Titel
Hardenberg. Der Reformkanzler


Autor(en)
Hermann, Ingo
Erschienen
Berlin 2003: Siedler Verlag
Anzahl Seiten
448 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andrea Hofmeister, Historisches Seminar, Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg

„Er selbst begünstigte die öffentliche Meinung und wünschte sich auf sie zu stützen“ schrieb Hardenbergs Pressereferent Karl August Varnhagen von Ense nach dem Wiener Kongress über seinen damaligen „Chef“. Er und andere Kollegen aus dem Kreise der liberalen Publizistik um 1815 sahen in dem preußischen Staatskanzler lange Zeit - ob mit Recht oder Unrecht – den einzigen Garanten der Reformidee an der Spitze der preußischen Regierung, einen Befürworter von Verfassung und Pressefreiheit. Der rheinische Publizist Johann Friedrich Benzenberg interpretierte Hardenbergs Lebenswerk in einer aufsehenerregenden Schrift von 1821 gar als logisches und konsequentes Reformprogramm in direkter Nachfolge der Französischen Revolution, mit dem Ziel eines Verfassungsstaates.1 Sein „Titelheld“ distanzierte sich zwar von der Auftraggeberschaft, ließ die Argumentation des Werkes jedoch unberührt. Es kann daher vermutet werden, dass Karl August von Hardenberg gegen eine weitere Würdigung als Reformpolitiker aus der Feder eines Journalisten nichts einzuwenden gehabt hätte. Umso weniger darf das die historische Zunft. Denn wenn man von den Tagebüchern des preußischen Reformers und einem Sammelband zur Hardenberg-Forschung einmal absieht, die Thomas Stamm-Kuhlmann ebenso herausgegeben hat wie eine kleine Hardenberg-Homepage 2, ließ sie den 250. Geburtstag des von ihr lange mehr geschmähten als gerühmten Staatsmannes im Jahre 2000 einigermaßen still vorübergehen.

Ingo Hermanns Hardenberg-Biografie ist kein fachwissenschaftliches Werk, das sich durch innovative Methoden oder Fragestellungen auszeichnete, sondern ein gut geschriebenes Sachbuch, das einem breiteren Publikum die Persönlichkeit Hardenbergs und seine Zeit nahebringen möchte, einem Publikum, das den Begriff „Preußische Reformen“ als verstaubtes Bildungsgut ferner Schulstunden längst ad acta gelegt hat. Der ehemalige Leiter der ZDF-Redaktion Kultur, Bildung und Gesellschaft - bekannt durch seine Interviews mit „Zeugen des Jahrhunderts“ und jüngst noch durch ein Preußen-Buch - holt die Reformzeit aus dieser Ablage hervor. Unbefangener, als es ein Historiker wagen würde, betreibt er ihre Aktualisierung: „[...] aus der Sicht des 21. Jahrhunderts und der Erfahrung, dass wieder eine politische Führungselite im Reformstau steht, zwar die Notwendigkeit von Reformen beschwört, aber die Kraft zum Handeln nicht aufbringt“ (S. 19). „Rethinking Hardenberg“ - so zitiert Hermann Christof Dipper - sei eine Aufgabe nicht nur der Geschichtswissenschaft, sondern auch der aktuellen Politik. Um es vorwegzunehmen: Von unzulässigen Parallelisierungen oder von der Naivität, Historie schlicht als „magistra vitae“ zu präsentieren, ist der Autor weit entfernt – der abgeschmackte Vergleich zwischen damaligem Staatskanzler und gegenwärtigem Bundeskanzler wird nicht von ihm, sondern seinen Kollegen und Lesern gezogen.3 Hermann hingegen verfasst ein Vor- und ein Nachwort, um das Spektrum verschiedener Standpunkte und Lesarten im Hinblick auf die Reformepoche und ihre Protagonisten zu präsentieren sowie die Historizität der widersprüchlichen - und früher vor allem negativen - Urteile über Hardenberg vor Augen zu führen. Der Subjektivität seines eigenen Blickwinkels ist er sich bewusst und analysiert sie so sorgfältig, als habe er die einschlägigen Lernziele in den Studienordnungen der Geschichtswissenschaften beständig vor Augen gehabt.

Für die biografische Darstellung selbst hat Ingo Hermann in der vorhandenen Forschungsliteratur breit recherchiert, der Jugend- und Studienzeit seines Protagonisten Kolorit verliehen, Hardenbergs hannöversche, braunschweigische und fränkische Verwaltungserfahrungen dargestellt. Mit Nachdruck vertritt er die durch Barbara Vogel seit längerem etablierte Deutung des Hardenbergischen Reformwerks als moderneres und zukunftsträchtigeres Konzept gegenüber den Steinschen Plänen. Seine Schilderungen des Wiener Kongresslebens sind lebendig, die Berichte über die Verhandlungen und ihre Ergebnisse allerdings ein wenig unübersichtlich, wie sie es denn auch tatsächlich waren. Mit Recht stehen diese Kapitel bereits unter dem Oberbegriff der Restauration. Die Darstellung der langsamen Entmachtung Hardenbergs, des Konflikts mit Humboldt und anderen liberalen Ministern, des Scheiterns der Verfassungspläne, des Ränkespiels um den Kanzler gehören zu den stärksten Seiten des Buchs, gerade weil die eigenen Reflexionen des Autors hier am deutlichsten zutage treten.

Seine Detailfreude, die Fokussierung auf die Person des preußischen Staatskanzlers sowie die nahezu vollständige Ausblendung vergleichbarer zeitgenössischer Reformprozesse und Reformpolitiker ist Ingo Hermann inzwischen nicht zu Unrecht vorgeworfen worden. Wer immer sich jedoch intensiv mit dem Menschen Hardenberg beschäftigt hat, wird dafür Verständnis aufbringen: Selbst über einen Abstand von 200 Jahren hinweg ist es äußerst schwierig, sich dem Charme dieser Persönlichkeit zu entziehen. Und um beim Thema „Liebe“ zu bleiben: Ingo Hermann ist der erste Hardenberg-Biograf, der den freundschaftlichen, familiären und amourösen Beziehungen und Leidenschaften seines Helden dezent, aber ausführlich Raum widmet. Privatheit und Öffentlichkeit sind eben keine säuberlich zu trennenden biografischen Komplexe, sondern stehen in enger Verbindung – wie übrigens gerade die Sprünge und Brüche in Hardenbergs Karriere vor Augen führen.

Hermanns Buch ist eine zuverlässige Informationsquelle für das „gebildete Publikum“, auf das sich schon sein Protagonist so häufig berufen hat. Wer sein Allgemeinwissen über diese bewegte Zeit preußischer und deutscher Geschichte aktualisieren und den Grundlagen unseres modernen Sozial- und Wirtschaftssystems nachforschen möchte, wird die Biografie mit Gewinn zur Hand nehmen. Fachhistoriker dürfen erwartungsgemäß kaum mit neuen Erkenntnissen rechnen – allerdings auch nicht mit provozierenden Überlegungen, kühnen Spekulationen oder gewagten Thesen. Das ist fast ein bisschen schade. Denn der Berufskollege eines Varnhagen, Benzenberg oder Gentz hätte sich so etwas durchaus leisten können.

Anmerkungen:
1 Benzenberg, Johann Friedrich, Die Verwaltung des Staatskanzler Fürsten von Hardenberg, Leipzig 1821.
2 Stamm-Kuhlmann, Thomas (Hg.), Karl August von Hardenberg 1750-1822. Tagebücher und autobiographische Aufzeichnungen, München 2000; ders. (Hg.), Freier Gebrauch der Kräfte. Eine Bestandsaufnahme der Hardenberg-Forschung, München 2001 - http://www.uni-greifswald.de/~histor/neuest/Hardenberg.htm.
3 Seewald, Berthold, Die Autorität des Erfolgs. Vom Reformkanzler Karl August von Hardenberg könnte Schröder noch einiges lernen, in: Die Welt, 28. Juni 2003.