J. Boardman: Die Perser und der Westen

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Titel
Die Perser und der Westen. Eine archäologische Untersuchung zur Entwicklung der Achämenidischen Kunst


Autor(en)
Boardman, John
Reihe
Kulturgeschichte der Antiken Welt 96
Erschienen
Anzahl Seiten
314 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Sommer, Wolfson College, Oxford

Dass "Kunst" nicht allein ästhetischer Betrachtung zugänglich ist, hat sich mittlerweile auch in den eher traditionsbezogenen archäologischen und kunstwissenschaftlichen Instituten deutscher Universitäten herumgesprochen. Eine beeindruckend lange Liste von Werken widmet sich mittlerweile, aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln, den spannenden Wechselwirkungen zwischen Bilderwelt und Gesellschaft.1 In der angelsächsischen Archäologie ist vor allem ein Name mit der Befreiung des Bildes aus dem Getto der Ästhetik verknüpft: John Boardman. Der in Oxford lehrende Emeritus für Klassische Archäologie, Verfasser von Standardwerken zur griechischen Vasenmalerei und Skulptur2, tat sich nicht zuletzt auch im Grenzbereich zwischen Alter Geschichte und Archäologie hervor.3 Kulturkontakte zwischen griechischer Antike und den Gesellschaften des Alten Orients gehören gleichfalls seit längerem zu den Arbeitsfeldern Boardmans.

Mit dem jetzt ins Deutsche übersetzten Band "Persia and the West" (Originalausgabe London 2000) nimmt er sich, gewohnt informativ und solide, der vielfältigen Wechselwirkungen zwischen der materiellen Kultur des Achaimenidenreichs einerseits sowie Anatoliens, des Ägäisraums und Griechenlands andererseits an. Das Buch füllt gleich in zweierlei Hinsicht eine Lücke: Erstens stand, wiewohl historische Synthesen und Detailstudien zum Perserreich der Achaimeniden Hochkonjunktur haben,4 eine zusammenfassende Monografie zu altpersischer Kunst auf aktuellem Wissensstand bis dato aus.5 Zweitens gab es zuvor keinen Versuch vergleichbaren Umfangs, die verschiedenen Einflussfaktoren für die Genese achämenidischer Kunst und zugleich deren Rückwirkung auf den ägäisch-anatolischen Raum angemessen zu evaluieren.

Der besondere Wert von Boardmans Buch besteht darin, dass es sich thematisch nicht auf das begrenzt, was gemeinhin unter "Kunst" verstanden wird, sondern Architektur und den weiten Bereich sogenannter Kleinkunst einbezieht. Auf entsprechend breiter Basis zeichnet es Herkunft und Ausbreitung verschiedenster Traditionen im Schmelztiegel eines ethnisch und kulturell heterogenen Großreichs nach, von Mauertechniken über Bauornamentik bis hin zu Gestaltungskonventionen in Relief- und Rundplastik, Glyptik und Münzprägung. Das typologische Gerüst, das Boardman entwickelt, dürfte jedem einschlägig arbeitenden Archäologen und Historiker wertvolle Orientierungshilfen bieten.

Mit gutem Grund hält sich Boardman mit Blick auf die Künstler und Handwerker, die eigentlichen Schöpfer der Objekte, zurück. Viel ist über deren ethnischen Hintergrund spekuliert worden, doch enthält die materielle Kultur selbst uns die entscheidenden Informationen vor, um hier urteilen zu können. Boardman zieht lediglich das heran, was in Texten, griechischen zumeist, über das Wirken von Griechen bzw. Kleinasiaten im Perserreich überliefert ist. Das ist wenig genug, genügt aber, um das Bild multifaktorieller Beeinflussung der achaimenidischen Kunst zu vervollständigen.

Das Ergebnis kann, betrachtet man in vergleichender Perspektive andere Großreiche, nicht wirklich überraschen: Die Perser vereinnahmten, einmal in Kontakt getreten mit den Randkulturen des Westens, Elemente, die sich produktiv in den Dienst einer "imperialen", und das heißt allzumal: propagandistisch inszenierenden, Kunst stellen ließen. Ob man mit Boardman so weit gehen möchte, das alles wesentlich auf dem Konto eines einzelnen Herrschers, Dareios I., zu verbuchen, gleichsam als Endstufe eines Masterplans, "eher 'am Reißbrett' geplant als Gegenstand einer Evolution" (S. 262), sei dahingestellt. Dass für die Perser, wie nicht anders ja auch für die Athener oder das augusteische Rom, ganz massiv die funktionalen Aspekte monumentaler Bilder im Vordergrund standen, wird niemand ernstlich bestreiten wollen.

Dies alles ist sehr überzeugend, luzide und durchaus auch für Laien verständlich herausgearbeitet sowie, mit steten Verweisen auf das reiche Bildmaterial, brillant veranschaulicht. Nur lässt es Boardman bisweilen an Konsequenz fehlen, kann seine am klassischen Formenschatz geschulte Ästhetik zu oft zu wenig verleugnen. So stiehlt sich mehr als einmal der Eindruck zwischen die Zeilen, die imperiale Bilderwelt der Achaimeniden sei doch, in ihrer "Statik", in ihrem einseitigen Bezug aufs Repräsentative, nicht zuletzt in ihrem Eklektizismus, etwas Minderwertiges, wenigstens verglichen mit der schöpferischen Originalität der Griechen. Da feiern, klammheimlich versteht sich, uralte, längst überwunden geglaubte Stereotypen Urständ. Boardman konterkariert so einen Teil seines eigenen analytischen Konzepts, was dem intellektuellen Mehrwert keinen Abbruch tut, aber doch den Genuss trübt.

Den beeinträchtigt freilich mehr noch die Übersetzung, die Stilblüten in Serie hervorbringt, nicht selten auch völlige Ratlosigkeit ob kunstvoll verkorkster Satzungetüme erzeugt. Das ist schade, weil der Verlag im übrigen das Kunststück vollbracht hat, den Band weit besser als die englische Originalausgabe aussehen zu lassen: erweitert um Farbtafeln und ausgestattet mit wesentlich besseren Reproduktionen der zahlreichen Abbildungen - und das auch noch zu einem mehr als akzeptablen Preis.

Boardmans Buch ist eine unentbehrliche Referenz. Bei allen verständlichen und verzeihlichen Schwächen kann es jetzt schon den Rang eines Klassikers auf seinem Gebiet beanspruchen.

Anmerkungen:
1 Pionierarbeit für die Klassische Archäologie leistete P. Zanker: Augustus und die Macht der Bilder, 3. Aufl., München 1997; jüngst widmeten sich für die Archäologien die Beiträge in: R. von den Hoff; St. Schmitt (Hgg.): Konstruktionen von Wirklichkeit. Bilder im Griechenland des 5. und 4. Jahrhunderts, Stuttgart 2001, weiterhin M. Heinz; D. Bonatz (Hgg.): Bild - Macht - Geschichte. Visuelle Kommunikation im Alten Orient, Berlin 2002, dem Problemkomplex. Theoretische Perspektiven eröffnen u.a. H. Belting (Hg.): Der zweite Blick. Bildgeschichte und Bildreflexion, München 2000, sowie ders.: Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft, 2. Aufl., München 2002.
2 J. Boardman: Athenian Black Figure Vases. A Handbook, London 1974; Athenian Red Figure Vases. The Archaic Period, London 1985; ders.: Greek Sculpture. The Classical Period, London 1985; ders.: Greek Sculpture. The Late Classical Period and Sculpture in Colonies and Overseas. A Handbook, London 1995.
3 J. Boardman: The Greeks Overseas, Harmondsworth 1964.
4 Vgl. vor allem J. Wiesehöfer: Das antike Persien, Zürich 1993; P. Briant: Histoire de l'empire perse, Paris 1996, sowie die Bände 1-11 der Reihe Achaemenid History, begründet von H. Sancisi-Weerdenburg und A. Kuhrt.
5 Veraltet, wenngleich noch immer eine Fundgrube, ist R. Ghirshman: Perse. Proto-Iraniens, Mèdes, Achéménides, Paris 1963. Vgl. aber die Beiträge in: R. W. Ferrier (Hg.): The Arts of Persia, New Haven 1989. Zur materiellen Kultur der parthischen und sasanidischen Perioden V. S. Curtis; R. Hillenbrand; J. M. Rogers (Hgg.): The Art and Archaeology of Ancient Persia. New Light on the Parthian and Sasanian Empires, London 1998.

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