G. Mölich u.a.: Klosterkultur und Säkularisation

Titel
Klosterkultur und Säkularisation im Rheinland.


Autor(en)
Mölich, Georg; Oepen, Joachim; Rosen, Wolfgang
Erschienen
Anzahl Seiten
440 S. nebst CD-ROM
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Graumann, Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Mit dem Frieden von Lunéville vom 9. Februar 1801 wurde das linke Rheinufer der französischen Republik völker- und staatsrechtlich integriert. Wenig später wurde in den vier neuen französischen Departements die in Frankreich bereits erfolgte Säkularisation, die Enteignung des geistlichen Besitzes durch den Staat, eingeleitet und mit Beschluss der französischen Konsuln vom 9. Juni 1802 die Aufhebung nahezu aller Klöster und Stifte angeordnet. Ihre Besitzungen gingen in die Verwaltung des französischen Staates über und wurden sukzessive zum Kauf angeboten. Die Mitglieder erhielten, sofern sie nicht weiter im Pfarrdienst amtieren wollten, eine bescheidene Pension. Mit diesem Beschluss ging im Rheinland eine außergewöhnlich reichhaltige jahrhundertealte Kloster- und Stiftslandschaft unter. Das Rheinland und andere in der Folgezeit durch den Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803 von der Säkularisation betroffene Territorien erlebten mit dieser Finanzoperation zur Rettung der Staatsbudgets eine Besitz- und Vermögensumschichtung von bis dahin unvorstellbarem Ausmaß. Sie zog zahlreiche Veränderungen in diversen Bereichen nach sich und beeinflusste vor allem die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen nachhaltig.

Bereits seit längerem und besonders in jüngerer Zeit anlässlich des 200-jährigen Jubiläums der Säkularisation wird in der historischen Forschung der Frage nachgegangen, welche mannigfaltigen Veränderungen dieses gar als „événement le plus important de la Révolution“1 bezeichnete Ereignis im Rheinland und andernorts in Gang gesetzt hat. Der vorliegende Sammelband entstand aus einem 1999 initiierten Arbeits- und Forschungsprojekt des Landschaftsverbandes Rheinland. In fünfundzwanzig neueren wissenschaftlichen Beiträgen von Mitarbeitern des Verbandes und Historikern aus dem zumeist rheinischen Archiv- und Universitätsbereich werden darin aus multiperspektivischer Sicht heraus zahlreiche Aspekte dieser Epoche des großen Umbruches untersucht. Im Wesentlichen wird dabei das Augenmerk neben Köln auf die Länder links und rechts des Rheines gelegt, wobei die Rahmenbedingungen für die Säkularisation infolge der politischen Situation jeweils grundverschieden waren. Betrachtet wird zum einen die, wie sich herausstellt, durchaus prosperierende Zeit der geistlichen Gemeinschaften vor der Besetzung des Rheinlandes durch die Franzosen, zum anderen ihr Schicksal und das damit verbundene Umfeld nebst Folgen in napoleonischer sowie der nachfolgenden preußischen Zeit. Auch wird der Frage nachgegangen, welche bis in die Gegenwart andauernden Modernisierungsprozesse die Säkularisation im Rheinland nach sich zog. Insgesamt ist ein kompetentes, facettenreiches Werk entstanden, das vielfach bislang unaufbereitetes historisches Material unter bisher nicht aufgeworfenen Fragestellungen auswertet und zahlreiche neue Impulse und Denkanstöße gibt, ein instruktiver Sammelband mit Beiträgen unterschiedlicher Couleur, wie man ihn sich für manch anderes Sujet jener Zeit der französischen Herrschaft, nicht nur für das Rheinland, wünschen möchte.

Das Gesamtwerk umfasst vier Hauptteile. Ihnen gehen eine in die Thematik einführende Einleitung der Herausgeber und zwei von Joachim Oepen entworfene Karten zur Kölner Kirchenlandschaft in der Zeit vor und nach der Säkularisation voran, sie verdeutlichen bereits exemplarisch die Tragweite der Säkularisation.

1. Kloster- und Stiftskultur im Rheinland

In diesem ersten Teil des Werkes wird die Kloster- und Stiftskultur im Rheinland allgemein vorgestellt. Wolfgang Schaffer untersucht Seelsorge, Bildung, soziales Engagement, Wirtschaft und den Zustand der rheinischen Stifts- und Klosterlandschaft im 18. Jahrhundert in ihrer Bedeutung für die rheinische Kulturlandschaft und wartet für das alte Erzbistum Köln erstmalig mit einer hilfreichen tabellarischen Zusammenstellung der Gründungs- und Aufhebungsdaten der entsprechenden Institutionen auf. Toni Diederich beschäftigt sich mit dem Zustand und der Bedeutung der rheinischen Kollegiatstifte am Vorabend der Französischen Revolution. Sie waren gekennzeichnet durch einen wohl funktionierenden Stiftsbetrieb und Stiftsgottesdienst. Die Stiftsgeistlichkeit als privilegierte Elite mit vielfältigen Aufgaben hatte einen nicht zu unterschätzenden Einfluss. So musste die Suppression der Kollegiatstifte zu einem Ereignis von großer Tragweite geraten. Es folgt aus der Feder von Bertram Resmini ein Überblick zur Aufklärung und Säkularisation im Erzstift Trier. Insbesondere widmet er sich den Klostergemeinschaften in der Eifel und in der Stadt Trier. Christian Reinicke verfolgt exemplarisch am Beispiel des Herzogtums Berg erstmals die Auswirkungen der Säkularisation auf die klösterlichen Archive und Bibliotheken, welche im Regierungsauftrag einer globalen Sichtung und Inventarisierung unterzogen wurden und sich größtenteils in desolatem Zustand befanden. Wolfgang Schaffer untersucht im Anschluss daran am Beispiel der in der ambulanten Krankenpflege tätigen Cellitinnen in Köln in den Jahren von 1790 bis 1820 das Schicksal der wenigen nicht aufgehobenen Konvente. Sie standen im Sinne einer möglichst großen karitativen Effektivität unter strenger Staatskontrolle und waren durch große wirtschaftliche und personelle Bedrängnis gekennzeichnet. Barbara Schildt-Specker stellt exemplarisch anhand ausgewählter Konvente der Prämonstratenserinnen im alten Erzbistum Köln das Schicksal der geistlichen Frauengemeinschaften im Jahr 1802 dar und zeigt auf, wie sie durch die Aufhebung ihrer Klöster im Gegensatz zu den Ordensbrüdern, die zumeist eine neue Betätigung fanden, ihre Gemeinschaft, soziale Stellung und Sicherheit verloren, so dass als Konsequenz dieser Zwangspensionierung nur der Rückzug ins Privatleben blieb. Ingrid Joester skizziert anschaulich den durch die Säkularisation hervorgerufenen jähen Niedergang der Abtei Steinfeld in der Eifel, ein am Vorabend der Säkularisation durch und durch florierendes Kloster des Prämonstratenserordens, das als geistlicher Mittelpunkt mit hoher spiritueller Anziehungskraft weithin bekannt und zudem für die umliegende Bevölkerung ein gefragter Arbeitgeber war. Die Säkularisation versetzte Steinfeld ebenso den Todesstoß wie dem 1133 gegründeten Zisterzienserkloster Altenberg im Bergischen Land. Die Säkularisation bescherte jedoch hier, wie Annette Zurstraßen darlegt, der zugehörigen Kirche, dem Altenberger Dom - nach einem vorübergehenden ruinösen Niedergang - auf Initiative der nachfolgenden preußischen Regierung das seltene Schicksal eines noch heute praktizierten und umstrittenen paritätischen Simultangebrauches durch die katholische und evangelische Konfession.

2. Frömmigkeit und Kirchen

In diesem zweiten Teil des Buches überprüft Joachim Oepen die bislang von der Forschung weitgehend unberücksichtigte Lage der zahlreichen Bruderschaften im Rheinland und insbesondere in Köln. Die Bruderschaften zeichneten sich durch Kontinuität aus, veränderten aber ihr Bild und ihre Stellung in Kirche und Gesellschaft und trugen in der Folge zu einem nicht geringen Teil im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts zur Konstituierung des „katholischen Milieus“ bei. Durch beachtliche Kontinuität ist wider Erwarten auch das von Dieter P.J. Wynands untersuchte Wallfahrtswesen in der Säkularisationszeit gekennzeichnet. Es erfuhr durch die Wiederbelebung der Volksfrömmigkeit neue Entfaltungsmöglichkeiten. Andreas Metzing geht eingehend der Frage nach dem, von der Säkularisierungspolitik weitaus geringer betroffenen, evangelischen Kirchenvermögen auf dem linken Rheinufer nach. Für den rheinischen Protestantismus wurden die Zugehörigkeit zu Frankreich und die Angleichung an die innerfranzösische Gesetzgebung zu vermögensrechtlich wichtigen Garanten kirchlicher Güter. Sie bereiteten den Boden für das evangelische Kirchenvermögen in preußischer Zeit.

3. Wirtschaftliche und soziale Aspekte

Im dritten Teil des Bandes stellt Rüdiger Nolte die im allgemeinen unzureichende und sich auf die Gabe von Almosen beschränkende klösterliche Armen- und Krankenfürsorge im 18. Jahrhundert im Rheinland und in Westfalen vor. Mit Blickrichtung auf Köln legt Wolfgang Rosen die stabile ökonomische Entwicklung und Lage der dortigen Stifte und Klöster in der Zeit vor der Säkularisation dar. In dem anschließenden Beitrag untersucht Joachim Deeters, gleichfalls für Köln, die an den Stiften und Klöstern durchgeführten statistischen Erhebungen in der Zeit von 1795 bis 1801. Sie bezweckten im wesentlichen die Gewinnung von Erkenntnis über die Zahl der Geistlichkeit und ihr Vermögen und waren Voraussetzung für die anschließend durchgeführte Säkularisation. Klaus Müller analysiert im darauffolgenden Beitrag erstmalig die sich aus allen gesellschaftlichen Gruppen rekrutierenden, investitionsfreudigen Immobilien- und Rentenkäufer in Köln und zeigt die durch die Säkularisation hervorgerufenen sozialen Veränderungen innerhalb der städtischen Gesellschaft auf. Eric Barthelemy überprüft die bislang gleichfalls wenig beachteten sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Säkularisation im rechtsrheinischen Kölner Raum; durch die stagnierende Veräußerung der Güter wurden die Folgen der Besitzumschichtung hier erst in nachfranzösischer Zeit ab 1818 bedeutend. Mit der Frage nach dem Widerstand gegen die Aufhebung der Klöster im Herzogtum Berg beschäftigt sich Kurt Wesoley. Er veranschaulicht besonders am Beispiel des Klosters Hardenberg bei Neviges den erfolgreichen Einsatz der dortigen Bevölkerung für die Rückführung der Klosterinsassen. Eingehend untersucht Gabriele B. Clemens die durch die Nationalgüterverkäufe hervorgerufenen Besitzumschichtungen im Rheinland, aus denen die traditionellen Führungsschichten des Ancien Régime als Gewinner hervorgingen. Sie konnten in der Folge ihre wirtschaftliche und soziale Stellung festigen und ausbauen. Manfred Koltes stellt in einem Werkstattbericht das 1992 mit sieben Bänden unter Federführung von Wolfgang Schieder abgeschlossene bekannte Editionsprojekt über die Säkularisation und Mediatisierung in den vier rheinischen Departements von 1803 bis 1813 vor und erläutert die dem vorliegenden Sammelband beigefügte CD-ROM; sie enthält das gesamte Datenmaterial des umfangreichen Trierer Projektes und wird nun in optimaler Präsentationsform zum ersten Male einem breiten Interessentenkreis zugänglich gemacht. In dem letzten Beitrag dieses dritten Themenkomplexes veranschaulicht Johannes Kistenich anhand des Beispiels der Mendikanten im alten Erzbistum Köln, wie die Übernahme öffentlicher Lehrtätigkeit in der Zeit der Säkularisation zu einer „Überlebensstrategie“ für Personen und Institutionen geriet.

4. Kunst und Literatur

Der vierte Teil des umfangreichen Werkes ist den Folgen der Säkularisation in Kunst und Literatur gewidmet. Susanne Blöcker untersucht den Verbleib der reichhaltigen und kostbaren Kunstwerke aus den säkularisierten Kölner Kirchengütern. Sie wurden, nicht zuletzt durch die Sammellust der französischen Kölner, zum Fundus bekannter Kölner Museen und darüber hinaus vor allem auch zu allseits begehrten Materialien eines schwunghaften, Ende des 19. Jahrhunderts weltweit betriebenen Kunsthandels. Der sich etablierende Kunsthandel und das florierende Sammlungswesen veranlassten die nachfolgende preußische Regierung, sich nach einem ersten professionellen Kunstsammler im Rheinland umzusehen. Das Porträt dieses skandalumwitterten Konservators rheinischer Altertümer, Christian Geerling (1797-1848) aus Köln, zeichnet Christoph Schaden nach. Ernst Ribbat stellt abschließend aus Sicht des Germanisten die ungewöhnliche literarische Rezeption des Themas der Säkularisation durch Eichendorff, Kleist, Goethe und Heine vor.

Ein Personen-, Orts-, Kloster- und Stiftsregister runden den gelungenen Sammelband ab. Man darf einem für 2003 geplanten zweiten, als Ergänzung und Abrundung des Werkes gedachten Publikationsprojekt, einem umfangreichen „Klosterführer Rheinland“ mit Beiträgen zu rund einhundert rheinischen Klöstern und Stiften, mit Spannung entgegensehen.

Anmerkungen:
1 Bernard Bodinier, Eric Teyssier: « L’événement le plus important de la Révolution » : la vente des biens nationaux (1789-1867) en France et dans les territoires annexés. (= Mémoires et documents d’histoire de la Révolution française 53), Paris 2000.

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