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Titel
Frauen in der Mannschaft. Sozialdemokratinnen im Parlamentarischen Rat und im Deutschen Bundestag 1948-1957


Autor(en)
Notz, Gisela
Erschienen
Anzahl Seiten
568 S.
Preis
€ 34,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kerstin Wolff, Archiv der deutschen Frauenbewegung, Kassel

Den Titel hat die Autorin gut gewählt. „Frauen in der Mannschaft“ signalisiert gleich, um was es gehen wird – um Frauen nämlich, die sich in ein ausgesprochen männlich besetztes Terrain – in eine MANNschaft – gewagt haben. In diesem Fall ist das männlich besetze Terrain die Politik der ersten Jahrzehnte der jungen deutschen Demokratie nach 1945. Gisela Notz stellt in ihrer Arbeit über diese Nachkriegsjahrzehnte’ politisch aktive Frauen in den Mittelpunkt der Betrachtung und zwar alle Frauen, die – als SPD-Parlamentarierinnen – im Parlamentarischen Rat und in den ersten beiden Bundestagen, die Geschicke des Landes mitbestimmt haben.

Warum aber die Beschränkung auf die SDP? Gisela Notz begründet dies in ihrem Vorwort damit, dass die SPD seit der Verabschiedung des Erfurter Programms (1891) als einzige Partei für die politische Gleichstellung der Frauen und für deren Wahlrecht gekämpft habe (S.7). „Dennoch“ muss die Autorin wenige Sätze später einschränkend feststellen „kann nicht behauptet werden, dass in der SPD Frauen jemals ebenbürtig am politischen Geschäft beteiligt gewesen wären. Der ständige Kampf, den das Verlangen nach sozialer und geschlechterspezifischer Ebenbürtigkeit erfordert und die Auseinandersetzungen mit konservativen Parlamentarierinnen und Parlamentariern, aber auch oft mit den Genossen und nicht selten sogar den Genossinnen aus den eigenen Reihen werden aus den Biographien deutlich.“ (S. 7) Ein weiteres Argument für die Beschränkung der Untersuchung auf die SPD Frauen ist sicher auch, dass es eine SPD-Politikerin war, nämlich die Kasseler Juristin Elisabeth Selbert, die die Zeichen der Zeit erkannte und im Parlamentarischen Rat die volle Gleichberechtigung der Frau mit der Formulierung (§3 Abs. 2): Frauen und Männer sind gleichberechtigt, durchsetzte. Elisabeth Selbert hat sich mit diesem Satz in ihrer Partei nicht nur Freunde gemacht und es ist erschreckend zu lesen, dass Elisabeth Selbert als eine der „Mütter des Grundgesetzes“1 niemals in den Deutschen Bundestag einzog, obwohl die hessische Sozialdemokratin Lucie Beyer extra auf eine eigene Kandidatur verzichtete. Dass die hessische SPD Elisabeth Selbert nicht stärker unterstützte und sie nie auf aussichtsreiche Listenplätze postierte, kränkte sie schwer. Es ist dann in der Biografie von Frieda Nadig nachzulesen, dass diese es dann war, die sich im Bundestag für den Gleichberechtigungsparagraph an Stelle von Elisabeth Selbert einsetzte (S. 54-79).

Alle Lebensläufe folgen einem bestimmten Schema, in dem nach Kindheit, Jugend und Ausbildung die erste politische Arbeit, das Leben im Nationalsozialismus, Wiederaufbau und Parteiarbeit nach 1945, die Arbeit im Parlamentarischen Rat/Deutschen Bundestag und schließlich die Weiterarbeit nach dem Ausscheiden aus dem Parlamentarischen Rat/Deutschen Bundestag nacheinander folgen (S.12). Die Biografien fußen auf verschiedenen Quellen, vor allem aber auf Interviews, die Gisela Notz mit den noch leben Abgeordneten und anderen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen geführt hat. Eingeleitet werden die Biografien durch einen ersten Teil, in dem es um die Situation der Bundesrepublik (so betitelt obwohl der Text im Jahr 1945 ansetzt) nach dem Zweiten Weltkrieg geht.

In diesem rund 30 Seiten umfassenden Teil beschreibt Gisela Notz die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, das Schwere Überleben nach dem Krieg2, die Diskussionen um Wiederbewaffnung und atomare Aufrüstung und sie gibt einen zusammenfassenden Exkurs zur Sozialdemokratischen Frauenpolitik im Nachkriegsdeutschland.

Es macht wenig Sinn die einzelnen Biografien einer kritischen Würdigung zu unterziehen, dafür sind sie zu unterschiedlich. Außerdem würde weder der hier vorhandene Platz, noch die Geduld der Lesenden ausreichen, alle 26 Biografien hier vorzustellen. Wichtiger scheint es vielmehr zu sein, Gemeinsamkeiten und Trends in diesen Biografien aufzuspüren. Gisela Notz versucht genau dies in ihrem Resümee. Neben der sozialdemokratisch geprägten Kindheit, in der der Vater als (politische) Leitfigur eine große Rolle spielte und der klaren Ablehnung des Nationalsozialismus verbindet die Parlamentarierinnen vor allem ein Pflichtgefühl, sich in der Situation nach 1945 mit ganzer Kraft für Demokratie und Frieden einzusetzen. „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus, das waren ihre Hauptanliegen, die auch innerer Antrieb für ihr politisches Handeln wurde.“ (S. 528f.). Geleitet wurden diese 26 Politikerinnen – so Gisela Notz – von der Vorstellung „zwei nicht nur biologisch, sondern auch in ihrem ‚Wesen’ verschiedener, aber gleichwertiger Geschlechter“ (S. 533).3 Dadurch verließen sie niemals den eingefahrenen Weg der festgelegten Dichotomie der Geschlechter, was zum Beispiel bedeutet, dass die Zuständigkeit der Frau für die Familie lange Zeit nicht in Frage gestellt wurde. Alle untersuchten Frauen versuchten deshalb einem Image als Frauenrechtlerin immer entgegenzutreten. Mit einer fast gebetsmühlenhaftigen Wiederkehr kann man so in fast jeder Biografie diese Versuche nachlesen. Immer wieder wird von SPD-Frauenseite aus die Solidarität mit den SPD-Männern betont. Sei es Annemarie Renger („Wir haben immer mit den Männern und nie gegen die Männer Politik gemacht.“ (S. 409)), Marta Schanzenbach („sie habe ihre ‚ganze Karriere nur durch die Mithilfe der Männer’ gemacht. (S. 456)) oder Louise Schroeder („Prinzipiell ist es notwendig, dass Mann und Frau die Dinge gemeinsam zu lösen trachten.“ (S. 469)), immer wieder wird herausgestellt, dass es um die politische Sache und nicht um eine vermutete ‚Frauenrechtlerei’ ginge.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter erstaunlich, dass alle im Buch vorgestellten Frauen große Schwierigkeiten mit der ab 1967 entstehenden ‚neuen’ Frauenbewegung hatten. Die SPD-Frauen warfen den autonomen Feministinnen Männerfeindschaft und separatistische Tendenzen vor und die autonomen Feministinnen sahen die ‚angepassten’ Politikerinnen als „Symbol der Kapitulation vor einer ausschließlich durch Männer und männliche Normen bestimmten Gesellschaft“ (S. 416).

Gisela Notz hat ein sehr lesenswertes Buch geschrieben, in dem klar und verständlich das erste Nachkriegsjahrzehnt aus der Sicht von SPD-Frauen geschildert wird. Diesem Urteil abträglich ist auch nicht, dass an einigen Punkten innerhalb der Biografien die große Sympathie der Autorin zu den einzelnen SPD-Politikerinnen durchscheint. Im Gegenteil, diese Empathie ermöglicht dem Lesenden die Politikerinnen in all ihren Brechungen und Widersprüchen sehr menschlich zu erleben und in die Gedanken- und Gefühlswelt mit einzutauchen. Gewünscht hätte ich mir eine längere Einleitung, in der die Zeit, in der diese Lebensbeschreibungen eingebettet sind detaillierter beschrieben worden wäre. Auch ein Teil zur Entwicklung der SPD als Partei in dieser Zeit wäre sicher erhellend gewesen, um so mehr, als dann die Möglichkeit bestanden hätte den Anteil von Frauen an dieser Wiederaufbauarbeit besser nachvollziehen zu können. Schade ist letztendlich auch die Beschränkung auf die SPD Frauen. Nach der Lektüre ist für mich die Frage noch viel virulenter als vorher, ob wir es bei den SPD-Frauen in dieser Zeit mit einem ‚Ausnahmemodell’ zu tun haben – was ich bezweifle – oder ob das Agieren der SPD-Politikerinnen zeittypisch ist. Wie und wodurch unterscheidet sich das politische Engagement der SPD-Frauen von dem der CDU-Frauen, und wie sieht es überhaupt mit den Männern in den Parteien aus? Welchen Stellenwert geben sie selber den weiblichen Mitgliedern in der Partei?

Dieses Manko möchte ich allerdings nicht als Kritik an der Arbeit von Gisela Notz verstanden wissen. Es soll lediglich darauf hinweisen, dass auf dem Feld der Parteienforschung nach 1945 in Fragen der Geschlechterordnung noch viel zu tun ist, zu viel, um es lediglich einer Autorin zu überlassen.

Anmerkungen:
1 Es waren neben den ‚Vätern’ des Grundgesetzes auch vier ‚Mütter’ an der Abfassung des Grundgesetzes beteiligt. Frieda Nadig, Helene Weber, Helene Wessel und Elisabeth Selbert.
2 Dieser Punkt ist für eine Darstellung von Frauenpolitik in den direkten Nachkriegsjahren von besonderer Bedeutung, da aus dieser spezifischen Situation heraus von Frauen eine besondere Verpflichtung herausgelesen wurde, sich politisch zu engagieren. Deutlich wird dies zum Beispiel durch die Gründungen von überparteilichen Frauenausschüssen, die sich als politische Frauenzusammenschlüsse zuständig für einen demokratischen Wiederaufbau sahen. Zu den überparteilichen Frauenausschüssen vgl. zum Beispiel: Schüller, Elke; Wolff, Kerstin, Fini Pfannes. Protagonistin und Paradiesvogel der Nachkriegsfrauenbewegung, Königstein im Taunus 2000.
3 Diese Klassifizierung gerät allerdings recht schnell an ihre Grenzen. Bei den meisten Politikerinnen sehe ich vielmehr als Movens der Politik ein Gemisch aus Gleichheits- und Differenzvorstellungen. So muss es kein Gegensatz sein, sich auf der einen Seite für die Gleichberechtigung einzusetzen (Gleichheitsansatz) und auf der anderen Seite die scheinbar natürlichen Zuständigkeiten der Geschlechter weiterhin zu stabilisieren (Differenzmodell).

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