W. Grosch: Deutsche und polnische Propaganda

Cover
Titel
Deutsche und polnische Propaganda während der Volksabstimmung in Oberschlesien 1919-1921.


Autor(en)
Grosch, Waldemar
Reihe
Veröffentlichungen der Forschungs-Stelle Ostmitteleuropa an der Univesität Dortmund 72
Erschienen
Anzahl Seiten
485 S.
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Juliane Haubold, Centre Marc Bloch, Berlin

Das Plebiszit über die staatliche Zugehörigkeit Oberschlesiens (bzw. eines wesentlichen Teils davon) gehört zu den ersten Versuchen einer internationalen Gemeinschaft, ethnische Spannungen und gegensätzliche territoriale Ansprüche von Nationalstaaten durch die Befragung der einheimischen Bevölkerung zu regeln. Aus dem oberschlesischen Beispiel hätte sich allerdings schon gleich die Schwierigkeit, ja eine gewisse Unbrauchbarkeit dieses Instruments erweisen können – angesichts einer Region, in der nationales Bewusstsein wenig ausgeprägt war und z.T. erst mit der Abstimmung geschaffen wurde.1 Ein wichtiges Instrument zur Schaffung von Nationalbewusstsein war dabei die Abstimmungspropaganda.

Waldemar Grosch legt nun mit seiner Dissertation die erste umfassende deutschsprachige Untersuchung über die deutsche und die polnische Abstimmungspropaganda vor. Waren bisher in deutscher und englischer Sprache abgesehen von sehr kurzen und eher ungenauen Abhandlungen in Gesamtdarstellungen zur schlesischen Geschichte nur die Untersuchungen aus der Zwischenkriegszeit zugänglich2, oder die aus polnischer Sicht und in polnischer Sprache geschriebene Arbeit von Wladyslaw Zielinski 3 aus den Siebziger Jahren, so ist es Groschs Verdienst, nach mühevoller – und wahrscheinlich langjähriger – Sammel- und Sortierarbeit beide Seiten der Propaganda in deutscher Sprache darzustellen. Ziel seiner Untersuchung ist es herausfinden, ob wirklich das nationale bzw. völkische Argument in der Werbung dominierte oder ob nicht auch andere „Argumentationsstränge von Relevanz“4 gewesen seien.

Zur Bearbeitung dieser Frage hat Grosch sein Buch in sechs große Kapitel aufgeteilt. Nach Einleitung und Präsentation des historischen Rahmens schildert er in einem zweiten Schritt die materielle und organisatorische Struktur der deutschen und polnischen Propaganda, drittens die Medien der Werbung und viertens dann die Inhalte der Propaganda, die er wiederum nach 11 hauptsächlichen Argumentationslinien gliedert. Im fünften Schritt versucht Grosch eine Zusammenfassung der Ergebnisse seiner Untersuchung durch eine statistische Annäherung an die Argumente. Im letzten Kapitel referiert er dann die Ergebnisse sowohl der Volksabstimmung als auch die historischen Auswirkungen der Teilung Oberschlesiens. Der Arbeit ist noch ein Anhang angefügt, in dem die statistische Ausarbeitung der quantitativen Fragen – welches Argument kommt wie häufig in den Quellen vor? – tabellarisch den Lesern und Leserinnen zugänglich gemacht werden.

Angesichts der Ergebnisse der neuesten Oberschlesien-Forschung 5 überrascht das Ergebnis nicht: Groschs Arbeit erweist eine erdrückende quantitative Übermacht der wirtschaftlichen Argumentation auf beiden Seiten. Doch leider geht Grosch in seiner Untersuchung nicht über die reine Darstellung der Propaganda hinaus und bettet diese nicht in die aktuellen Debatten über die Konstruktion und „Erfindung“ von Nationen ein. 6 Auch unterlässt er es, die Propaganda in die Ergebnisse der historischen Stereotypenforschung, konkret die der deutsch-polnischen Selbst- und Feindbilder einzuordnen. 7 Stattdessen versucht er, eine möglichst genaue Darstellung der Inhalte der Propaganda zu liefern. Das geht soweit, dass bestimmte Propagandatopoi – wie etwa der Kriegs- und Wehrdienst – an mehreren Stellen thematisiert werden. Indes anstatt die Analyse klarer zu machen, erschweren dabei die Wiederholungen die Lesbarkeit des Buches.8 Leider kommen dafür andere Fragen, die sich angesichts der Werbematerialen stellen, zu kurz. So fehlt die Frage nach der Rolle von offenem oder latentem Antisemitismus in der Propaganda, ebenso die Frage nach dem Stellenwert und der besonderen Bedeutung des Wortes „Heimat“ und „heimattreu“ für die deutsche Werbung, um nur zwei Beispiele zu nennen. 9

Auch die Darstellung der Werbeargumentation ist in Teilen problematisch, versucht Grosch doch, der Propaganda gegenüberzustellen, wie es tatsächlich gewesen sei – eine löbliche Idee, jedoch bei der Komplexität der oberschlesischen Verhältnisse schwierig und in manchen Einzelfällen auch unbefriedigend durchgeführt. So vermischt sich in dem Abschnitt Kirche und nationales Polentum, welcher eigentlich die historische Entstehung der Verbindung von katholischer Religiosität und polnischen Nationalgefühls bzw. der nationalpolnischen Überzeugung vieler jüngerer oberschlesischer Geistlicher schildert, die historische Darstellung mit der Wiedergabe der Repräsentation dieser Tatsache in der polnischen und deutschen Propaganda. Die Formulierung dieses Abschnittes hinterlässt dadurch den Eindruck, als ob Grosch eine verzerrende Sichtweise der polnischen Propaganda nachweisen und weniger ihre Struktur analysieren wolle (S. 224ff.).

Dieser Eindruck wird auch an anderen Stellen erweckt: Durchgängig behält Waldemar Grosch trotz aller bemühter Unparteilichkeit eine deutsche Perspektive, worüber man an sich kein Wort verlieren müsste, wenn er es denn reflektieren würde. Deutlich wird dies z.B. daran, dass Grosch das persönliche Risiko polnisch gesinnter Aktivisten in Oberschlesien während der Abstimmungszeit deutlich niedriger einschätzt als das der deutsch gesinnten Oberschlesier, welches in deutlichem Widerspruch zu den von ihm aufgezählten polnischen Opfern der Abstimmungskämpfe steht. (S. 192, 199) Das mag u.a. daran liegen, dass Grosch sich an manchen Stellen auf Aussagen aus Vogels Untersuchung von 1931 verlässt, obwohl diese durch die zeitgenössische Sicht deutlich gefärbt und auch nicht immer anhand von Quellen nachvollziehbar sind. Auch bei der Beschreibung des Sprachenstreites in der Region Oberschlesien wird die deutlich deutsch geprägte Sichtweise Groschs erkennbar (S. 270ff.).

Eine getroffene Aussage muss hier besonders kritisiert werden. So schreibt Grosch, dass sich das „polarisierend“ wirkende Verhalten der polnisch gesinnten Geistlichen darin erweisen würde, dass sie später – unter nationalsozialistischer Herrschaft – von den Deutschen ermordet wurden, eine Beurteilung, die so auf keinen Fall stehen bleiben kann, da sie andeutet, dass die Geistlichen an ihrer Ermordung selbst schuld gewesen wären (S. 237). Zudem hat Grosch anscheinend sowohl die materialreiche Arbeit von Sarah Wambaugh 10 wie auch die neuere Untersuchung von T. Hunt Tooley 11 nicht zur Kenntnis genommen. Tooleys Arbeit hätte ihm – insbesondere was die deutsche Plebiszitorganisation angeht – viel Arbeit ersparen und in einigen Punkten auch zusätzliche Informationen und Anstöße liefern können. 12

Ausdrücklich positiv hervorzuheben ist, dass Waldemar Grosch die Ergebnisse der polnischen Forschung nicht nur kennt, sondern auch verwendet und sie so in Teilen über sein Buch auch HistorikerInnen vermittelt werden, die polnisch nicht lesen können. Ein weiterer Vorzug des Buches liegt in seiner großen Menge an Informationen über Werbematerialien, Medien und Titel, die in repräsentativer Fülle ausgewertet wurden. So ist es bei manchen Mängeln ein nützliches Buch, das die weitere Arbeit über das oberschlesische Plebiszit und die Zwischenkriegszeit in Oberschlesien erleichtern wird.

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu z.B. die Arbeiten von Philipp Ther: Die Grenzen des Nationalismus. Der Wandel von Identitäten in Oberschlesien von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1939, in: von Hirschhausen, Ulrike; Leonhard, Jörg (Hgg.), Nationalismen in Europa. West- und Osteuropa im Vergleich, Göttingen 2001, S. 322-340, bzw. Struve, Kai; Ther, Philipp (Hgg.), Die Grenzen der Nationen. Identitätenwandel in Oberschlesien in der Neuzeit (Tagungen zur Ostmitteleuropa-Forschung Band 15), Marburg 2002, besonders siehe Einleitung.
2 So z.B. die Darstellung des Oberschlesien-Referendums von Wambaugh, Sarah, Plebiscites since the World War, Washington 1933. Interessant und informativ, in vielen Fällen jedoch ohne den nötigen wissenschaftlichen Apparat auch die Arbeit von Richard Vogel, Deutsche Presse und Propaganda der Abstimmungskämpfe in Oberschlesien, Beuthen 1931, die aber, angesichts von Erscheinungsort und -zeit verständlicherweise stark von einer „deutschen Gesinnung“ geprägt ist.
3 Zielinski, Wladyslaw, Polska i niemiecka propaganda plebiscytowa na Górnym Slasku, Wroclaw 1972.
4 So der Autor in seiner Einleitung, S. 8.
5 Vgl. z.B. Ruchniewicz, Krzystof (Hg.), Dzieje slaska w XX w. w swietle badan mlodych historyków z Polski, Czech i Niemiec, Wroclaw 1998.
6 Vgl. aus der Menge der Literatur beispielhaft Langewiesche, Dieter, Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000.
Anderson, Benedict, Die Erfindung der Nation, Frankfurt 1988 und Hobsbawm, Eric; Ranger, T. (Hgg.), The Invention of Tradition, Cambridge 1983.
7 So hätte eine Analyse der Propaganda vor dem Hintergrund der bereits erzielten Ergebnisse z.B. zum Stereotyp der „polnischen Wirtschaft“ viel tiefer gehen können. Vgl. dazu Orlowski, Hubert, „Polnische Wirtschaft“. The History and Function of the Stereotype, in: Polish Western Affairs 1991, S.107-127 oder auch Golczewski, Frank, Das Deutschlandbild der Polen 1918-1939. Eine Untersuchung der Historiographie und der Publizistik, Düsseldorf 1974. Vgl. insgesamt zur Stereotypenforschung Hahn, Hans-Henning, Historische Stereotypenforschung. Methodische Überlegungen und empirische Befunde, Oldenburg 1995.
8 So wird der Kriegs- und Wehrdienst (als negatives Argument gegen das jeweils andere Land gerichtet) von Grosch sowohl im Unterkapitel „Krieg“ (S.206ff.) als auch unter „Zukunftsaussichten“ (S.220ff.) sowie unter „Der Oberschlesier als Kanonenfutter“ (S.279f.) behandelt.
9 Nur an einer Stelle (S.269) wird von Grosch ein antijüdischer Anklang in einer polnischen Publikation erwähnt, aber auch nicht weiter erläutert. Zum Phänomen von „Heimat“ vgl. die neue Arbeit von Blickle, Peter, Heimat. A Critical Theory of the German Idea of Homeland, Camden House 2002 oder die Untersuchung von Greverus, Ina-Maria, Der territoriale Mensch. Ein literaturanthropologischer Versuch zum Heimatphänomen, Frankfurt 1972 u.v.a.m.
10 Siehe Anm.2.
11 Hunt Tooley, T., National Identity and Weimar Germany. Upper Silesia and the Eastern Border 1918-1922, Lincoln 1997.
12 So z.B. über die Rolle von Karl Spiecker, dem geheimnisvollen Aktivisten zwischen Berliner Regierung und oberschlesischen Organisationen, siehe Tooley, National Identity, S.101ff., S.179 und S.231.

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