H. Amos: Politik und Organisation der SED-Zentrale

Cover
Titel
Politik und Organisation der SED-Zentrale 1949-1963. Struktur und Arbeitsweise von Politbüro, Sekretariat, Zentralkomitee und ZK-Apparat


Autor(en)
Amos, Heike
Reihe
Diktatur und Widerstand 4
Erschienen
Münster 2002: LIT Verlag
Anzahl Seiten
715 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerhard Wettig, Kommen

Das Buch thematisiert die Entwicklung des SED-Zentralapparats und der Kämpfe in der Parteiführung zu einer Zeit, als Ulbricht seiner Alleinherrschaft noch nicht völlig sicher sein konnte und sich zweimal - im späten Frühjahr und frühen Sommer 1953 sowie von Mitte 1956 bis Februar 1958 - ernsthafter Kritik und Gegnerschaft gegenübersah. Heike Amos beschreibt diese Vorgänge anhand der Akten der Stiftung Archiv Parteien und Massenorganisationen der früheren DDR auf sehr ausführliche Weise, ohne dass die Dramatik des Geschehens deutlich würde. Auch von den inneren Zusammenhängen teilt sich dem Leser nur wenig mit. Wie die Fäden nach Moskau gespannt wurden und die dortigen Wahrnehmungen und Urteile zu Stande kamen, von denen alles abhing, wird kaum zum Thema gemacht. Das liegt nicht nur daran, dass die sowjetischen Dokumente außer Betracht bleiben. Auch die gelegentlichen Hinweise, die sich in den ostdeutschen Archivalien finden, bleiben weithin unbeachtet.

Heike Amos gibt - weithin unter Hinweis auf den Urheber der jeweiligen Information - wieder, was die benutzten Unterlagen, die Akten der SED und die Erinnerungen von Beteiligten und Zeitzeugen, enthalten, ohne bei Unstimmigkeiten und Widersprüchen klar zu machen, ob bzw. inwieweit der zitierte Bericht als zutreffend anzusehen ist. Als eigene Überlegung fügt sie zuweilen hypothetische Mutmaßungen an. Was wäre wohl geworden, wenn diese oder jene Entscheidung anders ausgesehen hätte? Beim Gebrauch von Werken der Sekundärliteratur ist sie wenig kritisch. Sie greift beispielsweise ohne weiteres auf die oft problematischen Angaben von Mario Franks Ulbricht-Buch zurück. In den biografischen Daten über SED-Führungskader fehlen wichtige, die Lebensgeschichte und die politische Haltung erhellende Informationen. Dazu kommt eine - in diesen Fällen besonders auffallende - Wiederholsamkeit der Darstellung, die bei intensiverer Durcharbeitung der Materie zu vermeiden gewesen wäre.

Der Ausgangspunkt des Buches ist die Situation, die in Deutschland nach dem Ausbruch des Ost-West-Konflikts Mitte 1947 entstanden war. Stalin hatte von da an die sozialistische Umgestaltung der SBZ ohne viele der bis dahin gemachten Einschränkungen vorangetrieben, ohne freilich bis zum Juli 1952 von der Etikettierung abzurücken, dass es sich um Maßnahmen einer bloß "antifaschistisch-demokratischen" Entwicklung handele. Dazu gehörte die Transformation der SED zur "Partei neuen Typus" ab 1948, die fortan eine nach dem Vorbild der KPdSU ausgestaltete Struktur erhielt. Diese Veränderung war bei der Proklamation der DDR im Herbst 1949 zunächst abgeschlossen. Erst als Folge der Auseinandersetzungen an der Parteispitze wurden 1953 weitere Neuerungen vorgenommen. Heike Amos stellt die 1949 grundgelegten parteiinternen Kompetenz- und Machtverhältnisse in Ausführungen und Tabellen dar und hebt zu Recht die zentrale Rolle des "Kleinen Sekretariats" hervor, mit dem Ulbricht unter anfänglicher Mitwirkung Franz Dahlems - genau so wie Stalin in der sowjetischen Partei - die Entscheidungen des Politbüros weithin im vorhinein festlegte und anschließend ihre Durchführung lenkte und kontrollierte.

In den beiden innerparteilichen Konfliktphasen von 1953 und 1956 bis 1958 ging es jeweils um die Position Ulbrichts. Der SED-Chef geriet nicht nur wegen seiner beherrschenden Stellung unter Beschuss. Auch die unkollegiale, selbstherrliche und hochfahrende Art und Weise, wie er diese im Umgang mit den anderen Spitzenfunktionären geltend machte, brachte diese ständig gegen ihn auf. Nur die Furcht vor seiner Rache hielt Kritiker und Gegner in aller Regel davon ab, sich zur Wehr zu setzen. Nur wenn sich im Kreml politische Lockerungen abzeichneten, die Ulbricht als Vertreter einer harten Linie in Moskau missliebig erscheinen ließen, wagten sich die Unzufriedenen im SED-Politbüro hervor. Der ostdeutsche Parteichef blieb jedoch in beiden Führungskrisen Sieger, denn seine Widersacher erwiesen sich als nicht zu entschlossenem und koordiniertem Vorgehen fähig und verstanden es auch nicht, den Kreml im entscheidenden Moment auf ihre Seite zu ziehen. Ulbricht war nicht nur als überlegener Taktiker in den innerparteilichen Auseinandersetzungen, sondern auch aufgrund seiner stets systematisch gepflegten und ausgebauten Kontakte nach Moskau (für deren Wahrnahme er sich seit 1945 die Zuständigkeit in der KPD/SED gesichert hatte) gegenüber seinen Kritikern und Gegnern im Vorteil.

Die Arbeit stellt zum Teil schon publizierte Angaben zusammen. Das gilt vor allem für die parteiinternen Konflikte von 1953, zu denen das "Herrnstadt-Dokument", das Buch von Helmut Müller-Enbergs über Herrnstadt und der Band mit SED-Dokumenten von Wilfriede Otto vorliegen. In den anderen Teilen - in den Ausführungen über die Struktur des SED-Zentralapparats und über die Führungskämpfe von 1956 bis 1958 - bietet die Darstellung eine Wiedergabe der Parteiakten, die den Weg ins Archiv erspart. Damit hat Heike Amos für alle, die das Werk kritisch zu lesen wissen, ein nützliches Kompendium geschaffen.

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