Cover
Titel
Gentlemen auf Reisen. Das britische Deutschlandbild im 18. Jahrhundert


Autor(en)
Geyken, Frauke
Reihe
Campus Forschung 845
Erschienen
Frankfurt am Main 2002: Campus Verlag
Anzahl Seiten
357 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Torsten Reimer, Ludwig-Maximilians-Universität München

Niemand liebt Touristen, zumindest nicht solange sie kein Geld ins Land bringen. Ungewöhnlich ist es jedoch, wenn die Touristen im Gegenzug nicht nur die Einheimischen für unkultiviert und letztlich uninteressant halten, sondern auch das Gastland als langweilig, unterentwickelt und abweisend beschreiben. Genau diese Haltung findet man jedoch bei den „Touristen“, die im frühen 18. Jahrhundert aus Großbritannien nach Deutschland kamen. In Frauke Geykens Göttinger Dissertation geht es jedoch nicht nur darum, was die „Gentlemen auf Reisen“ über das Reich zu berichten wissen. Behandelt wird vielmehr im weiteren Sinn das britische Deutschlandbild im 18. Jahrhundert und was es über die Briten selbst verrät. „Gentlemen auf Reisen“ will so nicht nur den Wissensstand der Briten über das Reich und ihre nationalen Stereotypen beschreiben, sondern auch sie selbst daran analysieren.

Methodisch steht das Buch damit im Umfeld neuerer Forschungen zu kulturellen Identitäten und der Herausbildung dessen, was für die Frühe Neuzeit wahlweise als (Proto-)Nationalismus oder wohl passender als Patriotismus bezeichnet wird. Neben dem in diesem Kontext schon fast obligatorischen Buch „Britons“ von Linda Colley bezieht Geyken ihre Anregungen aus Arbeiten zum Deutschlandbild, zur britischen Presselandschaft im 18. Jahrhundert und dem hiermit verbundenen Problem der Öffentlichkeit sowie komparatistischen Ansätzen. Betont wird zu Recht, dass neben der inzwischen schon oft geleisteten Identifizierung nationaler Stereotype vor allem eine genaue Untersuchung ihrer Instrumentalisierung am historischen Beispiel geleistet werden müsse.

Nach einer umfassenden Einleitung diskutiert Geyken im zweiten Kapitel das Wissen der Briten über Deutschland vor allem anhand von Reiseberichten und Enzyklopädien. Obwohl die allgemeinen Kenntnisse teils recht genau waren, blieb das Interesse bis über die Mitte des Jahrhunderts eher gering. Im dritten Kapitel, das stereotype Vorstellungen von Deutschland behandelt, wird die britische Eigenwahrnehmung deutlich: Zwar sind viele der zeitgenössischen Stereotype keine Erfindungen des 18. Jahrhunderts, aber gerade die ungemein positive Herausstellung der Freiheit in den Reichsstädten im Vergleich zu den teils düsteren Schilderungen des Despotismus der deutschen Kleinstaaterei diente gleichsam als Versicherung der eigenen Fortschrittlichkeit. Wenn für die Briten Großbritannien wegen seiner Freiheit allen anderen Ländern überlegen war, musste dies sich natürlich auch in einer relativen Überlegenheit der angeblich freieren Teilen des Reiches spiegeln.

Im vierten Kapitel, das die Behandlung Hannovers und damit auch die Wahrnehmung besonders Georg(e)s I. und II. in Großbritannien behandelt, arbeitet Geyken deutlich heraus, wie dieses Thema vor allem für inner-britische Debatten herangezogen wurde: Nicht so sehr Hannover oder seine Herrscher, die nun eben auch Könige Großbritanniens waren, interessierten; wichtig war viel mehr, wie man z.B. durch Kritik am kontinentalen Engagement für den deutschen Kleinstaat ein eigenes politisches Programm durchsetzen konnte. „Hanover“ wurde ein Platzhalter für unterschiedliche Ziele. Auch die Religionszugehörigkeit des Königs war ein Politikum und einer der wenigen Aspekte seiner Person, der weiteres Interesse fand. Kritik an der Regierung kleidete sich hier in Form von teils theologischen Debatten über die Frage, ob der Lutheraner Georg sich überhaupt als Oberhaupt des anglikanischen Königreichs eignete. Trotz kritischer Töne sah er sich jedoch als Protestant nie so starker Kritik gegenüber, wie sie in den Beschreibungen gerade der Herrschaften der katholischen „petty princes“ im Reich sichtbar wird. Auch hier zeigt sich wieder die Verschränkung von Eigen- und Fremdwahrnehmung, in der das positive Bild des protestantischen Großbritanniens zwangsläufig negativ auf die Darstellung des katholischen Deutschlands, beispielsweise der Stadt Köln, abfärben musste.

Ähnlich ambivalent gibt sich auch die britische Beschäftigung mit den Germanen, die ungefähr um die Jahrhundertmitte populärer wurde. Ließ sich gerade die Geschichte der Sachsen als Beleg für die angeblichen Freiheiten der viel beschworenen Ancient Constitution heranziehen oder die Germanen als wildes, aber dennoch reines Barbarenvolk behandeln, so konnte man sie zugleich auch als Beleg für echte Barbarei und Brutalität der Deutschen verwenden – Argumentationslinien, die in Geschichtsbüchern oder auch in Pamphleten zur Rolle deutscher Söldner in britischen Diensten Verwendung fanden. Nicht nur die Germanen, auch das Reich selbst erfuhr zum Endes des 18. Jahrhunderts mehr Interesse. Konnten Briten zuerst den Mangel an Kultur und Refinement der Deutschen fast spiegelbildlich auch in der Landschaft ablesen – immer vor dem Gegenbild des gebildeten Gentleman und der vom Fleiß seiner Bewohner geprägten Landschaft der Insel -, wandelte sich das Deutschlandbild im Zuge der Romantik zusehends. Die angebliche Wildheit und Unberührtheit des Landes galten zumindest einer intellektuellen Avantgarde, wie Geyken im siebten Kapitel herausarbeitet, als pittoresk, Deutschland gerade im 19. Jahrhundert als von Industrie und Hektik noch weitgehend unberührtes Ursprungsland der Gotik.

Wie bereits an dieser Zusammenfassung deutlich wird, kann ein Buch, das sich einem so vielfältigen und ambivalenten Thema widmet, nicht einer geradlinigen Vorgehensweise folgen, sondern muss unterschiedlichen Kontexten nachgehen und nach Verbindungslinien suchen. Um dem Leser die Lektüre zu erleichtern, wird jedes Kapitel von einer Zusammenfassung abgeschlossen, die die Ergebnisse in den weiteren Zusammenhang stellt. In der stets lesbar geschriebenen und teils amüsanten Darstellung der Wahrnehmung Deutschlands im Großbritannien des 18. Jahrhunderts arbeitet Frauke Geyken die britischen Wurzeln dieser Wahrnehmung deutlich heraus. Sie zeigt an vielen Beispielen, dass die Reisenden ihr Großbritannien nie wirklich zu Hause ließen, dass Historiker, Enzyklopädisten und Pamphletisten bei ihrer Behandlung des Reiches immer ihre Heimat mit ins Spiel brachten.

Den Übergang von „Englishness“ in eine „Britishness“ macht Geyken dabei bereits in den 1740ern im Kontext der Debatte um Hannovers Verhältnis zu Großbritannien aus. Dieser These werden manche vor dem Hintergrund einer anderen Quellenbasis vielleicht widersprechen wollen, aber auch sie werden in „Gentlemen auf Reisen“ ein interessantes Buch vorfinden, das erfreulicherweise deutlich über die bloße Beschreibung von nationalen Stereotypen hinausgeht und gerade für deutsche Leser einen besonderen Reiz haben dürfte: „For an instance of which, among many others, I shall now only mention the word schnupftuch, a handkerchief, instead of which the Bavarians say a nosenwischern, the Swiss a nosenlumpen, and the Austrians a fazonetla, which they borrowed from the Italian.“ (S. 114)

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