Cover
Titel
Paulus. Leben und Denken


Autor(en)
Schnelle, Udo
Reihe
de Gruyter Lehrbuch
Erschienen
Berlin 2003: de Gruyter
Anzahl Seiten
765 S.
Preis
€ 39,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Paul Metzger, Fachbereich Evangelische Theologie, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Udo Schnelle legt mit "Paulus. Leben und Denken" ein Lehrbuch vor, das den aktuellen Forschungsstand zu Paulus in einer didaktisch sinnvoll aufgebauten Weise zusammenfasst und wiedergibt. In das Buch führt ein Prolog ein, der die geschichtstheoretischen Grundlagen präsentiert, denen es folgt. Dezidiert verweist Schnelle darauf, dass es keine "objektive" Geschichtsschreibung geben kann, weil das Subjekt der Geschichtsschreibung immer schon an bestimmte Verstehensvoraussetzungen gebunden ist. Insofern erhebt er lediglich den Anspruch, mit seiner Paulusdeutung eine plausible und angemessene Interpretation des Lebens und Denkens des Paulus vorzulegen. Der Apostel wird dabei als "Reiseexistenz" (S. 1) aufgefasst, die mehrere Kulturkreise und Vorstellungswelten verbindet und daraus eine neue, ihrerseits anschlussfähige Deutung der Lebenserfahrung der ersten Christen kreiere. Nach Schnelle liegt gerade in dieser Anschlussfähigkeit der paulinischen Theologie ihre eigentliche Stärke (S. 13).

Da die Monographie als Lehrbuch konzipiert ist, können sowohl einzelne Partien für sich wie auch das ganze als Überblick gelesen werden. Weil bei Paulus sich nach Schnelle Theologie und Biografie "zu einer spannungsvollen Einheit" (S. 9) verbinden, ist eine Darstellung des Apostels zunächst chronologisch anzugehen (S. 18). So wendet er sich dagegen, einen Überblick zur paulinischen Theologie so zu gestalten, dass ein Brief, zumeist der Römerbrief, als grundlegendes Dokument betrachtet wird, von dem aus die gesamte Theologie zu entwerfen ist.1 Schnelle gestaltet daher in einem ersten Hauptteil eine an den Protopaulinen orientierte Biografie des Lebens Pauli: "der Lebens- und Denkweg".

Dieses Vorgehen zwingt den Autor dazu, die echt paulinischen Briefe von den deuteropaulinischen Schreiben zu unterscheiden und die Reihenfolge der genuinen Paulusbriefe festzustellen. Damit führen die Grundentscheidungen des Aufbaus dieser Paulusdarstellung bereits in erste Problemfelder hinein, die die spätere inhaltliche Auseinandersetzung beeinflussen. Insbesondere ist hier auf die umstrittene Datierung und Platzierung des Philipper- und des Philemonbriefes zu verweisen. Für Schnelle sind die beiden Briefe die letzten authentischen Zeugnisse von Paulus aus seiner Gefangenschaft in Rom.2 Da diese Datierung und Lokalisierung aber offensichtlich nicht konsensfähig ist,3 ist die Beschreibung des Lebensweges des Apostels mit Schwierigkeiten behaftet. Bereits hier wird wohltuend deutlich, dass jede Paulusdarstellung eine subjektive Interpretation sein muss, was Schnelle in seinen Vorüberlegungen (S. 19) bereitwillig eingesteht: "Geschichte ist immer ein Interpretationsmodell" (S. 477).

Neben dem biografischen Aufriss benennt Schnelle als weitere Kriterien seiner Darstellung:
- die Unterscheidung zwischen Grundgedanken der paulinischen Theologie und Wandlungen in verschiedenen Bereichen, also "durch Textvergleiche nachweisbare Veränderungen" (S. 20),
- die Würdigung der historischen Situation, in der Paulus seine verschiedenen Briefe schreibt (S. 21),
- die Beachtung der Geschichte des frühen Christentums und der Paulusschule (S. 22),4
- die Beachtung der paulinischen Deutemuster (S. 23) sowie sämtlicher Lebensäußerungen der frühen Christen (S. 24),
- das Verstehen der paulinischen Theologie als historischer Sinnbildung (S. 25).

Erst wenn der geschichtliche Aufriss die paulinischen Briefe in ihrem je eigenen Horizont interpretiert und verstanden hat, kann laut Schnelle eine Gesamtschau erfolgen, die Grundlinien des paulinischen Denkens aufzeigt. Diese Gesamtschau bildet den 2. Hauptteil, der einzelne Themen der paulinischen Theologie in ihrer Komplexität vorführt.

Zunächst soll aber der Lebensweg des Apostels verfolgt werden. Schnelle beginnt die eigentliche Paulusdarstellung mit einer Übersicht über die Quellen, die über den Apostel berichten, und rekonstruiert daraus die paulinische Chronologie. Paulus wird dabei als "ein privilegierter Diasporajude" (S. 44) vorgestellt, der wahrscheinlich das römische Bürgerrecht besaß (S. 46) und als freier Handwerker zur unteren Mittelschicht der antiken Gesellschaft gerechnet werden muss (S. 47). Ob Paulus in Jerusalem "ein Torastudium unter Gamaliel absolviert" hat, ist nicht zu klären (S. 55). Trotzdem ist ein alttestamentlich-jüdischer Hintergrund des paulinischen Denkens deutlich aufzuweisen (S. 56ff.). Als Konstante seines gedanklichen Horizontes ist somit vor allem der Monotheismus aufzufassen: "Gott ist das unhinterfragbare und zugleich alles bestimmende Axiom paulinischer Theologie, ihr weltanschaulicher Ausgangspunkt" (S. 441). Weitere Einsichten, die Paulus aus dem jüdischen Glauben gewinnt, betreffen die Anthropologie, die Gerichts-, Sünden- und die Auferstehungsvorstellung. Zugleich betont Schnelle den griechisch-hellenistischen Hintergrund der paulinischen Theologie (S. 62ff.). Aufgrund seiner Lebensgeschichte und der Begegnung mit der griechischen Welt (etwa mit Wanderphilosophen), soll Paulus zum Ausdruck seiner Überzeugungen hellenistische Formen gewählt haben: die Form der Argumentation (Diatribe), die Peristasenkatologe, die rhetorische Qualität seiner Briefe; dies seien Zeugnisse des hellenistischen Hintergrundes.

Da aber lediglich das Freiheitsverständnis und die Gewissensthematik für Schnelle deutliche Verbindungen zum paganen Denken erkennen lassen, ist doch deutlich, dass das paulinische Denken vor allem vom jüdischen Denkhorizont bestimmt ist. Dieses Übergewicht zu registrieren, heißt Paulus vor allem auf dem Hintergrund des Diasporajudentums zu begreifen, nicht primär vor einem hellenistischen Hintergrund, den Schnelle sehr gründlich ausleuchtet. Treffend formuliert Schnelle, Paulus sei "nicht unbeeinflusst von der Bildung und dem Geist seiner Zeit" (S. 69), maßgeblich geprägt war er davon anscheinend nicht. Deshalb erstaunt den Leser, dass Schnelle vor allem Analogien aus der hellenistischen Umwelt heranzieht, um Gedankengänge des Paulus zu interpretieren. Schließlich verwundert, dass Paulus in gleichem Maße von drei Überlieferungssträngen geprägt sein soll, die Schnelle wie folgt aufweist: "1) das Alte Testament; 2) das hellenistische Judentum und 3) die popular-philosophischen Traditionen des griechisch-römischen Hellenismus" (S. 70). Gerade die zuvor von Schnelle selbst gemachte Beobachtung, dass die zentralen Themen der paulinischen Theologie vom jüdischen Denken seiner Zeit geprägt und z.T. vorgegeben sind (Gesetz), lässt diese Gewichtung als leicht unausgewogen erscheinen.

Im Durchgang der einzelnen Briefe fällt auf, dass Schnelle sehr gewissenhaft darauf bedacht ist, diese für sich zu Wort kommen zu lassen und nicht spätere Vorstellungen oder Einsichten der paulinischen Theologie als Hintergrund der frühen Briefe zu lesen. So legt Schnelle die Briefe "in der Begrenzung auf den konkreten historischen Ort" (S. 250) aus, was insbesondere für die Rechtfertigungslehre des Apostels Konsequenzen hat. Besonders deutlich wird dies in der Behandlung des 1.Kor. Obwohl 1.Kor. 15,56 mit den unvermittelt begegnenden Stichworten "Sünde" und "Gesetz" spezifisches Vokabular der Rechtfertigungslehre bietet,5 verneint Schnelle, dass "Paulus die in sich differente Rechtfertigungslehre des Galater- und Römerbriefes bereits zur Zeit der Abfassung des 1.Korintherbriefes vertrat […]" (S. 247f.).6 Dagegen sei "die Kreuzes- und Rechtfertigungslehre des 1.Korintherbriefes […] für sich zu lesen, ohne die Grundgedanken anderer Konzeptionen einzutragen" (S. 249). Allerdings gesteht Schnelle zu, dass es sich bei den Anschauungen des 1.Kor. zumindest um eine "inklusive" Form der Rechtfertigungslehre handelt, die sich "nach innen, auf das neue Sein des Getauften richtet."7 Die "exklusive", sich nach außen richtende Rechtfertigungslehre sei dagegen "eine neue Antwort auf eine neue Situation" (S. 326).

Damit stellt sich Schnelle in die Tradition der Ausleger, die in der Rechtfertigungslehre nicht den Kerngedanken der paulinischen Theologie, sondern eine späte, durch äußere Faktoren bedingte Entwicklung erkennen.8 Zugleich kann er nicht mehr eine Verbindung zwischen 1.Kor. 15,56 und dem Gal.- bzw. Röm. dergestalt herstellen, dass die beiden späteren Briefe lediglich ausführen, was im Kor. nur angezeigt ist.9 Meines Erachtens ist es plausibel, in der Rechtfertigungslehre eine situativ bedingte Ausformulierung eines Tatbestandes zu sehen, der im Kern durch die Berufung/Bekehrung Pauli angelegt ist. Dass für den Verfolger Paulus der Grund, weshalb er verfolgte, nämlich das Gesetz, dann zum Problem wird, wenn er sich denjenigen anschließt, die er um des Gesetzes willen verfolgt, scheint mir wahrscheinlich.10 Dem dürfte auch Schnelle zustimmen, wenn er schreibt, dass Paulus "vor die Aufgabe gestellt (wurde), vom Christusgeschehen her die Welt- und Heilsgeschichte, seine eigene Rolle darin, sowie Gottes vergangenes, gegenwärtiges und zukünftiges Handeln neu zu interpretieren" (S. 437).11 Damit wäre es doch seltsam und historisch nicht wahrscheinlich zu machen, dass Paulus seine neue Weltsicht entwickelt hätte, ohne dabei über das Gesetz nachzudenken. Dies heißt aber wiederum nicht, dass er das Problem des Gesetzes bereits in den Bahnen durchdenkt, die im Gal. oder Röm. zu greifen sind. Deshalb scheint es mir plausibel, dass Paulus gerade dann die Rechtfertigungslehre explizit entwirft, wenn er dazu herausgefordert ist, ohne dass dies einen neuen "Erkenntniszuwachs" (S. 327) bedeuten muss.12

Zu Recht verzichtet Schnelle im Durchgang der Briefe darauf, die einzelnen Aussagen des Paulus zu Gunsten eines einheitlichen Systems der paulinischen Theologie in Einklang miteinander zu bringen. Gleichfalls unternimmt er nicht den Versuch, die paulinische Theologie als geschlossenes System erweisen zu wollen, sondern konstatiert gewissenhaft, dass gewisse Aporien (etwa im Bereich der Eschatologie) von Paulus selbst nicht gelöst werden (S. 390; S. 438f.). Trotzdem weist Schnelle Konstanten des paulinischen Denkens auf, die er im zweiten Hauptteil angeht. Dabei widmet er sich der Theologie, der Christologie, der Soteriologie, der Pneumatologie, der Anthropologie, der Ethik, der Ekklesiologie und der Eschatologie. Da die Tradition, in die Schnelle sich selbst einreiht (Schweitzer), bereits deutlich geworden ist, überrascht es nicht, dass er die "Basis und das Zentrum des paulinischen Denkens" (S. 438) in der Heilsgegenwart Gottes in Christus erkennt. Vom Erlebnis der Offenbarung Christi entwickelt Paulus nach Schnelle eine Deutung der Wirklichkeit, die er als "endzeitliches Szenario (begreift), dessen Grundlage Gottes Heilswille, dessen Eckpunkte Auferstehung und Parusie Jesu Christi, dessen bestimmende Kraft der Heilige Geist, dessen gegenwärtiges Ziel die Teilhabe der Glaubenden am neuen Sein und dessen Endpunkt die Verwandlung der pneumatischen Existenz bei Gott war" (S. 437). Als grundlegende Konstante der paulinischen Briefe erkennt Schnelle also nicht die Rechtfertigungslehre, sondern das Sein in/mit Christus (vgl. 1.Thess. 4,17): "der Transformations- und Partizipationsgedanke (ist) die durchgängige Grundlage des paulinischen Denkens" (S. 439; vgl. S. 463-465).13

Dieser Gedanke, der in der Christologie und Soteriologie verankert ist, verändert bei Paulus schließlich die Theologie: "Paulus verkündigt einen christologischen Monotheimus" (S. 441). Grundlage der Christologie ihrerseits ist aber, wie Gott an und in Christus handelt (S. 444). Zugleich zeigt sich der theozentrische Zug der paulinischen Theologie daran, dass Gott nicht nur an Christus, sondern auch durch die Erscheinungen Christi an denjenigen handelt, die diese Erscheinungen erleben: "Diese Offenbarung vollzieht sich als ein die menschliche Erfahrungswelt erfassendes und zugleich überschreitendes Geschehen in Raum und Zeit und verändert ihre Empfänger grundlegend" (S. 468). Das Erlebnis der Offenbarung transformiert deren Empfänger und befreit sie zur Freiheit der Teilhabe am neuen Sein in Christus (S. 619). So ist das grundlegende Bekenntnis der ersten Christen, dass Jesus Christus gestorben und auferweckt wurde, "zuallererst eine Aussage über Gott selbst" (S. 479), über Gott, den Handelnden.

Daneben bestimmt Schnelle die Kreuzestheologie als "die Mitte der paulinischen Sinnwelt" (S. 491). Paulus wehrt sich dagegen, das Kreuz von der Auferstehung her zu nivellieren, da nur am Kreuz sich Gott als der Gott erweist, "der gerade in der Verlorenheit und Nichtigkeit Retter der Menschen sein will" (S. 492). Christus selbst wird dabei im Gefolge G. Streckers 14 als "Retter vor dem kommenden Zorn Gottes und Befreier von der Macht des Todes" (S. 492) angesehen. Als Befreite finden sich die Christen "in der Gemeinschaft der Glaubenden" (S. 645) zusammen, die für Paulus den Anspruch erfüllen muss, der Sünde keinen Raum zu geben (S. 661ff.).

Besonders deutlich wird die Teilhabe am Sein Christi als ein Moment des Trostes dort von Paulus ins Spiel gebracht, wo die Frage nach dem Schicksal der Toten virulent wird (vgl. 1.Thess. 4,13-18). Da die Christen durch die Taufe mit Christus gestorben sind, werden sie gleichgestaltig mit ihm auch durch ihn leben. "Die Gewissheit dieser Zukunft bestimmt die Gegenwart" (S. 668). Christus wird in dieser Perspektive zum "Modell der Auferstehung" (S. 668). Als Getaufte resultiert daraus für die Christen ein neues Verständnis ihrer selbst in der Welt und in der Zeit, was Schnelle mit dem Stichwort der "eschatologische(n) Existenz" kennzeichnet (S. 670f.).

Im Überblick ist dem Buch von Schnelle ein hoher Nutzwert zu attestieren. Als Lehrbuch, das die eigene Position in wünschenswerter Klarheit und ohne polemische Ausfälle vorträgt, eignet es sich dazu, dem Studienanfänger einen Überblick zu vermitteln, dem Examenskandidaten ein Kompendium zu sein und dem Fachkollegen eine nüchterne Darstellung der eigenen Forschung zu vermitteln. Wegen des nüchternen und sehr wissenschaftlich-umsichtigen Charakters des Buches wäre es dem interessierten Laien aber ob des Umfangs und der griechischen Termini wohl zu viel des Guten zugemutet, es ihm zu empfehlen. Verwundert registriert man allerdings gerade ob der sonstigen Klarheit Überschriften wie: "Ein Vulkan beginnt zu brodeln" oder "Der Vulkan bricht aus", welche eine gewisse Sympathie wecken.15

Anmerkungen:
1 Gegen z.B. Dunn, J. D. G., The Theology of Paul the Apostle, Grand Rapids 1998.
2 Gegen z.B. Müller, U. B., Der Brief aus Ephesus. Zeitliche Plazierung und theologische Einordnung des Philipperbriefes im Rahmen der Paulusbriefe, in: Das Urchristentum in seiner literarischen Geschichte, Festschrift für Jürgen Becker zum 65. Geburtstag (BZNW 100), Mell, Ulrich; Müller, Ulrich B. (Hgg.), Berlin 1999, 162; Omerzu, H., Der Prozeß des Paulus. Eine exegetische und rechtshistorische Untersuchung der Apostelgeschichte (BZNW 115), Berlin 2002, S. 324-328.
3 Vgl. zur Übersicht Broer, I., Einleitung in das Neue Testament II. Die Briefliteratur, die Offenbarung des Johannes und die Bildung des Kanons, Die Neue Echter Bibel (Ergänzungsband 2/II zum Neuen Testament), Würzburg 2001, S. 386ff.
4 Fraglich bleiben dabei einzelne Ansätze. So dürfte der folgende Grundsatz schwierig sein: "Was die Schüler (des Paulus) rezipierten, dürfte auch für Paulus zentral und wichtig gewesen sein" (S. 23). Ist es nicht denkbar, dass die Schüler des Paulus, wobei Schnelle vor allem an die Deuteropaulinen und die Acta denkt, gezwungen sind, andere Akzente als Paulus zu setzen? Eine neue Zeit bringt neue Entwicklungen und neue Fragen. Ist der Rückschluss deshalb nicht vorsichtiger zu ziehen, als der obige Grundsatz formuliert? Weiter ist nach der Paulusschule zu fragen, die Schnelle voraussetzt. Zu beachten ist hierbei, dass Schnelle den Begriff nicht zu eng und nicht in strenger Analogie zu anderen Schulformen der Antike fasst (S. 147ff.). So wehrt er sich mit zum Teil beachtlichen Argumenten gegen die Untersuchung von Schmeller, Th., Schulen im Neuen Testament? Zur Stellung des Urchristentums in der Bildungswelt seiner Zeit, mit einem Beitrag von C. Cebulj zur Johanneischen Schule (HBS 30), Freibug 2001, der den Vergleich zwischen einer u.a. von Schnelle, U. Einleitung in das Neue Testament, 4. Aufl., Göttingen 2002, S. 45ff., erneut in die Diskussion eingebrachten Paulusschule und antiken Philosophenschulen durchführt und dabei zu dem Ergebnis kommt: "Von einer Paulusschule zu Lebzeiten des Paulus ist nur mit großen Vorbehalten zu sprechen." (Schmeller, Schulen, 182). Im Rahmen dieser Diskussion scheint mir zumindest unstrittig, dass der zweite Thessalonicherbrief nicht zu den Dokumenten einer wie auch immer gefassten Paulusschule gehören kann. Wenn innerhalb der Paulusschule "apokalyptische Motive in der Christologie … an Gewicht" (S. 151) verlieren, dürfte der 2.Thess. aus dem "Nachlass" (S. 151) der Paulusschule ausscheiden, da in ihm gerade die apokalyptischen Passagen (2.Thess. 1,4-10; 2,1-12) den Ton tragen; vgl. Müller, P., Anfänge der Paulusschule. Dargestellt am zweiten Thessalonicherbrief und am Kolosserbrief (AThANT 74), Zürich 1988, S. 276, der bezüglich des 2.Thess. feststellt, dass die Christologie "auf ein apokalyptisches Geschehen (reduziert) und in die Eschatologie integriert" wird. A. Lindemann kommt deshalb in seiner Rezension der Studie von Müller (ThLZ 114, 1989, 365) zu dem Fazit: "Eher könnte man eigentlich den Schluß ziehen, daß es sinnvoll wäre, vom Begriff 'Paulusschule' endgültig Abschied zu nehmen ..." Dem zustimmend zieht Schmeller, Schulen, S. 253, als Fazit seiner Untersuchung des 2.Thess. den Schluss: "In 2.Thess. versucht ein unbekannter Autor, durch die unpaulinische Bearbeitung eines einzelnen Paulusbriefs Einfluß auf eine konkrete, lokal und theologisch beschränkte Gemeindeentwicklung zu nehmen. Der Brief ist nicht im Rahmen einer irgendwie schulartigen Bemühung um die Bewahrung und Entwicklung paulinischer Theologie entstanden."
5 Vgl. Horn, F. W., 1.Korinther 15,56 - ein exegetischer Stachel, in: ZNW 82 (1991), S. 88-105, der den Vers als Glosse ansieht. Dagegen sprechen sich Lindemann, A., Der Erste Korintherbrief (HNT 9,1), Tübingen 2000, S. 371; Wolff, C., Der erste Brief des Paulus an die Korinther (ThHNT 7), Leipzig 1996, S. 418, aus.
6 Anders beurteilt Hengel, M., Paulus und die frühjüdische Apokalyptik, in: Kleine Schriften III (WUNT 141), Tübingen 2002, S. 374, den Vers: "Der chiastisch formulierte V.56 zeigt … gegenüber den Behauptungen der Streckerschule, daß Paulus schon in Korinth die Kenntnis seiner Rechtfertigungslehre mit dem Zusammenhang von Gesetz, Sünde und Tod, d.h. die Rechtfertigung des Sünders, ohne weiteres voraussetzt, andernfalls würde dieser Zusatz für die Empfänger völlig unverständlich."
7 Es drängt sich bei dieser Argumentation die Frage auf, ob "die inklusive Rechtfertigungslehre" nicht doch die Grundgedanken der Rechtfertigungslehre des Gal. oder Röm. "in anderer Form" (S. 249) präsentiert; vgl. Lohse, E., Paulus. Eine Biographie, München 1996, S. 213f.
8 Zu nennen sind hier vor allem Schweitzer, A., Die Mystik des Apostels Paulus, 2. Aufl., Tübingen 1954, S. 216ff.; Strecker, G., Befreiung und Rechtfertigung. Zur Stellung der Rechtfertigungslehre in der Theologie des Paulus, in: ders., Eschaton und Historie. Aufsätze, Göttingen 1979, S. 237.
9 So aber Lindemann (wie Anm. 5), S. 371; Wolff (wie Anm. 5), S. 418; Hengel (wie Anm. 6), S. 374; Lohse (wie Anm. 7), S. 213f.
10 Gerade weil das Gesetz bzw. der Eifer um das Gesetz (Phil 3,6) Paulus antreibt, scheint es zweifelhaft, dass er "das Gesetz/die Thora als Adiaphoron" (S. 326) behandelte. So räumt Schnelle ein, dass die Offenbarung des Verfluchten (Dtn 21,22f; Gal 3,13) des "theologische(n) Koordinatensystem(s)" (S. 487) darstellt, das Paulus vor seiner Bekehrung akzeptiert. Damit gehört zu diesem "Koordinationsystem" aber doch das Gesetz als fundamentaler "Achse", da es den Grund der Verfolgungen darstellt; vgl. Theißen, G., Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, 2. Aufl., Gütersloh 2000, S. 298.
11 Vgl. Sanders, E. P., Paulus. Eine Einführung, Stuttgart 1995, S. 130, der die Christusoffenbarung als den Beginn und die Ursache der Probleme sieht, die Paulus bezüglich des Gesetzes durchdenken muss.
12 Plausibel erscheint mir in dieser Frage die Position von Theißen (wie Anm. 10), S. 298: "Wer vom Gesetz motiviert andere verfolgt, sich aber dann zu den Verfolgten bekehrt, dem muss das Gesetz mit seiner Bekehrung von Anfang an problematisch gewesen sein." Dass Paulus selbst allerdings bereits in vorchristlicher Zeit Probleme mit dem Gesetz gehabt habe, wie Theißen (S. 295f.), annimmt, ist dabei nicht notwendiger Weise mitgedacht; vgl. Phil 3,6f und Sanders (wie Anm. 11), S. 131: "Wir können ohne weiteres annehmen, daß er [Paulus] in der Liebe zum Gesetz aufgewachsen war und es für Gottes großes Geschenk an Israel hielt."; vgl. Stendahl, K., The Apostle Paul and Introperspective Conscience of the West, in: HThR 56 (1963), S. 199-215.
13 Zutreffend ist der Partizipationsgedanke vor allem hinsichtlich der Taufe und der Eschatologie (S. 669).
14 Vgl. Strecker, G., Theologie des Neuen Testaments, bearbeitet, erg. u. hrsg. v. F. W. Horn, Berlin 1996, S. 124ff.
15 Zu notieren ist noch das Versehen, dass der Aufsatz von Omerzu, H., Das Schweigen des Lukas. Überlegungen zum offenen Ende der Apostelgeschichte, in: Horn, F. W. (Hg.), Das Ende des Paulus (BZWN 106), Berlin 2001, S. 128-144 (darauf verwiesen wird auf S. 399) im Literaturverzeichnis nicht aufgenommen ist.

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