R. Große: Saint-Denis zwischen Adel und König

Cover
Titel
Saint-Denis zwischen Adel und König. Die Zeit vor Suger (1053-1122)


Autor(en)
Große, Rolf
Reihe
Beihefte der Francia 57
Erschienen
Stuttgart 2002: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
290 S., 2 Karten
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Eric Wagner, Historisches Institut, Universität Rostock

Das Buch von Rolf Große ging als Habilitationsschrift aus der Arbeit an der Gallia Pontificia hervor, und zwar aus der Beschäftigung mit Urkunden- und Briefmaterial der alten Königsabtei Saint-Denis in Paris, das Grosse für den neunten Band in der neuen Folge der „Papsturkunden in Frankreich“ bearbeitet hat.1 Gegenstand der Arbeit ist die Geschichte von Saint-Denis im 11. und frühen 12. Jahrhundert. Obwohl eine neuere umfassende Darstellung zur Geschichte der Abtei sowie eine Gesamtedition ihres Urkundenbestandes fehlen, existiert bereits eine Vielzahl von Untersuchungen zu Einzelaspekten, in denen besonders das Wirken des Abtes Suger (1122-1151) hervorgehoben wird. Ihm allein wurden die erfolgreichen Maßnahmen sowohl zur wirksameren Verwaltung und Vermehrung des Klosterbesitzes als auch zur Reform des monastischen Lebens zugeschrieben. Aufgrund seiner Bautätigkeit galt er lange Zeit als „Vater der Gotik“. Und seine hervorragenden Beziehungen zum Königshof sollen auch die enge Bindung der Kapetinger an die Abtei und ihren Schutzheiligen begründet haben. Zum Entstehen dieses Bildes hatte Suger maßgeblich selbst, mit eigenen Schriften, beigetragen. Zwar sind seine Verdienste mit Hilfe kunst- und ideengeschichtlicher Forschungen 2 sowie durch eine stärkere historisch-politische Kontextualisierung seiner Texte 3 in den letzten Jahren relativiert worden, wobei seine Amtszeit weiterhin als ein Höhepunkt in der Geschichte von Saint-Denis gelten darf. Doch indem auf diese Weise wiederum die Person Sugers die Blicke der Forschung auf sich zog, sind die Jahrzehnte vor seinem Amtsantritt bislang größtenteils außerhalb der Betrachtung geblieben.

Diese Lücke will Große mit seiner Arbeit schließen und damit einerseits die Frage beantworten, ob die damalige Reform des Klosterlebens, die wirtschaftliche Reorganisation, aus der die Mittel für die Bauarbeiten an der Abteikirche flossen, und schließlich das enge Zusammenwirken mit dem Königtum allein das Werk Sugers waren oder ob er dabei auf Vorarbeiten seiner Vorgänger aufbauen konnte. Andererseits soll der Frage nachgegangen werden, auf welche Weise umgekehrt das Kloster zum Wiedererstarken der kapetingischen Königsherrschaft beigetragen hat. Den Ausgangspunkt der Arbeit bildet daher eine kurze Analyse der strukturellen Probleme des französischen Königtums seit dem Dynastiewechsel von den Karolingern auf die Kapetinger 987, die deutlich macht, dass die Königsmacht der frühen Kapetinger auf die Krondomäne beschränkt war, die Möglichkeiten zu einem Wiederaufstieg allerdings niemals verloren gingen. Das Auf und Ab im Kräftespiel zwischen Königtum und Adel spiegele sich auch im Verhältnis zu Saint-Denis wider. Wenn also das Kloster des heiligen Dionysius allgemein als die französische Königsabtei schlechthin gelte, so träfe dies für das 11. Jahrhundert nur bedingt zu. Hieraus erklärt sich auch der Titel „Saint-Denis zwischen Adel und König”.

Der Hauptteil der Arbeit setzt mit der Regierungszeit Heinrichs I. (1031-60) ein, da Große zufolge bei diesem Herrscher eine andere Haltung gegenüber Saint-Denis auszumachen sei als bei dessen karolingischen und kapetingischen Vorgängern. Während diese die Abtei als Laienäbte oder Herrscher fest in ihren Machtbereich einbezogen hätten, lasse sich bei Heinrich ein schwindendes Interesse an den Geschicken des Klosters feststellen. So sind aus seiner Regierungszeit etwa nur Bischofsurkunden für Saint-Denis bekannt, die der König unterzeichnete. Als Erklärung für die passive Einstellung des Königs zeigt Große zunächst, dass die Abtei damals unter den Einfluss des regionalen Adels geraten war, um daran anschließend zu verdeutlichen, wie es zu einer erneuten Annäherung an das Königshaus kam.

Da Heinrichs Einfluss stärker als der seiner Vorgänger auf die Krondomäne eingeengt war und er bei seinem Regierungsantritt zusätzlich durch innerdynastische Machtkämpfe geschwächt wurde, sei es den Grafen des Vexin gelungen, die alte Königsabtei wohl in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts mittels der Klostervogtei in den eigenen Herrschaftsbereich einzubeziehen. Eine Wende brachte erst die fast fünf Jahrzehnte währende Regierungszeit von Heinrichs Sohn und Nachfolger Philipp I. (1060-1108), unter dem zugleich der Aufschwung der Dynastie einsetzte. Ihm gelang es 1063 oder 1070, Saint-Denis für das Königtum zurückzugewinnen und wenig später auch das französische Vexin der Krondomäne einzugliedern. Gleichwohl brach er mit der Tradition der Königsgrablege, als die das Kloster seit den Merowingern galt, und ließ sich in Saint-Benoît-sur-Loire beisetzen. In Saint-Denis reagierte Abt Adam (1098/99-1122) darauf demonstrativ mit der Stiftung eines Jahrgedächtnisses für Dagobert, der als erster Frankenherrscher in der Klosterkirche bestattet worden war.

Philipp I. hatte allerdings seinen Sohn und Thronfolger Ludwig VI. (1108-1137) in Saint-Denis erziehen lassen, so dass auf diese Weise wieder engere Bande zur Abtei geknüpft wurden. Zum Herrscher aufgestiegen, erkannte und nutzte Ludwig die Interessenübereinstimmung zwischen Königtum und Kloster, indem er den regionalen Adel für Übergriffe auf Kirchengut bestrafte und so mit der Position der Abtei zugleich die eigene stärkte. Als Höhepunkte des Zusammenwirkens zwischen der Abtei und dem Kapetinger sind zwei Diplome anzusehen, in denen Ludwig die überragende Stellung des heiligen Dionysius als Patron des Reiches und der Monarchie sowie den Vorrang von dessen Kloster vor den anderen Kirchen des Reiches betonte und diesem das Recht verbriefte, Aufbewahrungsort der nachgelassenen Kroninsignien zu sein. Damit war zugleich ein wesentlicher Schritt getan, den Status als königliche Grablege wieder zu sichern.

In Anbetracht dieses Prozesses erscheint nun auch „Sugers Leistung in neuem Licht“, wie das letzte Kapitel der Arbeit heißt, das die zweite der eingangs gestellten Fragen wieder aufgreift. Das enge Einvernehmen zwischen den Kapetingern und der Abtei, das um die Mitte des 11. Jahrhunderts fast zerrüttet scheint, war offenkundig bereits unter Sugers Vorgängern (wieder-)hergestellt worden. Schon die Äbte Adam und Ivo I. (1073?-1093/94) hatten von gegenseitigem Vertrauen geprägte persönliche Beziehungen zum Königshaus aufzubauen vermocht. Sie waren es, die damit begonnen hatten, neue Einnahmequellen für das Kloster zu erschließen und drückende Lasten abzutragen. Bereits unter Adam wurde mit der Abfassung der „Historia regum Francorum“ der Grundstein für die zentrale Rolle gelegt, die Saint-Denis später in der französischen Historiographie spielen sollte. Unter seinem Abbatiat war eine Kirchweihlegende entstanden, die an die Hochachtung erinnern sollte, die König Dagobert einst für das Dionysiusheiligtum empfunden hatte. Und auch die Verehrung dieses Frankenherrschers selbst, die Suger für sich verbuchen wollte, geht in ihren Anfängen auf die Anniversarstiftung Adams zurück. Sugers Erfolge, die ihn als überragende Gestalt in der Geschichte von Saint-Denis erscheinen lassen, bauten somit auf Fundamenten auf, die bereits seine Vorgänger errichtet hatten. Dies schmälert nicht seine eigenen Verdienste, macht aber erneut, doch nunmehr auf anderem Wege sichtbar, wie geschickt er es verstanden hat, diejenigen seiner Vorgänger in seinen Schriften herunterzuspielen.

Gegenüber Ottonen und Saliern, die seit jeher ein ungebrochenes Interesse bei deutschen Mediävisten genießen, sind die frühen Kapetinger von französischen Historikern lange Zeit nur wenig behandelt worden. Denn ihre Herrschaftszeit galt als „Periode des Niedergangs“ – eine Charakterisierung, die generell nicht geeignet scheint, die stete Aufmerksamkeit von Historikern zu erregen. Als Hauptverdienst der Arbeit ist daher anzusehen, gerade diese Epoche, die dem Aufstieg Frankreichs zur führenden Monarchie Europas vorausging, unter dem hiermit nachgewiesenermaßen zentralen Aspekt königlicher Klosterpolitik exemplarisch erschlossen zu haben. Dass dabei auch die gesamte einschlägige französische und englischsprachige Literatur abwägend einbezogen wurde, wie nicht nur die beigefügte Bibliografie eindrucksvoll belegt, wird die deutsche Forschung gewiss ebenso dankbar zur Kenntnis nehmen wie die vier entlegen oder gar nicht edierten Privaturkunden im Anhang. Urkunden, vor allem die akribische Analyse der Saint-Denis betreffenden Papst- und Königsurkunden vom 8. bis zum 12. Jahrhundert, bilden auch das Rückgrat der Untersuchung. Sie greift in ihren Argumentationen daher häufig weit über den abgesteckten Zeitraum hinaus, was die Gültigkeit der gewonnenen Erkenntnisse durch die Langzeitperspektive zusätzlich absichert. Und indem auch die Innenoptik des Klosters intensiv berücksichtigt wird, ist das Handeln seiner Äbte nach außen nun klarer zu verstehen. Es kommen jedoch überwiegend rechts- und verfassungsgeschichtliche Erklärungsansätze zum Einsatz, die vornehmlich auf die herrschaftliche Seite der Beziehungen zwischen König, Adel und Abtei abzielen. Dagegen bleibt der religiös begründete Daseinsinhalt der monastischen Gemeinschaft und das nachweisbare adelige und königliche Interesse an diesem Bereich klösterlicher Lebensführung unterbelichtet, wenn man einmal von dem Aspekt der königlichen Grablege absieht. Es liegt nahe, die Vielzahl an Ergebnissen, die hier nur in Auswahl wiedergegeben werden konnten, durch Untersuchungen anderer königsnaher Abteien zu überprüfen und mit Befunden aus benachbarten Reichen, vorzugsweise dem anglo-normannischen und dem römisch-deutschen, zu kontrastieren.

Anmerkungen
1 Große, Rolf, Papsturkunden in Frankreich. N.F. Bd. 9: Diözese Paris II: Abtei Saint-Denis. (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philologisch-Historische Klasse, 3. Folge, Nr. 225), Göttingen 1998.
2 Markschies, Christoph, Gibt es eine „Theologie der gotischen Kathedrale“? Nochmals: Suger von Saint-Denis und Sankt Dionys vom Areopag. (Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Jg. 1995, Abh. 1), Heidelberg 1995.
3 Grant, Lindy, Abbot Suger of St-Denis. Church and State in Early Twelfth-Century France, London 1998.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension