S. Creuzberger u.a. (Hgg.): Gleichschaltung unter Stalin?

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Titel
Gleichschaltung unter Stalin?. Die Entwicklung der Parteien im östlichen Europa 1944-1949


Herausgeber
Creuzberger, Stefan; Görtemaker, Manfred
Erschienen
Paderborn 2002: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
468 S.
Preis
€ 55,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dietmar Wulff, Staatliche Universität Woronesh, Russische Föderation

Es gehörte seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu den unverrückbaren Annahmen der westlichen Geschichtsschreibung, dass sofort nach dem Ende des 2. Weltkrieges den besiegten bzw. von faschistischer Besatzung befreiten Staaten Osteuropas das sowjetische Gesellschaftsmodell von außen übergestülpt worden ist. Dort seien gleichartige, an der sowjetischen Schablone orientierte Gleichschaltungsprozesse abgelaufen, die unter dem Begriff der Sowjetisierung zusammengefasst wurden. Bereits mit dem Fragezeichen im Titel des zu rezensierenden Sammelbandes machen die Herausgeber deutlich, dass sie diese, im Übrigen nie mit Akten belegte These einer gründlichen Überprüfung zu unterziehen gedenken. Die Schlüsselrolle messen sie dabei zu Recht der Evolution des Parteiensystems in Osteuropa bei, wobei sich ihr Osteuropa-Begriff an den politischen Konstellationen des Kalten Krieges orientiert.

Im Unterschied zu zahllosen, eher zufällig entstandenen Sammelbänden zeichnet sich der vorliegenden Band durch eine durchdachte Komposition aus. Sie entspricht dem klassischen Argumentationsmuster Hypothese-Analyse-Synthese. Zwei einleitenden Beiträgen über die sowjetische Deutschland- bzw. Osteuropapolitik zwischen Kriegsende und der Errichtung der vom Kalten Krieg geprägten Nachkriegsordnung Ende der vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts folgen Studien zur Entwicklung des Parteiensystems in den Ländern und Territorien des sowjetischen Einflussbereiches – Polen, Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien, Albanien, SBZ, Tschechoslowakei, Ungarn, Österreich und Finnland, wobei die beiden Letzteren als Sonderfall gelten. Den Band beschließen eine vergleichende Untersuchung der Gleichschaltung osteuropäischer Parteien durch die Herausgeber sowie Literaturhinweise und ein Personenregister.

Für die Erarbeitung der Länderbeiträge wählten die Herausgeber Mitarbeiter vorrangig aus der jüngeren und mittleren Historikergeneration aus, die bereits mit Forschungen zur Nachkriegsgeschichte des jeweiligen Landes hervorgetreten waren und darüber hinaus auch profunde Aktenkenntnis nachweisen konnten. Alle Beiträge stehen unter einer gemeinsamen Fragestellung: Handelte es sich bei der Gleichschaltung des osteuropäischen Parteiensystems um einen von der Sowjetunion gelenkten Prozess, oder aber spielten endogene Faktoren – Traditionen, Umstände der kommunistischen Machtergreifung u.a. – eine weitaus größere Rolle als gemeinhin angenommen.

Die Ergebnisse der Untersuchung überraschen wenig. Auf einen Nenner gebracht, bestätigen sie einerseits wesentliche Elemente der alten These, wonach die Gleichschaltung der Parteien in Osteuropa nach dem Krieg unter sowjetischem Druck stattfand und gleichsam das Kernelement der Sowjetisierung darstellte. Andererseits tragen die Beiträge freilich in erheblichem Maße dazu bei, ein deutlich differenziertes Urteil über die Parteienentwicklung in dieser Region und die Rolle der sowjetischen Führung zu treffen. Als Beispiel können die Beiträge zur SBZ dienen.

Gerhard Wettig konstatiert in seiner kenntnisreichen Studie über Stalins Deutschland-Politik, hinter dem demonstrativ verkündeten Parteienpluralismus in der SBZ habe sich von Anfang an der Führungsanspruch der von Moskau gelenkten Kommunisten verborgen, der darauf abzielte, die alten Eliten zu entmachten. Der Beitrag von Monika Kaiser über die Gleichschaltung in der SBZ relativiert dann diese Aussage in manchen Punkten. Es habe sich gleichsam um einen doppelten Gleichschaltungsprozess gehandelt, der langwieriger verlief als erwartet. In seinem Ergebnis entstand ein politisches System in Gestalt einer engen Symbiose aus sowjetischer Besatzerpolitik und ostdeutscher Parteiherrschaft.

Donal O’Sullivan zufolge stand im Mittelpunkt des sowjetischen Interesses in Osteuropa zwar die Bildung eines umgekehrten „cordon sanitaire“ an den Grenzen der UdSSR zum Schutz vor imperialistischer Expansion und Infiltration. Die Politik Stalins in dieser Region in der Nachkriegszeit war indes kompliziert und keineswegs widerspruchfrei. Sie wurde, bestimmt von den Prämissen der kommunistischen Ideologie, der Erwartung etwaiger Reaktionen der Westmächte und der selten vorhersehbaren Entwicklung in den jeweiligen Ländern, in tiefe Konflikte getrieben. Solide dokumentiert, entsteht vor den Augen des Lesers letztlich das Bild einer opportunistischen Ad-hoc-Politik.

Dieser Eindruck findet in den Länderstudien im Wesentlichen seine Bestätigung. In keinem der osteuropäischen Staaten folgte die Gleichschaltung der Parteien einem sorgfältig geplanten Konzept. Nirgendwo konnte von systematischer Umsetzung eines Planes die Rede sein. In dem Bestreben, die kommunistischen Parteien als unangefochten führende Kraft zu etablieren, stießen die einheimischen Kommunisten und ihre sowjetischen Mentoren auf mannigfaltige Probleme. Nahezu überall (mit Ausnahme Jugoslawiens) grassierten antisowjetische und antikommunistische Ressentiments, stets mussten sich die Kommunistischen Parteien (KP) mächtiger Konkurrenz (vor allem in Ungarn, Polen und Rumänien) im Parteienspektrum erwehren, in Polen und Rumänien waren sie schließlich kaum vorhanden.

Die schlechten Ausgangsbedingungen und der beginnende Kalte Krieg engten die Handlungsspielräume ein und zwangen die Akteure der sowjetischen Osteuropapolitik zu Flexibilität. Zu Recht unterstreichen die Autoren, dass die Sowjetisierung und die Gleichschaltung der Parteien davon abhingen, ob das jeweilige Land befreit oder besetzt worden war, ob es Waffenstillstands- oder Friedensverträgen folgen musste oder ob es zu den Verbündeten im Kampf gegen Deutschland gezählt hatte. Gerade Waffenstillstands- und Friedensverträge ließen sich hervorragend instrumentalisieren, um das Parteiensystem zugunsten der Kommunisten zu beeinflussen.

Die meisten Beiträge des vorliegenden Sammelbandes weisen überzeugend nach, dass es nach 1947 trotz aller Widerstände gelang, mittels unablässigen Druckes und geschickter Taktik alle Ansätze von politischem Pluralismus zu unterbinden, Funktionäre der kommunistischen Parteien unter Missachtung des Mehrheitswillens an die Schaltstellen der Macht zu hieven und das Parteiensystem in einer Art und Weise umzugestalten, dass es die Einbeziehung der ost-, ostmittel- und südosteuropäischen Staaten in den sowjetischen Machtbereich gewährleistete.

Die Ausnahme bildete neben Albanien vor allem Jugoslawien, in dem, zunächst in enger Fühlung mit der sowjetischen Führung, nach dem Bruch zwischen Stalin und Tito auch ohne deren Mentorenschaft, ein eigenständiger Prozess der Selbst-Sowjetisierung stattfand, der seine Wurzeln in der Führerschaft der Kommunisten unter Tito im erfolgreichen Kampf gegen die deutsche Besatzung besaß. Die Studien über die Sonderfälle Österreich und Finnland belegen, dass die sowjetische Führung bei Vorliegen bestimmter Faktoren – keine Besatzung, besonders stark ausgeprägte Kontinuität der Eliten, eklatante Schwäche der KP, besonderes Engagement der Westmächte bzw. eigenes Desinteresse – durchaus imstande war, bei der Durchsetzung ihrer Kerninteressen auf die Gleichschaltung des Parteiensystems zu verzichten.

Die meisten der in dem Band vereinten Studien zeugen von tiefer Sachkenntnis und sind auf dem neuesten Forschungsstand unter Hinzuziehung bislang unbekannten Aktenmaterials geschrieben. Lediglich die Beiträge über die Parteiensysteme in Jugoslawien und der Tschechoslowakei bleiben unter diesem Standard. Gelegentlich fallen Widersprüche innerhalb des Bandes ins Auge. Während die Herausgeber in ihrer Einleitung die Rolle der Helfer und Helfershelfer in Moskau und den sowjetischen Besatzungsorganen vor Ort hervorheben, betont Wettig die dominierende Rolle Stalins bei der Gleichschaltung des Parteiensystems. Der Unterstellung von Jerca Vodušek Staric in dem Beitrag über Stalinismus und Selbst-Sowjetisierung in Jugoslawien, der Antifaschismus der KP unter Tito sei lediglich Deckmantel für die Stärkung deren internationalen Position, treten die Herausgeber entgegen. In ihren Schlussbetrachtungen stellen sie heraus, dass der erfolgreiche Kampf gegen die faschistische Besatzung und die Befreiung des Landes ohne Eingreifen der Roten Armee die gelungene „volksdemokratische Entwicklung“ erst bedingte.

Die gelegentlichen Widersprüche schmälern den positiven Eindruck indes kaum. Es handelt sich um ein Buch, das dank der konsequent verfolgten Konzeption monografischen Charakter besitzt.

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