R. Scholz: Reichsgerichtliche Aufwertungsrechtsprechung

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Titel
Analyse der Entstehungsbedingungen der reichsgerichtlichen Aufwertungsrechtsprechung. Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der konservativen Geldpolitik der Reichsbank und der Inflationspolitik der Reichsregierung


Autor(en)
Scholz, Richard
Reihe
Rechtshistorische Reihe 246
Erschienen
Frankfurt am Main 2001: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
159 S.
Preis
€ 30,20
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Reinhold Zilch, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Die vorzustellende, im Jahr 2000 an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main verteidigte rechtswissenschaftliche Dissertation widmet sich mit der sog. Aufwertungsrechtsprechung des Reichsgerichts im Gefolge des Ersten Weltkrieges einer umfangreichen, sich binnen weniger Jahre entwickelnden komplizierten Rechtsmaterie, die bis dahin als unantastbar geltende Rechtsgrundsätze außer Kraft setzte bzw. umwälzte. Neubewertungen gab es für die „clausula rebus sic stantibus“, die Forderung „pacta sunt servanda“ sowie die Rechtsfiguren von der „wirtschaftlichen Unmöglichkeit“, von der „Unzumutbarkeit der Leistung“ und von „Treu und Glauben“ (S. 14 f.). Damit verbunden waren verfassungsrechtliche Fragen nach dem richterlichen Prüfungsrecht für Gesetze bzw. der Abgrenzung zwischen gesetzgebender und richterlicher Gewalt (S. 95). Scholz stellt sich nun die Aufgabe, diese juristischen Probleme in Zusammenhang zu stellen mit den „Rahmenbedingungen“ (S. 16) der von ihm als „konservativ“ bezeichneten Geldpolitik der Reichsbank sowie der Inflationspolitik der Reichsregierung. Dazu wird im ersten Teil der Arbeit ein zeitlicher Bogen gespannt vom Währungsrecht des deutschen Kaiserreichs über dessen Modifizierungen im Ersten Weltkrieg bis hin zum Ende der deutschen Geld- bzw. Papiermark in der Inflation sowie der Währungsreform Ende 1923/Anfang 1924 mit Renten- und Reichsmark (S. 19-67).

Auf dieser aus den Rechtsquellen sowie der Sekundärliteratur gearbeiteten Basis entwickelt der Autor nun das Aufwertungsproblem (S. 69-138). Dabei beschreibt er sowohl Erscheinungsformen in der Rechtsprechung und die langwierige Genese des Aufwertungsgedankens in dieser als auch die konkrete deutsche Entwicklung bis zum zentralen Reichsgerichtsurteil vom 28. November 1923, das erstmals umfassend die Zulässigkeit der Aufwertung einer Forderung feststellte (S. 69-95). Dem schließt sich eine Darstellung der verfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen zwischen dem obersten deutschen Gericht und der Reichsregierung an (S. 95-119). Schließlich folgt eine Beschreibung der eigentlichen Aufwertungsgesetzgebung von der 3. Steuernotverordnung v. 14.2.1924 bis zur Novelle v. 9.7.1927 zum Aufwertungsgesetz v. 15.7.1925 (S. 119-138), was aber bei Scholz kaum über den Rahmen einer minutiösen Auflistung der jeweils neu hinzutretenden bzw. der sich ändernden Rechtsbestimmungen hinausgeht.

Auch dieses anspruchsvolle Programm bearbeitet der Autor auf der Grundlage einschlägiger zeitgenössischer Urteilssammlungen und juristischer Fachliteratur unter Einschluss der bekannten Kommentare sowie wichtiger finanz- und bankwissenschaftlicher Literatur. Hinzu kommt Sekundärliteratur in großer Breite. Dabei bleibt Scholz aber stehen! Es werden von ihm weder die umfangreichen Dokumentenveröffentlichungen wie die „Akten der Reichskanzlei“ oder die Sammlung „Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart“ noch korrespondierende Editionen der Sieger- bzw. Besatzungsmächte des Ersten Weltkrieges herangezogen. Ebenso bleiben die Stenographischen Berichte des Reichstags bzw. des preußischen Landtags und der Parlamente anderer deutscher Einzelstaaten unberücksichtigt – geschweige denn die voluminösen Aktenüberlieferungen im Bundesarchiv, dem Geheimen Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz bzw. in den anderen deutschen Archiven. Damit verharrt die Argumentation von Scholz notwendig auf dem Stand der Analyse der für die Öffentlichkeit bestimmten Quellen, der Aussagen der Jurisprudenz am Ende eines jeweiligen Rechtsfindungsprozesses bzw. auf dem Stand der Forschung zur Weimarer Republik. Die Beweggründe für den Sinneswandel in der Richterschaft, in der Ministerialbürokratie und beim Gesetzgeber bleiben, sofern sie nicht schon aus der Sekundärliteratur übernommen werden konnten, weitgehend im Dunkeln. Scholz mag dies wohl selbst als Manko empfunden haben, denn auf S. 54 z.B. verweist er auf den in dem Band „Das Kabinett Cuno“ der „Akten der Reichskanzlei“ aufgenommenen Bericht von Reichsbankpräsident Havenstein vom 23. April 1923 1, ohne dass die Edition Aufnahme in das umfangreiche Literaturverzeichnis (S. 145-158) gefunden hat. Doch damit nicht genug: S. 58 z.B. werden fünf weitere Dokumente aus dem Bundesarchiv unter Angabe der Aktensignatur erwähnt, und auch diese Quellen werden weder in das Literaturverzeichnis noch das Vorwort (S. 7) oder die Einleitung (S. 13-17) aufgenommen. Anzumerken bleibt, dass genau auf dieser Seite 58 der hier vorzustellenden Monographie auch das häufig zitierte Standardwerk von Carl-Ludwig Holtfrerich „Die deutsche Inflation 1914-1923“ 2 herangezogen wird, in der auf den von Scholz benannten Seiten 162 ff. eben exakt die fünf erwähnten Archivalien ausführlich analysiert werden ...

Wenn nun Scholz schlüssig ureigenste Existenzsorgen des Richterstandes aufgrund der Inflationsfolgen als wesentliches Element für die Durchsetzung des Aufwertungsgedankens in der Rechtsprechung herausarbeitet (S. 89 f.), dann ist ihm durchaus zuzustimmen. Bedauerlich bleibt aber, wenn der Autor nun diesen Ansatz nicht auch auf die Ministerialbürokratie ausdehnt und dabei auf die große innere Widersprüchlichkeit des Gesamtprozesses der Beendigung der Inflation stößt, die den benannten Erklärungsversuch relativiert: Zu der wichtigsten zeitgenössischen Rechtsliteratur, die Scholz auch ausgiebig zitiert, gehören z.B. zwei Gesetzeskommentare von Franz Schlegelberger und Rudolf Harmening 3 sowie von Oskar Mügel 4. Schlegelberger und Mügel waren nun aber herausragende Vertreter der Ministerialbürokratie - ersterer seit 1921 Abteilungsleiter im Reichsjustizministerium und Ministerialdirigent, letzterer bis April 1923 sogar Staatssekretär im preußischen Justizministerium, danach nicht beamteter „Staatskommissar für die Vorbereitung einer landesrechtlichen Justizreform“ sowie Mitglied des Aufsichtsrats der Röchling Eisen- und Stahlwerke 5. Die von Scholz ebenfalls herangezogene Schrift Mügels „Geldentwertung und Gesetzgebung“ 6 trägt sogar auf dem Titelblatt als Zusatz zum Namen den auffallenden Hinweis auf die Funktion des Autors als aktiver Staatssekretär, sein Kommentar mit dem Zusatz „a.D.“. Kann man also, wie es Scholz macht, allein dem Richterstand die Initiative in der Aufwertungsfrage zusprechen? Inwieweit entsprachen die Aktionen der Judikative den Intentionen der Exekutive? Konnten sich bis Ende 1923 Protagonisten der Aufwertung wie Schlegelberger und Mügel nicht gegen Widerstand in den eigenen oder anderen Behörden durchsetzen? Weiter gefragt: Welche Haltung bezogen eigentlich die in den deutschen Parlamenten vertretenen Richter sowohl in den Plenardebatten als auch in den vielfach überlieferten, nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Ausschussdebatten? - Scholz bleibt die Antworten schuldig. Somit bleibt zusammenfassend der Eindruck einer Monographie, die im wesentlichen bekanntes Material zusammenstellt, ohne aber entscheidend über den Forschungsstand hinauszugehen.

Anmerkungen:
1 Das Kabinett Cuno, 22. November bis 12. August 1923, bearb. v. Harbeck, Karl-Heinz, Boppard a. Rh. (1968), S. 424f., Dok. Nr. 138.
2 Holtfrerich, Carl-Ludwig, Die deutsche Inflation 1914-1923. Ursachen und Folgen in internationaler Perspektive, Berlin, New York 1980.
3 Schlegelberger, Franz; Rudolf Harmening, Gesetz über die Aufwertung von Hypotheken und anderen Ansprüchen vom 16. Juli 1925, Berlin, 5. Aufl. 1927.
4 Mügel, Oskar, Das gesamte Aufwertungsrecht, Berlin, 5. Aufl. 1927.
5 Vgl. die Kurzbiographien in: Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 1817-1934/38, Bd. 11/II: 14. November 1918 bis 31. März 1925, bearb. v. Schulze Gerhard, Hildesheim 2002, S. 652 u. 686.
6 Mügel, Oskar, Geldentwertung und Gesetzgebung, Berlin 1923.

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