G.M. Adibekov: Das Kominform und Stalins Neuordnung Europas

Titel
Das Kominform und Stalins Neuordnung Europas.


Autor(en)
Adibekov, Grant M.
Reihe
Zeitgeschichte-Kommunismus-Stalinismus. Materialien und Forschungen 1
Erschienen
Frankfurt am Main 2002: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
340 S.
Preis
€ 45,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerhard Wettig, Kommen

Adibekovs Buch, das nach der russischen Originalausgabe von 1994 1 nunmehr auch auf deutsch vorliegt, schließt eine Lücke in der geschichtswissenschaftlichen Literatur über Stalins Nachkriegspolitik gegenüber den auswärtigen kommunistischen Parteien sowie Ost- und Westeuropa. Lange Zeit stützten sich Werke über das Kommunistische Informationsbüro (Kominform), 2 mit dessen Gründung im September 1947 in gewisser Weise die Tätigkeit der 1943 formell aufgelösten, tatsächlich jedoch nur in den sowjetischen ZK-Apparat überführten Komintern-Organe 3 wieder aufgenommen wurde, außer auf sowjetamtlich publizierte Texte fast ausschließlich auf die Notizen und Kommentare eines – später aus der IKP ausgetretenen – Teilnehmers an der ersten Tagung von 1947.4

Erst nach dem Ende des Kalten Krieges, als es einen zunächst sehr liberalen Zugang zu den Moskauer Archiven gab, erlaubte eine mit sachkundigen Einleitungen versehene Edition der Protokolle der insgesamt drei Kominform-Konferenzen (1947, 1948 und 1949), die im russischen Original und in englischer Übersetzung wiedergegeben wurden, 5 für eine genaue Kenntnis der Referate und Beschlüsse. Adibekovs Werk fügt detaillierte Angaben über die vor, während und nach den Beratungen erstellten internen Dokumente, die Äußerungen der sowjetischen Initiatoren und – nicht zuletzt – die während der Kominform-Beratungen ständig geführte Korrespondenz mit Stalin hinzu. Der Darstellung liegen neben den Akten im früheren zentralen Parteiarchiv der KPdSU (RGASPI) auch die Stalin-Papiere im Präsidentenarchiv (APRF) zu Grunde. Von Silvio Pons stammt ein Gesamtüberblick über Entstehung, Konstutierung, Tätigkeit und Ende des Kominform; 6 seine Rolle und Bedeutung im Kontext der sowjetischen Europa-Politik wurden von Natalja Jegorova und Anna di Biagio dargestellt. 7

Anders, als es bisher schien, war die Gründung des Kominform nicht ausschließlich eine Reaktion auf den Marshall-Plan, in dem der Wille der USA zur Fortsetzung der militärischen Anwesenheit in Europa (die Roosevelt in Jalta 1945 gegenüber dem sowjetischen Führer als nur kurzzeitiges Intermezzo bezeichnet hatte), zum Wiederaufbau von zu politischer Eigenständigkeit gewillten europäischen Ländern und zur Ignorierung des sowjetischen Vetos gegen eine Politik der wirtschaftlichen Sanierung der deutschen Westzonen zum Ausdruck gekommen war.

Adibekov belegt, dass Stalin bereits in der ersten Nachkriegszeit die Schaffung einer neuen Organisation der internationalen kommunistischen Bewegung erwog und dass auch die Lehre von den zwei feindlichen Lagern in der Welt schon damals wieder aufgelebt war, wobei sie freilich – bedingt durch das amtliche Festhalten an den Formen einer Kooperation zwischen den vier (Haupt-)Siegermächten – nur internen Ausdruck fand. Als Stalin den Marshall-Plan sofort als seinen Interessen zuwiderlaufend ansah, gab der Kreml nicht nur diese Zurückhaltung auf, sondern ging auch gegenüber dem Westen zu öffentlichen Bekundungen schärfster Feindseligkeit und zu Maßnahmen über, die einer politischen Kriegserklärung gleichkamen. 8 Es waren also nicht erst die Ausführungen Shdanovs auf der Kominform-Tagung vom September 1947, die den antiwestlichen Kurswechsel des Kreml anzeigten.

Mit dem Kominform entstand freilich ein Zentrum, mit dessen Hilfe Stalin die kommunistischen Parteien in Ost- und Westeuropa fortan auf seine Linie unbedingter Westfeindschaft verpflichtete. Der von den westeuropäischen Parteien auf Moskauer Betreiben hin verfolgte Kurs der Zusammenarbeit mit demokratischen Kräften wurde auf der Gründungstagung zur Grundlage einer heftigen Anklage gegen die – dort mit Delegierten anwesenden - italienischen und französischen Kommunisten. Während der Vorbereitungen für die zweite Konferenz 1948 ist eine sich steigernde Zuspitzung auf die Abrechnung mit dem „Nationalismus“ der jugoslawischen Partei zu erkennen, die dann zur Verurteilung des Titoismus führte, in die alle bedingungslos einzustimmen hatten.

Die dritte Konferenz verkündete den „Kampf für den Frieden“. Die UdSSR rückte damit ihre Ambitionen einer Systemtransformation propagandistisch in den Hintergrund, um sich den Völkern als Hauptstütze des Kampfes gegen die angeblich kriegstreibend-aggressive Politik der USA zu empfehlen. 1950/51 bereitete der Kreml den Ausbau des Kominform zu einer Organisation vor, die in jeder Hinsicht der Komintern gleichen sollte. Das Vorhaben scheiterte daran, dass der als Generalsekretär vorgesehene IKP-Vorsitzende, Togliatti, sich weigerte, Italien zu verlassen. Daraufhin ließ Stalin den Plan fallen.

Anmerkungen:
1 Adibekov, G., Kominform i poslevoennaja Evropa 1947-1956, Moskau 1994.
2 Siehe insbesondere Marcou, L., Le Kominform. Le communisme de guerre froide, Paris 1977; Robel, G., Die Entscheidung von Schreiberhau/Szklarska Poreba, in: Lemberg, H. (Hg.), Sowjetisches Modell und nationale Prägung. Kontinuität und Wandel in Ostmitteleuropa nach dem Zweiten Weltkrieg, Marburg an der Lahn 1991, S. 286-305.
3 Ergänzend zur Darstellung Adibekovs siehe u.a. Narinskii, M., The Soviet Union and the Berlin Crisis, 1948-1949, in: Gori, F.; Pons, S., The Soviet Union and the Cold War in Europe, 1943-53, London 1996, S. 58; Lebedeva, N.; Narinskij, M., Rospusk Kominterna v 1943 godu, in: Meždunarodnaja žizn’ 5 (1994), S. 80-88.
4 Reale, E., Avec Jacques Duclos au banc des accusés, Paris 1958.
5 Procacci, Eugenio, The Cominform. Minutes of the Three Conferences 1947/1948/1949, Fondazione Giangiacomo Feltrinelli (Hg.) Annali 30, Mailand 1994.
6 Pons, S., Stalin, Togliatti, and the Origins of the Cold War in Europe, in: Journal of Cold War Studies 3 (2001), S. 3-27.
7 Egorova, N., Stalin’s Foreign Policy and the Cominform, 1947-53, in: Gori, F. ; Pons, S., a.a.O., S. 197-207; di Biagio, A., The Marshall Plan and the Founding of the Cominform, June-September 1947, S. 208-221.
8 Vgl. z.B. die eindrucksvolle Schilderung von Catroux, G., J’ai vu tomber le rideau de fer, Paris 1952, S. 247-260.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension