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Titel
Die sächsische Landeskirche nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges (1945-1948). Neubildung der Kirchenleitung und Selbstreinigung der Pfarrschaft


Autor(en)
Hein, Markus
Reihe
Herbergen der Christenheit Sonderband 6
Erschienen
Anzahl Seiten
327 S.
Preis
€ 18,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Norbert Friedrich, Fliedner-Kulturstiftung Kaiserswerth

Seit der Wende von 1989/1990 hat sich kirchliche Zeitgeschichtsforschung intensiv mit der Kirchen- und Gesellschaftsgeschichte der DDR beschäftigt. Viele Spezialstudien und Überblicksdarstellungen sind erschienen, heftige und polemische Konflikte um die Darstellungen und die Bewertungen prägten und prägen die Forschungslandschaft. Gleichzeitig wurde, gerade in diesen Auseinandersetzungen, das Profil der Kirchlichen Zeitgeschichte geschärft, indem umfassende Theoriedebatten geführt wurden. 1

Interessanterweise hat sich das Forschungsinteresse dabei bisher nur sehr begrenzt auf die ersten Nachkriegsjahre konzentriert, obwohl sie doch Jahre der Transformation und der Inkubation, Jahre des Systemwechsels waren.

Markus Hein will mit seiner Arbeit – eine theologische Dissertation an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Leipzig - für die sächsische Landeskirche diese Lücke schließen und damit Konstitutionsbedingungen für die Geschichte der sächsischen Landeskirche unter den Bedingungen der DDR klären.

Hein verzichtet bei seiner Darstellung zugleich bewusst auf eine Methodenreflexion und ein komparatistisches Vorgehen. Er setzt sich, wohl auch auf Grund der schwierigen Quellenlage 2 sowie der bisher kaum vorhandenen Forschungen, das Ziel, zunächst – eher im Rankeschen Sinne – die komplizierten Geschehnisse in der Kirche zu rekonstruieren. Ein Vergleich mit anderen Landeskirchen, der für die westlichen Länder möglich wäre, 3 solle erst dann angestellt werden, wenn auch für andere östliche Landeskirchen ähnliche Forschungen vorliegen. 4

Hein impliziert mit dieser Prämisse zusätzlich die These, dass es eine spezifische kirchenpolitische Situation und Entwicklung der Landeskirchen in der Sowjetischen Besatzungszone gegeben habe. 5 Er argumentiert hier freilich sehr vorsichtig, ja er bemüht sich geradezu, keine einheitliche These oder Fragestellung aufzustellen.

Ausdrücklich betont Hein in seinem einleitenden Kapitel, dass er keine Gesamtdarstellung vorlegen wollte. Er konzentriert sich vielmehr, wie auch der Untertitel des Buches signalisiert, auf das kirchenleitende Handeln in der damaligen Zeit. Konkret geht es um die Fragen, wie es zu einem Neuanfang innerhalb der sog. zerstörten sächsischen Landeskirche kommen konnte und wie man mit dem Problem der Deutschen Christen und der NSDAP-Mitglieder in der Landeskirche umgehen wollte und umgegangen ist und wie der Weg zu einer neuen Kirchenverfassung gegangen wurde.

Nachdem Hein im ersten Kapitel einen Überblick über die Fragestellung sowie die Quellen- und Literaturlage gibt und im zweiten einen knappen Blick auf die „Lage 1945 in Sachsen“ wirft, steht im dritten Kapitel die Institution Kirche im Mittelpunkt. Hein rekonstruiert den „Weg zu einer neuen einheitlichen Kirchenleitung der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens“.

Dabei weist die sächsische Landeskirche wie auch das Land Sachsen gegenüber anderen Regionen und Landeskirchen eine gewichtige Besonderheit auf. Teile des Landes waren zunächst von den Amerikanern besetzt, erst später rückten diese ab und die russische Besatzungsmacht übernahm die Kontrolle. So war in diesem kleinen Gebiet auch die Kommunikation noch stärker eingeschränkt.

Ergebnis war, dass sich im Frühjahr 1945 insgesamt drei vorläufige Kirchenleitungen bildeten, in Leipzig, Zwickau und Dresden. Während das Zwickauer Konsistorium nur eine Zwischenepisode war und sich später mit dem Leipziger vereinte, war der Antagonismus zur Dresdner Kirchenleitung, die neben und dann mit dem noch bestehenden Landeskirchenamt bestand, bedeutend. In Leipzig war die theologische Fakultät Kern der Neuordnungsbemühungen, in Dresden war es der Pfarrer Franz Lau, der den Übergang zu einer einheitlichen Kirchenleitung entscheidend mit organisierte, auch wenn er selber sich aus Gründen, die nicht deutlich werden und die wohl auch schwer zu rekonstruieren sind, aus allen leitenden Funktionen zurückzog und an die Hochschule ging.

Das längste Kapitel des Buches wendet sich dann der „Selbstreinigung“ zu. Hein hat hier bewusst auf die Benutzung der Entnazifizierungsakten verzichtet, er stellt die kirchliche Selbstorganisation in den Mittelpunkt der Darstellung, die sich an den Runderlassen der Alliierten und den Vorgaben der Sowjetischen Militäradministration orientieren musste. Die kirchliche Binnenperspektive, dann auch noch bezogen auf eine Landeskirche mit spezifischen Problemen, führt zu einer sehr konzentrierten und minutiösen Darstellung. Dagegen treten mögliche Vergleichsgesichtspunkte und zusammenfassende Überlegungen zurück. Deutlich wird zugleich, wie nüchtern auch die Selbstreinigungsversuche zu beurteilen sind, welche Probleme sie hervorriefen – etwa in Bezug auf die NSDAP-Mitgliedschaft von Bekenntnispfarrern – aber auch, wie abhängig die innerkirchlichen Aktionen von den durch die Alliierten gesetzten Rahmenbedingungen waren. 6

Immer wieder stellt Hein die herausragende Rolle des späteren Leipziger Kirchenhistorikers Franz Lau (1907-1973) heraus. Er ist so etwas wie der heimliche Held des Buches, dessen Briefe und Schriften immer wieder herangezogen werden. Laus Nachlass ist eine wesentliche Grundlage seiner Darstellung. Leider beschränkt sich Hein aber auf dessen kirchenpolitische Aktivitäten in den dreißiger und vierziger Jahren; Laus theologische Position und seine konfessionelle Gebundenheit treten dagegen zurück, auch wenn diese für sein Verhalten wichtige Rückschlüsse zulassen würden. 7

Der zweite Teil des Kapitels zur „Selbstreinigung“ präsentiert dann knappe Skizzen sämtlicher sächsischer Superintendenturen in der NS-Zeit und den ersten Nachkriegsjahren. Diese Angaben sind, so wie sie hier zusammengestellt sind, primär von territorialkirchengeschichtlichem Interesse. Trotz der vielen Informationen zu den Biografien der Superintendenten vermisst man in diesem umfangreichen Kapitel Informationen zu der theologischen Prägung der handelnden Personen (beispielsweise durch die Studienorte) oder auch sozialstrukturelle Daten. Diese Informationen wären sicherlich für die außersächsischen Leserinnen und Leser in einer vergleichenden Perspektive wertvoll gewesen, während man vor diesen Zusammenstellungen und Listen ein wenig ratlos steht.

Eine Zusammenfassung sowie ein umfangreicher Quellenanhang, vielfach aus dem Nachlass Lau, und einige Pfarrerlisten schließen den Band ab. Nützlich ist zusätzlich noch das ausführliche Personenregister.

Markus Hein hat eine wichtige Studie auf einem noch unsicheren kirchenhistorischen Terrain der kirchlichen Zeitgeschichte vorgelegt. Dabei hat er sich freilich sehr stark auf die territorialkirchlichen Fragestellungen konzentriert und eine primär rekonstruierenden Blickwinkel gewählt. Indem er sich zudem ganz auf Kirchenleitung und Pfarrerschaft beschränkt, hat er seine Darstellung in doppelter Weise begrenzt. Er verzichtet, so sein Programm, auf Vergleiche mit anderen Landeskirchen, er blendet damit aber zugleich auch die sozial- und gesellschaftspolitischen Optionen und Diskussionen der Nachkriegszeit aus.

So ist die Studie sicherlich ein wichtiger Beitrag zur Erforschung der sächsischen Kirchengeschichte, als Beitrag zu einer methodengesicherten und multiperspektivischen kirchlichen Zeitgeschichte ist die Arbeit aber nur bedingt anzusehen.

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu z.B. Anselm Doering-Manteuffel; Kurt Nowak (Hgg.), Kirchliche Zeitgeschichte. Urteilsbildung und Methoden, Stuttgart 1996; Hinweise auch bei Gerhard Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, München 2000; Jochen-Christoph Kaiser, Forschungsaufgaben im Bereich der Kirchlichen Zeitgeschichte nach 1945, in: Mitteilungen der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte 2002.
2 Hein hat sich auf sächsische kirchliche Quellen konzentriert, staatliche Überlieferungen oder auch Aktenbestände in den Archiven anderer Landeskirchen sowie des Evangelischen Zentralarchivs wurden dagegen bewusst ausgespart.
3 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien genannt: Günter van Norden; Heiner Faulenbach, Die Entstehung der Evangelischen Kirche im Rheinland in der Nachkriegszeit (1945-1952), Köln 1998; Jörg Thierfelder, Zusammenbruch und Neubeginn: Die evangelische Kirche nach 1945 am Beispiel Württembergs, Stuttgart 1995; Klaus Erich Pollmann (Hg.), Der schwierige Weg in die Nachkriegszeit. Die Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig 1945-1950, Göttingen 1995; daran schließt sich an ders. (Hg.), Kirche in den fünfziger Jahren. Die Braunschweigische evangelisch-lutherische Landeskirche, Braunschweig 1997; Jürgen Kampmann, Von der altpreußischen Provinzial- zur westfälischen Landeskirche (1945-1953). Die Verselbständigung und Neuordnung der Evangelischen Kirche von Westfalen, Bielefeld 1998; Hinweise auf weitere Literatur bei Norbert Friedrich, Die Erforschung des Protestantismus nach 1945. Von der Bekenntnisliteratur zur kritischen Aufarbeitung, in: ders.; Traugott Jähnichen, Gesellschaftspolitische Neuorientierungen des Protestantismus in der Nachkriegszeit, Münster 2002, 9-35.
4 Hein selbst verweist (S. 23) auf die abgeschlossene aber noch nicht publizierte Leipziger theologische Dissertation von Thomas A. Seidel, Kirchliche Neuordnung in Thüringen: Studien zu einer mitteldeutschen Landeskirche im Übergang der Diktaturen 1945 bis 1951, diese wird im Jahr 2003 in der Reihe „Konfession und Gesellschaft“ erscheinen.
5 Vgl. dazu jetzt sehr ausführlich und überzeugend Martin Greschat, Die evangelische Christenheit und die deutsche Geschichte nach 1945. Weichenstellungen in der Nachkriegszeit, Stuttgart 2002.
6 Vgl. dazu die genannte Darstellung von Greschat.
7 Bisher fehlt eine gründliche Studie zu Person und Werk, vgl. als ersten Zugriff Michael Plathow; Franz Lau, in: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. IV (1982), Sp. 1234; Ingetraut Ludolphy, Franz Lau (1907-1973). Kirchenhistoriker und Anwalt evangelischer Diaspora, in: Lutherische Kirche in der Welt 48(2001), S. 205-218.

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