M. Bergmeier: Umweltgeschichte der Boomjahre 1949-1973

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Titel
Umweltgeschichte der Boomjahre 1949-1973. Das Beispiel Bayern


Autor(en)
Bergmeier, Monika
Erschienen
Münster 2002: Waxmann Verlag
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Ivo Engels, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Der Titel übertreibt. Eine umfassende Umweltgeschichte der Boomjahre – selbst für Bayern – war beim jetzigen Stand der Forschung nicht ernstlich zu erwarten. Stattdessen liegt denn auch tatsächlich eine Geschichte staatlicher Umweltschutz-Bestrebungen sowie einiger „Konfliktfelder“ vor, dargestellt auf der Basis von Akten des Bayerischen Landtags sowie des Wirtschaftsministeriums und der Staatskanzlei (es fehlen weitgehend das Innen-, Umwelt-, Agrarministerium). Die Autorin weist im Übrigen selbst darauf hin, dass eine Berücksichtigung unterer Verwaltungsebenen wünschenswert gewesen wäre. Es braucht hier nur angedeutet zu werden, dass eine umfassende Geschichte selbst des Umweltschutzes nicht ohne eine Auseinandersetzung mit der Geschichte von Öffentlichkeit und Medien, sozialen Bewegungen, wissenschaftlichen Entwicklungen, Expertenwissen und internationalen Zusammenhängen auskommen kann.

Akzeptiert man den im Vergleich zu Titel (und Klappentext) erheblich eingeschränkten Ansatz, so liest man ein informatives Buch darüber, wie die bayerische Landespolitik zwischen 1949 und 1973 Umweltbelastungen bewertete und welche Antworten sie auf den Gebieten Raumplanung, Immissionsschutz, Naturschutzgesetzgebung sowie im Konflikt um Kraftwerke, emittierende Industrien, Pflanzenschutzmittel und Wasserreinhaltung fand.

Im Mittelpunkt steht dabei eine Frage, die derzeit die zeithistorische Umweltgeschichte wie kaum eine andere umtreibt: welche Bedeutung hat die Wende zum „ökologischen Paradigma“ um 1970? Die Hauptthese Bergmeiers lautet, es habe sich wenig geändert. Zum einen sei das Umweltproblem schon in den 1950er Jahren in seiner vollen Bedeutung erkannt worden. Zum anderen habe die Politik nie ernsthafte Lösungsversuche angestellt. Dies gelte auch für die Zeit nach 1970. Damit stellt sich Bergmeier gegen den gut begründeten Trend neuerer umwelthistorischer Studien. Diese heben die nicht geringen Leistungen in Bereichen wie Luftreinhaltung und Gewässerschutz in den Jahrzehnten vor 1970 hervor.1 Bergmeiers Urteil ist hart: „Unterschätzung und tendenzielle Verharmlosung“ (S. 119) von Umweltfragen kennzeichneten die Politik im Untersuchungszeitraum. Sie legt bei der Beurteilung der Schutzbemühungen ein Konzept „dauerhaft-umweltgerechter Entwicklung“ (S. 17ff.) zugrunde. Entscheidet man sich für diesen Beurteilungsmaßstab, der erklärtermaßen auf den Maximen internationaler Konferenzen der späten 80er und 90er Jahre beruht, kann das Urteil wohl auch nicht anders ausfallen. So erklärt Bergmeier denn auch in der Zusammenfassung, die Probleme seien seit den 1950er Jahren „im Prinzip immer die gleichen“ (S. 266) und dies gelte auch für die Weigerung der Politik, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Ob dies zu einem größeren Verständnis historischer Zusammenhänge beiträgt, ist wohl eher skeptisch zu beurteilen.

Erstaunlicherweise schenkt Bergmeier dem großen Aufbruch in die Umweltpolitik ab ca. 1970 verhältnismäßig geringe Beachtung. Sie verlegt sich auf den Nachweis ihrer These, dass sich in den einzelnen Fachdebatten nicht viel änderte, was ihr in vielen Fällen auch überzeugend gelingt. Unterbelichtet bleibt aber der sich wandelnde Kontext. Ein Beispiel: Bergmeier berücksichtigt nicht, dass im Zusammenhang mit der neuen Umweltpolitik Verwaltungen und Planstellen geschaffen wurden, die mittelfristig eine Stärkung der Umweltbelange im alltäglichen Verwaltungshandeln bewirkten – obwohl sie umgekehrt das Fehlen solcher Koordinationsstellen in den Raumordnungsverfahren der 60er Jahre als Grund für mangelnden Umweltschutz anführt (S. 191). Vor allem klärt Bergmeier nicht hinreichend, welche Motive für das Ausbleiben von effektivem Umweltschutz verantwortlich waren. Stattdessen beklagt sie Unverständnis und Unwillen sowie die Neigung zu faulen Kompromissen seitens der Landespolitik (S. 229).

Irritierend ist im übrigen die Tatsache, dass der Leser nichts über die Rahmenbedingungen des Umweltschutzes im Land Bayern geschweige denn der Bundesrepublik erfährt; die in der Einleitung angekündigte Verklammerung der Umweltschutzpolitik mit der ökonomisch-sozialen Entwicklung der „Boomjahre“ (S. 16) wird nicht einmal im Ansatz eingelöst. Dabei wurde die Chance vertan, den Stellenwert von Umweltfragen im Kontext des rasanten Aufstiegs Bayerns vom unterentwickelten Agrarland zum Industriestandort zu untersuchen. Denkbar wäre etwa, dass die bisweilen sehr grundsätzlich geführten Landtagsdebatten über Naturschutz als Antwort auf diese Entwicklung zu verstehen sind. Die offensichtlich zivilisationskritische Tönung vieler Debattenbeiträge thematisiert Bergmeier leider nicht. Generell berücksichtigt die Darstellung über weite Strecken kaum die Sekundärliteratur.

Für umwelthistorische Fachleute ist die Arbeit dennoch nützlich, stellt sie doch in komprimierter Form die Inhalte vieler offizieller Dokumente sowie die ministeriellen Unterlagen zu einigen Konfliktfällen vor. Dabei trifft Bergmeier einige durchaus überzeugende Feststellungen. In den Diskussionen über Landesplanung und Raumordnung der 50er und 60er Jahre findet sich bereits sehr früh die Auffassung, man müsse Instrumente zur Eindämmung der negativen Folgen der Industrialisierung entwickeln, ohne dass daraus ein umfassendes Konzept erwuchs. Dennoch lassen sich periodisch auftretende und engagierte Diskussionen über Gewässerverschmutzung, Landschaftsverbrauch, Immissionsbelastungen, Pestizideinsatz, Lärmentwicklung und ähnliche Probleme nachweisen.

Die wohl interessantesten Ergebnisse stammen aus der Untersuchung verschiedener Konfliktfelder. In den Raumordnungsverfahren haben jene Behörden sich am vehementesten für Umweltbelange eingesetzt, die für den Gewässerschutz verantwortlich waren. Leider bietet Bergmeier keine Erklärung für diesen Befund an; jedenfalls scheint es von Beginn an eine große Sensibilität für Gewässerschutz auch im Landtag gegeben zu haben. Gesundheitsbehörden machten seltener von sich reden und der amtliche Naturschutz beschränkte sich meist auf Forderungen nach landschaftsgärtnerischer Eingliederung der Industrieanlagen oder Baumaßnahmen. In diesem Zusammenhang weist Bergmeier überzeugend darauf hin, dass die Interventionsmöglichkeiten der beteiligten Stellen und Ämter stark vom formalisierten Verfahren abhing. Dem Naturschutz beispielsweise blieb gar nichts anderes übrig, als sich auf jene Bereiche zu konzentrieren, für die er im Rahmen der Raumordnung als sachverständig galt (S. 186). Die sich für Belastungsbegrenzungen einsetzenden Stellen zeigten keinesfalls Technikfeindschaft, sondern setzten in der Regel auf technische Verbesserungen. Die Motive für Widerstand gegen umweltbelastende Anlagen waren vielfältig; neben Gesundheitsgefahren spielten wirtschaftliche Erwägungen wie Wertverlust von Grundeigentum eine wichtige Rolle (S. 271). Umweltschutz hatte vor allem dann gute Karten, wenn er sich mit dem Motiv Fremdenverkehrsförderung verbinden konnte (S. 183f.).

Alles in allem legt Monika Bergmeier eine quellengesättigte Pionierstudie mit begrenztem Fokus vor. Auf eine Umweltgeschichte Bayerns zwischen 1949 und 1973 müssen wir weiter warten.

Anmerkung:
1 Vgl. Brüggemeier, Franz-Josef, Tschernobyl, 26. April 1986. Die ökologische Herausforderung, München 1998; Prittwitz, Volker v., Das Katastrophen-Paradox. Elemente einer Theorie der Umweltpolitik, Opladen 1990; demnächst zum Thema Luftverunreinigung: Uekötter, Frank, Von der Rauchplage zur ökologischen Revolution, erscheint 2003.

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