R. Stein (Hg.): Powerbrokers in the Late Middle Ages

Cover
Titel
Powerbrokers in the Late Middle Ages. The Burgundian Low Countries in a European Context / Les courtiers du pouvoir au bas Moyen-Âge. Les Pays-Bas Bourguignons dans un contexte Européen


Herausgeber
Stein, Robert
Reihe
Burgundica 4
Erschienen
Turnhout 2001: Brepols Publishers
Anzahl Seiten
259 S., Abb.
Preis
€ 53,30
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Petra Ehm, Historisches Seminar, Universität Münster

Der zweisprachige Band vereint unter seinem griffigen Titel 12 Beiträge zu einer schwer fassbaren Materie: die Räte des spätmittelalterlichen Fürsten, ihre Macht-, Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten. Der moderne englische Begriff „powerbroker“ umschreibt dieses Phänomen sehr konzis, das französische „courtier du pouvoir“ ist deskriptiver, während man sich im Deutschen mit Übersetzungen wie Machtmakler behelfen muss. Die Untersuchungen schließen sich mit ihren zentralen Fragen nach Machtmakelei, Korruption und der sozialen wie professionellen Reproduktion der entstehenden Funktionseliten und ihrer Netzwerke an Projekte der Hof- und Administrationsforschung der jüngeren Zeit an. 1

In den burgundischen Ländern gelang in den rund 200 Jahren von 1384 bis 1585 eine bemerkenswerte Vereinheitlichung und Zentralisierung der Verwaltung. Von hervorragender Bedeutung war dabei die Umstrukturierung der bereits bestehenden Institutionen der einzelnen Regionen, der Chambres des Conseils, der Chambres des Comptes und der Kanzleien. Der Vergleich dieser regionalen Institutionen, des Ausmaßes ihrer Angleichung und ihrer Rolle im Funktionieren des burgundischen „Staates“ untereinander und mit den Entwicklungen der Nachbarn ist das erklärte Ziel dieses weitgehend gelungenen Bandes, dessen Beiträge allerdings etwas unvermittelt in zwei Teile zerfallen. Die erste Hälfte widmet sich dem niederländisch-burgundischen Komplex, während im zweiten Teil unter der Überschrift „Comparisons“ die vergleichenden Untersuchungen folgen, die England, das römisch-deutsche Reich, die Herzogtümer Bourbon und Bretagne und das Osmanische Reich behandeln.

Robert Stein beschäftigt sich im ersten Beitrag des Bandes mit dem vereinheitlichenden Einfluss der Institution der Chambres des Comptes in Lille, Brüssel und Den Haag auf die Verwaltung von Flandern, Brabant und Holland. Die Chambres waren das Herzstück der burgundischen Verwaltung, das die Kommunikation zwischen herzoglicher Zentrale und lokalen Einnehmern garantierte. Eine weitgehend einheitliche Prozedur wurde vor allem durch personellen Austausch gewährleistet. Die jeweiligen Rechenmeister „erzogen“ die lokalen Einnehmer durch fortwährende Beanstandungen an den Abrechnungen zu einer standardisierten Rechnungslegung. Diese hohe Transparenz wurde allerdings durch die in einigen Provinzen geübte Praxis der Verpachtung der lokalen Steuerämter erheblich beeinträchtigt. Der Pächter wälzte die Kosten auf die Bevölkerung ab und war der Kontrolle der Chambres entzogen, da er nur direkt dem Herzog für den jährlichen Festbetrag verantwortlich war. Die Untertanen schätzten die kontrollierende Funktion der Chambres daher weit mehr als ihre zentralisierende.

Mario Damen untersucht die Rolle des Rates von Holland in der Erhebung der „aides“, der außerordentlichen und damit der Zustimmung der Stände unterworfenen Steuern, in den Jahren 1439/41 und 1473/75. Die Mitglieder des Rates von Holland spielten jeweils eine zentrale Vermittlerrolle zwischen Städten und Herzog, die sie sich von den Städten sowohl im Vorfeld der Steuerfestlegung wie auch nach der Erhebung üppig vergüten ließen. Je größer die Nähe zum Herzog, desto höher die Zahlung, die zudem 1475 nicht mehr ausschließlich im Zusammenhang mit der Steuererhebung stand, sondern die herzogliche Umgebung der zahlenden Stadt allgemein gewogen stimmen sollte. Neben den Empfängern dieser Zuwendungen profitierte auch der Herzog von diesem System, da seine Räte entlohnt wurden, ohne die herzogliche Kasse zu belasten.

Yvonne Bos-Rops beschäftigt sich in teilweise recht unkonventionellem Englisch mit dem Prozess der Professionalisierung der holländischen Finanzverwaltung. 1447 wurde in Den Haag eine eigene Rechenkammer eingerichtet, der bis zu ihrer endgültigen Schließung 1585 eine wechselvolle Geschichte beschieden war. Bos-Rops sieht in den dort tätigen Männern professionelle Finanzfachleute, die zudem durch informelle, vor allem familiäre Netzwerke miteinander verbunden waren, was an zwei Beispielen von Beginn und Ende des 15. Jahrhunderts verdeutlicht wird.

Bei den flämischen Räten des 15. Jahrhunderts beobachtet Jan Dumolyn einen zunehmenden Konflikt zwischen der Loyalität zum Fürsten und derjenigen gegenüber der eigenen familiären und sozialen Klientel. Er stellt die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der rigorosen Zentralisierungspolitik der Herzöge, die sich vor allem gegen die großen flämischen Städte wie Brügge und Gent richtete, und der Entwicklung der personellen Zusammensetzung des Rates von Flandern. Anhand der Ratszusammensetzung in den Jahren 1432 und 1467 werden geographische Herkunft, sozialer Rang und Bildung der Räte verglichen. Tatsächlich stammte ihre Mehrheit aus den bürgerlichen Oberschichten der Städte, ohne dass allerdings städtischer Einfluss dadurch gestärkt wurde. Vielmehr handelte es sich um einen „Verrat“ an der Bürgerlichkeit mit dem Ziel der Zugehörigkeit zum landbesitzenden Adel. Die ‚noblesse de robe’ war schon im 15. Jahrhundert eine soziale Wirklichkeit.

Mireille Jean befasst sich mit den Auswirkungen der permanenten Residenz der Chambre des Comptes auf die Stadt Lille. Am Bespiel der Amtsträger zwischen 1477 und 1500 kommen die institutionellen Verflechtungen mit der Stadtregierung ebenso in den Blick wie die sozialen Bindungen mit den Bürgern. Die Stadt war nicht das hauptsächliche Rekrutierungsfeld der Rechenkammer, sondern die wichtigste Qualifikation war der herzogliche Dienst, unabhängig von der geographischen Herkunft. Ebenso bedeutend war die Zugehörigkeit zum sozialen Netz der herzoglichen „Finanzwelt“, da Neuberufungen in die Kammer neben dem herzoglichen Vorschlag stets auch ein kooptatives Element besaßen. Einmal in Lille ansässig, blieb die Mehrheit der Amtsträger dort bis zum Lebensende, erwarb Land und durfte den begehrten Herrentitel („seigneur“) führen. Zum Ende des 15. Jahrhunderts ist zu beobachten, wie diese Elite geadelter Finanzfachleute verstärkt untereinander und mit dem Liller Patriziat familiäre Verbindungen knüpfte und so die Treue der Stadt zu ihrem Herzog garantierte.

Philippe Godding untersucht den Rat des Herzogtums Brabant, das seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts von mehreren krisenhaften Erbfolgestreitigkeiten geprägt war. Noch zum Regierungsantritt Philipps des Guten 1430 ließen die Stände in der „Joyeuse Entrée“ festschreiben, dass die großen Adeligen des Landes einen eigenen Rat bildeten. Dennoch wurde das Land bald ausschließlich von herzoglich berufenen kleinen Adeligen in der „Chambre de conseil“ vertreten. Erst mit großer Verspätung hielten professionelle Juristen Einzug in den Rat, und bis in die 1440er Jahre reichte die Kenntnis des Landrechtes weitgehend aus, während sich die schriftliche römischrechtliche Behandlung der Streitsachen nur langsam durchsetzte.

Jean-Philippe Genet eröffnet mit dem Beispiel des englischen königlichen Rates die Reihe der Vergleiche aus den europäischen Nachbarregionen. Entgegen der verbreiteten Meinung waren Parlament und königlicher Rat nicht von jeher scharf getrennt, sondern bis ins späte Mittelalter Ersteres vor allem eine Erweiterung des Letzteren mit erheblichen personellen Überlappungen. Nicht zuletzt deshalb blieb die Zusammensetzung des Rates stets Objekt kritischer Beobachtung, die rasch in aktiven Widerstand umschlagen konnte, wenn man in den Räten die Interessen des Landes, d.h. in der Regel die eigenen, nicht adäquat repräsentiert glaubte. Nur etwa 10 Personen aus der unmittelbaren Umgebung des Königs bildeten den Kern des Rates. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben bestand darin, dem König als dem „ersten powerbroker seines Staates“ bei der Aufrechterhaltung des labilen Gleichgewichts der Gunst zur Seite zu stehen, im Wesentlichen durch die Bildung eigener königstreuer Klientelverbände. Anhand eines corpus von 276 Personen untersucht Genet Bildung und literarische Produktion dieser Elite.

Daran anschließend beschäftigt sich Steven Gunn mit dem Umbruch in der englischen Regierungspraxis seit dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts, der bereits gut 50 Jahre vor der „Tudor-Revolution“ eine verstärkte Zentralisierung und Intensivierung unter Zuhilfenahme „neuer Männer“, Juristen, Finanzfachleute und powerbroker par excellence, einleitete. Zusammengeführt wurden ihre Aktivitäten im königlichen Rat, dem sie alle, meist im innersten Zirkel, angehörten. Ihre Zeitgenossen betrachteten die Aufsteiger mit gehörigem Misstrauen und unterstellten ihnen, nicht immer unberechtigt, Selbstsucht und mafiöse Praktiken der Bereicherung. Dennoch blieben sie abhängig von der königlichen Gunst und konnten von den Institutionen zu Fall gebracht werden, an deren Stärkung sie gearbeitet hatten.

Peter Moraw beleuchtet das Thema des Bandes aus der Sicht des spätmittelalterlichen Reiches in gewohnt systematischer Weise. Das Entwicklungsgefälle zwischen West und Ost des Reiches prägte auch den Reichsfürstenstand, indem es den Grad der Schriftlichkeit und damit die Quellenlage entscheidend beeinflusste und somit eine Gesamtanalyse erheblich erschwert. Der fürstliche Rat erweist sich auch hier als schwer zu fassendes, fast nur durch Urkundenerwähnungen zu rekonstruierendes Gebilde. Seine Zusammensetzung war stets politisch, consilium et auxilium immer auf Gegenseitigkeit angelegt, und der Rang der Räte ein verlässlicher Indikator der Macht des Fürsten. Wie überall wurde auch hier das soziale Netz des Einzelnen zur Integration des Territoriums genutzt. Besonders fällt die Parallele zu England in der Ausbildung eines inneren Rates auf, dessen Mitglieder nicht durch eigene Macht Anspruch auf den Sitz im Rat hatten. Hier sind die Anfänge einer Funktionselite zu sehen, die sich nicht zuletzt auf den Reichstagen des ausgehenden 15. Jahrhunderts „verdichtete“ und ein die Territorien übergreifendes Gruppenbewusstsein entwickelte.

Ein enger umgrenztes Thema behandelt Olivier Mattéoni in seinem Beitrag zu den Räten Herzog Ludwigs II. von Bourbon, der keineswegs nostalgischen Ritteridealen nachgeträumt, sondern energisch die administrative Durchdringung und Expansion des „État Bourbonnais“ betrieben habe. Der Beitrag untersucht die Rolle der 92 Personen, die in der Regierungszeit von 1356 bis 1410 den Ratstitel führten. Ihre Rekrutierung erfolgte nach pragmatischen Kriterien, indem überproportional viele Herrschaftsträger aus den für die Expansion besonders interessanten Grenzregionen des Herzogtums berufen wurden. Die Bindung des Adels an den Herzog wurde außerdem durch den Orden vom Goldenen Schild (Écu d’Or) und die „Cour amoureuse“ forciert. Doch während der Adel des Landes dem Herzog ausreichend loyale Berater stellen konnte, musste Ludwig die bürgerlichen Fachleute häufig aus den Nachbarregionen des kaum urbanisierten Bourbon rekrutieren.

Die Kanzlei der Bretagne im Ringen um die Selbständigkeit des Herzogtums steht im Mittelpunkt der Untersuchungen von Jean Kerhervé. Von Karl VIII. im Zuge der Integration der Bretagne in das Königreich entmachtet, setzte Königin Anne sie 1498 wieder weitgehend in ihre alten Rechte ein. Da die Kanzlei untrennbar mit der Idee des bretonischen „Staates“ verbunden war, bemühte sich Annes Gatte Ludwig XII. gleichzeitig, den erneuerten Rechten jede echte politische Wirksamkeit zu nehmen. Tatsächlich ließen Effizienz und Disziplin der Kanzlisten seit 1498 spürbar nach. Der institutionelle Verfall spiegelte den Bedeutungsverlust der Kanzlei, denn die Gestaltung von Diplomatie und Gesetzgebung unterstanden allein der Zentrale in Paris, und die Tätigkeit der Bretonen beschränkte sich im Wesentlichen auf die Rechtsprechung und die Bearbeitung von Bittschriften.

Im abschließenden Beitrag des Bandes gibt Anthony Black einen Überblick über das politische Denken im Osmanischen Reich. Zwar fällt der Artikel etwas aus der Konzeption des Bandes heraus, zeigt aber dennoch interessante Parallelen und Unterschiede in Organisation und politischem Denken zwischen christlichen und islamischen Gemeinwesen auf. Black sieht Parallelen in der administrativen und bürokratischen Praxis, denn wie im Westen emanzipierte sich die Profession der Schreibkundigen bis zum 16. Jahrhundert fast vollständig von ihren klerikalen Wurzeln. Gleichzeitig erließen die Sultane das bis dahin in islamischen Gesellschaften unbekannte säkulare Strafrecht. Black macht unter anderem die Tatsache, dass sich keine das osmanische System adäquat reflektierende politische Theorie ausbildete, für die politische Krise des Reiches im 16. Jahrhundert verantwortlich.

Den Band beschließt die brillante Zusammenfassung von Claude Gauvard. Sie bewegt sich von den Individuen, den Räten und Schreibern, ihrer Ausbildung und ihren Fähigkeiten zu den Institutionen, die diese Männer zu formen halfen. Im Zentrum aller Bemühungen um administrative Intensivierung und Effizienz stand als einzig legitime Quelle der Macht der Fürst. Letzterer war seinerseits gezwungen, eine sich seit dem 12. Jahrhundert immer rascher drehende Spirale der Bürokratisierung zu beherrschen und zu nutzen. Die Bürokratie legitimierte ihre Schöpfer und machte sie gleichzeitig unentbehrlich. Mit der Zeit aber zogen die so entstandenen Institutionen die Aura der Unantastbarkeit auf sich und beschränkten nun ihrerseits die Handlungsfreiheit ihrer individuellen Träger: Der Herrscher als oberster powerbroker wurde durch die Unteilbarkeit der Domäne in seiner Verteilungsmacht begrenzt, Räte und Amtsträger selbst mussten sich immer neuen Reformen unterwerfen, die sie an der persönlichen Nutzung der Machtchancen ihrer Positionen hindern sollten.

1 Coulet, Noël ; Genet, Jean-Philippe (Hgg.), L’État moderne: le droit, l’espace et les formes de l’État, Paris 1990. Reinhard, Wolfgang (Hg.), Les élites du pouvoir et la construction de l’État en Europe, Paris 1996. Genet, Jean-Philippe; Lottes, Günther (Hgg.), L’État moderne et les élites, XIIIe-XVIIIe siècles. Apports et limites de la méthode prosopographique, Paris 1996.

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