K. P. Jankrift: Brände, Stürme, Hungersnöte

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Titel
Brände, Stürme, Hungersnöte. Katastrophen in der mittelalterlichen Lebenswelt


Autor(en)
Jankrift, Kay Peter
Erschienen
Stuttgart 2003: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
252 S., 20 s/w Abb.
Preis
€ 22,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Jörg, Historisches Seminar, Universität Trier

Den Naturgewalten und ihren entfesselten Zerstörungskräften aber auch Krankheiten bzw. Seuchen ausgesetzt zu sein, stellte für den Menschen zu allen Zeiten eine in jeder Hinsicht existenzielle Herausforderung dar. In der jüngsten Vergangenheit hat etwa die Teile Ost-, Südostdeutschlands und Polens verwüstende Flutkatastrophe des Sommers 2002, ihre verheerenden Auswirkungen sowie ihre zeitweise fast unangefochtene Mediendominanz dies auch in unseren Breiten wieder vor Augen geführt. Schlagartig wurde erneut deutlich, dass eben nicht allein in aus der zentraleuropäischen Perspektive abgelegenen bzw. „unterentwickelten“ Regionen der Erde Menschen von solchen oder ähnlichen Ereignissen bedroht sind, sondern dass auch Mitteleuropa keineswegs vor derartigen Katastrophen gefeit ist. Ganz im Gegenteil beweist ein Blick in die Vergangenheit mit welcher (relativen) Häufigkeit diese auch über dessen Bewohner hereinbrachen.

Kay Peter Jankrift, Privatdozent im Bereich der Mittelalterlichen Geschichte an der Universität Münster und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung Stuttgart, hat in der vorliegenden Arbeit eine Zusammenschau von „Katastrophen in der mittelalterlichen Lebenswelt“ geliefert. Dass dies auf etwa 200 Seiten für die ca. tausendjährige Zeitspanne des Mittelalters, dem der Autor in seinen Ausführungen als groben Rahmen die Jahre zwischen 500 und 1500 zurechnet, nur als Überblick geschehen konnte, versteht sich von selbst. Vor dem Hintergrund eines solch gewaltigen Zeitraums und einer Vielzahl von Wandlungsprozessen, die diesen entgegen des in weiten Teilen der Öffentlichkeit und innerhalb anderer Fächer existierenden Mittelalterbildes prägten, bliebe auch ganz allgemein die Frage zu stellen, was unter der „mittelalterlichen Lebenswelt“ nun eigentlich genau zu verstehen ist. Auch wirft Jankrift im Einleitungsteil (S. 9-17) selbst die Frage auf, inwiefern eine Begrenzung der Thematik auf diese Epoche angesichts der Tatsache, dass „weder das Reaktionsspektrum auf das Auftreten von Katastrophen noch die Entwicklung des technischen Erkenntnisstandes [...] eine strikte Abgrenzung gegenüber der Spätantike oder der frühen Neuzeit“ erlauben (S. 12), sinnvoll ist. Der häufig als Epochen konstituierendes Unterscheidungskriterium ins Feld geführten alleinigen Dominanz eines religiös geprägten Erklärungsmodells während des Mittelalters steht er mit guten Gründen skeptisch gegenüber. Dass die Erforschung von Katastrophen und der Vielfalt ihrer Auswirkungen auf die breite Masse der Bevölkerung lange Zeit gerade von der Mittelalterforschung vergleichsweise stiefmütterlich behandelt wurde, mag in der Tat mit diesen Abgrenzungsschwierigkeiten in Zusammenhang stehen. Der insgesamt unbefriedigende Forschungsstand ist schon häufiger beklagt worden 1, auch wenn in jüngerer und jüngster Zeit glücklicherweise einige Veröffentlichungen mit unterschiedlichsten Schwerpunktsetzungen hinzugekommen sind, die Grundlagen für die zukünftige Erforschung solcher Phänomene gelegt haben.2

Den Anspruch, die dennoch weiterhin gewaltige Forschungslücke schließen zu wollen, weist der Autor allerdings bereits in der Einleitung weit von sich und kündigt an „sich vielmehr auf die grobe Darstellung der Häufigkeit und des Ausmaßes von Katastrophen in der mittelalterlichen Gesellschaft“ beschränken zu wollen (S. 14). Jankrift unterteilt sein Werk in zwei große Hauptteile: 1. „Leben mit der Gewalt der Elemente“ (S. 19-106) und 2. „Mittelalterliche Menschen im Angesicht von Hunger und Seuchen“ (S. 108-209). Der erstgenannte Abschnitt behandelt das Auftreten und die Folgen von Naturkatastrophen im weiteren Sinne sowie die Reaktionen des Menschen auf diese Herausforderungen.

Die ersten beiden Kapitel widmen sich mit den Sturmfluten an Nord- und Ostsee (S. 19-48) sowie den zahlreichen Flusshochwassern (S. 49-61) der unbändigen Zerstörungskraft des Wassers. Hier werden knapp und anhand einzelner Quellen prominente Beispiele abgehandelt. In die Darstellung integriert werden die seit dem 11. Jahrhundert an der Küste deutlicher greifbar werdenden Anstrengungen, der Bedrohung durch die Errichtung von Deichanlagen Herr zu werden (S. 32-33; S. 35-37), deren Bau und Instandhaltung durch verschiedene Träger herrschaftlich und/oder genossenschaftlich geregelt wurde.

Ein weiteres Kapitel beschreibt die Folgen von Unwettern (S. 63-73) und deren Interpretation durch die Chronisten. Dass die häufig stilistisch reich ausgeschmückten Berichte nicht unbedingt der genauen Beschreibung der realen Vorgänge, sondern vor allem der Belehrung des Lesers dienten, zeigt Jankrift am frühmittelalterlichen Beispiel Gregors von Tours (S. 64-66). Für das ausgehende Mittelalter betont er widersprüchliche Tendenzen im Umgang mit den Wetterextremen (S. 69-72). Systematisierten die städtischen Räte auf der einen Seite ihre Schutz- und Vorwarnmaßnahmen, so interpretierte man die Widrigkeit der Wetterbedingungen verstärkt als Folge von Hexerei, was in der Frühen Neuzeit die bekannten Auswirkungen nach sich zog. Allerdings beweisen auch bereits Fälle aus dem Frühmittelalter, dass entgegen der damaligen kirchlichen Lehrmeinung, die dies noch als Aberglauben verurteilte, zumindest Teile der Bevölkerung der Zauberei positive wie negative Auswirkungen auf das Wetter und die Ernte attestierten.3

Hieran schließt sich ein kurzer Abschnitt zu Ratten- und Heuschreckenplagen an (S. 74-82). Ob es überhaupt häufiger zu Fällen von Nagerplagen kam und in mitteleuropäischen Breiten die Folgen für die Ernte und Vorratshaltung katastrophale Ausmaße annahmen, muss zweifelhaft bleiben. Das weitgehende Fehlen von diesbezüglichen Nachrichten in den zeitgenössischen Quellen lässt hier nur wenige Aussagen zu. Auch überregional bedeutsame Heuschreckenplagen blieben im mitteleuropäischen Raum insgesamt eher selten. Der verheerende Einfall der Insekten, der diese 1338 über Böhmen nach Franken bis an den Rhein führte und die Zeitgenossen an die biblische Plage der Ägypter erinnerte, blieb eine Ausnahme. Als westeuropäisches Beispiel könnte ergänzend auf die Heuschreckeninvasionen auf der iberischen Halbinsel im 14. und vor allem im 16. Jahrhundert hingewiesen werden, die Julian Montemayor untersucht hat.4

Die letzten beiden Kapitel des ersten Hauptteils legen den Fokus auf mittelalterliche Brandkatastrophen im städtischen Umfeld (S. 83-100) und Erdbeben (S. 101-106). Gerade die dichte Bebauung unter Nutzung leicht entflammbarer Materialien sowie die Vielzahl offener Feuerstellen erklärt die Häufigkeit mittelalterlicher Stadtbrände, die etwa durch Blitzeinschläge, kriegerische Auseinandersetzungen oder nicht selten durch Fahrlässigkeit verursacht wurden. Erste Regelungen der Städte zur Brandbekämpfung stammen daher bereits aus dem Hochmittelalter, wobei eine zunehmende Ausarbeitung und Systematisierung der Verordnungen erst im Spätmittelalter nachweisbar wird (S. 90-100). Der kurze Erdbebenteil stützt sich vor allem auf die eingangs erwähnte Untersuchung des Bebens von 1348, die Arno Borst 1981 vorgelegt hat.

Der zweite Hauptteil des Buches ist einerseits an die vorherigen Kapitel angelehnt, geht andererseits aber über die in diesen behandelten Schwerpunkte hinaus. „Mittelalterliche Menschen im Angesicht von Hunger und Seuchen“ (S. 108-209), dies war gerade was den Hunger anbelangt, häufig ein direktes Ergebnis von Naturkatastrophen oder längerfristiger ungünstiger Witterungsbedingungen, die Missernten, Teuerungen und Hungersnöte nach sich zogen, in deren Folge wiederum für Krankheiten und Seuchen günstige Ausbreitungsbedingungen bestanden.

Den häufig engen Zusammenhang zwischen Nahrungsmittelengpässen und dem Auftreten von Krankheiten und Epidemien aufzuzeigen, bemüht sich Jankrift in seinen Ausführungen zu den mittelalterlichen Hungersnöten (S. 109-124), in welche er auch einen Exkurs zum Ergotismus – dem nicht von Mensch zu Mensch übertragenen so genannten „Heiligen Feuer“ oder „Antoniusfeuer“ – integriert, der allerdings einen erheblichen Teil des Gesamtkapitels einnimmt (S. 115-122.). Wie schon im Vorhergehenden konzentrieren sich die Darlegungen auf einige Beispiele für Hungersnöte aus dem Früh-, Hoch- und Spätmittelalter. Leider muss damit auch eine genauere Betrachtung der Folgen von Hungersnöten auf die Menschen und deren Zusammenleben ausbleiben, was allerdings den Rahmen einer Überblicksdarstellung auch zwangsläufig gesprengt hätte. Hungersnöte als extreme Krisensituationen und äußerste Belastung bestehender Beziehungsgeflechte und sozialer Sicherungsmechanismen sind bisher von der Forschung weitgehend unbeachtet geblieben. Auch Jankrift beklagt bereits in der Einleitung den Forschungsstand (S. 13). Am besten untersucht ist unter den zahlreichen überregionalen Hungersnöten sicherlich diejenige der Jahre 1314-1318/22 5, welcher in dem vorliegenden Werk trotz der Charakterisierung als „größte Hungerkatastrophe des mittelalterlichen Europa“ nur einige knappe Bemerkungen zukommen (S. 122-124). Dem lange vernachlässigten Forschungsfeld Hungerkrisen widmet sich seit einiger Zeit eine Projektgruppe des von der DFG geförderten SFB 600 „Fremdheit und Armut. Wandel von Inklusions- und Exklusionsformen von der Antike bis zur Gegenwart“ an der Universität Trier, in der nicht zuletzt Charakteristika mittelalterlicher Hungersnöte im Fokus des Interesses stehen.

Mit Seuchenausbrüchen während des Mittelalters beschäftigt sich der letzte Teil des Buches. Jankrift integriert Epidemien als Folge vorangegangenen Unheils, als „die noch verheerendere Katastrophe nach der Katastrophe“ (S. 125) in seine Darstellung. Der schwierigen Einbeziehung eines von der Bestimmung des jeweiligen Krankheitstyps aus den Quellen, über die Umstände und Rahmenbedingungen des Ausbruchs bis hin zu den zeitgenössischen Mitteln der Seuchenbekämpfung überaus komplexen Themas in das Konzept einer Überblicksdarstellung zu Katastrophen im Mittelalter ist die Unterteilung in drei Kapitel geschuldet. Zunächst werden Epidemien des Früh- und Hochmittelalters, von der so genannten Justinianischen Pest über Infektionskrankheiten des Magen-Darm-Trakts bis hin zur Grippe abgehandelt (S. 125-146). Ein längerer Exkurs beschäftigt sich mit den hygienischen Bedingungen in mittelalterlichen Städten der deutschen Lande (S. 147-180), wobei es auch hier besonders seit dem Spätmittelalter die städtischen Führungsgremien waren, die sich bemühten, den dicht bebauten Lebensraum Stadt zumindest an den politisch und kultisch äußerst bedeutsamen Zentren öffentlichen Lebens vor zu großer Verunreinigung durch Mensch und Tier (innerstädtische Nutztierhaltung) zu schützen. Der letzte Teil ist mit dem Schwarzen Tod der Pandemie zur Mitte des 14. Jahrhunderts sowie den späteren, regelmäßig wiederkehrenden Ausbrüchen der Pest bis zum Ausgang des Mittelalters gewidmet (S. 181-209), wobei auf einige Fallbeispiele aus dem westfälischen Raum näher eingegangen wird.

Kay Peter Jankrifts Buch richtet sich an Leser, die sich einen ersten Überblick über „Katastrophen in der mittelalterlichen Lebenswelt“ verschaffen wollen. Diese enthalten durch die Konzentration auf knapp gehaltene Fallbeispiele, deren Darstellung zumeist eng an den jeweiligen (teilweise unedierten) Quellen ausgerichtet ist, auch bezüglich der Quellenlage eine erste Orientierung. Allerdings liegt der Fokus ganz klar auf dem mitteleuropäischen Raum und besonders den deutschen Landen. Sehr kurz müssen die einzelnen Krisen auch deshalb abgehandelt werden, da der Autor sich stets bemüht, in den ohnehin eng bemessenen Rahmen von gut 200 Seiten jeweils zumindest einen Fall aus Früh-, Hoch- und Spätmittelalter einzubringen. So entsteht das, was Jankrift in der Einleitung angekündigt hat und was in dem vorgegebenen Umfang zu leisten war: ein gelungener, stark gestraffter, gut und zügig lesbarer Überblick über Zahl und Ausmaß einer großen Bandbreite von Katastrophen während der mittelalterlichen Jahrhunderte. Somit dürften sich vor allem jüngere Studierende von dem Buch angesprochen fühlen. Eine tiefergehende Studie zu Charakter, Gestalt, Auswirkungen und Bewältigung dieser Katastrophen kann man allerdings – insbesondere angesichts des weiten thematischen wie auch zeitlichen Rahmens – nicht erwarten. Dies hätte einen völlig anderen inhaltlichen Aufbau sowie ein Vielfaches an Masse verlangt und wäre wohl selbst dann aufgrund der Vielschichtigkeit und Komplexität des Themas zum Scheitern verurteilt gewesen. Wie erwähnt, verneint Jankrift mehrmals einen entsprechenden Anspruch. Ein zusammenfassendes Abschlusskapitel wäre dennoch wünschenswert gewesen. Der Autor belässt es bei einigen abschließenden Bemerkungen zu Himmelszeichen als Katastrophenvorboten (S. 209-211). Auch die Gestaltung der in die Darstellung integrierten Karten und Illustrationen mit jeweils überbreitem schwarzen Rahmen mutet merkwürdig an, ist dem Verfasser aber nicht anzulasten. Den Abschluss bildet ein Verzeichnis der benutzten Quellen und (neueren) Literatur (S. 230-246) sowie ein Orts- und Personenregister (S. 247-252). Die häufig zu findenden Hinweise Jankrifts auf die ungünstige Forschungslage belegen jedoch, dass auf dem Gebiet der Untersuchung mittelalterlicher Katastrophen trotz des mittlerweile gestiegenen Interesses der Wissenschaft noch viel Arbeit zu leisten ist.

Anmerkungen:
1 Vgl. auch die – keineswegs nur an Historiker gerichteten – Bemerkungen bei Borst, Arno, Das Erdbeben von 1348. Ein historischer Beitrag zur Katastrophenforschung, HZ 231 (1981), S. 569, auf die sich auch Jankrift (S. 13) beruft.
2 Vgl. Bennassar, Bartolomé, Les catastrophes naturelles dans l’Europe médiévale et moderne. Actes des XVes Journées Internationales d’Histoire de l’Abbaye de Flaran 10., 11. et 12. septembre 1993, Toulouse 1996; Berlioz, Jacques, Catastrophes naturelles et calamités au Moyen Age, Turnhout 1998; Groh, Dieter (Hg.), Naturkatastrophen. Beiträge zu ihrer Deutung, Wahrnehmung und Darstellung in Text und Bild von der Antike bis ins 20. Jahrhundert, Tübingen 2003; Jakubowski-Tiessen, Manfred (Hg.), Um Himmels Willen: Religion in Katastrophenzeiten vom 14.-19. Jahrhundert, Göttingen 2003; Pfister, Christian, Raum-zeitliche Rekonstruktion von Witterungsanomalien und Naturkatastrophen 1496-1995, Zürich 1998. Vgl. aus den Bereichen der Agrar-, Umwelt- und Klimageschichte jeweils als Überblick Rösener, Werner, Agrarwirtschaft, Agrarverfassung und ländliche Gesellschaft im Mittelalter, München 1992; Jäger, Helmut, Einführung in die Umweltgeschichte, Darmstadt 1994; Glaser, Rüdiger, Klimageschichte Mitteleuropas. 1000 Jahre Wetter, Klima, Katastrophen, Darmstadt 2001.
3 Vgl. mit zahlreichen Beispielen Blöcker, Monica, Wetterzauber. Zu einem Glaubenskomplex des frühen Mittelalters, Francia 9 (1981), S. 117-131. Vgl. zur Verbindung zwischen den klimatischen Besonderheiten und ihren Auswirkungen in der frühen Neuzeit Behringer, Wolfgang, Das Wetter, der Hunger, die Angst. Gründe der europäischen Hexenverfolgungen in Klima-, Sozial- und Mentalitätsgeschichte: Das Beispiel Süddeutschland, Acta Ethnographica Hungarica 37 (1991/92), S. 27-50.
4 Montemayor, Julian, Les invasions de sauterelles dans l’Espagne intérieure, in: Bennassar, Bartolome (Hg.), Catastrophes naturelles (wie Anm. 2), S. 261-269.
5 Jordan, William Chester, The great famine. Northern Europe in the early fourteenth century, Princeton 1996.

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