H. Reinalter u.a. (Hgg.): Aufgeklärter Absolutismus

Titel
Der aufgeklärte Absolutismus im europäischen Vergleich.


Herausgeber
Reinalter, Helmut; Klueting, Harm
Erschienen
Anzahl Seiten
362 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Reinhard Stauber, Historische Kommission der bayerischen Akademie der Wissenschaften

Nach den von Karl Otmar Freiherr von Aretin 1974 1 bzw. Hamish M. Scott 1990 2 herausgegebenen Sammelbänden sowie Walter Demels Problemaufriss von 1993 3 liegt mit dem hier anzuzeigenden Buch, das eine gemeinsame Konferenz der deutschen und der österreichischen Gesellschaften zur Erforschung des 18. Jahrhunderts von 1998 dokumentiert, ein neues Standardwerk zum Thema „Aufgeklärter Absolutismus“ vor – das Thema scheint allen kurzfristigen Konjunkturen im Fach zum Trotz die Aufmerksamkeit von Historikerinnen und Historikern unterschiedlicher Generationen immer wieder neu auf sich zu ziehen. Dabei hält Helmut Reinalter in seiner Einleitung in bewusster Abgrenzung von Günter Birtschs 1996 vorgeschlagenem Terminus „Reformabsolutismus“ 4, den er als zu wenig epochenspezifisch ablehnt (S. 17f.), an der überkommenen Terminologie fest. Der „Aufgeklärte Absolutismus“, gleichermaßen interpretierbar als bewusste, ideologisch unterfütterte Moderation des monarchischen Regiments wie als gezielte Steigerung staatlicher Interventionskapazität, zielte in seinen janusköpfigen Reformmaßnahmen nach Reinalters Ansicht hauptsächlich auf eine politische Stabilisierung des Systems der späten Ständegesellschaft und das Vermeiden von Umbrüchen in der politischen Ordnung.

Zwei weit ausgreifende Vortragstexte umfangen als breiter Rahmen die Einzelstudien des Bandes. Karl Otmar von Aretin spürt in gewohnter Souveränität dem Verhältnis von „Aufklärung“ und „Absolutismus“, den anziehenden und abstoßenden Kräften zwischen beiden Phänomenen auf ihrem langen gemeinsamen Weg durch das 18. Jahrhundert nach, die „Wesentliches für das Entstehen unserer modernen Welt leisteten“ (S. 21), in letzter Konsequenz einander freilich ausschlossen. Harm Klueting plädiert in einem breit und auf umfassender Literaturbasis entwickelten Panorama der Reformgrundsätze in den Rheinbundstaaten und Preußen für ein engeres Aufeinander-Beziehen der Reformen des „Aufgeklärten Absolutismus“ und der Umgestaltungen in Staat und Gesellschaft im napoleonischen Deutschland. Manches war nach 1800 ganz neu, etwa der Verfassungsgedanke, in anderen Bereichen, etwa im Agrarwesen, gab es direkte Anknüpfungspunkte. Außerdem waren fast alle wichtigen Träger der rheinbündischen Reformen biografisch in den Verwaltungstraditionen des Alten Reiches und seiner Territorialstaaten verwurzelt. Das augenfälligste Element von Kontinuität besteht nach Kluetings Interpretation vor allem in der „Nachholung des Absolutismus“ (S. 359), die gleichzeitig Vollendung des Absolutismus und seiner im Lauf des 18. Jahrhunderts nirgends zur Gänze geglückten Versuche ist, den Staat von den politischen Mitspracherechten von Adel und Kirche zu lösen. Dass dies unter veränderten Bedingungen ab 1802/03 gelang, hat freilich viel zu tun mit den veränderten Rahmenbedingungen, der Etablierung der napoleonischen Monarchie in Europa, den Veränderungen im System des Alten Reiches und mit der Anziehungskraft des französischen Modells.

Im Fokus mehrerer Beiträge steht die Gestalt Josephs II., der hinsichtlich rationaler Legitimierung der eigenen Herrschaft und Betätigung in der Reformpraxis gemäß Günter Birtschs Kategorien von 1987 5 sicher als „Idealtyp des aufgeklärten Herrschers“ gelten kann, sich aber nur wenig als Teilnehmer am aufgeklärten Diskurs der eigenen Epoche – Birtschs dritter idealtypischer Zug – profilierte. Derek Beales aus Cambridge, der Biograf des unsteten Kaisers, sieht Josephs programmatisches System, das seinen Namen bis heute wach hält, vor allem geprägt durch die Wichtigkeit geistlich-kirchenpolitischer Fragen und die Radikalität der Reformansätze, die schließlich auch die treuesten und einsatzfreudigsten Mitarbeiter verprellte. Die Diskrepanz zwischen hochgesteckten Zielen und den Mitteln, diese zu erreichen, wird am deutlichsten im Scheitern des Versuchs, ein Gemeinschaftsbewusstsein für die Gesamtmonarchie zu etablieren, was im Gegenzug eine „unfreiwillige Stimulierung einzelner Landespatriotismen“ mit sich brachte (S. 52). Beales’ bemerkenswert deutliches Verdikt über den „Josephinismus“ geht dahin, „daß er in Theorie und Praxis despotischer war als die Regime Friedrichs in Preußen oder Katharinas in Rußland“ (S. 43). Christoph Gnant behandelt die „Diözesanregulierungen“ in Österreich 1783/84 und ihre Auswirkungen auf das komplizierte Gefüge der Verfassung des Reiches in seiner letzten Phase. Er interpretiert die vor allem auf Kosten Passaus gehenden Bistumsgründungen Josephs überzeugend als Störung des traditionell engen Verhältnisses zwischen Kaiser und corpus catholicorum und somit als wichtige Etappe auf dem langen Weg Österreichs heraus aus dem Alten Reich. Matthias Rettenwander spürt den Nachwirkungen des Josephinismus im Vormärz nach und findet sie vor allem in Versatzstücken der Erinnerungskultur einer bürgerlich-räsonierenden Öffentlichkeit, die sich mit Konzepten wie literarischer Freiheit, Antiklerikalismus, Wohlfahrtsstaat und utilitaristische Leistungskultur umschreiben lassen.

Drei weitere Studien des Bandes, die grundsätzliche Fragen der Epoche behandeln, seien noch ausführlicher vorgestellt. Martin Fuhrmann und Diethelm Klippel stellen an Autoren wie Wolff, Justi oder Pfeiffer die Staatstheorie des „Aufgeklärten Absolutismus“ dar. Rationale Legitimierung der Herrschaft und die Definition der Verwirklichung des Gemeinwohls als oberster Staatszweck führten einerseits dazu, dass der Kern der absolutistischen Machtstellung des Monarchen in keiner Weise tangiert wurde, während andererseits die Ausweitung der Aufgaben des Staats aus eigener Machtvollkommenheit heraus zu einer „ausufernden Verordnungs- und Lenkungsmanie“ führte (S. 231), die in eminenter Weise die Staatszentriertheit späterer Epochen präfigurierte. Die Konzeption des Staatszwecks und das Postulat, das Wohl des Staats bewirke auch das Wohl des Einzelnen, führte zu umfassender Beaufsichtigung und Bevormundung der Untertanen. Das diesem Entwurf von Staatlichkeit adäquate Bild war jenes von der Maschine, in dem Planungsoptimismus und Kompetenzansprüche der Zentrale ebenso zum Ausdruck kommen wie die untergeordnete Rolle beliebig austauschbarer Einzelteile. Als Mittel zur Realisierung dieser Ansprüche galt die „gute Policey“, die faktisch – auf Kosten vor allem der Trägergruppen intermediärer Autonomierechte – die gesamte Innenverwaltung umfasste. In der Praxis des „Aufgeklärten Absolutismus“ freilich erreichten die Zugriffsbemühungen des Staats kaum diese radikale Reichweite; zudem setzten sich in der Naturrechtslehre seit den 1780er Jahren immer stärker staatspolitische Theoreme mit liberalen Zügen durch.

Andreas Gestrich differenziert in seiner Darstellung der Widerstandsstrategien traditional verfasster Gesellschaften gegen die Durchgriffsversuche des Staates zwischen einer älteren, legalistisch-antiabsolutistisch und einer späteren, anti-aufklärerisch geprägten Frontstellung. Standesübergreifende Opposition gegen Reformmaßnahmen war, wie am Beispiel Josephs II. gut sichtbar, am einfachsten zu mobilisieren im religiös-kirchlichen Bereich. Die Selbstüberschätzung der Monarchen in ihren Kontrollansprüchen führte zu offen sichtbarer Inkompetenz und Ineffizienz der Bürokratie, nicht aber zu fundamentaler Opposition aus der Beamtenschaft. Es folgte der große mentalitätsgeschichtliche Umbruch des ausgehenden 18. Jahrhunderts, der den Monarchen die ausschließliche Initiative und Zuständigkeit für die Regelung gesamtgesellschaftlicher Fragen aus der Hand nahm. Doch brachte diese Entwicklung, wie Wolfgang Albrecht, anknüpfend an die in den letzten Jahren intensivierte Erforschung der „dunklen Seiten“ der Aufklärung betont, auch konspirative, dezidiert anti-revolutionäre und nicht selten auch religiös konservative Gegenströmungen hervor, die sich etwa im Preußen Friedrich Wilhelms II. Einfluss auf Politik und Staatsgeschäfte verschaffen konnten.

Die Abfolge der restlichen Aufsätze, die hier nur noch kurz erwähnt werden können, formiert sich zu einem weiteren Schwerpunkt dieses ungemein aspektreichen Bandes: einem Ensemble von Regionalstudien zur europäischen Praxis des „Aufgeklärten Absolutismus“. Bruno Bernard stellt das Regierungssystem der Österreichischen Niederlande dar, Rolf Graber die Ansätze zu einem aufgeklärt-absolutistischen Regierungsstil in den Städte-Orten der alten Eidgenossenschaft und die Rolle der „Helvetischen Gesellschaft“, Jörg-Peter Findeisen die staatsstreichartige Ausweitung der monarchischen Prärogative durch den schwedischen König Gustav III. und die Agrarreformen der Minister Struensee und Bernstorff in Dänemark. Die Verhältnisse in Südeuropa behandeln Hans-Otto Kleinmann (Strukturen des Reformabsolutismus in Spanien vor allem unter Karl III. 1759-1788) und René Hanke (die Politik Pombals und die Vertreibung der Jesuiten aus dem Machtbereich der portugiesischen Krone 1759), jene in Osteuropa Erich Donnert (Umorientierung des altmoskowitischen Zarenreichs in Richtung Europa unter Peter I. sowie das herrscherliche Selbstverständnis Katharinas II.) und Harald Heppner (über die „Neoacquistica“ der Österreichischen Monarchie nach den Türkenkriegen und den Aufbau des Bildungswesens dort). Schließlich führt Walter Demel den Leser in einem großen Aufsatz, bewusst anknüpfend an eine grundlegende Studie seines Lehrers Eberhard Weis von 1979 6, mit sicherer Hand, dabei außerordentlich differenziert und mit stupender Literaturkenntnis (niedergelegt in über 200 Anmerkungen) durch die Staatsreformen in der bunten Fülle der deutschen Territorialwelt des 18. Jahrhunderts vom pfalzbayerischen Länderblock bis hin zu den geistlichen Kleinst-„Staaten“ und bilanziert den enormen Vorsprung innenpolitischer Modernisierung, den sich Österreich und Preußen in dieser Epoche erarbeiteten und den die größeren der übrigen Territorien erst in der Rheinbundzeit kompensieren konnten. Seine terminologische Bemerkung, es mache durchaus Sinn, bei einem System „mit zum Teil aufklärerisch motivierten Reformimpulsen“ und einer gewissen Dichte tatsächlich realisierter Reformmaßnahmen von „Aufgeklärtem Absolutismus“ zu sprechen (S. 110), schlägt den Bogen zurück zum einleitend zitierten Urteil Helmut Reinalters, der zusammen mit seinem Co-Herausgeber Harm Klueting ein Grundlagenwerk für die künftige Beschäftigung mit dem europäischen Staat des 18. Jahrhunderts vorgelegt hat.

Anmerkungen:
1 Aretin, Karl Otmar Freiherr von (Hg.), Der aufgeklärte Absolutismus, Köln 1974.
2 Scott, Hamish M. (Hg.), Enlightened absolutism. Reform and reformers in later eighteenth-century Europe, Ann Arbor 1990.
3 Demel, Walter, Vom aufgeklärten Reformstaat zum bürokratischen Staatsabsolutismus, München 1993.
4 Birtsch, Günter, Aufgeklärter Absolutismus oder Reformabsolutismus?, in: ders. (Hg.), Reformabsolutismus im Vergleich. Staatswirklichkeit, Modernisierungsaspekte, verfassungsstaatliche Positionen, Hamburg 1996, S. 101-109.
5 Birtsch, Günter (Hg.), Der Idealtyp des aufgeklärten Herrschers, Hamburg 1987.
6 Weis, Eberhard, Der aufgeklärte Absolutismus in den mittleren und kleinen deutschen Staaten, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 42 (1979), S. 31-46, Wiederabdruck in: ders., Deutschland und Frankreich um 1800. Aufklärung – Revolution - Reform, München 1990, S. 28-45.

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