M. Dreist: Die Düsseldorfer Bezirksregierung

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Titel
Die Düsseldorfer Bezirksregierung zwischen Demokratisierung, Nazifizierung und Entnazifizierung. Eine staatliche Mittelbehörde an der Schnittstelle zwischen Verwaltung und Politik


Herausgeber
Dreist, Markus
Erschienen
Anzahl Seiten
158 S.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Stelbrink, Soest

Die Vorgeschichte des anzuzeigenden Buches ist allemal bemerkenswert: Einem 1995 neu ernannten Regierungspräsidenten missfiel die unkommentierte Portraitgalerie seiner Vorgänger nahe seinem Dienstzimmer, die wie selbstverständlich auch die vier Amtsträger der NS-Zeit mit einbezog. Er ließ daraufhin die Ehrengalerie nicht nur umhängen, sondern in eine historisch kommentierte Dokumentation umarbeiten. Doch damit nicht genug: In der Folgezeit trieben ihn nach eigener Darstellung wiederholt Fragen nach der Rolle „seiner“ Behörde, nach deren „Alltag des Verwaltungshandelns“ (S. 10) im Nationalsozialismus um. Wie weit war die Behörde in die Organisation des Terrors eingebunden? Gab es Entscheidungsspielräume? Inwieweit wurden diese genutzt? Die Antworten auf diese Fragen dürften unbefriedigend ausgefallen sein. Zwar hat die Erforschung der jüngeren deutschen Verwaltungsgeschichte – speziell im Nationalsozialismus – in den letzten 20 Jahren bedeutende Fortschritte gemacht1, trotzdem sind aber noch viele Fragen offen. Dies gilt – ungeachtet wichtiger Vorarbeiten von Horst Romeyk2 – ganz besonders für die noch völlig unzureichende Erforschung der mittleren Verwaltungsinstanzen.3 Folglich sprach der erwähnte Regierungspräsident Wissenschaftler und Sponsoren zur Realisierung eines entsprechenden Forschungsprojektes an. Als „erster Schritt“ (S. 11) zur Durchführung dieses Projektes fand 2002 eine von der Bezirksregierung, dem Hauptstaatsarchiv Düsseldorf und der Universität Düsseldorf konzipierte Tagung statt. Neun Historiker und Archivare waren als Referenten angetreten, um zunächst eine Bestandsaufnahme über den bisherigen Forschungsstand zu geben und neue Forschungen anzuregen. Der vorliegende Tagungsband umfasst sowohl die neun gehaltenen Referate als auch kurze Zusammenfassungen der jeweils folgenden Diskussionsrunden. Entsprechend ihrer Zweckbestimmung beruhen die Referate mehrheitlich nicht auf eigens dafür vorgenommenen Quellenstudien, sondern auf der einschlägigen Sekundärliteratur.

Toni Pierenkempers Einleitungsreferat über das höchst komplexe, sich stetig verändernde und ganz unzureichend erforschte Verhältnis von „Politik und Wirtschaft an Rhein und Ruhr“ zwischen 1914 und 1945 (S. 14-24), insbesondere aber auch die nachfolgende Diskussion (S. 25-27) zeigen eine Fülle von Forschungsperspektiven auf, die sich nicht zuletzt auf die Rolle der Bezirksregierungen in diesem unübersichtlichen Kräftefeld beziehen. Anschließend beschäftigt sich Gerd Krumeich mit der beschleunigten und verhängnisvollen „Delegitimierung der staatlichen Verwaltung“ infolge des unkoordiniert, planlos und realitätsfremd geführten Ruhrkampfes gegen die französischen und belgischen Besatzer im Jahre 1923 (S. 28-43). Ob Krumeich diese „Delegitimierung“ als „Faktor der kontinuierlichen Destabilisierung“ (S. 28) der Demokratie nicht überschätzt, wird künftig zu untersuchen sein. Bedauerlicherweise findet die Zeit der Weimarer Republik im vorliegenden Band keine weitere Thematisierung.

Der Nationalsozialismus ist dagegen mit vier Aufsätzen vertreten. Kurt Düwells Beitrag (S. 46-58) beschäftigt sich unter wesentlichem Rückgriff auf die genannten Forschungen Romeyks vor allem mit den beiden Düsseldorfer Regierungspräsidenten Bergemann (1924-1933) und Schmid (1933-1938). Angefügt ist ein kurzer Überblick über deren Nachfolger bis 1945. Düwell zeigt dabei schlaglichtartig auf, dass die Arbeits- und Einflussmöglichkeiten der staatlichen Mittelinstanzen seit 1933 durch den zunehmenden Zentralismus und die stetig wachsenden Machtansprüche von NSDAP und SS immer weiter zerstört wurden. Aus welchem Grund diese Ausführungen allerdings den Titel „Der Umbruch 1933/34 auf der Düsseldorfer Ebene der staatlichen Mittelinstanz“ tragen, bleibt unverständlich. Der folgende Beitrag von Horst Romeyk über „politische Karrieren in der Beamtenschaft der Bezirksregierung in der Zeit des Nationalsozialismus“ (S. 59-83) basiert größtenteils auf unveröffentlichtem Material. Der Autor gibt eine Fülle anschaulicher Beispiele für den personalpolitisch beherrschenden Einfluss der NSDAP, für Opportunisten, Profiteure und Benachteiligte des NS-Regimes. Auf eine stärker systematisch ausgerichtete Analyse der beendeten, blockierten, verzögerten, planmäßigen oder beschleunigten Karrierewege einer noch überschaubaren Gruppe höherer Beamter – wie sie unlängst etwa für das bayerische Innenministerium 4 vorgelegt worden ist – hofft man allerdings im vorliegenden Aufsatz vergebens. Anschließend skizziert Horst Matzerath – ein ausgezeichneter Kenner der Kommunalverwaltung im „Dritten Reich“ – knapp und prägnant die grundlegenden Probleme im Verhältnis zwischen „Bezirksregierung, Kommunen und Parteigliederungen im Nationalsozialismus“ (S. 86-95). Im letzten Beitrag zum Nationalsozialismus beschäftigt sich Alfons Kenkmann mit dem Thema „Polizei und Ordnung im Nationalsozialismus“ (S. 98-101). Dabei wird deutlich, dass die fortschreitende „Amalgamierung von Polizei und SS“ (S. 108) sowie die gelungene Etablierung polizeilicher Sonderbehörden unabhängig von Ober- und Regierungspräsidenten wesentliche Schritte auf dem Wege zu einer erfolgreichen Umsetzung der spezifisch nationalsozialistischen Interpretation von „Ordnung“ waren.

Mit der Nachkriegszeit beschäftigen sich wiederum nur zwei Aufsätze. Ein besonderes Forschungsdesiderat – dies wird bei der Lektüre des Beitrages von Bernd-A. Rusinek über „Kriegsende und Besatzungszeit“ (S. 113-123) schnell deutlich – stellt die Geschichte der Bezirksregierung in der „Zusammenbruchsgesellschaft“ dar. Rusinek zeigt nicht nur konkrete Themenvorschläge auf, sondern skizziert als anspruchsvolle Perspektive künftiger Forschungen „neben der Darstellung der Aufgabenpallette und der Interaktion der Bezirksregierung etwa mit der ‚Politik‘ und der ‚Wirtschaft‘ ein Gesamtportrait des Personals“. Dieses „Sozialgebilde“ möchte er sodann als „Teil des gesellschaftlichen Kommunikationsprozesses der Nachkriegsgesellschaft“ (S. 122) dargestellt und begriffen wissen. Die anschließenden Ausführungen Julia Vollmers über den „Beginn der Wiedergutmachung“ (S. 126-143) stellen einen Zwischenbericht ihrer laufenden Dissertation dar und fußen somit weitgehend auf unveröffentlichten Quellen. Vollmer schildert am Beispiel des Regierungsbezirks Münster (!) die allmähliche Zentralisierung und Bürokratisierung der „Wiedergutmachung“ bis in die 1960er Jahre hinein, für die in Nordrhein-Westfalen im Wesentlichen die Bezirksregierungen zuständig waren. Darüber hinaus gelingen ihr aufschlussreiche Einblicke in die langwierige, für Antragsteller oft entwürdigende „Entschädigungsroutine“ (S. 137) der personell unterbesetzten, bei den Bediensteten unbeliebten Wiedergutmachungsdezernate. Besonders anregend sind jedoch ihre kenntnisreichen Hinweise auf die Fülle ungelöster Fragen.

Abschließend gibt Dieter Lück einen nützlichen Überblick über die Quellenüberlieferung zur Organisation, Personallage und Verwaltungsarbeit der Bezirksregierung Düsseldorf im fraglichen Zeitraum.

Als Resümee bleibt festzuhalten: Ein solcher Sammelband kann selbstverständlich nicht alle offenen Fragen aufgreifen. So werden etwa Aufsätze zur so genannten „Demokratisierung“ der Verwaltung in der Weimarer Republik und zur „Entnazifizierung“ nach 1945 – immerhin werden beide Stichworte im Titel angesprochen – schmerzlich vermisst. Den allermeisten Beiträgen hätte eine etwas ausführlichere Darstellung sowie ein direkterer Bezug zur Bezirksregierung Düsseldorf gut getan. Eher unwichtig, aber ärgerlich sind die meisten der relativ zahlreichen Grammatik-, Schreib- und Sachfehler: Dass etwa der Separatistenführer Dorten zu „Dorsten“ (S. 19) und der Landeshauptmann Haake zu „Harke“ (S. 95) verballhornt werden sowie die von Meissner geleitete Präsidialkanzlei zur „Staatskanzlei“ (S. 82) umgetauft wird, ist gerade noch zu verkraften. Wenn jedoch dem Berufsbeamtengesetz vom April 1933 – in zumindest sehr missverständlicher Weise – eine Schlüsselrolle für einen „rigorosen personellen Austausch der Beamtenschaft in Preußen“ (S. 47) bzw. für die Versetzung politischer Beamter in den einstweiligen Ruhestand zugeschrieben wird (S. 49), ist das deutlich unter dem eigentlichen Niveau des Bandes. Die erstrebte Bestandsaufnahme bisheriger Forschungen ist nämlich trotz der gerafften Form der Beiträge ganz überwiegend so kenntnisreich, dass der Band auch sein zweites Ziel – die Anregung weiterer Forschungen – erreichen dürfte.

Anmerkungen:
1 Zu den Veröffentlichungen der letzten Jahre vgl. die informative Sammelbesprechung von: Ruck, Michael, Beharrung im Wandel. Neuere Forschungen zur deutschen Verwaltung im 20. Jahrhundert (I) und (II), in: Neue Politische Literatur 42 (1997), S. 200-256, und 43 (1998), S. 67-112.
2 Vgl. u.a.: Romeyk, Horst, Der preußische Regierungspräsident im NS-Herrschaftssystem. Am Beispiel der Regierung Düsseldorf, in: Rebentisch, Dieter; Teppe, Karl (Hgg.), Verwaltung contra Menschenführung im Staat Hitlers. Studien zum politisch-administrativen System, Göttingen 1986, S. 121-140.
3 An dieser Stelle sei auf ein Dissertationsvorhaben an der Universität Münster verwiesen. Hedwig Schrulle arbeitet dort zum Thema „Verwaltung in Demokratie und Diktatur: Das Regierungspräsidium Münster 1930-1960“.
4 Forstner, Thomas, Die Beamten des bayerischen Innenministeriums im Dritten Reich. Loyale Gefolgsleute oder kritische Staatsdiener? St. Ottilien 2002.

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