M. van Leeuwen: Historical International Standard Classification

Titel
HISCO - Historical International Standard Classification of Occupations.


Autor(en)
van Leeuwen, Marco; Maas, Ineke; Miles, Andrew
Erschienen
Anzahl Seiten
441 S.
Preis
€ 47,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Steffens, Université Libre de Bruxelles

Die vorliegende Publikation stellt ein bedeutendes Nachschlagewerk eigener Art dar, eine Kombination von sozio-professioneller Klassifikation und mehrsprachigem Wörterbuch von Berufs- und Berufstätigkeitsbezeichnungen. Anders als es scheinen mag, ist dies jedoch nicht das erste Nachschlagewerk seiner Art. Bereits 1909 ist mit dem französisch-englisch-deutschen „Répertoire technologique des noms d’industries et de professions“ ein ähnlich gerichteter Versuch unternommen worden.1 Leider ist von den Autoren des „HISCO“-Bandes weder das „Répertoire technologique“ herangezogen noch überhaupt das weite Feld der allgemeinen Sprach- und der Fachwörterbücher beachtet worden.2 Gewiss, das erklärte Ziel der Autoren war die Erarbeitung einer sozio-professionellen Klassifikation und nicht die Erstellung eines Wörterbuches, aber im vorliegenden Fall ist das Eine vom Anderen kaum zu trennen, bilden doch die Berufs- und Berufstätigkeitsbezeichnungen die zu ordnende Materie. Daher hat die Nichtbeachtung der Erträge der Lexikografie gewisse negative Konsequenzen, auf die im Folgenden ebenso hingewiesen werden soll wie auf das unleugbare Interesse der Klassifikation als solcher.

Den Ausgangspunkt des „HISCO“ getauften Unternehmens bildete die zutreffende Feststellung, dass es ausgesprochen schwierig ist, auf der Grundlage von Statistiken oder statistisch auswertbaren Quellen in länderübergreifender und vergleichender Perspektive über Strukturen der Arbeitswelt oder über Muster sozialer Stratifizierung und Mobilität zu arbeiten, sobald Berufs- und Berufstätigkeitsbezeichnungen ins Spiel kommen. Selbst innerhalb eines Landes oder Sprachgebietes sind die lokalen Forschungsarbeiten von einem gemeinsamen Grundschema weit entfernt, das die Vergleichbarkeit der erzielten Ergebnisse erleichterte. Aus diesen Feststellungen resultierte der Wunsch, ein international anwendbares Ordnungsschema zu erstellen, welches nationale Daten miteinander vergleichbar machen könnte.

Die Autoren haben sich dafür entschieden, ein bereits bestehendes Ordnungsschema als Grundlage zu benutzen, nämlich die „International Standard Classification of Occupations“ (ISCO) der „International Labour Organisation“, und dasselbe sowohl dem Material, als auch den Zwecken der historischen Forschung anzupassen. Benutzt wurde weder die „ISCO“-Version von 1958 noch die spätere von 1988, sondern die Version von 1968. Begründet wird die Wahl vor allem damit, dass die Version von 1968 weit mehr Bezeichnungen enthält als die 1958er, wogegen in derjenigen von 1988 viele inzwischen veraltete Bezeichnungen nicht mehr enthalten sind.

Konkret ist der Übergang von „ISCO“ zu „HISCO“ und die Praktikabilität der Letzteren durch verschiedene Forschungsprojekte mehrfach empirisch geprüft und abgesichert worden. Außerdem wird über weitere Projekte die Anwendbarkeit und Pertinenz von „HISCO“ auf den Prüfstand gestellt und kritisch gewürdigt. So weist ein Anwendungsversuch auf Katalonien darauf hin, dass 1. das Drei-Sektoren-Modell der Wirtschaft vom HISCO-Schema bislang nur unvollkommen berücksichtigt wird, dass 2. der Status-Unterschied zwischen Selbstständigen und Lohnabhängigen in einigen Fällen nicht zur Geltung kommt und dass 3. weibliche Tätigkeiten unterrepräsentiert sind.3 Hiermit sind also bereits erste Schwachstellen aufgezeigt, die noch zu beseitigen wären, wobei der letzte Punkt von den Autoren selber bereits hervorgehoben worden ist (siehe Einleitung, S. 14–15).

Die Struktur der Klassifikation stellt sich wie folgt dar: 7 Hauptgruppen (1. Professional, technical and related workers; 2. Administrative and managerial workers; 3. Clerical and related workers; 4. Sales workers; 5. Service workers; 6. Agricultural, animal husbandry and forestry workers, fishermen and hunters; 7. Production and related workers, transport equipment operators and labourers) sind in 74 Untergruppen aufgeteilt, die ihrerseits in mehrere hundert Basisgruppen aufgegliedert sind, welch Letztere die einzelnen Bezeichnungen enthalten. Den Haupt-, Unter- und Basisgruppen entspricht ein fünfstelliges Codesystem, das eine eindeutige Identifizierung und Zuordnung jeder einzelnen Bezeichnung ermöglicht. Das Codesystem als solches ist transparent und wirkt im Ganzen überzeugend, auch wenn im Detail Probleme auftauchen können, wie es die erwähnte katalonische Arbeitsgruppe demonstriert hat. Für jede Haupt- und Untergruppe findet sich eine summarisch-kurze Beschreibung des Tätigkeitsfeldes.

Aus praktischen Erwägungen wurden die 1.000 häufigsten Berufs- und Berufstätigkeitsbezeichnungen in das Schema integriert, die zuvor in den Datenbanken von Projekten aus acht Ländern (Belgien, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Niederlande, Norwegen und Schweden) erfasst worden waren. Die chronologische und geografische Reichweite der diversen Projekte sowie die jeweilige Quellengrundlage sind allerdings höchst unterschiedlich (dazu die Übersicht auf S. 13 der Einleitung): für Deutschland z.B. besteht eine Datenbank mit gut 17.000 Einträgen aus den Kirchenarchiven und Meldeunterlagen von sechs Dörfern der Zeit von 1692 bis 1950; für Schweden ist es eine Datenbank mit knapp 890.000 Einträgen aus den Geburts-, Hochzeits-, Sterbe- und anderen Registern von 17 Gemeinden der Zeit 1803–1900; für Frankreich wiederum handelt es sich um eine landesweite Enquête für die Zeit 1803–1945 mit knapp 58.000 Einträgen aus Heiratszertifikaten, etc.

Der Pertinenz des Klassifikationsschemas ist die Heterogenität der zugrunde gelegten Daten offensichtlich nicht abträglich. Anders dagegen verhält es sich mit dem Korpus der hier erfassten Bezeichnungen. Eben wegen der Heterogenität der zugrunde gelegten Daten einerseits und der Beschränkung auf die 1.000 häufigsten Bezeichnungen andererseits weist der Korpus eine Reihe von Lücken und Problemen auf, die durch den Rückgriff auf Wörterbücher sowie auf veröffentlichte Volks- und Berufszählungen hätten vermieden werden können. Um nur drei typische Beispiele von vielen herauszugreifen: – 1. In der Basisgruppe 7-91.00 (‚Tailor, specialisation unknown’, S. 236) werden für Frankreich en bloc vier Begriffe genannt (‚coupeur tailleur’, marchand tailleur’, ‚tailleur’, ‚tailleur d’habits’), die einen jeweils unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Status repräsentieren: die ‚coupeurs’ (Zuschneider) waren hochqualifizierte, aber meist lohnabhängige Gesellen, die ‚marchands tailleurs’ bildeten tendenziell die Elite der Maß-Schneider, wogegen zu den ‚tailleurs’ und ‚tailleurs d’habits’ zahlreiche Gesellen und heimarbeitende Kleinmeister gehörten; die undifferenzierte Aufzählung der vier Berufsbezeichnungen verwischt diese signifikanten Unterschiede. – 2. In der Basisgruppe 8-91.20 (‚Glass blower’, S. 271) finden sich nur Angaben für Frankreich, Norwegen, Schweden und Großbritannien, aber nicht für die anderen Länder, obwohl dort die Glasmacherei ebenfalls vertreten war; auch finden sich für Frankreich nur die Angaben ‚souffleuse de perles’ und ‚souffleuse de verre’, nicht aber auch ‚souffleur de verre’. – 3. In der Basisgruppe 8-92.42 (‚Brick and Tile Moulder (Hand or Machine)’, S. 273) findet sich für Deutschland nur die Bezeichnung ‚Ziegelmeister’, aber keine Bezeichnung für lohnabhängige Ziegler. Anders gewendet, der Wert des „HISCO“-Bandes als Nachschlagewerk ließe sich deutlich verbessern, wenn der Korpus der Berufsbezeichnungen vervollständigt und die Differenzierung nach dem sozialen und wirtschaftlichen Status systematisch vorgenommen würde. Letztlich wird sich in der konkreten Anwendung zeigen müssen, wie brauchbar und allgemein akzeptabel „HISCO“ als Standard-Klassifikation ist.

Abschließend sei eine Reflexion hinzugefügt, um auf sozialgeschichtliche Forschungsprobleme im Zusammenhang mit Berufsbezeichnungen zu verweisen, die auch die beste Klassifikation nur unbefriedigend lösen kann. Zu denken ist unter anderem an die Frage der beruflichen Poly-Aktivität, die in offiziellen Quellen nur ungenügenden Niederschlag findet, an die Frage des Heimarbeiterstatus, der in den Berufsbezeichnungen meist nicht ausgedrückt wird, und schließlich die Frage der Berufs- und Tätigkeitsbezeichnungen, wie sie in der alltäglichen Kommunikation der Arbeitenden verwandt, aber meines Wissens noch nicht systematisch gesammelt worden sind, wiewohl sie viel zum Verständnis der Arbeitswelt und ihrer sozialen wie mentalen Strukturen beitragen können. 4

Anmerkungen:
1 Ministère du Travail et de la Prévoyance sociale. Statistique générale de la France (Hg.), Répertoire technologique des noms d’industries et de professions français – anglais – allemands avec notices descriptives sommaires, suivi de trois listes alphabétiques des noms allemands, anglais et français, Paris 1909, S. xxii, S. 462, 289.
2 Für die deutsche Sprache sei hier exemplarisch nur an die weite Palette erinnert, die vom bis heute unersetzten „Deutschen Wörterbuch“ über das „Handbuch der mechanischen Technologie“, das „Verzeichnis der Berufs- und Standesbezeichnungen“ und das „Wörterbuch der Berufs- und Berufstätigkeitsbezeichnungen“ bis zum „Lexikon historischer Berufe in Schleswig-Holstein und Hamburg“ reicht: Grimm, Jacob, Grimm, Wilhelm, Deutsches Wörterbuch in 16 Bde., Leipzig 1854–1960; Karmarsch, Karl, Handbuch der mechanischen Technologie in 2 Bde., Hannover 1837–1842, 1905; Haemmerle, Albert, Alphabetisches Verzeichnis der Berufs- und Standesbezeichnungen vom ausgehenden Mittelalter bis zur neueren Zeit, München 1933; Molle, Fritz, Wörterbuch der Berufs- und Berufstätigkeitsbezeichnungen, Wolfenbüttel 1975; Lorenzen-Schmidt, Klaus, Lexikon historischer Berufe in Schleswig-Holstein und Hamburg, zusammengestellt unter Mitwirkung mehrerer Fachkollegen, Kiel 1996.
3 Siehe HISCOdes for Catalonia (Historical International Social Mobility Analysis Occasional Papers and Documents Series n° 6/2002), Amsterdam 2002, S. 27-30.
4 Selber habe ich einen ersten Versuch unternommen, Lehrlingsbezeichnungen in deutscher, französischer und niederländischer Sprache zu sammeln und zu analysieren, siehe Steffens, Sven, Le nom de l'apprenti: une analyse du vocabulaire socio-professionnel, in: Revue belge de Philologie et d’Histoire/Belgisch tijdschrift voor filologie en geschiedenis 79 (2001), S. 591-617.