K. Piepenbrink: Philosophie und Lebenswelt

Cover
Titel
Philosophie und Lebenswelt in der Antike.


Herausgeber
Piepenbrink, Karen
Erschienen
Anzahl Seiten
271 S.
Preis
€ 54,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Demandt, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Thales, der älteste der Philosophen, fiel in einen Brunnen, als er die Sterne beobachtete, und wurde von einer thrakischen Magd verspottet - von einer Frau, einer Sklavin, einer Barbarin! So erzählt Platon (Theaitetos 174 A). Dass er gleichwohl in der Praxis erfolgreich sein könne, erwies Thales durch den Aufkauf der Ölmühlen, nachdem er eine Rekordernte vorausgesehen hatte. Doch ging es ihm nicht um den Gewinn, sondern um den Beweis der Möglichkeit, ihn zu machen. So berichtet Aristoteles (Politik 1259 a 5). Ein wahrer Philosoph ergründet das Wesen der Dinge und kümmert sich nicht um die profane Utilität. Aus diesem Grunde verwarf noch Diocletian das Gesuch des Philosophen Polymnestos, so wie die Vertreter anderer Disziplinen Steuerfreiheit zu erhalten. "Dein Wunsch widerspricht deinem Beruf", schrieb der Kaiser. Wem es um Weisheit gehe, der sorge sich nicht um Geld. So lesen wir im Codex Justinianus (10,42,6).

Seit ältesten Zeiten ist das Verhältnis zwischen Philosophie und Praxis ein Problem. Stets wird hier ein Gegensatz gesehen, obschon doch vita contemplativa und vita activa beides Formen des Lebens sind, da ein Denker auch handeln, ein Handelnder auch denken muß. Eigentlich kann es nur darum gehen, inwieweit Philosophie auf die Lebensgestaltung überhaupt Einfluss nehmen kann, soll und will. Thales wird als politischer Ratgeber gerühmt. Er habe den Milesiern vom Bund mit Kroisos abgeraten und ihnen dadurch die Rache der Perser erspart. Aber seine Empfehlung an die Ionier, eine gemeinsame Regierung einzusetzen, schlug fehl, so dass sich Thales aus der Politik verabschiedete. Der politische Ehrgeiz der Philosophen zieht sich seither durch die Jahrhunderte. Am einprägsamsten hat hier Karl Marx mit seiner elften These über Feuerbach Stellung bezogen: "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kömmt darauf an, sie zu verändern". Den Erfolg dieses Programms haben wir erlebt, doch beweist dies nichts für seine Wünschbarkeit. Käme es nicht eher darauf an, die Welt vor ihren Veränderern zu bewahren?

Eine Tagung in Mannheim vom Mai 2001 zu diesem Thema legt nun ihr Ergebnis vor. Viele Aspekte kommen zur Sprache. Karen Piepenbrink (Mannheim) umreißt die Thematik und verortet sie in der Forschungslandschaft. Jochen Martin (Freiburg) skizziert die sozialen Voraussetzungen vorsokratischer Denker, zumal deren seit Heraklit beliebten Dualismus. Spiegelt er die gesellschaftlichen Konflikte? Peter Spahn (Berlin) präsentiert das Verhältnis der Sophisten zur Ökonomie, bestimmt durch das Geldwesen. Kai Trampedach (Konstanz) behandelt Platons Zweiteilung der Mantik in eine natürliche und eine künstliche, die Cicero aufgreift. Aloys Winterling (Freiburg) interpretiert Aristoteles' Politik in Luhmannschen Kategorien. Matthias Haake (Münster) demontiert und disqualifiziert den Begriff "Fürstenspiegel" literaturtheoretisch, aus dem er die peri basileias-Literatur ausgliedert, ausgezeichnet durch ihre enorme "diskursive Wirkmächtigkeit".

Hans-Jürgen Horn (Mannheim) schildert die Taten des Athenion, der sich vom peripatetischen Philosophen zum brutalen Tyrann gewandelt und Athen 88 v.Chr. mehrere Monate drangsaliert hat. Klaus Bringmann (Frankfurt) beschreibt den Einzug der Philosophie ins spätrepublikanische Rom. Für dieselbe Zeit würdigt Ulrich Gotter (Münster) philosophische Argumente in der lateinischen Redekunst, die üblicherweise das exemplum höher schätzte. Bei John Moles (Newcastle) geht es um die Königsreden des Dion von Prusa vor Trajan, die das Beispiel von Diogenes und Alexander nutzen, bei Peter Scholz (Frankfurt) um jenen Diogenes, der unter Hadrian seine Version der Lehre Epikurs der Mit- und Nachwelt auf einer 6000 Wörter langen (ursprünglich 25 000!) Inschrift an der Markthalle des lykischen Oinoanda verkündete, um ihnen Seelenfrieden und Gemütsruhe zu vermitteln - eine originelle Form der munizipalen Euergesie.

Die einzelnen Beiträge sind sehr ungleich lang (zwischen 10 und 56 Seiten, zwischen 18 und 232 Fußnoten), teils lehrreich, teils abgehoben, stets durch Quellen- und Literaturangaben ergänzt. Die Zusammenstellung der Themen lässt keine Systematik erkennen, sondern erklärt sich wohl aus dem zufällig verfügbaren Angebot der Redner. So fehlen übergreifende Fragestellungen der Art wie sich die Philosophenschulen in ihrem Praxisbezug unterscheiden, welche Praxisbereiche im Blick lagen, wie sich öffentliche (politische) und private (psychologische) Wirkabsicht verteilten, wie Philosophen von Nichtphilosophen gesehen wurden, wo die Philosophie im Berufsbild steht usw. Der Philosophenkaiser Marc Aurel kommt dreimal am Rande vor, sein Nachahmer Julian überhaupt nicht. Ein üppiges Literaturverzeichnis und ein mageres Register beschließen den Band, doch fehlt ein Hinweis auf die Sittengeschichte von Ludwig Friedländer, dessen XIV. Kapitel das Beste bietet, was zum "Sitz im Leben" der Philosophie im alte Rom geschrieben wurde.

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