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Titel
Pressepolitik als Chance. Staatliche Öffentlichkeitsarbeit in den Ländern der Weimarer Republik


Autor(en)
Lau, Matthias
Reihe
Beiträge zur Kommunikationsgeschichte 14
Erschienen
Stuttgart 2003: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
441 S.
Preis
€ 78,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andrea Hartwig, Amt für rheinische Landeskunde, Bonn

Obwohl die Länder der Weimarer Republik politisch von erheblicher Bedeutung waren, sind große Teile des Wirkungsbereichs von der Forschung bisher weitgehend vernachlässigt worden. Besonders im Bereich der Pressepolitik blieben die Untersuchungen bislang überwiegend auf die Öffentlichkeitsarbeit der Reichsregierung beschränkt. Trotz der verstärkten Gründung staatlicher Pressestellen nach 1919 in den Ländern, blieb das wissenschaftliche Augenmerk auf die außen- und kulturpolitischen Aspekte staatlicher Nachrichtenversorgung konzentriert. 1 Matthias Lau hat sich in seiner Dissertation über die Pressepolitik in den Länder der Weimarer Republik zum Ziel gesetzt, diese Lücke zu schließen.

Den Pressestellen der jungen Republik bot sich seit 1919 die Chance zu einer Neuorientierung im Bezug auf die staatliche Selbstdarstellung. Die von Beginn an negativ belastete Demokratie war einem hohen Legitimationsdruck ausgesetzt und musste mittels Öffentlichkeitsarbeit die Verbindung zu den unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen herstellen. Dabei galt es, extreme antirepublikanische Gruppierungen in ihrer Ideologie zu widerlegen und politisch zu stigmatisieren. Erschwert wurde dieses Unterfangen einerseits durch die äußerst ideologisierte Grundstimmung in der Republik, die jede staatliche Äußerung als parteipolitisch motiviert empfand. Andererseits wurde die Arbeit der Pressereferenten durch den nach wie vor überwiegend kaisertreuen Beamtenapparat unterminiert. Matthias Lau hat für die Untersuchung der Aktionsräume staatlicher Öffentlichkeitsarbeit die sechs Länder Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Braunschweig und Hamburg ausgewählt, deren Pressestellen die organisatorischen und personellen Grundlagen für eine aktive Teilnahme am Prozess der öffentlichen Meinungsbildung aufweisen.

Als Einführung in die Thematik dient eine Übersicht, in der Lau in drei Abschnitten die Situation staatlicher Öffentlichkeitsarbeit zu Beginn des untersuchten Zeitraums, den Forschungsstand und die Quellenlage sowie die Konzeption der Studie vorstellt. Wie bereits erwähnt, ist über die publizistischen Aktivitäten in den Ländern der Weimarer Republik nur wenig Literatur vorhanden. Lediglich die Leiter der Pressestellen werden gelegentlich in der Forschung berücksichtigt 2, meist jedoch nicht in ihrer pressepolitischen Funktion.

Die Ergebnisse der Untersuchung sind in fünf Kapitel eingeteilt. Auffallend ist die enge Bindung der Darstellung an konkrete und abwechslungsreiche Beispiele, die verhindern, dass es lediglich zu einem systematischen Vergleich gerät. Das erste Kapitel der Studie widmet sich der personellen Besetzung der Pressestellen. Im Rahmen journalistischer Mitwirkungsansprüche wird die zweckmäßige Zusammenarbeit zwischen Regierung und Redaktionen dargelegt. Ebenso spielt der Versuch der Einflussnahme von Seiten der Journalisten auf die staatlichen Pressestellen eine Rolle. Erwartungsgemäß wird die Rolle der Parteibindung bei der Auswahl des Personals angesprochen und eine Übersicht über die Personalstruktur gegeben. Die individuell ganz unterschiedliche Interpretation der Pressechefs von politischem Journalismus wird durch einen Vergleich des BVP-nahen Leiters der bayerischen Pressestelle, Hans Eisele, mit dem Zionisten Hans Goslar, so genannter „Pressechef“ in Preußen, sowie dem braunschweiger Sozialdemokraten Gerhard von Frankenberg deutlich. Im Mittelpunkt des zweiten Kapitels steht neben der Abkehr der Pressestellen von der Kriegspressepolitik, die anhand des Beispiels der südlichen Länder und Preußens behandelt wird, sowie dem konfliktreichen zwischenstaatlichen Austausch die Emanzipation staatlicher gegenüber nichtstaatlichen Nachrichtenversorgern. Als Beleg dient Matthias Lau hierzu exemplarisch die Positionierung des Staatsanzeigers für Württemberg, der Sächsischen Staatszeitung sowie des Amtlichen Preußischen Pressediensts im jeweiligen journalistischen Umfeld. Dass der Informationsfluss staatlicherseits stets reguliert und kanalisiert wurde und die staatlichen Pressestellen zudem als Ausgangspunkt propagandistischer Zwecke und parteipolitischer Kampagnen dienten, wird im dritten und vierten Kapitel wiederum an zahlreichen konkreten Beispielen aus den Ländern verdeutlicht. Das letzte Kapitel befasst sich mit der Akzeptanz pressepolitischer Autoritäten in Staat und Öffentlichkeit und stellt Beispiele von Stärke, wie dem Ausbau koordinierender Kompetenz in Hamburg und der bürgerlichen Hauptstadtpresse in Württemberg, und Schwäche, wie dem Glaubwürdigkeitsverlust der Exekutive in Braunschweig und Bayern, gegeneinander.

Das Resümee der Untersuchung ist wie erwartet ernüchternd: Die Chance, Demokratie und Republik zu Legitimieren und zu Stabilisieren, wurde von der staatlichen Pressearbeit der Weimarer Republik vertan. Vielmehr attestiert Lau den Aktivitäten der Pressestellen die Koexistenz von Kontrolle und Konfrontation. Trotz der nur zögerlich verlaufenden Demilitarisierung des staatlichen Presseapparats nach 1919 und der nach wie vor gebräuchlichen Mischung aus Verheimlichung, Isolation und Unterdrückung, führte der vermittelnde Charakter der Pressechefs mit wohl kalkulierter Vertraulichkeit zu einer bis dahin unbekannten, breit angelegten Kooperation mit dem Ziel, den Eindruck zu unterstreichen, der Kurs der Regierung fände die Zustimmung der öffentlichen Meinung. Dennoch gab es auch in der Kooperation Hindernisse: So wurden Pressekonferenzen nach wie vor nicht für den direkten Kontakt der Regierung mit den Journalisten genutzt, sondern unter Einflussnahme von Regierungsmitgliedern und anderen Beamten vor allem zur Durchsetzung von Zensur und der Abwehr von Spekulationen missbraucht. Solange sich der Usus, die Quelle einer Nachricht zu nennen, noch nicht durchgesetzt hatte, war die staatliche Pressearbeit in der öffentlichen Meinung auch vom Verdacht der Manipulation nicht zu befreien. Lau lässt zu Beginn der Arbeit Kurt Tucholsky zu Wort kommen, der beklagt, dass die Blätter Auslassungen der Pressestellen druckten, die den Eindruck vermittelten, "als hätten sie eben 'in der Zeitung gestanden', wie tausend andere Dinge so 'in der Zeitung' stehen" (S. 14). Neben der Verbreitung eines kontrollierten Informationsangebots wurde gleichzeitig ein Konfrontationskurs verfolgt mit dem Ziel, den Eindruck einer drohenden Krise heraufzubeschwören und dem Ergebnis, dass ideologisierte Lagerbewusstsein zu stärken. Das Fazit widmet sich weiterhin den Präventionschancen, die sich der staatlichen Pressearbeit der Weimarer Republik boten und sträflich ausgelassen wurden. Das besondere Augenmerk liegt dabei auf dem Verhältnis zur politischen Opposition, wobei der Presseapparat mehr und mehr in eine selbstverschuldete Abhängigkeit geriet, indem er sich die gegnerischen Handlungsmuster aufzwingen ließ. Staatliche Öffentlichkeitsarbeit vermittelte zunehmend den Eindruck, lediglich auf die Provokationen und Angriffe der Opposition zu reagieren und selbst nicht mehr aktiv auf das politische Geschehen einzuwirken. Verharmlosender Spott und unangebrachte Geringschätzung stellten eine weitere Reaktion auf die zunehmend einflussreicheren antirepublikanischen Kräfte dar. Ansätze einzelner Pressechefs zur Prävention demokratiefeindlicher Tendenzen beispielsweise durch die Überwindung der Lagerbarrieren wurden von den Landesregierungen verhindert. Die staatlichen Pressestellen der Weimarer Republik haben es auch nach mehr als einem Jahrzehnt nicht vermocht, die demokratische Verfassungsordnung zu legitimieren und zu stabilisieren. Die leichtfertige Ausnutzung tagespolitischer Stimmungen und Ängste im Verbund mit ständigen ideologischen Lagerkämpfen machte alle Annäherungschancen zunichte. In der öffentlichen Meinung behielten die Pressestellen den Charakter von Organen eines autoritären Staats.

Mit seiner Dissertation ist es Matthias Lau in überzeugender Weise gelungen, die Lücke in den Forschungen zur staatlichen Pressearbeit der Weimarer Republik zu schließen. Gleichzeitig verkörpert die Studie ein Bruchstück in dem unheilvollen Gesamtgefüge, dass die demokratische Verfassungsordnung der jungen Republik schließlich scheitern ließ. Der viel zitierten 'Republik ohne Republikaner' ist es selbst im eigenen Haus nicht gelungen, eine Vormachtstellung zu etablieren.

Anmerkungen:
1 Vgl. hierzu u.a. Müller, Hans-Jürgen, Auswärtige Pressepolitik und Propaganda zwischen Ruhrkampf und Locarno (1923-1925). Eine Untersuchung über die Rolle der Öffentlichkeit in der Außenpolitik Stresemanns, Frankfurt am Main 1991; John, Jürgen, "Weimar" als regionales Reform- und Experimentiertfeld, in: Bialas, Wolfgang; Stenzel, Burkhard (Hgg.), Die Weimarer Republik und Metropole und Provinz. Intellektuellendiskurse zur politischen Kultur, Weimar 1996.
2 Vgl. hierzu u.a. Maurer, Trude, Auch ein Weg als Deutscher und Jude. Hans Goslar (1889-1945), in: Schoeps, Julius H. (Hg.), Juden als Träger bürgerlicher Kultur in Deutschland, Stuttgart 1989, S. 193-239; Grube, Sibylle, Rundfunkpolitik in Baden und Württemberg 1924-1933, Berlin 1976; Hoser, Paul, Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Hintergründe der Münchener Tagespresse zwischen 1914 und 1934. Methoden der Pressebeeinflussung, Teil 1 und 2, Frankfurt am Main 1990.

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