Cover
Titel
"rausschmeißen...". Zwanzig Jahre politische Gegnerschaft in der DDR


Autor(en)
Eisenfeld, Peter
Reihe
Biografische Quellen 1
Erschienen
Bremen 2002: Edition Temmen
Anzahl Seiten
504 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Jander, Berlin

Die Kunst der „Eingabe“

Bereits die nicht eben zahlreichen Veröffentlichungen zur Geschichte von Opposition und Widerstand in der DDR - die in den 70er und 80er Jahren in der Bundesrepublik erschienen - zeigten, welche hohe Relevanz biografische Quellen zur Erforschung von Opposition in der SED-Diktatur, aber auch der DDR-Gesellschaft insgesamt haben. Damals griff man auf solche Quellen zurück, da anderes Material oft nicht verfügbar war und autobiografische Lebensschilderungen darüber hinaus die einzigen Quellen zu sein schienen, die ein ungeschminktes Bild der DDR-Wirklichkeit lieferten.

Mit der Öffnung der Archive im Gefolge des DDR-Zusammenbruchs sind biografische Quellen als Mittel wissenschaftlicher Erforschung der DDR - vorübergehend – etwas ins Hintertreffen geraten. Als Beleg bei der wissenschaftlichen Austragung politischer Deutungskonflikte schien nicht-biografisches Material weitaus geeigneter zu sein. Die Vieldeutigkeit persönlicher Erinnerungen und autobiografischer Texte macht sie als Beleg für interessengeleitete Historienmalerei oft unbrauchbar.

Nunmehr zeichnet sich jedoch erneut eine neue Wertschätzung von Biografien und politischen Lebensbildern ab. Die Buchreihe „Biographische Quellen“ der „Birthler-Behörde“ ist Ausdruck dieser neuen Suche nach anderen Zugängen zum Thema DDR. Mit dem ersten Band der neuen Reihe, Peter Eisenfelds Bericht mit dem Titel „rausschmeißen…“, sucht die Bundesbeauftragte Maßstäbe zu setzen.

Peter Eisenfeld und seine vier Geschwister (Hans, Ulrich, Bernd und Brigitte) wurden in Falkenstein (Vogtland) geboren. 1 Sie mussten früh erwachsen werden, da der Vater nach amerikanischer Kriegsgefangenschaft und sowjetischer Internierung erst 1948 als gebrochener Mann nach Hause kam. Da der Vater außerdem nicht zur Arbeiterklasse zählte, hatten die Kinder – ganz ohne ihr Zutun - in der Ausbildung vielfältige Behinderungen auszuhalten und zu überwinden. Peter Eisenfeld z. B. arbeitete einige Zeit im Bergbau.

Drei der Geschwister – Bernd (ausgebildeter Finanzwirtschaftler, heute Mitarbeiter der „Birthler-Behörde“ und dort Spezialist für die Verfolgung und den Widerstand von „Ausreisern“) 2, Ulrich (Maler) und Peter (gelernter Geologe und Übersetzer) – ließen sich trotz (oder vielleicht auch wegen) dieser Widrigkeiten die Butter nicht vom Brot nehmen und wurden, nach teilweise dramatischen Konflikten mit den Autoritäten, bereits vor dem Ende der SED-Diktatur aus der DDR vertrieben. (Bernd Eisenfeld hat bereits im Jahr 1978 in der Bundesrepublik die erste Studie zur Geschichte und dem Anliegen der Bausoldaten in der DDR publiziert. 3) Die beiden anderen Geschwister, Hans (Radiomoderator) und Brigitte (Sängerin), blieben dagegen trotz vieler Zweifel und der Behinderungen, die sie wegen ihrer rebellischen Geschwister in Kauf nehmen mussten, bis zum bitteren Ende in der DDR.

Jeder der fünf Eisenfelds hat in der Auseinandersetzung mit der DDR seinen eigenen Stil entwickelt. Peter Eisenfeld, durch das Beispiel seines Bruders Bernd gewarnt – der war in der DDR wegen der Verteilung von Flugblättern gegen den Einmarsch der Warschauer Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei verhaftet worden und hatte nach der Entlassung aus der Haft viele Jahre vergeblich seine Ausreise betrieben –, suchte sich vor allem legaler Formen des Protestes zu bedienen: Er schrieb Eingaben und drängte auf Antworten.

Fast kann man sagen, Peter Eisenfeld hat die Kunst der Eingabe bis zur Perfektion vorangetrieben. Als „Eingabenkönig“ titulierte ihn etwas ironisch sein Bruder Bernd in einem Film von Michael Trabitzsch über die Familie Eisenfeld. 4 Er benutzte in seinen Schriftstücken einen offenen und direkten Stil, der auch bereits belesene Kenner des Schriftguts der DDR-Opposition durch seine Radikalität überrascht. Ausgehend von der Gewissheit einer unumstößlichen Geltung der Menschenrechte auch in der DDR kritisierte Eisenfeld viele Einzelerscheinungen des gesellschaftlichen Lebens, aber auch die komplexe Struktur der Diktatur selbst.

Ob es um die neue Verfassung der DDR von 1968 ging oder um die Einführung des Wehrkundeunterichts in den 9. und 10. Klassen der allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule, um Konflikte am Arbeitsplatz oder in der Kirchengemeinde, immer nervte Peter Eisenfeld durch präzise argumentierende Schriftstücke das Heer der Ideologiepolizisten. 1984 schließlich eskalierten die Konflikte mit den Behörden – die Wohnung der Eisenfelds wurde in ihrer Abwesenheit offensichtlich durchsucht, dem Sohn kündigte man an, er werde kein Abitur machen dürfen, Peter Eisenfeld selbst rechnete mit seiner Verhaftung. Die Auseinandersetzung war so massiv, dass er einen Ausreiseantrag stellte und Ende April 1987 zusammen mit seiner Familie die DDR verließ. Im Angesicht der Gewalt, versagt das Wort.

Große Teile des hier vorliegenden Buches sollten bereits 1984, als sich für Peter Eisenfeld die Konflikte zuspitzten, in der Bundesrepublik veröffentlicht werden. „DDR beim Wort genommen – Briefe mit und ohne Antwort“, sollte das Buch heißen. Der Autor suchte damals mit einer solchen Publikation den Schutz der politischen Öffentlichkeit. Zwei Verlage lehnten das Manuskript jedoch – aus Gründen, die leider im Buch nicht erläutert werden – ab. Dieser Schutz ist heute nicht mehr nötig. Für den Leser heute bietet die Publikation, vor allem die Vielzahl der wiedergegebenen Dokumente, einen fantastischen Einblick in eine Vielzahl der kleineren und größeren Konflikte, in die Oppositionelle seit den späten 60er Jahren in der DDR verwickelt waren. Eine ähnlich exemplarische Dokumentation ist dem Rezensenten bisher nicht bekannt. Insbesondere in der politischen Bildungsarbeit lässt sich das Material dieser „autobiografischen Dokumentation“ hervorragend einsetzen.

Peter Eisenfelds Buch enthält darüber hinaus ein wesentliches Dokument zur Geschichte der Opposition in der DDR. Am 1. Mai 1983 hat er Jürgen Kuczynski eine Streitschrift zugesandt, in der er mit dem marxistischen Gesellschaftswissenschaftler über dessen Schrift „Menschenrechte und Klassenrechte“ 5 stritt. Punkt für Punkt entfaltete Eisenfeld hier eine philosophisch-politische Kritik am Menschenrechtsverständnis der DDR und der Umsetzung der Menschenrechte in der DDR, die in der Geschichte der DDR-Opposition eine Rarität darstellt. Da sich die DDR-Opposition der 70er und 80er Jahre in großen Teilen reformsozialistisch verstand, sind intellektuelle Positionen, wie sie hier von Eisenfeld vorgetragen wurden, nur ganz selten zu finden.

Die „autobiografische Dokumentation“ vermittle vor allem, schreibt Ehrhart Neubert im Vorwort, „dass politologische und soziologische Generalisierungen nur begrenzt zur Rekonstruktion der Konflikte beitragen, in die Oppositionelle verstrickt waren“ (S. 7). Das scheint mir nur halb stimmig. Biografien und Lebensschilderungen zeigen natürlich immer, dass generalisierende Aussagen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen nur begrenzte Erklärungskraft besitzen. Eine Theorie wäre keine Theorie, wenn sie auf jeden Einzelfall anwendbar wäre.

Die hier dokumentierten entschlossenen Versuche Peter Eisenfelds, einen Dialog mit der Macht, einen öffentlichen Diskurs, herzustellen, den die kleinen und großen Verwalter der Machtfrage ähnlich entschlossen immer wieder zurückwiesen und zum Schluss auch mit Gewalt unterdrückten, zeigt aus der Sicht des Rezensenten vor allem sehr präzise, dass die DDR sehr viel mehr war als nur eine einfache Diktatur. Bereits der Versuch, die gültigen Sprachregelungen in Frage zu stellen, und sei es auch nur mit dem Mittel der legalen Eingabe, galt der SED als ein Angriff auf ihr Macht- und Wahrheitsmonopol. Die politologische Generalisierung „totalitäre Diktatur“ beschreibt sehr treffend die Konfliktfelder, die Peter Eisenfeld hier, sehr zum Gewinn für Forschung und politischen Bildung, ausbreitet.

Anmerkungen:
1 Michael Trabitzsch, Die Eisenfelds. Eine gemeinsame Produktion von WDR, SFB und MDR, 1996.
2 Siehe auch das Stichwort „Eisenfeld, Bernd und Familie“, in: Hans-Joachim Veen u. a. (Hgg.), Lexikon – Opposition und Widerstand in der SED-Diktatur, Berlin 2001, S. 113.
3 Bernd Eisenfeld, Kriegsdienstverweigerung in der DDR – ein Friedensdienst?, Frankfurt a.M. 1978.
4 Michael Trabitzsch, Die Eisenfelds.
5 Jürgen Kuczynski, Menschenrechte und Klassenrechte, Berlin (Ost) 1978.

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