Cover
Titel
Style and politics in Athenian vase-painting. The craft of democracy, ca. 530-470 B.C.E.


Autor(en)
Neer, Richard T.
Reihe
Cambridge studies in classical art and iconography
Erschienen
Cambridge u.a. 2002: Cambridge University Press
Anzahl Seiten
XXII, 306 S.
Preis
£55.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Charlotte Schubert, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Wie funktionieren Symbole innerhalb der Künste und lassen sich Repräsentationen pikturaler Art in einen politischen Kontext einordnen? Auf dieser grundsätzlichen Ebene bewegt sich das Buch von Richard T. Neer, das aus einer Dissertation im Department of the History of Art der University of California in Berkeley (1998) hervorgegangen ist. Die Reihe der Cambridge Studies in Classical Art and Iconography hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt "to understand ancient art not merely as aesthetic objects, but as part of an intrinsic visual language of a distant culture". Dieser Zugang wendet sich von dem bereits von Ernst Gombrich nachdrücklich diskreditierten ‚unschuldigen Auge' 1 ab und der immer wieder hervorgehobenen Relativität des Sehens und der Repräsentation 2 zu. Es geht also, wie Neer festhält (S. 2) bei seiner Analyse der attischen Vasenmalerei zwischen 530 und 460 v.Chr. um "form (or, how an image shows what it shows), and it is about ideology (or, how people interact with each other and the world in ways mediated by representations)."

Für den untersuchten Zeitraum beginnt Neer mit der Klassifizierung dieser Gefäße als Gebrauchsgegenstände des aristokratischen Symposiums, das damit auch den kulturellen Kontext für die Decodierung liefert. Neer betont dabei die Bedeutung des poikilon ethos, des Rollenspiels, des Variantenreichtums und der Ambiguität, die er sowohl in den literarischen Beschreibungen als auch den Bildern sieht. In dem sich entwickelnden Naturalismus und den technischen Innovationen im Übergang von der schwarzfigurigen zur rotfigurigen Malerei sieht er einen entscheidenden Punkt in der Kunstgeschichte der griechischen Antike, den er aber nicht aus einer linearen Unausweichlichkeit heraus erklärt, sondern als historisch kontingentes Phänomen deutet (S. 32).

In der Anfangszeit der rotfigurigen Vasenmalerei begegnen einige ‚bilingue' Vasen (teils rotfigurig, teils schwarzfigurig) - Neer behandelt hier vor allem diejenigen des sogenannten Andokides-Malers -, die deutlich zeigen, wie die poikilia auch hier wirksam ist. Den sog. Naturalismus der sich entwickelnden rotfigurigen Vasenmalerei dekonsturiert Neer mit dem heute üblichen Hinweis darauf, dass auch dieser nur relativ ist bzw. auch selbst erst innerhalb einer Norm von Repräsentationssystemen entwickelt werden kann.3 In einer Welt der Ambiguität spiele das Übermaß an Dekoration und bildhafter Fragmentierung in jedem Fall eine größere Rolle als etwa die systematische Erschließung technischer Möglichkeiten. In diesem Kontext erklärt Neer auch eine Reihe von Selbstdarstellungen dieser Maler (Smikros, Phintias, Euthymides, Euphronios), die sich so in dem unruhigen, von politischen Eruptionen geprägten Klima Athens am Ende des 6. Jahrhunderts v.Chr. im aristokratischen Milieu zeigen, währenddessen aristokratische Betrachter dieser Bilder ihren gewohnten Bezugsrahmen darin erkennen mochten. Gerade diese Möglichkeiten der Doppeldeutigkeit und des Variantenreichtums sieht Neer als einen Rahmen, in dem die der attischen Demokratie inhärenten Spannungen ("notional equality of power combined with real inequality of wealth", S. 183) repräsentiert werden konnten.

Im Hinblick auf die kunsthistorischen Aspekte ist diese Analyse sehr beeindruckend und auch methodisch durchaus schlüssig. Aus althistorischer Perspektive muss man sich allerdings fragen, ob nicht die Skepsis gegenüber der repräsentationalen Gewohnheit, Ähnlichkeit für den Maßstab von Realismus zu halten und somit auch gleich zu erzeugen, bei der Interpretation der sog. Gerichtsszenen auf Vasen (S. 138ff.) nicht auch hätte angewandt werden können: Bis auf die Kylix des Stieglitz-Malers (Dijon, ca. 470-460 v.Chr.) haben die von Neer genannten Beispiele dieses Kapitels nichts mit den attischen Dikasterien zu tun und gerade aus dieser singulären Darstellung eines Dikasten vor einer Hydria (für die Stimmsteine) ohne verdeckenden kemos (der die geheime Abstimmung ermöglichte) zu schließen, dass die geheime Abstimmung in den attischen Gerichtshöfen erst nach der Herstellungszeit dieser Kylix eingeführt wurde und zuvor eben nicht geheim war, scheint doch nicht ganz dem selbstgesteckten Anspruch zu genügen "there is no inherent reason why we should not look as closely at vases as literary critics look at texts" (S. 8).

Anmerkungen:
1 Gombrich, Ernst, Art and Illusion, New York 1960 (deut.: Kunst und Illusion, Stuttgart 1978).
2 Goodman, Nelson, Sprachen der Kunst, Frankfurt am Main 1995, S. 21.
3 Goodman (wie Anm. 2), S. 45.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension