E. Meyer-Zwiffelhoffer: Politikos archein

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Titel
Politikos archein. Zum Regierungsstil der senatorischen Statthalter in den kaiserzeitlichen griechischen Provinzen


Autor(en)
Meyer-Zwiffelhoffer, Eckhard
Reihe
Historia-Einzelschriften 165
Erschienen
Stuttgart 2002: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
369 S.
Preis
€ 88,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Weiß, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Ziel dieses Buches, man kann es seinem Untertitel entnehmen, ist eine Untersuchung des Regierungsstiles der senatorischen Statthalter in den kaiserzeitlichen griechischen Provinzen. Meyer-Zwiffelhoffer schließt damit an eine Entwicklung der letzten etwa 25 Jahre an, die nicht mehr die Position des Statthalters als Institution im staatsrechtlichen Rahmen in den Mittelpunkt rückt, sondern stärker und ausführlicher nach der Herrschaftspraxis der Gouverneure in der Provinz selbst fragt. Er stellt weiterhin mit diesem Buch die Charakterisierung des statthalterlichen Regiments als "Provinzverwaltung" im üblichen Sinne in Frage. Das statthalterliche Handeln sei vielmehr geprägt von Ehrgesichtspunkten und Ehrerwartungen. Den Obertitel mag man frei übersetzen als "auf die Polis/Stadt bezogenes Regieren". Bezugspunkt sind natürlich vor allem die städtischen Honoratioren. Die Fokussierung auf die städtische Oberschicht sei ein weiteres Charakteristikum der statthalterlichen Herrschaft. Meyer-Zwiffelhoffer löst sich damit von einer umfassenden Betrachtung der römischen Herrschaft über die Provinzen, vor allem von dem klassischen Dreigestirn Militär/Finanzverwaltung/Gerichtsbarkeit, in welches das Aufgabenfeld des Statthalters üblicherweise unterteilt wird, und rückt die Beziehungen zwischen dem Statthalter und den städtischen Notabeln in das Zentrum seiner Betrachtungen. Die Rolle des Kaisers im Gefüge der römischen Provinzherrschaft sowie daran anknüpfend das Verhältnis Kaiser-Statthalter geraten dadurch notwendig in den Hintergrund.

Im einleitenden Kapitel I stellt Meyer-Zwiffelhoffer zunächst seinen Strabon entliehenen Leitbegriff politikos archein vor. Der Begriff betone schon bei Strabon die zivile Ausprägung der römischen Provinzherrschaft. Ein wichtiges Element für deren Funktionieren und Gelingen sei die den römischen Amtsträgern und der provinzialen Oberschicht gemeinsame paideia gewesen, worunter der gemeinsame Bildungshorizont und "gesittete Lebensweise" (S. 11) zu verstehen seien. Bezieht sich letzteres auf die Vorherrschaft der stoischen Philosophie unter der römisch-griechischen Oberschicht? Es folgt ein ausführlicher Forschungsüberblick, beginnend mit Mommsen und Marquardt. Die jüngsten Arbeiten Werner Ecks werden allerdings nur auf knappstem Raum gewürdigt. Dessen großer, für die zweite Auflage der Cambridge Ancient History, Band XI, konzipierter Beitrag zur Reichsverwaltung 1 wird an dieser Stelle überraschenderweise nicht erwähnt (im Literaturverzeichnis ist er zu finden), obwohl man Meyer-Zwiffelhoffers Buch geradezu als Gegenentwurf zu Ecks Kapitel D "Provinzverwaltung und Steuern" lesen könnte.

Die römische Perspektive auf das Provinzialregiment wird in Kapitel II anhand der einschlägigen Passagen aus Cassius Dio, 53. Buch, sowie der überlieferten Fragmente von Ulpians Schrift De officio proconsulis erörtert und so der einem Statthalter vorgegebene Handlungsrahmen abgesteckt. In Kapitel III wird mit sechs so genannten Fallgeschichten die praktische Umsetzung dieses vorgegebenen Rahmens überprüft, also gleichsam die Praxis neben die Theorie gestellt.

Kapitel IV behandelt den "patronalen Diskurs über Kaiser, Statthalter und Untertanen". Es geht um die Frage, was einen 'guten' Statthalter ausmacht. Schutz und Fürsorge für die Untertanen sind nach antikem Verständnis wohl die Leitlinien, an denen ein Statthalter seine Tätigkeit ausrichten sollte. Eine objektive Beurteilung der Amtsführung eines Statthalters bleibt gleichwohl ein Problem: "[...] sowohl die Repetundenklagen als auch die Statthalterehrungen (waren) weniger Ausdruck einer guten oder schlechten Amtsführung als einer gelungenen oder gescheiterten Integration in die provinzialen Beziehungsgeflechte" (S. 173). Subjektive Maßstäbe wie die Intrigen innerhalb einer Stadt und die Rivalitäten zwischen den Städten einer Provinz mögen das Verhältnis zum Statthalter weit stärker bestimmt haben. Ein Unterkapitel über die inschriftlich überlieferten Statthalterehrungen (S. 187-222) führt zu der wichtigen Erkenntnis, dass die Poleis "die Gouverneure wie städtische Notabeln behandelt" (S. 221) haben. Die Ehreninschriften wären somit als Indiz einer geglückten Vereinnahmung eines Statthalters seitens einer Polis für ihre Ziele zu betrachten.

Im umfangreichen Kapitel V beschreibt Meyer-Zwiffelhoffer schließlich den von ihm so genannten "statthalterlichen Regierungsstil im provinzialen Beziehungsgeflecht" und damit die Bedingungen und Limitierungen statthalterlichen Handelns vor Ort. Dazu zählen Reisetätigkeit in den Provinzen, lokale Traditionen, die zu berücksichtigen sind, das Regiment des Kaisers in Form von Dekreten und Erlassen, Auseinandersetzungen innerhalb einer Stadt sowie Rangstreitigkeiten der Städte einer Provinz und anderes mehr.

Das Buch bewältigt eine gewaltige Materialfülle, und die einzelnen Abschnitte sind ohne Zweifel lesenswert. Auch das von Meyer-Zwiffelhoffer vorgegebene Erkenntnisinteresse, den Statthalter im Beziehungsgefüge der griechischen Provinzen darzustellen, wird durchgehalten. Dass das statthalterliche Handeln von Ehrerwartungen der sozialen Oberschicht geprägt ist, ist ein wichtiger, bisher unterbelichteter Aspekt. Allerdings führt der Aufbau der Arbeit zu einer gewissen Redundanz. Vor allem die sechs "Fallgeschichten" in Kapitel III erscheinen nicht wirklich notwendig. Zumindest hätte man sie kürzen können. Einige Abschnitte dieses Kapitels tragen eher den Charakter eines - als solchen durchaus nützlichen - Kommentars zu einer ausgewählten Inschrift. An manchen Stellen ist eine konzeptionelle Inkonsistenz zu verzeichnen: So lenkt Kapitel III 5 den Blick weg von den Städten und handelt von der Verleihung von Marktprivilegien an dörfliche Gemeinschaften. Dies liegt quer zu der eingangs gegebenen Leitlinie, dass nämlich das auf die Polis gerichtete statthalterliche Regiment untersucht werden soll. Auch die in III 1 beschriebene Requisition von Dienstleistungen betraf vor allem die ländlichen Gemeinden. Die komai waren jedoch in der Hierarchie einer Provinz deutlich nachrangige Größen, auf welche die Bewohner einer Polis gerne herabsahen. Ein schönes Beispiel hierfür gibt Meyer-Zwiffelhoffer selbst mit einem Zitat aus Dion or. 40,10 (S. 231).

Meyer-Zwiffelhoffer unterstreicht zum Abschluss noch einmal: "die römische Provinzialstatthalterschaft ist keine Provinzialverwaltung" (S. 331). Er liegt hier auf einer Linie mit F. Jacques und J. Scheid.2 Auch sie betonen "die Grenzen der Interventionsmöglichkeiten eines Statthalters, der Vormund, selten Polizist, nie aber regulärer Verwalter war". Man sehe sich aber die trockenen Geschäfte des Plinius in Bithynien und Pontus an: Durchsicht der städtischen Rechnungsbücher, technische und finanzielle Kontrolle zahlreicher Bauvorhaben, religionsrechtliche Gutachten usw. Was ist das anderes als "Verwaltung"?

Fünf Appendices (I-III liefern die inschriftlichen Belege zu den Statthaltern als Soteres, Ktistai oder Patrone, IV bietet die Quellen zu den kaiserlichen mandata für Statthalter, V die Statthalteredikte außerhalb Ägyptens) sowie ein Literaturverzeichnis beschließen das Buch. Ein Abkürzungsverzeichnis war laut Inhaltsverzeichnis vorgesehen, fehlt jedoch im Exemplar des Rezensenten. Die verwendeten Abkürzungen betreffen zum größten Teil Inschriftensammlungen und lassen sich für diejenigen, die am Thema interessiert sind, sicher leicht entschlüsseln. Schmerzlicher vermisst man gerade angesichts der Materialfülle einen - leider gar nicht erst vorgesehenen - Quellenindex.

Anmerkungen:
1 Eck, W., Der Kaiser, die Führungsschichten und die Administration des Reiches (von Vespasian bis zum Ende der antoninischen Dynastie), in: ders., Die Verwaltung des Römischen Reiches in der Hohen Kaiserzeit. Ausgewählte und erweiterte Beiträge, Bd. 2, Berlin 1997, S. 3-145
2 Jacques, F.; Scheid, J., Rom und das Reich in der Hohen Kaiserzeit 44 v. Chr.-260 n. Chr., Bd. 1. Die Struktur des Reiches, Stuttgart 1998, hier S. 195.

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