Cover
Titel
Making History Count. A Primer in Quantitative Methods for Historians


Autor(en)
Feinstein, Charles H.; Thomas, Mark
Erschienen
Anzahl Seiten
547 p.
Preis
$30.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mark Spoerer, Wirtschafts- u. Sozialgeschichte, Universität Hohenheim

Für die meisten Natur- und viele Sozialwissenschaftler ist die Historiographie ein "Laberfach". Hinter dieser Bewertung steckt meist Unverständnis für historiographische Problemstellungen, Herangehensweisen und Methoden. Ein Kern Wahrheit ist jedoch an dem Vorwurf dran – jeder denke selbst an die sprachlichen Virtuositäten, mit der er oder sie die eigenen Hypothesen über historische Kausalbeziehungen sprachlich „absichert“: „liegt nahe“, „wahrscheinlich“, „vermutlich“ usw. Repräsentativität wird unterstellt; Kausalbeziehungen werden behauptet, aber nur mit anekdotischer Evidenz belegt. Nun lassen sich für sehr viele historiographische Fragestellungen aufgrund ihres Komplexitätsgrades oder der Quellenlage Kausalbeziehungen nicht besser als plausibel belegen. Manchmal liegen jedoch sehr wohl Artefakte vor, die sich quantitativ auswerten ließen und mit denen man eine Kausalbeziehung verhältnismäßig "stark" belegen könnte. Dafür muss man sich freilich mit statistischen Methoden auseinandersetzen.

Als die Sozialgeschichte in den 1970ern ihren Aufschwung erlebte, entstanden einige Textbücher, in denen Historiker in die Methoden quantifizierenden Arbeitens eingeführt werden sollten.1 Bekanntlich haben diese kaum Einfluss auf die historische Forschungslandschaft gehabt, obwohl seitdem die Anwendung statistischer Methoden durch immer preiswertere und einfacher zu handhabende Software kontinuierlich erleichtert worden ist. Ein ganz wesentlicher Grund dafür liegt darin, dass angehenden HistorikerInnen im Studium die entsprechenden Grundlagen nicht vermittelt werden. Und Dozenten tun sich schwer damit, solche Kurse anzubieten, weil ein gutes Textbuch fehlt, das auf die spezifischen Vorkenntnisse und Belange von Historikern sowie die neuen Möglichkeiten der Datenverarbeitung zugeschnitten ist.

Dies könnte sich mit dem vorliegenden Buch ändern. Sein Aufbau entspricht dem einer beliebigen Einführung in statistische Methoden für Sozialwissenschaftler: erst deskriptive Statistik (z.B. Mittelwerte und Streuungsmasse, Korrelation), dann induktive Statistik (z.B. Stichprobenverteilung, Konfidenzintervalle, Hypothesentests, parametrische und nicht-parametrische Testverfahren, lineare und nicht-lineare Regression, Heteroskedastizität und Autokorrelation, Logit-, Probit- und Tobit-Modelle).

So weit, so konventionell. Was dieses Buch jedoch auszeichnet ist, dass es auf die (meist sehr geringen) Vorkenntnisse und Bedürfnisse von Historikern zugeschnitten ist. Mehr als die Grundrechenarten und Rechnen mit Logarithmen (das erklärt wird), wird nicht verlangt. Das Buch verzichtet gänzlich auf Beweise und setzt darauf, dass sich die meisten Sachverhalte intuitiv nachvollziehen lassen. Dafür werden erstens ungewöhnlich viele Beispiele verwendet, meistens aus sozial-, agrar- oder wirtschaftshistorischen Studien der letzten Jahre, teils auch fiktive. Die letzten zwei Kapitel sind darüber hinaus der intensiven Diskussion mehrerer Datensätze gewidmet, die man sich auf der Webseite des Verlags herunterladen kann. Des öfteren geben die Autoren auch eine Einschätzung, wie relevant bestimmte Methoden oder methodische Probleme für historische Anwendungen sind.

Zweitens zeichnet sich der Text durch eine für Darstellungen dieser Art ungewöhnliche sprachliche Redundanz aus, d.h. einmal eingeführte Begriffe werden häufig noch einmal ganz kurz erklärt und/oder mit Verweisen auf die Kapitel versehen, in denen sie vorgestellt und ausführlich erklärt wurden. Dies reduziert die Komplexität und die Anforderungen an die Leser. Außerdem heben die Autoren immer wieder hervor, dass man eine statistische Korrelation, und mag sie noch so hochsignifikant sein, keineswegs mit substanzwissenschaftlicher (historischer) Kausalität gleichsetzen darf. So ließe sich sicherlich die Hypothese, dass die kleinen Kinder vom Storch gebracht werden, mit Daten über die zurückgehende Geburtenrate bei den Menschen und die ebenso zurückgehende Storchenpopulation im 20. Jahrhundert statistisch hochsignifikant belegen.

Wenn es ein Buch gibt, mit dem sich Historiker statistisches Wissen im Selbststudium aneignen können, dann ist es nach Überzeugung des Rezensenten dieses. Auch für Einführungskurse für Studenten ohne Vorkenntnisse dürfte sich dieses Buch gut eignen, zumal am Ende Aufgaben gestellt werden, die zum Teil auf die Beispieldatensätze zugreifen. Das Englisch ist erfreulich einfach gehalten; für die Fachbegriffe sollte der Dozent eine Liste mit den entsprechenden deutschen Pendants erstellen.

Zu bemängeln sind eigentlich nur Kleinigkeiten. So macht die Darstellung keinen Gebrauch von den immer besser werdenden grafischen Möglichkeiten moderner Software, etwa der kartografischen Residuenanalyse.2 Außerdem werden zwar in den Endnoten viele interessante Verweise auf Anwendungsbeispiele in der Historiographie gebracht, nur sehr selten aber auf statistische oder ökonometrische Lehrbücher, wenn es der kritische Leser doch einmal genauer wissen will.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich dieses Buch hervorragend – oder jedenfalls besser als alle anderen im Bereich der historiographischen Methodenlehre 3 – für Einführungskurse in quantitative Methoden für Historiker, das Selbststudium und als Nachschlagewerk eignet. Zu hoffen wäre nur noch, dass die Autoren einen zweiten Band nachfolgen lassen, der neben nicht-klasssischen Verfahren der Regressionsanalyse insbesondere in zeitreihenökonometrische Methoden einführt, und dass der vorliegende Band ins Deutsche übersetzt wird.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa Floud, Roderick, Einführung in quantitative Methoden für Historiker, Stuttgart 1980; Ohler, Norbert, Quantitative Methoden für Historiker. Eine Einführung, München 1980; vgl. auch Jarausch, Konrad (Hg.), Quantifizierung in der Geschichtswissenschaft. Probleme und Möglichkeiten, Düsseldorf 1976.
2 Vgl. etwa Baten, Joerg, Kartographische Residuenanalyse am Beispiel der regionalökonomischen Lebensstandardforschung über Baden, Württemberg und Frankreich, in: Ebeling, Dietrich (Hg.), Historisch-thematische Kartographie, Bielefeld 1990, S. 98-109.
3 Nicht so umfangreich und nicht mit Beispieldatensätzen versehen ist der Stoff aufbereitet bei Archdeacon, Thomas J., Correlation and regression analysis: A historian's guide, Madison 1994, und Hudson, Pat, History by Numbers. An Introduction to Quantitative Approaches, London 2000.

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