J. Pekelder: Die Niederlande und die DDR

Titel
Die Niederlande und die DDR. Bildformung und Beziehungen 1949-1989


Autor(en)
Pekelder, Jacco
Reihe
Deutsch-Niederländische Beziehungen 2
Erschienen
Münster 2002: Agenda Verlag
Anzahl Seiten
480 S.
Preis
€ 32,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Jander, Berlin

DDR: Sowjetischer und/oder preußischer Polizeistaat

Der Historiker Jacco Pekelder, Jahrgang 1967, Forschungskoordinator des „Duitsland Instituut Amsterdam“ (DIA) an der Universität Amsterdam, hat eine außerordentlich interessante Studie der Beziehungen der Niederlande zur DDR vorgelegt. Zur Lektüre unbedingt zu empfehlen ist diese als Dissertation entstandene Untersuchung nicht nur, weil bisher wenig vergleichbare Arbeiten existieren. 1 Besonders überzeugend ist Pekelders Methodik, die Entwicklung des DDR-Bildes in den Niederlanden im Detail zu verfolgen und die Beziehungen der Niederlande zur DDR in Abhängigkeit zum niederländischen DDR-Bild zu rekonstruieren.

In insgesamt acht großen Kapiteln handelt der Autor sein Thema ab. In der Einleitung und dem zweiten Kapitel stellt er - nach einer Übersicht zur Quellenlage und einigen begrifflichen Klärungen - die Beziehungen der Niederlande zur DDR von 1949 bis ins Jahr 1973 dar. Er resümiert: „Die niederländisch-ostdeutschen Beziehungen blieben zwischen 1949 und 1973 aufgrund der westlichen Nichtanerkennungspolitik hinsichtlich der DDR auf einem niedrigen Niveau.“ (S. 346) Eine Ausnahme bildeten dabei lediglich die Wirtschaftsbeziehungen beider Staaten, die unterhalb der Ebene staatlicher Anerkennung abgewickelt wurden. Die Niederlande blieben über die ganze Zeit der Existenz der DDR einer ihrer wichtigsten westlichen Handelspartner.

Im dritten Kapitel untersucht der Autor die Entstehung des niederländischen DDR-Bildes von 1949 bis 1965. Vor allem die Reaktionen in den Niederlanden auf die Gründung der DDR 1949, den 17. Juni 1953 und den Mauerbau 1961 werden näher beleuchtet. In dieser Phase sah man die DDR in den Niederlanden vor allem als ostdeutsche Version der Sowjetunion, als illegitimen Polizeistaat. Zu einer leichten Veränderung des DDR-Bildes kam es mit dem Mauerbau. Da nun das Sicherheitsrisiko einer Entfernung der Bundesrepublik vom westlichen Bündnis geringer geworden war, konnte sich das Verhältnis der Niederlande zur DDR entkrampfen.

Im vierten Kapitel verlässt Pekelder die Chronologie und behandelt zwei DDR-Bilder in den Niederlanden, die quer zum damaligen Mainstream standen. Vor allem in den Beziehungen der niederländischen und ostdeutschen protestantischen Christen, aber auch der Kommunisten beider Staaten, entwickelten sich Kontakte, die in Opposition zur holländischen offiziellen Nichtanerkennungspolitik standen. In linksprotestantischen Kreisen entwickelte sich dabei bereits in Ansätzen das Bild eines sozialistischen Modellstaates DDR, das jedoch erst in den siebziger Jahren zur vollen Blüte gelangte. Die Kommunistische Partei der Niederlande (CPN) pflegte das Bild eines ganz anderen, antifaschistischen Deutschland, das ebenfalls erst in den 70er Jahren über den engen Rahmen der CPN ausstrahlte. Beide „oppositionellen“ DDR-Bilder konnten jedoch in den Niederlanden nie wirklich die Politik des Staates bestimmen.

Das fünfte Kapitel nimmt den Faden der Chronologie wieder auf; Pekelder behandelt die niederländische Diskussion um die Anerkennung der DDR zwischen 1966 und 1969. Vor allem aus der Pazifistisch Sozialistischen Partei (PSP) heraus, aber auch in den Reihen der Partei der Arbeit (PvdA) und der neuen Partei Demokraten 66 (D66) entwickelten sich solche Positionen. Die niederländischen Kommunisten fielen in dieser Zeit als Motor einer Anerkennungsdebatte aus. Sie hatten sich in der Mitte der 60er Jahre mit der SED überworfen. Erst 1976 wurde der Bruch gekittet. Die Staatspolitik in den Niederlanden wurde jedoch bestimmt vom großen Prestige der Ostpolitik Willy Brandts: Eine Anerkennung der DDR durch die Niederlande zeitlich vor der Bundesrepublik kam nicht in Frage.

Das sechste und siebte Kapitel behandeln die weitere Debatte über eine Anerkennung der DDR in den Niederlanden im Schatten der neuen Ostpolitik der Regierung Brandt bis zur Anerkennung der DDR durch die Niederlande am 5. Januar 1973 und dann weiter bis zum Fall der Mauer 1989. Insgesamt sank die Aufmerksamkeit für die DDR in den Niederlanden. Die Beziehungen der Niederlande zur DDR beschreibt der Autor in der Phase nach 1973 als „normalisierte Beziehungen mit einem anormalen Staat“ (S. 349). Das DDR-Bild der Niederlande wandelte sich. Nunmehr wurde die DDR nicht mehr vorwiegend als Polizeistaat nach sowjetischem Modell angesehen, sondern als „ein rotes Preußen […], als ein Staat, der trotz seiner kommunistischen Züge doch auch sehr von preußischer Mentalität und Tradition geprägt wurde“ (S. 354).

Im achten Kapitel zieht Pekelder ein ausführliches und sehr ausgewogenes Resümee: Ähnlich wie in England hätten auch in den Niederlanden die tonangebenden Eliten sich „stets ablehnend gegenüber dem als undemokratisch und illegitim angesehenen ostdeutschen Staat“ (S. 359) verhalten. Mehrheitlich herrschte eine kritische Rezeption der DDR-Wirklichkeit vor. Wie sich schon beim Zustandekommen der Nichtanerkennungspolitik, im Zusammenhang mit der Gründung der DDR, gezeigt habe, betrachteten England und die Niederlande ihre DDR-Politik „als einen integrierenden Bestandteil der Politik der Westintegration der Bundesrepublik“ (S. 359). In beiden Ländern sei die Gruppe der DDR-Symphatisanten relativ klein gewesen. An eine Aufgabe der Nichtanerkennungspolitik wurde in England und in den Niederlanden deshalb solange nicht gedacht, wie „die Bundesrepublik sich damit nicht im Voraus einverstanden erklärt hätte, weil man es für unannehmbar hielt, das Risiko einzugehen, Westdeutschland als westlichen Bündnispartner zu verlieren“ (S. 360).

Das sehr differenziert argumentierende Werk hat 1998, als es in den Niederlanden erschien, eine sehr „lebhafte Debatte“ hervorgerufen, wie Prof. Friso Wielenga, der Doktorvater Pekelders, im Geleitwort anmerkt. Sein großer Vorzug bestünde darin, so Wilenga, dass es verschiedene Formen der DDR-Rezeption in den Niederlanden deutlich beschreibe und auch kritisiere, sie jedoch auch erkläre. Dies trifft den Nagel auf den Kopf.

Die verschiedenen Formen der DDR-Rezeption in den Niederlanden haben, so legt die Studie Pekelders nahe, neben den unterschiedlichen Herausforderungen für die Politik der Niederlande nach dem 2. Weltkrieg und neben der Entwicklung in der DDR selbst vor allem auch mit den Erfahrungen der Niederlande im 2. Weltkrieg zu tun, als das Land von den Deutschen besetzt war. Das Bild des sowjetisch bzw. preußisch geprägten Polizeistaats DDR stellt so insgesamt auch einen Reflex auf die Erfahrungen während der deutschen Besetzung der Niederlande dar.

Dies trifft, wie Pekelder zeigt, auch teilweise auf die Formen der Idealisierung der DDR in den Niederlanden zu. Einige Beobachter in den Niederlanden wollten die DDR partout so sehen, wie sie sich selbst präsentierte: als das ganz andere, als das antifaschistische Deutschland. Im Unterschied zur Mehrheit der Niederländer wollten sie glauben, dass die DDR aus dem Nationalsozialismus die wesentlichen Schlussfolgerungen gezogen habe.

Die naive Faszination der DDR, wie sie im linken Protestantismus und in der kommunistischen Politik der Niederlande erkennbar wurde, kritisiert Pekelder unter Rückgriff auf die amerikanischen Schriftsteller Edmund Wilson und Paul Hollander: „Menschen“ – so der Autor im Resümee seiner Arbeit – „die sich von der eigenen Gesellschaft entfremden, neigen zu der Idealisierung einer anderen. In gewissem Sinn ist diese Idealisierung sogar notwendig, weil es ohne eine derartige Alternative schwierig wäre, über einen längeren Zeitraum fundamentale Kritik an der eigenen Gesellschaft zu üben“ (S. 365). Spätestens an dieser Stelle des Buches wird dem Leser auffallen, dass viele Erkenntnisse Pekelders auf die Bundesrepublik vor 1989 modifiziert übertragbar sind.

Dem deutschen Leser wird bei der Lektüre dieses Buches eine durchgängige Forschungslücke bewusst werden. Eine vergleichbar ausgewogene und differenziert argumentierende Untersuchung des Verhältnisses der Bundesrepublik Deutschland zur DDR liegt bislang nicht vor. Einen deutlich linksliberal argumentierenden Autor, der trotzdem die naive Faszination am Polizeistaat DDR deutlich beschreibt und wie Pekelder kritisiert, gibt es im vereinigten Deutschland offenbar (noch) nicht. Erstaunt wird der bundesrepublikanische Leser auch wahrnehmen, dass die verschiedenen Phasen der niederländisch-ostdeutschen Beziehungen und des DDR-Bildes in den Niederlanden durchaus Parallelen zu den Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR aufweisen. Pekelders Studie könnte somit Vorbild für eine erst noch zu schreibenden Studie der Beziehungen Bundesrepublik/DDR werden.

Anmerkung:
1 Siehe z.B. Becker, Bert, Die DDR und Großbritannien 1945/49 bis 1973. Politische, wirtschaftliche und kulturelle Kontakte im Zeichen der Nichtanerkennungspolitik, 1991.

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