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Titel
Triumphus Veneris. Ein allegorisches Epos von Heinrich Bebel: Edition, Übersetzung und Kommentar


Autor(en)
Angres, Marcel
Reihe
Hamburger Beiträge zur Neulateinischen Philologie 4
Erschienen
Münster 2003: LIT Verlag
Anzahl Seiten
481 S.
Preis
€ 40,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Lembke, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

„Triumph der Liebe“, das klingt nach einem für hingebungsvolles Schmachten geschaffenen Streifen der Filmindustrie von vor 50 Jahren. Lateinisch gewendet als „Triumphus Veneris“ und im Kontext humanistischer Literaturproduktion um 1500 angesiedelt, meinte eine siegreiche Venus im sittlichen Wahrnehmungshorizont der Zeitgenossen keineswegs eine beglückende Macht. In dem hier vorzustellenden Epos Heinrich Bebels verkörpert die Liebesgöttin eine Naturgewalt, deren ungezügeltes Wirken den gesamten moralischen Kosmos bedroht. Ihr Sieg als Kraft der sittlichen Korruption schien sich dem Tübinger Humanisten Heinrich Bebel in Strafen Gottes wie Seuchen und Kriegen, aber auch in Zeichen der Mahnung anzukündigen; 1501 erschienen in Württemberg auf den Gewändern vieler Menschen plötzlich dunkle oder blutige Kreuze. Moral findet in Gesellschaft statt. Den moralischen Niedergang behandelt das Epos Bebels, das von Angres erstmals kritisch ediert wird, indem es verschiedenen sozialen Gruppen in der Form einer Ständedidaxe ihre sittlichen Verfehlungen ankreidet.

Heinrich Bebel (ca. 1473-1518), Autor dieses Werkes, war ein humanistischer Gelehrter, der im engen Kontakt mit den württembergischen Landesherren an der Tübinger Universität eine Poetik-Lektur versah. Seine heute eher schulmeisterlich wirkenden Texte über das richtige Versmaß oder „Über den falschen Gebrauch des Lateinischen“ verbanden sich mit einer publizistischen Aktivität, in welcher der Gelehrte in National getönter Rhetorik für Zustimmung zu Kaiser und kaiserlichem Reich zu mobilisieren suchte.

Die Forschung hat Heinrich Bebel seit seiner umfassenden Beschreibung als Person und Autor durch Georg Wilhelm Zapf 1 vor gut 200 Jahren als Gelehrten im landesherrlichen Kontext, als Humanisten von minderen Graden, als engagierten Pädagogen und schließlich in den letzten Jahren zunehmend deutlicher als durchaus relevanten Verfechter nationaler Mythen und kaiserlicher Positionen wahrgenommen und seine Schriften studiert.2

Während die historische Forschung in Bebel eine sozial wirksame Figur erkennt und in seinen Texten Deutungsmuster ausgeführt sieht, die zum Verständnis der Kommunikation zwischen Kaiser und „deutschem“ Adel Material liefern, hält die neulateinische Philologie einer eher literaturhistorischen Perspektive die Treue. Eine maßgebliche Zusammenfassung von „Leben und Schriften“, die Classen vorgelegt hat 3, dürfte nicht zufällig Zapfs alten Titel (siehe unten Anm. 1) zitieren. Das hier zu besprechende Buch über den „Triumphus Veneris“ stellt nicht nur Edition und Interpretation eines humanistischen Textes dar, der literaturhistorische und gesellschaftliche Anknüpfungspunkte bietet, sondern sagt in seiner inhaltlichen Organisation wohl auch etwas über das Verhältnis von historischer und philologischer Forschung aus. Hervorgegangen ist diese Arbeit aus einer Dissertation, die von Walther Ludwig in Hamburg betreut wurde und im Wintersemester 2000/2001 vom Fachbereich Philosophie und Geschichtswissenschaft der Universität Hamburg angenommen wurde. Impulse beider Disziplinen, der Philologie und der Geschichte, erhielt sie im Kontext des Graduiertenkollegs „Griechische und byzantinische Textüberlieferung – Wissenschaftsgeschichte – Humanismusforschung und Neulatein“.

Obwohl der „Triumphus Veneris“ am Ende des Spätmittelalters mit seiner Klage über den Zustand sozialer Gruppen, etwa den ‚verwerflichen’ Zustand der Bettelorden oder das Verhalten sozial deregulierter Niederadliger, auch dem Historiker etwas zum Nachdenken aufgegeben hätte, bleibt Angres’ vordringliche Sorge, einen philologisch verlässlichen Text vorzulegen. Daneben spielt allenfalls noch der Nachweis literarischer Bezüge eine erhebliche Rolle.

Der Untertitel zählt drei elementare Bestandteile des Buches auf, nämlich Edition, Übersetzung und Kommentar. Davor ist eine Einleitung von 85 Seiten gesetzt. Sie stellt den eigentlich diskursiven Teil der Arbeit dar. In der Art eines Handbuchartikels erhält der Leser eine kurze verlässliche Einführung in Werk und Person, daran schließen sich Ausführungen zur Einordnung des „Triumphus Veneris“ (u.a. Intention des Autors, Gattungsbestimmung des Textes, Überlieferung). Besonderes Gewicht erhält die Antwort auf die Frage, welche Vorlagen Bebel verwendet habe (S. 42ff.) Nachdem Angres erklärt hat, warum er in Anlehnung an Forschungen Walther Ludwigs 4 die Unterscheidung zwischen „Evidenter Übernahme“ und „Wahrscheinlicher Verwendung“ antiker Literatur im humanistischen Epos für praktikabel hält, sortiert er übernommene und verwendete Autoren und Stellen. Durch Auszählen und Vergleich ferner der syntaktischen Strukturen ergibt sich für die literarische Technik Bebels, „daß in jedem einzelnen Fall durch Imitatio Übernommenes und Eigenes einander die Waage halten“. Als besonders relevantes Vorbild müsse aber für die Ausgestaltung des „Triumphus Veneris“ die „Psychomachia“ des spätantiken Prudentius gelten. Das Nebeneinander von moralischer Satire, expliziten biografischen Bezügen, nationaler Rhetorik und einer Lobrede auf Maximilian I. dürfe nicht als das Auftreten gattungsfremder Brüche verstanden, sondern müsse als „Teil der zeitgenössischen Normalität“ akzeptiert werden. Letzteres eine normativ ästhetische Fragestellung, deren Beantwortung wohl jedem Einzelnen persönlich überlassen ist.

Als Bebel publizierte, war das gedruckte Buch bereits ein gängiges Medium. Diese Überlieferungssituation, in der eine gedruckte Edition und nicht ein durch die Herkunft vom Autor geadeltes Manuskript die Reihe der Textzeugen eröffnet, scheint die Editionsphilologie bis an ihre Grenzen herauszufordern. Was will der Philologe trotz mancher „Druckfehler“ angesichts eines von Bebel autorisierten Druckwerks rekonstruieren, wenn er nicht die bessere, dem Autoren näher verwandte, gegen die schlechtere Überlieferung ausspielen kann? Eine Philologie ohne den Kult des rekonstruierten Manuskripts steht der Überlieferung offenbar ohne verlässliches Kriterium gegenüber.

Angres nennt drei Textzeugen: die Editio princeps (Pforzheim 1509), hier ist der „Triumphus Veneris“ eingefügt in eine Sammelpublikation Bebels, die so genannten „Opera Bebeliana sequentia“, dann die Herausgabe des Epos zusammen mit einem Kommentar, den Johannes Altenstaig, ein Schüler Bebels, besorgt hat (Straßburg 1515), und schließlich die Ausgabe Wolfgang Theodor Wendels aus dem Jahre 1690. Anders als Angres würde ich einen Neudruck, der fast 200 Jahre nach dem Erscheinen der Ausgabe Bebels veröffentlicht wird, nicht für die Edition heranziehen, sondern darin allenfalls einen Beleg für eine späte Rezeption sehen. Zusätzlich zu diesen drei Textzeugen hält Angres aufgrund einer Nachricht eines Auktionskatalogs aus dem späteren 18. Jahrhundert die Existenz einer Ausgabe von 1504 in einer früheren Fassung des „Triumphus Veneris“ für wahrscheinlich (S. 19). Im Widerspruch dazu nimmt er aber einen Abschluss der Arbeiten am „Triumphus“ für den Mai 1505 an.

Angres, der mit Akribie seine Texte prüft, bemerkt, als er verschiedene Exemplare eines Druckes vergleicht, dass in ihnen z.B. ein ‚etiam’ nicht im gleichen Abstand gesetzt ist; deswegen von verschiedenen Auflagen zu reden, scheint den handwerklichen Ablauf des Druckes nicht zu berücksichtigen (S. 22). Leicht können im Arbeitsgang noch Typen ersetzt oder zurechtgerückt werden.

Effektiv stützt sich die Edition auf die Ausgabe aus dem Jahr 1509. Warum dann aber deren Druckbild verändert wird und die gedruckten Marginalien in den Apparat abgestellt werden, ist nicht verständlich. Eine Ausrichtung auf unsere Sehgewohnheiten dürfte ja wohl gerade nach philologischem Maßstab nicht eine höhere Relevanz beanspruchen als die Treue zur Vorlage.

Die philologische Konzentration auf den ‚eigentlichen’ Text des Epos erlaubt keine Aufmerksamkeit für die Inszenierung von Inhalten. Gedichte, die in unmittelbarem Kontext stehen und die Werk und Autorinszenierung begleiten, werden zwar lesefreundlich in einem Anhang dargestellt, aber von ihrem Kontext zum „Triumphus Veneris“ gelöst. Angesichts der Relevanz, die solcher Inszenierung von Texten durch Paratexte – wie es der Literaturwissenschaftler Genette gezeigt hat 5 – zukommt, erscheint diese Isolation des Textes vom historisch publizierten Kontext als unangemessen.

Der Kommentar, mit dem Angres die einzelnen Bücher des Epos begleitet und Passagen literaturhistorisch einordnet und einzelne Stellen erklärt, kann – und tut dies auch mehrfach – auf einen zeitgenössischen Kommentar zurückgreifen, den Johannes Altenstaig publiziert hat. Wo Angres historisch kommentiert, ist das Wort des Lexikons des Mittelalters in seinen einschlägigen Artikeln Maßstab. Im Detail und für die Erläuterung des Kontextes wünscht man sich da manchmal mehr Erläuterung. Positiv sucht der Philologe nach Entlehnungen aus der römischen literarischen Tradition, die er mit konkreten Stellenangaben nachweist. Dabei wird fast konsequent (Ausnahme aber z.B. S. 143) die mittelalterliche Tradition ausgeblendet. Was nach Ovid klingt, muss durchaus nicht von Ovid selbst stammen, sondern kann über eine Vielzahl mittelalterlicher Glieder vermittelt sein. Bebel konnte nicht wie der Autor auf Teubner- und Oxford-Ausgaben zurückgreifen. Der Kommentar ignoriert aber, dass die humanistische Neuerfindung der Antike aus einer mittelalterlichen Umwelt heraus erwächst. Der Text des „Triumphus“ bleibt trotz des Kommentars in einer ahistorischen Welt, wo sich Text zu Text nach eigenem Belieben fügt.

Zusätzlich zur vorbildlichen Darstellung der inhaltlichen Struktur des „Triumphus Veneris“ erschließt Angres dem Leser das Epos durch seine Übersetzung. Sie ist gelungen und weiß mit ihren Mitteln den „garstig breiten Graben der Geschichte“ ins moderne Deutsch zu überspringen; natürlich kann keine moderne Übersetzung die Hexameter Bebels zu einer unmittelbar ansprechenden Dichtung machen, sondern Bebel spricht nun in der altphilologischen Kunstsprache, die pathetische Ausdrucksformen und syntaktische Verschränkungen ihrer originalen Texte mitmacht, ohne die Wirkungen des Originals zu erzielen.6

Entstanden ist mit Angres’ „Triumphus Veneris“ eine neohumanistische Arbeit, die es dem Leser ermöglicht, sich zur Lektüre eines interessanten, aber wenig bekannten humanistischen Werkes gleichsam an den gedeckten Tisch zu setzen. Die Textüberlieferung ist penibel durchgeschaut, mögliche Bezugnahmen aus der literarischen Tradition der Antike sind aufgelistet und auf heutige Textausgaben bezogen, so dass das eigene Nachschlagen erspart bleibt. Nur führt diese Arbeit nicht in das 16. Jahrhundert des „Triumphus Veneris“ zurück. Die recht weitgehende Ausblendung historischer Umstände und medialer Gewohnheiten verwandeln diese Dichtung Bebels zu einem Stück klassischer Literatur, wie sie nach den Maßstäben der im 19. Jahrhundert ausgebildeten Editonsphilologie herzustellen war.

Anmerkungen:
1 Zapf, Georg Wilhelm, Heinrich Bebel nach seinem Leben und seinen Schriften. Ein Beitrag zur ältern Litteratur und zur Gelehrtengeschichte Schwabens, Augsburg 1802 (Nachdruck Leipzig 1973).
2 Münkler, Herfried; Grünberger, Hans; Mayer, Kathrin, Nationenbildung. Die Nationalisierung Europas im Diskurs humanistischer Intellektueller. Italien und Deutschland, Berlin 1998. Im Rahmen des SFB 541 „Identitäten und Alteritäten.“ beschäftigte sich das Teilprojekt B 5 u.a. mit den Schriften Bebels (vgl. http://www.sfb541.uni-freiburg.de/B5/Beschreibung-B5.html). Eine Dokumentation von Teilergebnissen ist unter http://www.geschichte.uni-freiburg.de/heinrich-bebel/ zu erwarten.
3 Classen, Carl Joachim, Zu Heinrich Bebels Leben und Schriften, in: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, 1997, S. 1-86.
4 Ludwig, Walther, Kannte Lovato Catull?, in: Rheinisches Museum für Philologie N.F. 129 (1986), S. 329-357.
5 Genette, Gérard, Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches, Frankfurt am Main 2001.
6 Vgl. z.B. Angres, S. 108: „Die Herzen der harten Bauern umschmeichelnd betrete ich [sc. die personifizierte Superbia; meine Ergänzung S.L.] die Gehöfte, und nicht verschmäht mich mit Widerwillen die Bauersfrau, und von allen Mönchen samt Priestern habe ich Besitz ergriffen.“

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