T. Meyer u.a. (Hgg.): Luxus und Konsum

Cover
Titel
Luxus und Konsum. Eine historische Annäherung


Herausgeber
Meyer, Torsten; Reith, Reinhold
Reihe
Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt 21
Erschienen
Münster 2003: Waxmann Verlag
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
€ 25,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Uwe Spiekermann, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Georg-August-Universität Göttingen

“Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.” Diese quellenkritisch bekanntermaßen nicht unproblematische Sentenz schießt einem unwillkürlich in den Kopf, betrachtet man Sammelbände, deren Publikation mehrere Jahre gedauert hat: Der hier vorzustellende Band geht auf die 3. wissenschaftliche Tagung des Collegium Johann Beckmann zurück, die im Jahre 2000 in Salzburg stattfand. Es mag Felder historischer Forschung geben, in denen drei Jahre Entstehungszeit nicht wesentlich ins Gewicht fallen; im dynamischen Feld der Konsumgeschichte ist dies jedoch gewiss nicht der Fall.

„Luxus und Konsum“ – das Thema des von Reinhold Reith (Salzburg) und Torsten Meyer (Cottbus) herausgegebenen Bandes bleibt gleichwohl spannend. Ziel der 13 Beiträge von österreichischen, deutschen und schweizer ForscherInnen war es, „einen Beitrag zur Entwicklung des Forschungsfeldes [zu] leisten und das gesellschaftliche Phänomen »Konsum« in einer weiten historischen Perspektive [zu] behandeln“ (S. 21). Reinhold Reiths Einleitung verbindet drei heterogene Ziele. Erstens gibt er einen kurzen Überblick der historischen Konsumforschung und deren Berücksichtigung von Luxus. Die zentralen Begriffe werden relational gedeutet, im Wechselspiel von Notwendigem und Überflüssigem. Reith interessieren vor allem die sozialen Effekte des Konsums, also Fragen der Identifikation und Repräsentation, der Distinktion und Differenzierung. Die fehlende Materialität eines solchen Ansatzes ergänzt er zweitens mit einem Rekurs auf die Warenkunde Johann Beckmanns, die Ende des 18. Jahrhunderts Ordnung in die sich schnell erweiternde Welt käuflicher Güter bringen wollte; Perspektiven einer derart angesprochenen Objekt- und Technikgeschichte des Konsums werden deutlich, werden hier aber nicht weiter entwickelt. Die Einleitung schließt drittens mit kurzen Zusammenfassungen der Inhalte der folgenden Beiträge.

Es folgt einer der besten Aufsätze des Bandes: Unter Bezug auf die Pionierarbeiten McKendricks und Shamas präsentiert und hinterfragt Rainer Beck (Salzburg) die Forschung zur Konsumgeschichte der Frühen Neuzeit. Luxus erscheint dabei gleichermaßen als „marker“ und „maker“, der die vermeintliche Selbstgenügsamkeit dieser Zeit fundiert in Frage stellt. Drei Punkte markieren demnach die Frühe Neuzeit: 1. neue Waren und deren Diffusion, 2. langfristige, teils schon im 16. Jahrhundert einsetzende sozioökonomische Transformationsprozesse, wie etwa die Revolution des Fleißes (De Vries), sowie 3. strukturelle Veränderungen von Markt und politischer Ordnung. Diese eher ökonomischen Ansätze wurden durch kulturhistorische Fragen nach Konsummotiven und Bedeutungen ergänzt und differenziert – ein deutlicher Verweis auf die Leistungsfähigkeit einer kulturgeschichtlich sensiblen Wirtschaftsgeschichte. Wichtig ist vor allem, dass auf diese Weise alte Theorieangebote, wie etwa die vom „sinkenden Kulturgut“ (und der damit implizit verbundenen Innovationsfähigkeit vor allem der Eliten) grundsätzlich in Frage gestellt wurden: Konsum, so insbesondere die Argumentation Campbells, ist eben ein in sich pluraler Weg der Selbstvergewisserung und Identitätsbildung. Beck zeigt, nicht zuletzt am Beispiel von Luxusgütern, wie die Materialität des Konsums schon in der Frühen Neuzeit an Bedeutung verliert: An die Stelle des Verbrauchs trat verstärkt der Gebrauch von Gütern, wurden diese immer mehr zu Bedeutungsträgern. Die enge Verbindung von Konsum und Kultur tritt hervor, zugleich aber auch die Gefahr einer Abirrung, die Beck zu Recht im „peinlichen Schwelgen in der Waren- und Phantasiewelt Privilegierter und Reicher“ (S. 46) sieht.

Ist nun „Luxus“, ist nun „Konsum“ mehr oder anderes als das, was Historiker darunter verstehen? Ulrich Wyrwa (Berlin) arbeitet die Begriffsgeschichte genauer auf; wobei seine wesentlichen Ergebnisse zuvor bereits an anderen Stellen publiziert wurden. Torsten Meyer erkundet anschließend Verwendung und Wandel des Begriffs „Konsum“ in der Hausväterliteratur resp. der des Kameralismus. Auch wenn diese tendenziell normativen Quellen nur begrenzte Aussagen ermöglichen, lässt sich doch eine Modernisierung des Wortfeldes nachweisen. An die Stelle einer moralischen Einbettung und einer standesgemäßen Qualität von Konsum traten v.a. seit der Zeit des 7-jährigen Krieges verstärkt „volkswirtschaftliche“ Überlegungen, in denen Konsum als notwendiger Teil des Wirtschaftsgeschehens, in denen der homo oeconomicus als bedürftiges Wesen verstanden wurde; ohne dabei aber die Grenzen der Natur und der göttlichen Ordnung aus den Augen zu verlieren.

Es folgen verschiedene Beiträge, die spezielle Güter(gruppen) behandeln: Christoph Maria Merki (Basel) fasst in seinem Beitrag nochmals wesentliche Punkte aus einem 1998 von ihm mit herausgegebenen Sammelband zur Geschichte der Genussmittel zusammen. Deskriptiv (und informativ) ist der Beitrag von Gerhard Dohrn-Van Rossum (Chemnitz) zum Wechselspiel von Uhrenluxus und Luxusuhren, dessen Behandlung symbolischer Bedeutungen den Standard heutiger Kulturgeschichte aber nicht erreicht. Souverän ist dagegen Wolfgang Königs (München) Versuch über die Geschichte des Automobils; auch wenn dessen Ausführungen vornehmlich schon in seiner 2000 erschienenen „Geschichte der Konsumgesellschaft“ entwickelte Thesen zuspitzen. Das Auto ist zuerst Sport und Spielzeug, dann Repräsentations- und Nutzfahrzeug, schließlich Freizeitverkehrsmittel; eine hilfreiche Typisierung, die man aber sicherlich begrifflich noch präziser und differenzierter fassen kann. Es folgt ein fundierter Beitrag Günter Bayerls (Cottbus) zum Konsum von Wasser. Die Bedeutung von Infrastrukturentscheidungen und Netzwerken tritt hier in den Vordergrund: Entkörperlichte Arbeit einerseits (Wäsche waschen), entmaterialisierter Konsum andererseits (Geschirr spülen). Bayerl betont in seinem gelungenen Aufsatz die Folgewirkung einmal getroffener Strukturentscheidungen (etwa auf Stromnetze oder Entsorgung), hebt aber auch deren spezifische Historizität hervor. In Auseinandersetzung mit der These vom 1950er-Syndrom kann er zudem zeigen, dass der moderne „Konsumkonfort“ (S. 137) eben lange zuvor grundgelegt wurde, dass nach dem 2. Weltkrieg allerdings neue Formen des Konsumfolgenmanagements einsetzten. Im Zwang zur „reflexiven Modernisierung“ zeigen sich denn auch die Fallstricke modernen Konsums, deren Folgen nur unter Bezug auf bestehende Regelungssysteme gemanagt werden können. Wichtig hieran ist vor allem, dass Konsumgeschichte in nicht unbeträchtlichem Maße „anonyme Geschichte“ sein kann. Sehen und gesehen werden heißt es dagegen bei modernen Festspielen. Am Beispiel Salzburgs verdeutlichen Robert Hoffmann (Salzburg) und Claudia Schöndorfer (Linz) Luxuskonsum im 20. Jahrhundert. Der faktenreiche, allerdings eher deskriptive Beitrag stellt die Kommerzialisierung und repräsentative Nutzung von Kultur durch ein zahlungskräftiges Publikum dar. Trotz zuletzt verstärkter Demokratisierungsbemühungen tritt die damit verbundene „milieuspezifische Selbstinszenierung“ (S. 178) hervor, weniger aber deren Logik und Symbolik.

An diese Gruppe von Aufsätzen schließen sich Artikel an, deren innere Verbindung mit dem Kernthema nicht immer deutlich ist. Der zusätzlich hereingenommene Beitrag Michael Johns (dessen wesentliche Ergebnisse allerdings schon 2001 nachzulesen waren) widmet sich am Beispiel der Entwicklung der Waren- und Kaufhäuser der Stadt Linz der Etablierung einer modernen Konsumkultur. Leider geschieht dies ohne rechte Kenntnis des internationalen Forschungsstandes zum Einzelhandel insgesamt, zum Warenhaus speziell. So ist es schlicht Unkenntnis, wenn man dem Warenhaus Kastner & Öhler das Verdienst zuschreibt, als erstes im deutschen Sprachraum Kataloge verschickt und damit Versandhandel betrieben zu haben (S. 183). Die Ausführungen bleiben insgesamt eher oberflächlich, konzentrieren sich auf die betriebliche Ebene und politische resp. ökonomische Rahmenbedingungen. Von der Erkundung einer spezifischen „Konsumkultur“ kann demnach nicht die Rede sein. Ein mangelndes Eingehen auf den Forschungsstand des Faches zeichnet auch den folgenden Beitrag Hans-Peter Müllers (Berlin) zum Verhältnis Arbeiteraristokratie und Luxus aus. Oder sollte es wirklich ausreichend sein, wenige Arbeiten aus der Mitte der 1980er-Jahre heranzuziehen und dann ausführlich Bourdieu zu zitieren, um dieses wichtige und komplexe Thema zu behandeln? Neuere und perspektivenreiche Ansätze der Arbeitergeschichtsschreibung, etwa der von Thomas Welskopp vorstellte „praxeologische“ Ansatz, werden jedenfalls nicht einmal erwähnt.

Spannend und lesenswert ist dagegen der Aufsatz von Ina Merkel (Marburg) zur nur scheinbar widersinnigen Fragestellung nach dem Luxus im Sozialismus. In strikter Abgrenzung von einer eindimensionalen Deutung der DDR als Mangelgesellschaft gelingt es der Autorin, Strukturprobleme des Konsums im kleineren deutschen Staat am Beispiel der Preispolitik freizulegen. Die spezifisch sozialistische Deutung von Grundbedürfnissen und Luxusbedarf wurde je länger, je mehr zu einem zentralen ökonomischen aber auch politischen Problem. Während der so genannte Grundbedarf bewusst preiswert gehalten und mit zunehmend aberwitzigen Summen subventioniert wurde, gelang der DDR-Führung keine Anpassung an die Dynamik der Konsumgütermärkte. „Luxus“ blieb an Denkschemata der 1950er-Jahre gekoppelt, ungeachtet der weiteren Ausdifferenzierung vor allem der Gebrauchsgüter in West und auch Ost. Merkel zeigt fundiert die Aporien eines Systems auf, das einerseits Konsum bewusst differenzierte (Intershop, Exquisit- und Delikatläden), andererseits aber auf ein Menschenbild setzte, in dem lustvolles Konsumieren keinen Platz besaß, in dem ein sich selbst bewusster Mensch andere Prioritäten setzt. Der Sammelband wird abgeschlossen durch einen zusätzlich aufgenommenen reflektierenden Beitrag von Ernst Harnisch (Salzburg), in dem die Bezüge von Säkularisierung und der „Konsumgesellschaft“ thematisiert werden und der zahlreiche weiterführende Fragen anreißt.

„Luxus und Konsum“ bietet demnach einen breiten Kranz von Themen, bietet eine Vielzahl an sich spannender, vielfach auch weiterführender Einblicke in die facettenreiche Historie des Begriffspaares. Das niedrig gehängte Ziel wurde durchaus erreicht. Gleichwohl fehlt dem Band ein innerer Zusammenhalt, fehlen verbindende Thesen oder Perspektiven. Die Vernetzung von Konsum- resp. Luxusforschung erweist sich als sinnvoll. Doch mangelt es an einer umfassenderen theoretischen Reflektion oder auch nur einer systematischen Periodisierung des Gesamtfeldes. Schade ist, dass nur wenige Beiträge die Ergebnisse internationaler Forschung berücksichtigen und verwerten. Angesichts des beträchtlichen Vorsprunges der angelsächsischen Arbeiten bleibt hier ein wichtiges Desiderat. Abstriche sind auch im Formalen zu machen. Buchdeckel und Titelblatt weisen unterschiedliche Schreibweisen des Buchtitels auf, Fußnoten fehlen (S. 94), tauchen teils in falscher Reihenfolge auf (S. 125). Nicht alle Autoren werden im Autorenverzeichnis erwähnt, doppelte Leerzeichen sind nicht selten, und die geltende neue Rechtsschreibung wird nicht genutzt.

So bleibt am Ende – leider – nur ein zwiespältiges Fazit: Der von Reinhold Reith und Torsten Meyer vorgelegte Sammelband „Luxus und Konsum“ enthält mehrere lesenswerte Aufsätze, die unser Wissen in diesem wichtigen Forschungsfeld nicht unwesentlich erweitern. Der Band sollte daher in Bibliotheken nicht fehlen. Es dominieren jedoch Aufsätze, deren Ergebnisse schon an anderer Stelle publiziert wurden bzw. die nicht auf dem heutigen Forschungsstand sind. Und entsprechend kann der Band für den privaten Konsum nur bedingt empfohlen werden. Ein solcher Kauf ist nicht notwendig, er wäre Luxus.

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