Cover
Titel
Gutes Deutsch. Stil nach allen Regeln der Kunst


Autor(en)
Sanders, Willy
Erschienen
München 2002: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
190 S.
Preis
€ 9,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan-Holger Kirsch, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

„Werdegang des Schreibenden: Im Anfang ist man’s ungewohnt, und es geht darum wie geschmiert. Aber dann wird’s schwerer und immer schwerer, und wenn man erst in die Übung kommt, dann wird man mit manch einem Satz nicht fertig.“ (Karl Kraus)

Dass dieses Buch für „H-Soz-u-Kult“ rezensiert wird, erfordert eine kurze Begründung – denn es ist kein wissenschaftliches Buch, und es hat keinen historischen Inhalt. Trotzdem sollten Historikerinnen und Historiker es lesen. Joachim Fest hat vor kurzem wieder einmal beklagt, dass die heutigen Geschichtsforscher „nicht mehr schreiben“ könnten. Sie hätten „aus der Geschichte eine Mengenlehre gemacht“ und die Kunst der Darstellung vernachlässigt. „Ein großes historisches Buch“, so Fest, „verlangt nichts wesentlich anderes als ein großer Roman. Romanciers und Historiker folgen den gleichen Gesetzen.“1 Nun ist die Kritik an der mangelnden Formulierungskraft von Historikern alles andere als neu,2 und Fests Polemik gegen die historische Sozialwissenschaft ist auch nicht mehr originell. Zudem ist es fragwürdig, Schriftsteller und Historiker auf eine Stufe zu stellen, ohne die methodischen Unterschiede zu erwähnen. Berechtigt ist andererseits der Hinweis, dass die Art der Darstellung ein wesentliches, mehr als nur formales Element der geschichtswissenschaftlichen Arbeit ist. Selbst der akribische Holocaust-Forscher Raul Hilberg, bei dem man dies nicht unbedingt vermuten würde, hat sein Werk mit den Kompositionen Beethovens verglichen: Im Bemühen um Symmetrien und Spannungsbögen sowie in der Variation von Themen und Tempi gebe es Analogien.3

Auch unabhängig von den spezifischen Problemen, die sich bei historiographischen Darstellungen des Holocaust ergeben, verdient die „Kunst des professionellen Schreibens“4 besondere Aufmerksamkeit. Die wissenschaftliche Textproduktion umfasst mehrere, eng ineinandergreifende Ebenen: die allgemeine Arbeitsorganisation, das Entwickeln einer Fragestellung, das Ermitteln und Beschaffen von Quellen und Literatur, die Interpretation des Materials, die Revision anfänglicher Hypothesen und noch einiges mehr. An vielen Universitäten existieren inzwischen Schreibwerkstätten, die Anfänger und Fortgeschrittene unterstützen, und auch in Buchform liegen nützliche Ratgeber vor.5 Was dort etwas zu kurz kommt, sind Fragen des Stils. Für diesen Bereich gibt Willy Sanders, ein emeritierter Sprach- und Linguistikprofessor der Universität Bern, nun anregende Hinweise. Er beschränkt sich nicht auf wissenschaftliche Anforderungen, sondern vertritt ein umfassenderes Stilverständnis: Guter Stil sei „die im Sinne unserer Aussageabsicht wirksame, in der Ausdrucksform ebenso angemessene wie attraktive und in ihrer ganzen Art charakteristische Handhabung aller Sprachmöglichkeiten“ (S. 26).

Damit ist gemeint, dass die Wahl eines Stilregisters und einzelner Stilelemente von der jeweiligen Kommunikationssituation abhängt. Der Stil entziehe sich „einer Beurteilung durch die Duden-Brille richtiger oder falscher Sprachverwendung“ (S. 32); Es komme vielmehr auf Nuancierungen an. Sanders argumentiert gegen die Praxis der meisten Stilratgeber, einzelne Wörter und Satzteile in Form von Negativlisten zusammenzustellen, ohne den Verwendungskontext zu beachten. Er betont stattdessen „die Wechselwirkung zwischen der globalen Textorganisation und den sie konstituierenden Einzelelementen“ (S. 37). Stil beginne bereits vor dem eigentlichen Schreiben, nämlich auf der Ebene eines „makrostilistischen Ausführungsplans“ (S. 38). Jeder Text – vor allem ein längerer – erfordere Grundentscheidungen zugunsten einer bestimmten „Tonart“, einer „Stilatmosphäre“, die bei der detaillierteren Ausführung möglichst durchzuhalten sei (S. 44-49). Ähnlich wie Hilberg sieht Sanders also eine Affinität des Schreibens zum Komponieren. Hier wie dort seien „gelegentliche Abweichungen“ sinnvoll, ohne freilich in „allzu mutwillige Kapriolen“ zu verfallen (S. 53). Dem Anfang und dem Schluss eines Textes komme wie bei einem Musikstück besondere gestalterische Bedeutung zu.

Nach diesen Betrachtungen zum übergreifenden Textzusammenhang widmet sich Sanders der Syntax. Neben den Konjunktionen und der Satzstellung verdienten auch die Satzzeichen Aufmerksamkeit. Mit Recht rehabilitiert Sanders das Semikolon, den Gedankenstrich und den Doppelpunkt – wichtige Signalgeber, die oft vernachlässigt werden (S. 62-65). Im Gegensatz zu anderen Autoren plädiert Sanders nicht generell für kurze Sätze; Es komme vor allem auf inhaltliche Klarheit an. Er zitiert Kleist, Lichtenberg und Thomas Mann, um vorzuführen, wie formschön und verständlich längere Satzperioden sein können (S. 77, S. 80 f.). „Der deutsche Langsatz“, meint Sanders (S. 78), „wird nur dann zu Recht schlecht gemacht, wenn er nicht gut gemacht ist.“ (Hier stolpert man über die unselige neue Rechtschreibung – es müsste eigentlich „schlechtgemacht“ heißen.) Der Satzbau auch der Schriftsprache müsse sich an der Atmung orientieren, damit ein leserfreundlicher Text herauskomme (S. 84 f.). In der Tat ist es sinnvoll, sich Selbstgeschriebenes halblaut vorzulesen, um die Sprachmelodie beurteilen zu können.6

Ein anderes Kapitel hat die Ebene der Wörter und Wendungen zum Thema. Auch hier tritt Sanders allzu pauschalen Empfehlungen entgegen – etwa dem Rat, die Verben „sein“, „haben“ und „machen“ möglichst zu vermeiden (S. 97 ff.). Ein treffender Wortgebrauch müsse der Sache, dem Sinn und der Situation entsprechen, richte sich also wiederum nach Kontextfaktoren. Wiederholungen und Tautologien könnten Stilfehler sein, doch wirke eine bewusst eingesetzte Wiederholung oft überzeugender als eine zwanghafte Variation des Ausdrucks. Anzustreben sei „zwar nicht absolute, redundanzfreie Kürze, wohl aber eine ausgewogene, den Umständen des Schreibakts voll gerecht werdende Knappheit des Ausdrucks“ (S. 107).

Diesen eher elementaren Hinweisen lässt Sanders ein Kapitel über „stilistische Würzmittel“ (S. 157) folgen, die aus einem guten einen noch besseren Text machen können. Der „Sprachreiz“ lebe vom kontrollierten „Erwartungsbruch“ (S. 122), d.h. von Verkürzungen, Verdichtungen, Verfremdungen und anderen rhetorischen Figuren. Die Einzelmittel müssten indes zum Ton des Ganzen passen, damit das Ergebnis nicht manieriert erscheine („hier ein Alliteratiönchen, da ein Hyperbelchen, dort ein Katachreschen“, S. 157). Abschließend führt Sanders noch einmal vor, wie guter Stil NICHT sein sollte (S. 161-170). Hier lässt sich der Autor von seiner Lust am Sprachspiel etwas zu sehr mitreißen.

Der Gesamteindruck ist dennoch positiv: Das Buch bietet keine trockene Regelsammlung, sondern lädt zum Mit- und Weiterdenken ein. Schon die Fülle sprechender Zitate bekannter Dichter und Denker ist überaus vergnüglich. Auch wenn (oder gerade weil) Sanders nicht speziell über die wissenschaftliche Textproduktion reflektiert, kann der Band auf allen Qualifikationsstufen des universitären Lebens nützlich sein: für Studenten, die mit dem wissenschaftlichen Schreiben beginnen möchten, ohne die Verrenkungen ihrer akademischen Lehrer nachzuahmen; für Doktoranden und Habilitanden, die aus periodisch wiederkehrenden Schreibblockaden herausfinden wollen; für Professoren, die nicht länger damit kokettieren möchten, dass sie nicht schreiben können. Stilistische Eleganz, so das Ergebnis des Buchs, ist nichts, was man ‚hat’ oder ‚nicht hat’; sie muss am Text erarbeitet werden und braucht Zeit – eine Zeit, die dem Forschungsprozess nicht bloß äußerlich ist, sondern auch zur inhaltlichen Klarheit beiträgt. „Keine Verbesserung ist zu klein oder geringfügig, als dass man sie nicht durchführen sollte. Von hundert Änderungen mag jede einzelne läppisch und pedantisch erscheinen; zusammen können sie ein neues Niveau des Textes ausmachen.“7

Anmerkungen:
1 Wenn Untergänge, dann aber richtig, in: Tagesspiegel, 22.4.2003, S. 21 (Interview mit Fest).
2 So bemerkte Karl Kraus 1911: „Was ist ein Historiker? Einer, der zu schlecht schreibt, um an einem Tageblatt mitarbeiten zu können.“ (K.K., Aphorismen und Gedichte. Auswahl 1903–1933, hg. von Dietrich Simon, Wien 1985, S. 133.)
3 Hilberg, Raul, Unerbetene Erinnerung. Der Weg eines Holocaust-Forschers, Frankfurt am Main 1994, S. 72-79. Er betont allerdings auch, dass das historische Komponieren methodische Grenzen habe (S. 120): „Unwohlsein bereitet mir […] die Gepflogenheit, eine Geschichte zu erzählen und die historischen Fakten darin gezielt um der Handlung und Spannung willen abzuwandeln.“
4 So der Titel von Becker, Howard S., Die Kunst des professionellen Schreibens. Ein Leitfaden für die Geistes- und Sozialwissenschaften, Frankfurt am Main 1994.
5 Vgl. etwa Schmale, Wolfgang (Hg.), Schreib-Guide Geschichte. Schritt für Schritt wissenschaftliches Schreiben lernen, Wien 1999; Narr, Wolf-Dieter; Stary, Joachim (Hg.), Lust und Last des wissenschaftlichen Schreibens. Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer geben Studierenden Tips, Frankfurt am Main 1999.
6 Kampf dem Krampf, in: ZEIT, 27.2.2002, S. 72 (Interview mit Hans-Wolfgang Arndt, Rektor der Universität Mannheim, der dort einen „Preis für Sprache und Wissenschaft“ ausgelobt hat). Vgl. auch Trevor-Roper, Hugh, Zehn Gebote. Anweisungen zum deutlichen Schreiben, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.3.2003, S. N 3 (1971 verfasst, posthum veröffentlicht): „Du sollst auch hören, was du schreibst, mit deinem inneren Ohr, so daß kein äußeres Ohr durch grelle Silben oder unmelodische Rhythmen beleidigt wird (…).“
7 Adorno, Theodor W., Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, Frankfurt am Main 1951, Nachdruck 2001, S. 147.

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