P. Burschel u.a.: Vorbild - Inbild - Abbild

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Titel
Vorbild - Inbild - Abbild. Religiöse Lebensmodelle in geschlechtergeschichtlicher Perspektive


Herausgeber
Burschel, Peter; Conrad, Anne
Reihe
Rombach Historiae 15
Erschienen
Freiburg 2003: Rombach
Anzahl Seiten
214 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dörte Münch, Martin-Luther-Institut für Religionspädagogik, Pädagogische Hochschule Erfurt

Der Titel „Vorbild Inbild Abbild“ des Sammelbandes von Peter Burschel und Anne Conrad in Beziehung zum Untertitel „Religiöse Lebensmodelle in geschlechtergeschichtlicher Perspektive“ klingt viel versprechend. Vorbild – Wie bekommt eine bestimmte Lebensgestaltung Modellcharakter? Inbild – Inwiefern bieten diese Modelle noch Raum zur „Selbst“-Gestaltung? Abbild – Wie erfolgt Nachahmung und ist sie erwünscht?

Peter Burschel leitet am Beispiel des dezidiert weiblichen Entwurfs des religiös-mystischen Erlebens Teresas de Ávila die „programmatischen religiösen Muster des vormodernen europäischen Christentums“ (S. 11) ein, die bis in die Neuzeit gelebt wurden. Es fehlt allerdings, so Burschel, „bislang noch an Versuchen, die spezifischen Strukturprinzipien, die Formen und Elemente nachmittelalterlicher Modelle christlichen Lebens genauer zu bestimmen [...]“ (S. 16). Das Ansinnen, die in diesem Band versammelten Arbeiten unter den von Georges Duby übernommenen Begriffen „‚Imaginationen‘, ‚Strategien‘, ‚Ideale‘“ (S. 11) zusammenzufassen, zeigt, wie weit das Spektrum religiöser Lebensmodelle hier zu verstehen ist. Zur Einordnung schlägt der Herausgeber das Konzept „einer Geschichte des ‚Benehmens‘, des ‚angemessenen Verhaltens‘, der ‚Nachahmung‘, des ‚Anstandes‘ und der ‚Selbstbeherrschung‘“ (S. 16f.) vor, das wohl als Untersuchungsrahmen der Beiträge verstanden werden kann.

In gewisser Weise nimmt der erste Beitrag „Imitatio – Aemulatio – Simulatio? Leibhaftige Heiligkeit und scheinheilige Leiber“ von Waltraud Pulz den Titel des Bandes auf – allerdings mit Fragezeichen. Der Konflikt zwischen intellektueller Gotteserkenntnis und eines von Frauen angestrebten mystischen Gewahrwerdens Gottes, das selbstverständlich den Körper als Teil des religiösen Erlebens verstand, bildet das Milieu der Auseinandersetzung. Pulz untersucht Berichte über Nahrungsabstinenz, die, als Heiligkeit gedeutet, unter Frauen viele Nachahmerinnen fand. Interessant ist die differenzierte Darstellung des Spektrums der Imitatio Christi, in die dieses Phänomen der Nahrungsenthaltung einzuordnen ist. Daran anknüpfend wird die Motivation zur augenscheinlichen Nahrungsverweigerung und ihre Durchführung als eine gezielte Strategie von ausschließlich (!) Frauen zur Hervorhebung der eigenen Bedeutung begreifbar. Die Autorin enthüllt allerdings sowohl die Aufdeckung der Nahrungsabstinenzlerinnen als Simulantinnen wie auch ihre Verehrung als kirchenpolitische Strategie im Streit zwischen den Konfessionen.

Gemeinsam ist allen Arbeiten die Frage nach Strategien der (religiösen) Selbstgestaltung, wie diese zum Modell avancierten, das heißt vom Umfeld und der Nachwelt rezipiert wurden, und diese Rezeption gezielt gelenkt wurde. „Vom Selbstbild zum Vorbild: Olympia Fulvia Morata und die Konstruktion eines protestantischen Frauenmodells im 16. Jahrhundert“ betitelt in diesem Rahmen Anke Dörner ihren Beitrag. Sie stellt die in Ferrara ausgebildete Gelehrte Olympia Fulvia Morata vor, die 1550 als Ehefrau des protestantischen Arztes Andreas Grundler nach Deutschland auswanderte und das protestantische Eheverständnis prägte, indem sie innerhalb ihrer Ehe Raum für ihre intellektuellen Interessen schuf. Die Verfasserin beschreibt Olympias Anstrengungen, ihre eigenen Interessen an intellektuellem Austausch trotz der Ausgrenzung als Frau zu wahren. In einem zweiten Schritt untersucht Dörner die gelenkte Bekanntmachung und Rezeption der Schriften Olympias, die sich zu einem „protestantischen Bestseller“ (S. 75) entwickelten. Olympia selbst wurde als vorbildliche Protestantin rezipiert. Die Autorin stellt jedoch zurecht den Bruch zwischen dem Selbstbild Olympias und ihrer Rolle als Vorbild fest, da ihr Leben als gelehrte Ausnahmefrau in die rezipierte Vorstellung als Vorbild für protestantische Ehefrauen nicht integriert wurde.

Als religiöses Lebensmodell funktionalisiert wurde ebenso die Vita der Maria von Portugal. Diese Genese eines Lebens zum Modell, hier im frühneuzeitlichem, katholischem Kontext, untersucht Xenia von Tippelskirch in ihrem Aufsatz „‚Zum Exempel eines gottseligen Wandels gantz lustig zu lesen.‘ Anmerkungen zur Vita der Maria von Portugal, Fürstin zu Parma und Piacenza (1538-1577)“. Bei von Tippelskirch steht die Konstruktion der Vita und ihre Vermarktung im Mittelpunkt. Um diesem Prozess gezielt folgen zu können, sollte man den Fußnoten mit den biografischen Anmerkungen unbedingt Beachtung schenken.

Eher missverständlich legt der Titel der Arbeit von Nicole Grochowina „Von Opfern zu Heiligen. Martyrien von Täuferinnen und Täufern im 16. Jahrhundert“ eine Entwicklung nahe, die ich so nicht nachvollziehen kann. Die Autorin beschäftigt sich mit der Instrumentalisierung der Zeugnisse von hingerichteten Täuferinnen und Täufern, um die täuferischen Gemeinden im rechten Glauben zu bestärken und das Martyrium als „Modell von Heiligkeit“ (S. 123) auszudeuten. Im geschlechtergeschichtlichen Vergleich arbeitet sie das Selbstbild der Märtyrerinnen als den Männern gleichgestellt heraus, weist aber in ihrer quantitativen wie qualitativen Untersuchung nach, dass in der Rezeption die Frauen marginalisiert wurden und „Opfer“ des allgemein vorherrschenden Rollenverständnisses blieben. Die Frage, inwiefern die Frauen selbst in der Dokumentation ihres Martyriums dieses Verständnis schon reproduzierten und nicht erst der Rezeptionsprozess, regt zur weiteren Vertiefung der Analyse an. Zunächst sprechen die Ergebnisse der Verfasserin meines Erachtens dafür, dass die Täuferinnen – trotz ihres Wunsches nach Ebenbürtigkeit – den Männern in ihrer Bedeutung nicht gleichgestellt wurden und so auch als „Heilige“ Opfer blieben.

In seiner Einleitung hebt Peter Burschel gerade für diese ersten vier Analysen im frühneuzeitlichen Kontext die letztlich gelungene „männliche“ Kontrolle (S.20) der jeweiligen weiblichen Lebensmodelle hervor, weist allerdings auch auf die Eigendynamik hin, die Modellen innewohnen kann. Eine neue Dynamik erhielten religiöse Modelle zu Beginn der Moderne – ein Thema, dem sich die letzten beiden Aufsätze dieses Bandes widmen: Anne Conrad untersucht das „Glaubensbekenntnis“ Friedrich D. E. Schleiermachers zur „unendlichen Menschheit, die da war, ehe die Hülle der Männlichkeit und der Weiblichkeit annahm“ (S. 151) und dem Streben nach Annäherung an das Unendliche durch eigenen Willen und Bildung, das Schleiermachers neuem Religionsverständnis entstammte. Unter dem Titel „Jenseits der Schranken des Geschlechts. Friedrich Schleiermachers Entwurf einer Religion für eine ‚religionslose‘ Zeit“ geht sie vor allem dem Modellcharakter seines Fragments, erschienen 1798 im Athenaeum, „Idee zu einem Katechismus der Vernunft für edle Frauen“ (S. 151f.) nach, in dem Schleiermacher an die Verantwortung der Frauen für ihre eigene Selbstentfaltung und die ihrer Kinder apelliert.

Conrad erkundet in ihrer Auseinandersetzung mit dem sich in Henriette Herzs Salon versammelnden Kreises der Berliner Frühromantik den Einfluss, den die Frauen um Schleiermacher und Friedrich Schlegel auf die programmatischen Veröffentlichungen, die die Epoche der Romantik prägten, und damit auch auf das Athenaeumsfragment von 1798 hatten. Dabei versucht sie Schleiermachers Modell aus den zeitlichen Umständen heraus, in denen sich eben auch ein neues geschlechtliches Rollenverständnis in Bezug auf Liebe und Ehe herauskristallisierte, verständlich zu machen. Die Wirkung und die Konsequenzen für das Verhältnis der Geschlechter verdeutlicht die Verfasserin anhand von Friedrich Schlegels Roman „Lucinde“, der Beziehung Ferdinand Benekes und Karoline von Axens und Bettina von Arnims „Schwebereligion“. Die Arbeit eröffnet damit ein interessantes Untersuchungsspektrum für den Beginn des 19. Jahrhunderts aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive.

Marion Kobelt-Groch beschließt mit dem Beitrag „Judith – oder die Sehnsucht nach der grausamen Frau. Masochistische Phantasien im Werk Leopolds von Sacher-Masoch“ den vorliegenden Band. Die Autorin zeigt am Beispiel des Masochismus, wie durch die Artikulation bis dahin öffentlich unterdrückter Bedürfnisse die Rezeption so genannter „starker“ Frauen als Vorbilder gewendet wurde und diese „vorbildlichen Frauen“ eine neue Konnotation erhielten. Am Beispiel der biblischen Judith im Werk Sacher-Masochs zeigt die Verfasserin, wie Mut und Stärke zur Grausamkeit und Gewaltbereitschaft mutieren können. Dass sich diese Art der Rezeption auf das Image außergewöhnlich auftretender Frauen auswirkte, belegt die Autorin einleitend anhand des Schicksals Lola Montez. Eine systematisierende Auswertung der Funktionalisierung von und des Umgangs mit Frauen, die für die einen erotisches Idealbild, für die anderen zum Schreckensbild wurden – und damit die Möglichkeit der disziplinierenden Abstrafung gegeben war – entfällt leider. Inwiefern handelt es sich um ein bewusstes Zerstören des ehemaligen Vorbildcharakters? Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Erklärung des Masochismus zur Krankheit?

Wie steht es nun mit den Vorbildern, Inbildern und Abbildern? Die Aufsätze dokumentieren, wie „religiöses Benehmen“ von Frauen verstanden und gelenkt wurde. Wichtig scheint die Erkenntnis, dass quer durch die Konfessionen die soziale Umgebung und die gesellschaftlichen Umstände maßgeblich das als korrekt angesehene religiöse Verhalten beeinflussten. Gemeinsam ist den Beiträgen allerdings auch, dass es ihnen an einem weiteren theoretischen Rahmen mangelt. Eine Berücksichtigung rezeptionstheoretischer oder aus der Biografieforschung entstammender Paradigmen wäre hier meines Erachtens nützlich. Auch der Begriff „religiöse Lebensmodelle“ bleibt durch die Vielfalt der untersuchten religiösen Aspekte diffus. Zwar wird eine große Fülle von Fakten und Vermutungen über Rollenzuweisungen und Rollenverständnis dargeboten; eine Auswertung und Einordnung der gefundenen Strategien und Strukturen wird allerdings nur vereinzelt versucht oder sie bleiben aus. Hier ist die geschlechtergeschichtliche Profilierung, die Burschel schon in der Einleitung fordert, tatsächlich von Nöten. Das Material, das die Autorinnen dieses Sammelbandes den Leserinnen erschließen, entlarvt allerdings einmal mehr die Brüchigkeit der qua Geschlecht zugeordneten Rollen und demonstriert, wie viel in der Geschichtswissenschaft aus der Gender-Perspektive aufzuarbeiten ist.

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