N. Timmermann: Repräsentative 'Staatsbaukunst' im faschistischen Italien und im nationalsozialistischen Deutschland

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Titel
Repräsentative 'Staatsbaukunst' im faschistischen Italien und im nationalsozialistischen Deutschland. Der Einfluß der Berlin-Planung auf die EUR


Autor(en)
Timmermann, Nicola
Erschienen
Stuttgart 2001: Ibidem Verlag
Anzahl Seiten
350 S., 238 Abb.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Waltraud Sennebogen, Fachbereich Geschichte, Universität Regensburg

Auf seiner Fahrt vom Bahnhof Ostiense Richtung Lido di Ostia bemerkt der Rombesucher linker Hand ein monumentales Gebäude: Dieses von den Römern leicht spöttisch als „Colosseo quadrato“ bezeichnete Bauwerk ist der „Palazzo della Civiltà Italiana“ - das heute wohl bekannteste Überbleibsel der groß angelegten „Esposizione Universale di Roma“ (EUR). Die architektonische Hinterlassenschaft der für 1942 geplanten, jedoch nie eröffneten italienischen Weltausstellung umfasst ein mehrere Hektar großes Areal. Neben dem Foro Italico und der Città Universitaria gilt das Gelände als wichtigstes Zeugnis faschistischer Architektur. Lange Zeit fiel es in der italienischen Hauptstadt schwer, das architektonische „Erbe“ aus der Ära des Faschismus anzuerkennen 1. Die einst ungeliebten Bauwerke wurden in den letzten eineinhalb Jahrzehnten allmählich als unverzichtbarer Bestandteil der italienischen Architekturgeschichte akzeptiert; sie stehen erst seit kurzem unter Denkmalschutz.
In Deutschland dagegen hat sich zwar die „Stadt der Reichsparteitage“ Nürnberg mit den baulichen Altlasten des Nationalsozialismus auseinander zu setzen 2, die einstige „Reichshauptstadt“ Berlin jedoch muss sich weniger um die „Worte aus Stein“ sorgen 3.

Nichtsdestotrotz haben Berlin und Rom eine Gemeinsamkeit: Beide Städte waren Schauplatz der ambitioniertesten Bauvorhaben des jeweiligen Regimes. Während es in Berlin nur in begrenztem Umfang zur Realisation der megalomanen Bauprojekte kam 4, wurden in Rom die meisten Vorhaben ausgeführt oder zumindest begonnen 5.
Die „Esposizione Universale di Roma“ und die Entwürfe Albert Speers für die Umgestaltung Berlins zur „Reichshauptstadt Germania“ können parallel betrachtet werden, da sie als Manifestation der jeweiligen „Staatsarchitektur“ gelten. Bis dato allerdings unterblieb eine solche Gegenüberstellung.

Mit ihrer Dissertation bei dem Kunsthistoriker Gerhard Eimer versucht Nicola Timmermann diese Lücke zu schließen und eine Verbindung zwischen dem deutschen und dem italienischen Großprojekt herzustellen: Es ist Timmermanns zentrales Anliegen, nachzuweisen, dass die Berlin-Planung Speers einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die Gestaltung der EUR hatte.

Dabei ist sich Timmermann der Problematik eines Diktaturenvergleichs bewusst. Ihr Hauptaugenmerk gilt dem spezifischen Bereich der offiziellen „Staatsbaukunst“ beider Diktaturen. Der Einfluss der Berlin-Planung auf die EUR steht laut Timmermann in unmittelbarem Zusammenhang mit der zunehmenden Vereinnahmung des faschistischen Italien durch das nationalsozialistische Deutschland. Nach einem knappen Überblick über den bisherigen Forschungsstand beginnt der in drei Großkapitel gegliederte Hauptteil der Arbeit.

Im ersten thematischen Block präsentiert Timmermann die Situation von Architekten und Architektur unter dem jeweiligen Regime (S. 15-110). Dem Abschnitt über die „staatliche Reglementierung der Architekten im faschistischen Italien“ folgt der „staatliche Einfluß auf die Architekten im nationalsozialistischen Deutschland“. Es zeigt sich, dass in beiden Ländern als Folge eines - wenngleich in Italien nicht als solchen bezeichneten - Gleichschaltungsprozesses eine streng reglementierte Berufswelt geschaffen wurde. Dieses Vorgehen bildete die Grundlage für den staatlichen Zugriff auf die Architektur als Ausdrucksmittel des Hitlerschen und Mussolinischen Repräsentationsgedankens.

Sodann beschreibt Timmermann die „Suche nach einem ‚faschistischen Stil‘ als Prozeß der Angleichung“. Sie stellt die wichtigsten Strömungen der italienischen Architektur (Futurismus, Rationalismus, ‚Scuola Romana‘, Gruppe ‚Novecento‘) in ihrer Auseinandersetzung mit dem faschistischen Regime vor. Zunächst gab es durchaus Berührungspunkte zwischen Avantgardisten und Regime. Im Lauf der Zeit aber - insbesondere unter dem zunehmend stärker werdenden Einfluss des deutschen Nationalsozialismus - konnten die traditionalistisch orientierten Architekten um Marcello Piacentini bei offiziellen Prestigebauten „den Status als ‚Staatsbauarchitekten‘ für sich allein in Anspruch nehmen“.

Im nationalsozialistischen Deutschland dagegen sieht Timmermann ein ungleich vehementeres Vorgehen bei der „Verdrängung der Avantgarde“ und dem Entstehen einer „‘programmatische[n] NS-Architektur‘“. Schnell hätten anfänglich noch bestehende Kontinuitäten zwischen dem „Neuen Bauen“ der Weimarer Republik und auch bescheidene Ansätze einer „NS-Moderne“ an Boden verloren gegenüber dem „Neoklassizismus“ im Stile Albert Speers. Letzlich sei um 1936/37 in beiden Ländern der Neoklassizismus als ‚Staatsbaustil‘ etabliert gewesen. Er habe in den Großprojekten „Reichshauptstadt Germania“ und „Esposizione Universale di Roma“ seinen Höhepunkt erreicht.

Unter dieser Perspektive betrachtet Timmermann im zweiten Teil der Arbeit die beiden Bauvorhaben en detail (S. 111-263). Sie verfolgt zunächst die Entstehungsgeschichte der EUR ebenso wie deren ideologische und politische Hintergründe und schildert die Entwicklung des Projekts im Spannungsfeld der beiden Konzeptionen „Weltausstellung“ und ‚Città del Futuro‘. Besondere Aufmerksamkeit lässt Timmermann auch den einzelnen ausgeschriebenen Wettbewerben, den Entwürfen und den schließlich ausgeführten Bauten angedeihen. Im Anschluss daran behandelt sie die Berlin-Planung - die völlige „Neugestaltung einer Stadt“. In Analogie zu ihrem Vorgehen bei der EUR geht Timmermann dabei von der „Idee für die Neugestaltungspläne Berlins“ und von den „ideologischen und politischen Hintergründe[n] der Berlin-Planung“ aus. Sie schildert die Rolle der ‚Generalbauinspektion‘ Speers, das Konzept von Berlin-Mitte als ‚Idealstadt‘ und die „Entwicklung der Urbanistik und der Pläne“. Ein ausführlicher Abschnitt ist den Bauten an der ‚Großen Achse‘ gewidmet.

Schließlich kommt Timmermann auf den „Einfluß der Berlin-Planung auf die EUR“ zu sprechen. Sie beschreibt den Staatsbesuch Mussolinis in Berlin im September 1937 und wertet ihn als Ursache für den Wendepunkt in der Baugeschichte der EUR. Unter dem Eindruck seiner Stadtrundfahrt durch das festlich geschmückte Berlin mit der fertiggestellten Ost-West-Achse, flankiert von der Einweihung in die gigantischen Neugestaltungspläne durch Hitler höchstselbst, habe Mussolini seine Vorstellungen von der Gestaltung der italienischen Weltausstellung revidiert. Der „städtebauliche und architektonische Wandel der EUR“, der als Wandel „von der Moderne zur Tradition“ zu charakterisieren ist, vollzog sich auf Grund von Mussolinis Schlüsselerlebnis in Berlin: Trotz des bereits weit vorangeschrittenen Planungsstadiums erfolgten nach 1937 „substantielle Veränderungen des ursprünglichen Bebauungsplanes“ und die „Modifizierung nahezu aller modernen Entwürfe für die EUR“: „Die Anforderungen an die Gestaltung der EUR als Stadt, die Mussolini in ‚perfekter‘ Weise in der Berlin-Planung Speers verwirklicht sah, sollten auch den Charakter der EUR prägen: Symmetrische Verhältnisse, Axialität und Monumentalität zur Schaffung eines zeitlosen Herrschaftssymbols, das die Prinzipien des antiken Roms wesentlich besser zu verkörpern versprach, als es die modern-rationalistische Architektur- und Stadtplanung des ersten Plans für die EUR vermocht hätten“. Gemäß dieser Vorgabe ging man dann unter der Federführung Marcello Piacentinis an die Arbeit und begann zu realisieren, was Hitler abwertend „lediglich eine schwache Kopie deutscher ‚Staatsbaukunst‘“ nennen sollte.

Doch wie für Berlin brachten die Kriegsjahre auch für die EUR bald eine Phase der „städtebauliche[n] Stagnation“. Timmermann stellt diese Zeit an den Beginn des dritten Teils, der „Das Ende faschistischer und nationalsozialistischer ‚Staatsbaukunst‘ und ein Ausblick auf die Architektur der Nachkriegsjahre“ betitelt ist. Dieser Ausblick orientiert sich an der Frage „Bruch oder Kontinuität“. Timmermann verfolgt die Entwicklung der Architekten in Italien nach dem Untergang des Faschismus, setzt sich mit dem Schicksal der EUR auseinander und betrachtet kurz die Entwicklung der Architektur in Deutschland im Zeichen des Wiederaufbaus (S. 285-293).

In ihrer „Schlußbemerkung“ ordnet Timmermann die deutsche und italienische Architektur der dreißiger Jahre in den europäischen Kontext ein: Auch in anderen Ländern wurden damals „die gestalterischen Prinzipien der Monumentalität, der Symmetrie und neoklassizistischer Stilelemente als adäquate Ausdrucksformen staatlicher Repräsentationen empfunden und angewendet“ (S. 294). Mit dem Untergang der Diktaturen Hitlers und Mussolinis scheiterten auch deren ehrgeizige architektonische Pläne: Nach Kriegsende bedienten sich die Architekten hier wie dort einer „modern-rationalen Architektursprache“, die als „adäquate Ausdrucksform der im Entstehen begriffenen Demokratien“ zu verstehen ist (S. 297). Nicht übersehen werden sollte allerdings, dass es sich großteils um dasselbe Personal handelte, das auf diese Weise seine eigene Vergangenheit mehr zu verdrängen als zu bewältigen suchte.

Der ausführliche Anhang mit Einzelbiografien wichtiger Architekten, dem Literaturverzeichnis und 238 Abbildungen schließt die Arbeit ab und ist zugleich Ausgangspunkt einer kritischen Betrachtung des von Timmermann Geleisteten. Besonders ansprechend wirken die tabellarisch im Wechsel von Nominalstil und verkürzten Sätzen gehaltenen biografischen Abrisse nicht. Ein kurzer Fließtext wäre in diesem Fall die nicht nur optisch bessere Lösung gewesen. Die technisch schlecht reproduzierten Abbildungen hinterlassen keinen guten Eindruck. Ein Verzicht auf die Masse der Bilder zu Gunsten einiger prägnanter und ansprechender gestalteter Beispiele erschiene mehr als wünschenswert. Das Literaturverzeichnis bleibt allzu sehr Publikationen in deutscher Sprache vorbehalten, was auch für die Arbeit selbst gilt und unausgewogen wirkt. Hinsichtlich der Begrifflichkeit ist das Fehlen von Anführungszeichen bei Termini wie „Drittes Reich“ oder „Machtergreifung“ zu kritisieren.

Ausgesprochen kritisch zu betrachten ist Timmermanns Vorgehen bei Zitaten. Die Darstellung ist geprägt von aus der Sekundärliteratur übernommenen Quellenzitaten („zitiert nach“). Diese unangemessene Arbeitsweise ist leider die Regel. Erschwerend kommt hinzu, dass Timmermann stets deutsche Übersetzungen zu Grunde legt. Dabei ist nie klar, ob sie selbst die Textstellen aus dem jeweiligen Buch übersetzt oder ob diese ihr dort bereits übersetzt vorlagen. Ein durchaus typisches Beispiel hierfür ist eine Rede Mussolinis in Perugia aus dem Jahr 1926 (S. 127). Timmermann zitiert den Text in deutscher Sprache, beruft sich aber auf einen englischen Literaturtitel. Es bleibt unklar, ob dessen Verfasser das Zitat ins Englische übertragen oder im Original wiedergegeben hat. Im Sinne eines wissenschaftlichen Vorgehens wäre es unerlässlich gewesen, die Originalrede in der einschlägigen Werkedition zu rezipieren 6. Dies trifft für nahezu alle Zitate aus Zeitschriften und Reden zu. Bei der erwähnten Mussolini-Rede fehlt zudem eine saubere Datierung, was das Auffinden des Originaltextes zusätzlich erschwert 7.

Außerdem datiert Timmermann Bottais „Carta del Lavoro“ einmal fälschlicherweise auf 1928 (S. 3), später dann aber korrekt auf den 21. April 1927 (S. 18). Zudem ist zu bezweifeln, dass sie alle wichtigen Quellen- und Literaturtitel rezipiert hat. So fehlt ihrer Passage über das ‚Casa del Fascio‘ in Como (S. 53-54) ein Hinweis auf die unlängst erschienene Studie von Sergio Poretti 8. Von Italo Insolera hat Timmermann zwar seine einzelnen Beiträge zur EUR zur Kenntnis genommen, nicht aber seine Monografie über die urbanistische Entwicklung Roms zwischen 1870 und 1970, in der er die EUR in die Stadtbaugeschichte Roms einordnet und deren Kenntnis sowohl für die größeren städtebaulichen Zusammenhänge als auch für den allgemeinen Hintergrund der EUR unerlässlich erschiene 9. Es verwundert bezüglich der Quellenauswahl, dass Timmermann Speers und Wolters‘ „Neue deutsche Baukunst“ 10 offenbar ebenso unbekannt blieb, wie die „Civiltà“ - die Zeitschrift zur geplanten Weltausstellung 11. Dem eigentlichen Titelthema sind lediglich zwanzig Seiten des gesamten Buches gewidmet. Dies sind die einzigen Stellen, an denen Timmermann überwiegend mit archivalischen Quellen arbeitet, neue Erkenntnisse gewinnt und nicht nur eine Zusammenfassung bisheriger Forschungen bietet (S. 242-263). Ihr Ziel, den Einfluss der Berlin-Planung auf die EUR nachzuweisen, hat sie somit zumindest erreicht.

Im Großen und Ganzen wirkt Timmermanns Dissertation allerdings wie ein Kompendium wissenschaftlicher Literatur und nicht wie eine eigenständige wissenschaftliche Arbeit. Immerhin erschließt sie mit dieser Zusammenschau eine vergleichende Perspektive zwischen Deutschland und Italien und macht darauf aufmerksam, dass diesbezüglich gerade in wissenschaftlicher Hinsicht noch einiges mehr geleistet werden könnte und sollte.

Anmerkungen:
1 Vgl. Hartmann, Rahel: Die surrealen Kulissen der Ewigen Stadt. Roms Umgang mit der lange Zeit wenig geliebten Architektur des Razionalismo, in: Neue Zürcher Zeitung, 05.11.2001. 2 Vgl. Reichel, Peter: Nürnbergs Reichsparteitagsruinen. Vom Mythos zur Dokumentation, in: ders., Politik mit der Erinnerung. Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit, Frankfurt a.M. 1999, S. 35-42. Das im November 2001 eröffnete Dokumentationszentrum findet reges öffentliches Interesse. Vgl.
http://www.museen.nuernberg.de/reichsparteitag/index_reichsparteitag.html
3 Vgl. Helmer, Stephen: Hitler’s Berlin. The Speer Plans for Reshaping the Central City, Ann Arbor 1985, S. 62-63; sowie Reichel, Peter: NS-Bauten. Keine Großbelastung für Berlin, in: Politik mit der Erinnerung., S. 149-158.
4 Vgl. Helmer, Stephen: Hitler’s Berlin, S. 13-62; sowie Reichardt, Hans; Schäche, Wolfgang: Von Berlin nach Germania. Über die Zerstörungen der „Reichshauptstadt“ durch Albert Speers Neugestaltungsplanungen, Berlin 1998, bes. S. 63-158. 5 Zur Entwicklung der „città fascista“ und der EUR bis 1942 vgl. Insolera, Italo, Roma moderna. Un secolo di storia urbanistica 1870-1970, Nuova edizione, Torino 1993, S. 143-174. 6 Opera Omnia di Benito Mussolini A cura di Edoardo e Duilio Susmel, Firenze 1951-1963 (Bd. I-XXXVI) bzw. Roma 1978-1980 (Bd. XXXVII-XLIV). 7 Es handelt sich um eine der beiden am 5. Oktober 1926 in Perugia gehaltenen Reden Mussolinis. Vgl. Opera omnia di Benito Mussolini XXII. Dall’Attentato Zaniboni al Discorso dell’Ascensione. A cura di Edoardo e Duilio Susmel, Firenze 1957, S. 213-227. Zitiert wird der Schluss der Rede (S. 227). 8 Poretti, Sergio, La Casa del fascio di Como, Roma 1998. 9 Vgl. Insolera, Italo, Roma moderna, S. 114-203. 10 Speer, Albert; Wolters, Rudolf: Neue deutsche Baukunst, Berlin 1940. 11 Die „Civiltà. Rivista della Esposizione Universale di Roma“ - eine reich bebilderte Zeitschrift mit Veröffentlichungen aller namhaften italienischen Architekten - erschien von 1940-1942.

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