H. Neumann u.a.: Maximilian Harden

Titel
Maximilian Harden (1861-1927). Ein unerschrockener deutsch-jüdischer Kritiker und Publizist


Autor(en)
Neumann, Helga; Neumann, Manfred
Erschienen
Anzahl Seiten
214 S.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jochen Kirchhoff, Münchener Zentrum für Wissenschafts- und Technikgeschichte, Deutsches Museum

1. Zur Biographie von Maximilian Harden (1861-1927) und seiner Wochenschrift “Zukunft”

“Dieser Stresemann ist doch eine andere Nummer als so ein Bismarck!” soll der berühmte Publizist Maximilian Harden im Herbst 1927, lungenkrank, körperlich erschöpft, doch in gereizter, angriffslustiger Stimmung gesagt haben. “Aber er hat auch eine bessere Presse”, entschied Harden seinen Vergleich zwischen der historischen Gestalt des Reichsbegründers und dem Politiker der Weimarer Republik. Doch diese “bessere Presse” schien ihn im selben Moment hell zu empören: er schmiss die gelesenen Tagesausgaben des “Berliner Tageblatt” und der “Vossischen Zeitung” auf den Boden, wo die zahlreichen Nachrichtenblätter bereits lagen, die dem Todkranken in seinen Schweizer Kurort Montana (Wallis) nachgesandt worden waren, und beschwerte sich: “[...] nicht eine Stimme in diesem Deutschland stört diese Herrschaften [...]” 1

Die Rolle des energisch auftretenden, öffentlichen Kritikers war Maximilian Hardens Berufung im Wilhelminischen Kaiserreich gewesen. Er gelangte zu diesem Beruf über seinen anfänglichen Weg als Schauspieler und Theaterkritiker. Zuvor hatten frühe, unglückselige Verhältnisse in der Familie seinen Entschluss zu einem Identitätswechsel bestärkt: Maximilian Harden hieß nämlich zunächst Felix Ernst Witkowski. Unter diesem bürgerlichen Namen wurde er am 20. Oktober 1861 in Berlin in eine deutsch-jüdische Familie des Mittelstands geboren. Am 10. September 1881 entschied er sich zur Assimilation und ließ sich evangelisch taufen. Dabei nahm er seinen neuen Vornamen (Maximilian) an, offenbar in Identifikation mit dem Schauspieler Maximilian Ludwig, der für den jungen Felix Ernst (alias Maximilian) Witkowski in beeindruckender Weise die Titelrollen seiner Lieblingsdramen zu spielen wusste. 1887 erhielt “Maximilian” Witkowski die Erlaubnis, auch einen neuen Familiennamen, Harden, zu führen. Man vermutet, dass dieser neue Familienname in Anlehnung an den preußischen Reformpolitiker Karl August Fürst von Hardenberg (1750-1822) gebildet wurde und “männliche Härte, Stolz und Widerstandswillen” ausdrücken sollte (S. 19).

Nach dem Besuch des Französischen Gymnasiums in Berlin arbeitete Harden von 1875 bis 1888 als Schauspieler. Danach ging er zur journalistischen Tätigkeit über, zunächst beim „Berliner Tageblatt“, beim „Deutschen Montagsblatt“, der „Nation“ sowie in der „Gegenwart“. 1889 gehörte Harden zu den Mitbegründern des neuen Theaters, das sich ausschließlich dem Naturalismus widmete, der „Freien Bühne Berlin“. 1892 schließlich, mit 31 Jahren, gründete er seine eigene Zeitschrift und blieb deren Leitartikler und Herausgeber für mehr als dreißig Jahre. Sein Wochenblatt “Zukunft” wurde bekannt – vielleicht muss man sagen: berüchtigt – für die tagespolitische Informiertheit, die Prominenz der Autoren und die Scharfzüngigkeit ihres Herausgebers. Von Oktober 1892 an erschien Hardens “Zukunft” als Wochenschrift “für Politik, öffentliches Leben, Kunst und Literatur” jeden Freitag in einer Stärke von etwa 40 bis 50 Seiten. Seit ihrem Erscheinen in einer Startauflage von 6.000 Exemplaren erzielte die “Zukunft” ständig steigende Auflagenhöhen: um 1900 wurden pro Ausgabe 10.000 Exemplare gedruckt, in den anderthalb Dekaden bis zum Ersten Weltkrieg waren es jede Woche 21.000 bis 23.000 Exemplare. 2 Solche Zahlen übertrafen die Durchschnittsauflagen anderer Blätter im umkämpften Zeitschriftenwesen des Wilhelminischen Kaiserreichs um das Drei- bis Vierfache. 3 Ab 1915 jedoch, nach mehrfachen Verbotsmaßnahmen gegen die “Zukunft” durch die Militärzensur im Ersten Weltkrieg, brach ihr Interessenten- und Abonnentenkreis zusammen. In der Hyperinflation des Krisenjahres 1922 zählte Maximilian Hardens Wochenjournal nur mehr 343 Abonnenten, weniger als 1000 Exemplare gelangten zum Verkauf. Die Zeitschrift musste ihr Erscheinen einstellen. 4

Dass sich ein breit gestreuter, hochrangiger und langjähriger Leserkreis ab 1915 von der Wochenschrift “Zukunft” abwandte, hing jedoch nicht nur mit der Militärzensur zusammen, sondern wohl auch mit Hardens politischem Gesinnungswandel. Der politische Journalist, der zu den lautesten Kriegsbefürwortern der Augusttage 1914 zu zählen ist, wandelte sich ab November 1915 vom heißspornigen Annexionisten in einen Fürsprecher des humanitären Pazifismus. Diesen Schritt aus dem bellizistischen Mehrheitslager heraus kreidete man Harden nach der Niederlage 1918 als publizistischen Verrat am Vaterland an. Hardens Bemühungen, die Wochenschrift erneut in den 1920er-Jahren herauszubringen, scheiterten, u.a. wohl auch daran, dass er den - zwar falschen, aber ihm nun hartnäckig anhaftenden – Ruf eines politischen Opportunisten nicht abschütteln konnte. Rechtsradikal-völkische Kreise verübten am 3. Juli 1922 gegen ihn einen Mordversuch, keine zehn Tage, nachdem die “Organisation Consul” den Reichsaußenminister Walther Rathenau erschossen hatte. Harden überlebte den brutalen Überfall schwer verletzt. Doch der Mord an Rathenau, mit dem Harden in einer jahrzehntelangen, wenn auch am Ende getrübten Freundschaft verbunden gewesen war, die eigene gesundheitliche Beeinträchtigung nach dem Attentat und schließlich der intellektuelle Rufmord ließen den Publizisten 1922 nach Holland übersiedeln. Von dort schrieb er für die Amsterdamer Zeitung “De Telegraaf” sowie verschiedene amerikanische Nachrichtenblätter seine Beiträge und Kommentare über das politische Tagesgeschehen im Deutschen Reich. Während eines Kuraufenthaltes in Montana (Wallis) starb Harden an den Folgen einer Lungenentzündung am 30. Oktober 1927.

2. Die Bedeutung Maximilian Hardens und der Stand der Geschichtsschreibung

Thomas Mann formulierte 1948 im Rückblick, Harden sei “without doubt the most important and interesting publicist Germany has produced”. 5 Diese Hochschätzung Maximilian Hardens bekräftigen auch die Germanistin Helga Neumann und der Jurist Manfred Neumann in ihrer Publikation. Die Absicht der beiden Neumanns ist es, die Verlegergestalt und Persönlichkeit Maximilian Harden „abermals zu porträtieren“ (S. 11). Grundsätzlich erscheint eine neue Biografie über Maximilian Harden in deutscher Sprache aus mehreren Gründen willkommen. Erstens sind die Schriften von Maximilian Harden auf dem deutschen Buchmarkt seit einigen Jahren nicht mehr erhältlich, mit der Ausnahme eines schmalen, allerdings gewichtigen Teils seiner ausgreifenden Korrespondenz. 7 Eine Biografie würde dieser scheinbar vergessenen Gestalt der deutschen Publizistik die verdiente Beachtung und Würdigung verschaffen.

Zweitens ist die bislang vorliegende, amerikanische Biografie über Maximilian Harden, eine Dissertation von Harry F. Young aus dem Jahr 1959, im Forschungsstand veraltet und beruht auf einer schmalen, wenig verlässlichen Quellenbasis. Harry F. Young hatte in den späten 1940er-Jahren einige Briefe aus dem abenteuerlich zerstreuten Nachlass Maximilian Hardens ersteigern können und stützte seine Darstellung im Wesentlichen auf mehrere Interviews mit der Schauspielerin Elfride Schmaltz, die von 1908 bis 1927 Maximilian Hardens Freundin und Geliebte gewesen war. Ein bloß biografisch verfahrender Ansatz wie bei Harry F. Young erscheint allerdings in der Forschungslandschaft zur Pressegeschichte seit den 1960er-Jahren überholt, nachdem grundlegende sozialgeschichtliche Beiträge zum Zeitschriftenwesen neue, institutionstheoretische Zugänge zur Geschichte der Publizistik etabliert haben. 8 Ebenso lenken die aktuellen Ansätze einer Medienkulturgeschichte die Aufmerksamkeit auf die soziale Konstruktion politischer Macht in öffentlichen Medien und thematisieren die Auswirkungen des „Iconic Turn“ auf die Printmedien. Im Zusammenhang mit diesem erheblich gewandelten Fragenkatalog der historischen Forschung sollte die Gestalt des intellektuellen ‚Meinungsmachers’ Maximilian Harden jenseits seiner biografisch-psychologisierenden Ausdeutung in den Blick kommen: Wie konnte Maximilian Harden in einer Phase des medialen Übergangs zur unterhaltenden Massenpresse und Illustrierten in den Dekaden um 1900 mit seiner „Zukunft“ ein Sprachrohr für politische Reflexion und Agitation schaffen? Eine solche historische Fragestellung hätte die medialen Bedingungen der Öffentlichkeit und die Wirkungsmächtigkeit ihrer Medien zu thematisieren, und würde mithin systematische Fragen stellen, die Harry F. Young in seiner soliden Biografie vor über 40 Jahren noch nicht vor Augen hatte.

Drittens liegt eine neue Bearbeitung der Biografie Maximilian Hardens nahe, weil das Bundesarchiv Koblenz seit 1953 umfangreiche Teile des verstreuten Korrespondenznachlasses wieder erwerben konnte. 9 Über die Schriftquellen hinaus, die Harry F. Young verwendete, und in kritischer Distanz zu der einzigen Zeitzeugin, die seine dominante Gewährsquelle war, kann eine neue Biografie aus bislang nicht ausgewerteten Archivalien schöpfen. Diese verbesserte Quellenlage ist von der historischen Forschung bisher nicht genutzt worden.

Viertens liegen mittlerweile eine Reihe von Forschungsarbeiten zum Leben und Wirken von Maximilian Harden vor, welche für eine zusammenfassende Darstellung konsultiert werden können. B. Uwe Weller hat 1970 Hardens Redaktion der Wochenschrift „Zukunft“ in verschiedenen Themengebieten untersucht, u.a. seinen Blick auf die Regierungsweise Kaiser Wilhelms II. und des Reichskanzlers Bernhard von Bülow, die Angriffe auf Philipp Graf von Eulenburg, die sich zur Staatskrise ausweiteten, die Kriegspublizistik 1914-1918, die politischen Kommentare zur Weimarer Republik sowie seine Theater- und Literaturkritik. 10 Hans Joachim Goebel hat in seiner Dissertation 1975 diese Analyse vertieft und das Meinungsspektrum der „Zukunft“ untersucht, insbesondere während des Ersten Weltkrieges. 11 Hans Dieter Hellige hat 1983 in einer innovativen Vergleichsstudie, die sozialgeschichtliche Aspekte mit psychologischen verknüpft, die Identität deutsch-jüdischer Kaufmannsöhne wie Walther Rathenau und Maximilian Harden diskutiert und plausibel gemacht, wie Rathenau und Harden im Zuge ihres sozialen Aufstiegs zu neo-konservativen Fürsprechern des Industriekapitalismus und der deutschen Großmachtspolitik wurden. 12 Karsten Hecht hat in seiner Münchener Dissertation von 1997 die strafrechtlichen Harden-Prozesse um Fürst Philipp von der Eulenburg auf ihre öffentliche Wirkung hin untersucht. 13 Sabine Armbrecht hat 1999 den Mordüberfall von 1922 zum Ausgangspunkt für die Frage genommen, ob sich Harden seiner deutsch-jüdischen Identität bewusster wurde, nachdem er Opfer einer antisemitischen Attacke geworden war. 14

3. Helga und Manfred Neumann (2003) über Maximilian Harden

Mit Blick auf die hier skizzierte Harden-Forschung weisen H. und M. Neumann richtig darauf hin, dass die meisten vorliegenden Arbeiten noch keine „Auswertung“ (S. 10) erfahren hätten. Seit Harry F. Youngs Dissertation von 1959 und ihrer Übersetzung ins Deutsche im Jahr 1971 ist keine zusammenfassende Darstellung gewagt worden, die die erweiterten Forschungserkenntnisse aufgegriffen, den angereicherten Nachlassbestand im Bundesarchiv ausgewertet und die neuen Fragestellungen einer zeitgemäßen Medienkulturgeschichte an den Journalisten und Publizisten Maximilian Harden herangetragen hätte. Obwohl H. und M. Neumann auf einige der neueren Publikationen verweisen, können sie ihren Anspruch, eine erstmalige „Gesamtschau“ (S. 10) der Harden-Forschung zu präsentieren, nicht einlösen. Es findet keine argumentative Auseinandersetzung mit den verwendeten Arbeiten von Harry F. Young, B. Uwe Weller, Hans Dieter Hellige, Karsten Hecht oder den Kommentaren in den neueren Briefdokumentationen Maximilian Hardens statt. Wichtige neuere Studien zu Maximilian Harden erfahren keine Berücksichtigung, so die Studien von Sabine Armbrecht, Martin Sabrow und Friedrich Albrecht, die Studie von Sander L. Gilman über den so genannten Jüdischen Selbsthass, den Theodor Lessing in einem vielfach missverstandenen Essay aus dem Jahr 1930 u.a. an Maximilian Harden diagnostizierte, sowie die Briefeditionen zur Korrespondenz Hardens mit dem Norwegischen Literaturnobelpreisträger Bjørnstjerne Bjørnson oder Hugo von Hofmannsthal. 15 Die Darstellung von H. und M. Neumann erzählt – wie bereits in früheren Publikationen mehrfach geschehen – das arbeitsreiche und konfliktgeladene Leben Maximilian Hardens nach, und zwar auf vergleichsweise sehr knappem Raum, auf etwa 155 Textseiten. Das Buch ist chronologisch und systematisch zugleich aufgebaut. Die Kapiteltitel führen die „Lebensstationen“ auf, von der Jugend, den ersten Theatererfahrungen und feuilletonistischen Beiträgen bis zur Gründung der Zeitschrift „Zukunft“. Dann gruppiert die Gliederung publizistische Themen hintereinander: z.B. „Gegen den Kaiser“, „Gesellschaftsskandale“, „Krieg um Frieden“, „Das Attentat“. In ihrer Darstellung gelingt es H. und M. Neumann, die außerordentliche Informiertheit Maximilian Hardens herauszuarbeiten. Die Autoren speisen ein jeweils detailliert recherchiertes, tagespolitisches und wirtschaftliches Hintergrundwissen in die zahlreich dargebotenen Inhaltsangaben markanter Artikel der „Zukunft“ ein; auch die Anmerkungen führen Kurzbiografien zu fast allen beteiligten Personen auf. Dies alles zeugt von Fleiß und einem Bemühen, dem Leser die Welt des Kritikers Maximilian Harden im Wilhelminischen Kaiserreich nahe zu bringen. Doch die Fülle an Fakten verliert an Erkenntniswert, wenn dem Leser der umfassendere Rahmen nicht klar wird. Dass Maximilian Harden mehrfach in Majestätsbeleidungsprozesse gegen Wilhelm II. verwickelt war und zu Geldstrafen und Festungshaft verurteilt wurde, sollte nicht ohne den Hinweis gesagt werden, dass es allein im Jahr 1892 im Reich knapp 700 Verurteilungen für diesen Deliktsfall gegeben hatte. 16 Das Gesamtbild gerät daher in eine Schieflage, wenn Maximilian Harden wegen solcher Prozesse als „unerschrockener“ Held gefeiert wird (siehe Untertitel). Auch stilistisch fällt auf, dass H. und M. Neumann ihre Sympathie für die einflussreiche, öffentliche Kritiker-Rolle von Maximilian Harden wenig verbergen. Den Gestus der Bewunderung vermitteln die Hardiana, die H. und M. Neumann im Buch präsentieren. Verschiedenartige Quellenfunde, meist Kopien aus „Zukunft“-Aufsätzen, gelegentlich umfangreiche Transkriptionen von gedruckten Zeitungsartikel-Passagen oder handschriftlichen Telegrammen und Briefen nehmen immerhin ein Viertel der Gesamtseitenzahl des Buches ein. In der Regel wurden die Trouvaillen unkommentiert in die Darstellung hineingebaut. Eine begründete Auswahl, die über das Illustrative hinausginge, ist nicht erkennbar. Die Mehrzahl der so zusammengetragenen Funde ist in einer gut sortierten Forschungsbibliothek ohne weiteres zugänglich.

Die Quellen, die H. und M. Neumann in ihrer Darstellung verwenden, setzen sich vor allem aus Artikeln der „Zukunft“ sowie publizierten Memoiren oder Tagebüchern zusammen (z.B. von Max Krell, Wilhelm Herzog, Katia Mann, Hedwig Pringsheim-Dohm). Problematisch an der Verwendung der Ego-Dokumente erscheint dabei das Zutrauen, das H. und M. Neumann für die Stichhaltigkeit subjektiver Erinnerungen hegen. Gegenüberlieferungen werden nicht herangezogen. Dass sich die Primärquellen im Nachlass Harden im Bundesarchiv Koblenz befinden, war H. und M. Neumann nicht entgangen, doch vermisst man in der Darstellung eine souveräne, professionelle Handhabung dieser archivalischen Überlieferung. Eine Einordnung Maximilian Hardens in die Geschichte der Publizistik fehlt. 17 Angesichts dieses Defizits irritiert es, wenn H. und M. Neumann in dem Publizisten Maximilian Harden – in Absetzung zur bisherigen Forschung – auch einen „visionäre[n] Europapolitiker“ sehen (S. 11). Dass Harden in einer Interviewreihe des „Paneuropa“-Herausgebers Richard N. Coudenhove-Kalergi 1924 einmal die augenfällige Abkürzung „U.S.E.“ (für United States of Europe) benutzte, wird den Leser kaum davon überzeugen, dass Maximilian Harden aus diesem Grund schon eine Europa-Politik verfolgte. Die europäische Dimension in Hardens Denken, die H. und M. Neumann als Revision unseres Harden-Geschichtsbilds ankündigen (S. 11), erfährt am Ende eine poröse Erledigung auf zwei Seiten (S. 193f.).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass H. und M. Neumann die Erwartungen an eine geschichtswissenschaftliche Biografie nicht erfüllen können. Die Gründe dafür liegen in der fehlenden argumentativen Auseinandersetzung mit der vorliegenden Forschung, der nur punktartigen Auswertung des umfangreichen archivalischen Nachlasses und der befremdlich undistanzierten Haltung gegenüber der Gestalt eines vorgeblich „unerschrockene[n]“ (siehe Untertitel) Journalisten. Den beiden Autoren fällt gleichwohl das Verdienst zu, eine Erinnerungslücke in der Gegenwart diagnostiziert zu haben. Ihr engagiert und detailliert recherchiertes, flüssig lesbares Materialbuch wird in einem breiteren, nicht-akademischen Interessentenkreis seine Leser finden können. Zugleich bleibt die Aufforderung an die geschichtswissenschaftliche Zunft bestehen, eine neue, zeitgemäße und professionelle Biografie des heute - zu Unrecht - nahezu vergessenen Maximilian Harden zu unternehmen.

Anmerkungen:
1 Diese Episode, die sich kurz vor Maximilian Hardens Tod am 30. Oktober 1927 ereignet haben soll, schilderte der Publizist und Herausgeber der Zeitschrift “Die Aktion”, Franz Pfemfert, in einem Artikel vom 26. November 1927 für die “Prager Presse”. Der Artikel mit der Überschrift “Der große Gegenspieler Wilhelms II. – Mit Maximilian Harden während der letzten Tage seines Lebens” ist teilweise abgedruckt in dem besprochenen Band, vgl., S. 199.
2 Der Titel “Zukunft” verdankt sich vermutlich einer Anregung von Franz Mehring, der das neue Journal Maximilian Hardens von der Zeitschrift “Gegenwart” absetzen wollte. Auflagenzahlen bei: Hellige, Hans-Dieter, Rathenau und Harden in der Gesellschaft des Deutschen Kaiserreichs. Eine sozialgeschichtlich-biographische Studie zur Entstehung neokonservativer Positionen bei Unternehmern und Intellektuellen, in: Hellige, Hans-Dieter; Schulin, Ernst (Hgg.), Walther Rathenau – Maximilian Harden. Briefwechsel 1897-1920 (Walther Rathenau-Gesamtausgabe 6), München 1983, S. 15-299, hier S. 114.
3 Vgl. Koszyk, Kurt, Deutsche Presse im 19. Jahrhundert. Geschichte der deutschen Presse II (Abhandlungen und Materialien zur Publizistik 6), Berlin 1966, S. 307f.
4 Vgl. Weller, B. Uwe, Maximilian Harden und die „Zukunft“ (Studien zur Publizistik/Deutsche Presseforschung 13), Bremen 1970, S. 86.
5 Thomas Mann an Harry F. Young, 24. Juli 1948, in: Martin, Ariane (Hg.), Frank Wedekind. Thomas Mann. Heinrich Mann: Briefwechsel mit Maximilian Harden, Darmstadt 1996, hier Anlage „Materialien Nr. 18“, S. 223f.
[6] Nebenbei: Die Autoren Helga und Manfred Neumann sind nicht verwandt mit den Verlegern.
7 Harden publizierte 1910 eine Sammlung von literarischen Porträts unter dem Titel “Köpfe”, mit Apercus und Erinnerungen an prägende Gestalten des 19. Jahrhunderts, u.a. den Reichskanzler Otto v. Bismarck, den Dramatiker Ibsen oder die Maler Menzel und Lenbach. Im Buchhandel ist derzeit nur der Briefwechsel der Schriftsteller Frank Wedekind, Thomas Mann und Heinrich Mann mit Maximilian Harden lieferbar (siehe Anm. 5). Restexemplare einer Zusammenstellung von verschiedenen Beiträgen von Maximilian Harden unter dem Titel „Porträts und Aufsätze“, einer passabel kommentierten Ausgabe des DDR-Reclam-Verlages (Leipzig) aus dem Jahr 1990, sind noch gegen eine Spende bei der „Gesellschaft zur Förderung von Kultur und Literatur e.V.“ im Büchermagazin der DDR-Literatur in Katlenburg bei Göttingen zu erhalten. Kontakt: Pfarrer Martin Weskott, Postfach 1179, 37187 Katlenburg, Telefon 05552-91130.
8 Vgl. Anm. 3. Für einen Gesamtüberblick siehe die maßgeblichen Bibliografien zur deutschsprachigen Presse von Gert Hagelweide 1985-2003. Für ausgewählte Literaturangaben zur modernen Mediengeschichte siehe die Bibliografie bei: Wilke, Jürgen, Kommunikations- und Mediengeschichte, in: Bentele, Günter; Brosius, Hans-Bernd; Jarren, Otfried (Hgg.), Öffentliche Kommunikation. Handbuch Kommunikations- und Medienwissenschaft, Opladen 2003, S. 151-168. Wegweisend für eine gesellschaftstheoretische Perspektive auf die Pressegeschichte bleibt: Habermas, Jürgen, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft ( Habilitationsschrift, Universität Marburg, 1961), Frankfurt am Main 1999.
9 Vgl. das Vorwort von Mommsen, Wolfgang A., Nachlaß Maximilian Harden. Neubearbeiteter Nachdruck der Ausgabe Koblenz. Als Manuskript gedruckt (Findbücher zu den Beständen des Bundesarchivs 4), Koblenz 1985.
10 Siehe Anm. 4.
11 Goebel, Hans Joachim, Maximilian Harden als politischer Publizist im Ersten Weltkrieg (Diss. Phil. Univ. Saarland 1974/1975), Frankfurt am Main 1977.
12 Siehe Anm.2.
13 Hecht, Karsten, Die Harden-Prozesse: Strafverfahren, Öffentlichkeit und Politik im Kaiserreich, München 1997.
14 Armbrecht, Sabine, Verkannte Liebe. Maximilian Hardens Haltung zu Deutschtum und Judentum (Oldenburgische Beiträge zu Jüdischen Studien 3), Oldenburg 1999.
15 Vgl. Sabrow, Martin, Zwischen Geist und Macht. Zeitkritik als Integrationsleistung bei Walther Rathenau und Maximilian Harden, in: Hübinger, Gangolf (Hg.), Kritik und Mandat. Intellektuelle in der deutschen Politik, Stuttgart 2000, S. 47-70; Albrecht, Friedrich, Maximilian Hardens Zeitschrift ‚Die Zukunft’ und Frankreich (1911-1914), in: Grunewald, Michel (Hg.), Le discours européen dans les revues allemandes (1871-1914), Bern 1996, S. 155-176; Gilman, Sander L., Jewish self-hatred: anti-Semitism and the hidden language of the Jews, Baltimore 1990; Boelke-Fabian, Andrea, „In der Falle der Ambivalenz“. Überlegungen zu Identität und Projektion in Theodor Lessings Essay ‚Der Jüdische Selbsthaß’ am Beispiel der Fallstudie über Maximilian Harden, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 50 (1998), Heft 3, S. 219-241; Keel, Aldo (Hg.), Björnstjerne Bjørnson – Maximilian Harden Briefwechsel, Frankfurt am Main 1984; Schede, Hans-Georg (Hg.) Hugo von Hofmannsthal – Maximilian Harden. Briefwechsel, in: Hofmannsthal-Jahrbuch 6 (1998), S. 7-115.
16 Vgl. Röhl, John C.G., Wilhelm II.: Der Aufbau der Persönlichen Monarchie 1888 – 1900, München 2001, S. 625-627.
17 Vgl. dazu: Requate, Jörg, Journalismus als Beruf. Entstehung und Entwicklung des Journalistenberufs im 19. Jahrhundert. Deutschland im internationalen Vergleich, Göttingen 1995.