teilen auch das Bett. Diese bei Roger von Howden berichtete Szene soll bereits König Heinrich II. von England in Erstaunen versetzt haben. Die Deutung dieser Szene ist für van Eickels Anlass zu einer mehrschrittigen Analyse: Richard I. schläft mit dem König von Frankreich in einem Bett, scheint selber davon auszugehen, dass er keine Kinder haben wird, und die Quellen (vor allem späterer Zeit) kritisieren bei Richard mangelnde Selbstbeherrschung – ein Fall von mittelalterlicher Homosexualität? An dieser Stelle spiegelt van Eickels die Quellenbelege mit den späteren Bedeutungszuschreibungen und kann nachweisen, dass etwa der deutsche Historiker Alexander Cartellieri Richards Verhalten implizit als Homosexualität deuten kann aufgrund eines vor allem im Deutschen Reich neuen Diskurses über gleichgeschlechtliche Freundschaft und Zuneigung; dieser Diskurs verlief in anderen, speziell strafrechtlichen Bahnen und ließ Homosexualität in Frankreich und England um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert als spezifisch deutsches Problem gelten (S. 360). Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis kehrt van Eickels zurück zu Philipp II. und Richard. Roger von Howden lässt in seinem Bericht die Beziehung Davids zu Jonathan anklingen (1 Sam 18,1; 2 Sam 1,26), die in der Fassung der Vulgata von homoerotischen Konnotationen befreit wurde und so als Vorbild für Freundschaft und Treue galt (S. 364f.). Eine beeindruckende Sammlung von weiteren Fällen des Schlafens in einem Bett – von zwei gallischen Adligen im Bericht Gregors von Tours im 6. Jahrhundert bis ins 17. Jahrhundert – bis hin zu männlichen Doppelbestattungen unterstreicht die Wandelbarkeit der als zulässig oder passend empfundenen Zeichen von Freundschaft und Zuneigung.

Im Streit um die Normandie findet zwischen 1202 und 1204 eine Zuspitzung statt, die von den Protagonisten aufgrund von Ehrfragen und von Interessen Adliger gefördert wird (zu nennen sind hier u.a. Graf Hugo von Lusignan und der Thronprätendent Arthur). Von einem dynastischen Konflikt zwischen Kapetingern und Plantagenêts kann nicht die Rede sein, vielmehr von einem Dissens, „der innerhalb weniger Monate durch Aktion und Reaktion der Beteiligten, ohne daß dies zwangsläufig oder von Anfang an absehbar war, so eskalierte, daß sich beide Seiten schließlich in ihrer Ehre bedroht sahen und den Ausweg einer Deeskalation durch Vermittlung nicht mehr fanden“ (S. 107). Johanns Verhalten, das 1203 zu seiner Verlassung durch zahlreiche Adlige führt, schließlich der ungeklärte Tod Arthurs, der als Mord durch Johann gedeutet wurde, erlauben es Philipps curia regis erst, den Lehnsprozess erfolgreich zu führen. Philipp selbst muss den größten Teil der Normandie sogleich wieder als Entschädigung für übergelaufene Adlige ausgeben, Johann seinerseits plant aus Gründen der Ehre noch 1205 einen Feldzug in die Normandie.

Im Vertrag von Paris 1259 zwischen Heinrich III. und Ludwig IX. wird das englisch-französische Verhältnis auf dem Kontinent mit lehnrechtlichen Begriffen gefasst und fixiert. Hier arbeitet van Eickels überzeugend heraus, dass den lehnrechtlich-abstrakten Kategorien des Vertrages eine Wahrnehmung in der Historiografie (Jean de Joinville und Matthaeus Paris) gegenübersteht, die verwandtschaftliche Liebe und Freundschaft der Herrscher betonte. Seit dem Vertrag von Le Goulet (1200) war in die üblichen Klauseln der Vermerk eingefügt worden, der englische König solle seinen Festlandsbesitz innehaben, wie Lehen gehalten werden (sicut feoda debent). Dieser Status wurde nun mit Hilfe gelehrter Juristen festgeschrieben.

Besonders hervorzuheben ist außerdem die Ausweitung der Perspektive auf neuzeitliche Deutungsschemata, die die Forschung nachhaltig beeinflusst haben. Die im Laufe der Jahrhunderte sich wandelnden Begriffe von männlicher Freundschaft und Homoerotik oder die Nachzeichnung der englisch-französischen Beziehungen im Lichte der Erinnerung an die Konflikte des Hochmittelalters tragen einiges zur Klärung bei. Die starke kontinentale Verwurzelung etwa der Plantagenêts oder die normannische Eroberung Englands 1066 bereiteten der englischen Historiografie Schwierigkeiten, während die französische Forschung die „englische“ Präsenz auf dem Kontinent als die Geschichte einer Anomalie betrachtete.

Einige Kritikpunkte beschränken sich auf Formalitäten; so wird durch das umfangreiche Inhaltsverzeichnis nicht immer klar, in welchem Abschnitt sich bestimmte Informationen erwarten lassen. Die chronologische Struktur wird durch kategorisierende Betrachtungen durchbrochen und immer wieder aufgenommen, so dass etwa der Streit zwischen Philipp II. und Johann Ohneland um die Normandie an mehreren Stellen behandelt wird, was nicht ohne Redundanzen möglich ist. Das Register verzeichnet bei weitem nicht alle Einträge zu Personen und ließe sich erheblich erweitern. Die genutzten Internetressourcen (u.a. auch eine Edition Dudos von Saint-Quentin, vgl. S. 245 Anm. 1) werden im ansonsten ungemein reichhaltigen Literaturverzeichnis (S. 404-453) nicht vermerkt.

Gleichrangigkeit in der Unterordnung – so der Titel des letzten Kapitels. Dies bezeichnet das Verhältnis zweier Könige zueinander, deren einer dem anderen in einem Teilgebiet seiner Herrschaft formal untergeordnet war. Das Spezifische dieser Beziehung ist bei van Eickels der Umstand, dass bis ins 12. Jahrhundert diese Unterordnung seitens des französischen Königs nicht eingefordert wurde; Dudos Darstellung ist als Karikatur aus normannischer Sicht zu werten, Ludwig VI. suchte aus den Umständen seines eigenen Herrschaftsantritts heraus nach Rückhalt. Erst das durch die Präsenz gelehrter Räte gewandelte Umfeld der Könige um 1200, eine stärkere Tendenz zur schriftlichen Fixierung und die etappenweise unkontrollierte Eskalation zwischen Philipp II. und Johann Ohneland führten zu einer Betonung des Lehnsverhältnisses.

Im Rahmen dieser Rezension konnte nur ein Bruchteil der methodisch wie inhaltlich stets inspirierenden Erträge gewürdigt werden. Es sei nachdrücklich empfohlen, das Werk nicht nur benutzend zur Hand zu nehmen, sondern dem Autor auch auf die vermeintlichen Abwege zu folgen, da diese immer wieder für die Ausgangsfragestellung fruchtbar gemacht werden. Klaus van Eickels ist ein großes Buch gelungen, dem ein breiter Leserkreis zu wünschen ist.

Anmerkung:
1 Görich, Knut, Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12. Jahrhundert, Darmstadt 2001. Vgl. die Rezension dazu <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/MA-2002-003>.

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