D. Wetzel: Origins of the Franco-Prussian War

Titel
A Duel of Giants. Bismarck, Napoleon III, and the Origins of the Franco-Prussian War


Autor(en)
Wetzel, David
Erschienen
Anzahl Seiten
244 S.
Preis
$ 24.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Wunsch, Köln

Die Frage, wie Kriege entstehen1 und wie sie enden2, gehört zu den klassischen Themen der Geschichtswissenschaft. Wird in der historischen Kriegsursachen- und Konfliktforschung sowie in der historischen Friedensforschung den Staatenkonflikten seit einigen Jahren insgesamt wieder breiterer Raum eingeräumt, so blieben der gut erforschte Kriegsausbruch vom Juli 18703 und die Frage der Kriegsschuld bislang von diesem Trend verschont. David Wetzel4, hervorgetreten u.a. mit einer Monographie zum Krimkrieg, legt nun mit dieser diplomatiegeschichtlichen Abhandlung über die Ursachen des Französisch-Preußischen Krieges die erste einschlägige, zusammenfassende Untersuchung seit vielen Jahren vor, sieht man von einigen Spezialstudien und Aufsätzen einmal ab. Das knapp gehaltene Werk ist chronologisch aufgebaut und will in fünf Kapiteln »a detailed view of the diplomacy that culminated in the outbreak of the Franco-Prussian War« (XII) bieten.

Unter dem Titel »A Bit about Personalities« bringt das erste Kapitel dem Leser die wichtigsten politischen Führungspersönlichkeiten Frankreichs und Preußens wie Bismarck, Wilhelm I., Napoleon III., Eugénie de Montijo, Émile Ollivier, den Herzog von Gramont näher und führt gleichzeitig in die politische Situation und die politische Stimmung ein, die die beiden Länder jeweils kennzeichnete. Bereits dieses Kapitel verdeutlicht, dass man das Buch von Wetzel auch als dezidiertes Plädoyer dafür lesen kann, die Rolle handelnder Persönlichkeiten in der internationalen Politik des 19. Jahrhunderts nicht zu unterschätzen. Wetzel verbirgt nicht, dass er von Bismarck und seinen »diplomatischen Fähigkeiten« fasziniert ist. Zudem wird deutlich, dass der Autor in Ollivier und Gramont zwei Hauptverantwortliche für den Kriegsausbruch erkennt. Im zweiten Kapitel zeigt Wetzel vor allem die kontinuierlichen Bemühungen Napoleons III. seit der Spanischen Revolution von 1868 auf, in die dortigen Verhältnisse zu intervenieren und die Nachfolge Isabellas II. in einem für Frankreich freundlichen Sinne zu regeln, um das Prestige und die Sicherheit und des von einer inneren Krise geschüttelten »Second Empire« zu sichern.

Während das dritte Kapitel der in der Forschung endlos und kontrovers debattierten Frage nach der Rolle, die Bismarck bei der Hohenzollern-Kandidatur spielte, und nach den Zielen, die er verfolgte, gewidmet ist, wendet sich Wetzel im vierten Kapitel detailliert der Julikrise des Jahres 1870 und den Verhandlungen in Bad Ems zu. Das fünfte Kapitel stellt unter dem Titel »The French Declaration of War« die Ereignisse vom 12. bis zum 15. Juli dar. Anders als etwa zuletzt Josef Becker5 sieht Wetzel Bismarck nicht als kriegstreibende Kraft an, der Paris mit der Thronkandidatur zu einem Krieg gegen Preußen habe provozieren wollen. Bismarck sei es nicht um einen »showdown«, vielmehr um einen »fait accompli« gegangen: Eine zügige Installierung Leopolds auf dem spanischen Thron sollte Frankreich derart überrumpeln, dass es gar nicht mehr zu den Waffen greifen konnte und zudem seine südliche Grenze militärisch sichern musste, während Preußen ungestört seine deutschlandpolitischen Ziele verfolgen mochte. Diese Fehlkalkulationen Bismarcks bieten nach Wetzel einen Schlüssel zum Verständnis der Julikrise, denn die Kandidatur wurde vor dem formalen Vollzug durch die Cortes bekannt und das Regime Napoleon III. schreckte, anders als erwartet, letztlich nicht vor einem Krieg zurück. Wetzel arbeitet sodann insbesondere die intensiven Bemühungen des französischen Außenministers Gramont heraus, nicht nur die Thronbesteigung Leopolds umgehend zu torpedieren, sondern Preußen überdies noch nachhaltig diplomatisch zu demütigen und einen doppelten französischen Prestigeerfolg einzufahren. Gramonts – und Olliviers – desaströser Konfrontationskurs, der die Krise entscheidend eskalieren ließ und in der Konsequenz zur »Emser Depesche« führte, habe Bismarck die Instrumente geliefert, mit denen er seinerseits schließlich den diplomatischen Triumph Frankreichs zu schmälern getrachtet habe. Die Entscheidung über Frieden oder Krieg lag, so Wetzel, letztlich in den Händen der französischen Führung. Sie fiel am Abend des 14. Juli mit der Entscheidung, die Reserven einzuberufen, »amid a mounting crescendo of public excitement« (S. 161), d.h. unter dem enormen Druck einer Öffentlichkeit, die – »and this in an age of almost pathological intensity of national feeling« (S. 159) – eine nationale Demütigung und Provokation empfand. Ein vermeidbarer Krieg: »In truth, the French rulers blundered into a war that was not unwelcome to them, and Bismarck, though taken by surprise, turned their blunder to his advantage« (S. 180). Masterpläne und von vornherein feststehende Absichten Bismarcks, Napoleon III. zum Krieg zu provozieren, gehören nach Wetzels Auffassung in den Bereich der Legendenbildung, an der Bismarck freilich in »Erinnerung und Gedanke« kräftig mitgestrickt habe.

Fazit: Man mag sich vielleicht nicht jeder Einschätzung Wetzels anschließen, man wird wohl auch nach diesem Buch Bismarcks Haltung weiter kritisch hinterfragen, doch wer sich in Zukunft mit dem Krieg von 1870/71 befasst, wird an der lesenswerten Studie kaum vorbeikommen. Es ist zu bedauern, dass der Autor die neuere Diskussion über den Strukturwandel des internationalen Systems in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und die Zerstörung des »Europäischen Konzerts« nicht aufgreift. Wetzel hat in deutschen, französischen, italienischen und englischen Archiven geforscht und berücksichtigt auch die Positionen Italiens und Großbritanniens. Abgerundet wird der Band durch eine umfassende kommentierte Bibliografie der veröffentlichten Quellen und der Forschungsliteratur sowie durch ein Namens- und Ortsregister. Eberhard Kolb hat in einer Besprechung des spannend geschriebenen Buches eine Übersetzung ins Deutsche angeregt – dem kann man nur zustimmen, denn das Werk verdient es in der Tat, einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert zu werden.

Anmerkungen:
1 Siehe etwa den anregenden Band: Wegner, Bernd; Hansen, Ernst Willi; Rehwinkel, Kerstin; Reiß, Matthias (Hgg.), Wie Kriege entstehen. Zum historischen Hintergrund von Staatenkonflikten (Krieg in der Geschichte 4), Paderborn 2000.
2 Wegner, Bernd; Hansen, Ernst Willi; Rehwinkel, Kerstin; Reiß, Matthias (Hgg.), Wie Kriege enden. Wege zum Frieden von der Antike bis zur Gegenwart (Krieg in der Geschichte 14), Paderborn 2002.
3 Grundlegend sind nach wie vor die Studien von Kolb, Eberhard: Der Kriegsausbruch 1870. Politische Entscheidungsprozesse und Verantwortlichkeiten in der Julikrise 1870, Göttingen 1970, ferner: Der Weg aus dem Krieg. Bismarcks Politik im Krieg und die Friedensanbahnung 1870/71, München 1989. Sehr lesenswert ist auch der Band des 1991 verstorbenen Carr, William: The Origins of the German Wars of Unification (Origins of Modern Wars), London 1991, sowie der Überblick von Baumgart, Winfried: Europäisches Konzert und nationale Bewegung. Internationale Beziehungen 1830–1878 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen 6), Paderborn 1999, S. 394ff.
4 Wetzel, David, The Crimean War. A Diplomatic History, Boulder 1985.
5 In mehreren Aufsätzen, zuletzt: Becker, Josef, Von Bismarcks »spanischer Diversion« zur »Emser Legende« des Reichsgründers, in: Burkhardt, Johannes; Becker, Josef; Förster, Stig; Kronenbitter, Günther, Lange und kurze Wege in den Ersten Weltkrieg, München 1996, S. 87–113; zudem: Bismarcks spanische »Diversion« 1870 und der preußisch-deutsche Reichsgründungskrieg. Quellen zur Vor- und Nachgeschichte der Hohenzollern-Kandidatur für den Thron in Madrid 1866–1932. In 3 Bd. hg. v. Josef Becker unter Mitarbeit v. Michael Schmid; Band I: Der Weg zum spanischen Thronangebot. Spätjahr 1866–4. April 1870, hg. v. Josef Becker unter Mitarbeit v. Michael Schmid, Paderborn 2003; Band II: Aus der Krise der kleindeutschen Nationalpolitik in die preußisch-französische Julikrise 1870. 5. April 1870–12. Juli 1870, hg. v. Josef Becker unter Mitarbeit v. Michael Schmid, Paderborn 2003.

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