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Titel
"Freies Land". Siedlungsplanung im ländlichen Raum der SBZ und der frühen DDR 1945 bis 1955


Autor(en)
Dix, Andreas
Erschienen
Köln 2002: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
524 S.
Preis
€ 69,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Schöne, Berlin

Im Vergleich zum urbanen Raum gehört die Agrarwirtschaft und mit ihr die ländliche Gesellschaft der DDR noch immer zu den wenig erforschten Bereichen der politisch-ökonomischen Entwicklung des zweiten deutschen Staates. Obwohl in den vergangenen Jahren eine wachsende Zahl von Publikationen zu einer deutlichen Erweiterung des Erkenntnisstandes beigetragen hat, bleiben zentrale Fragestellungen doch nach wie vor offen. Dies gilt insbesondere für die siebziger und achtziger Jahre, trifft aber auch auf die davor liegenden Jahrzehnte zu, die als entscheidende Formationsphase der „sozialistischen Landwirtschaft“ der DDR angesehen werden müssen. Selbst die Bodenreform und die Kollektivierung, die seit ihrer Initiierung ein ebenso breites wissenschaftliches wie publizistisches Interesse gefunden und wesentlich den Gang der deutsch-deutschen Beziehungen beeinflusst haben, können kaum als hinreichend erforscht bezeichnet werden. Zwar sind erste erfolgreiche, auf breiter Quellenbasis beruhende Versuche unternommen worden, sich diesen Prozessen unter verschiedenen Blickwinkeln zu nähern, doch sind selbst die relevante politische Entscheidungsfindung und deren Durchsetzung bis zum heutigen Tage nicht zufriedenstellend geklärt.

Um so mehr ist jeder Versuch zu begrüßen, sich den genannten Phänomenen systematisch zu nähern. Dies tut auch Andreas Dix in seiner unlängst veröffentlichten Habilitationsschrift und geht dabei von der These aus, dass „hinter der Bodenreform und der Kollektivierung neben der Machtpolitik, die eine unbestreitbar wichtige Rolle spielte, auch andere, ganz pragmatische Erwägungen standen, die in der Tradition deutscher und auch europäischer Agrarpolitik standen“ (S. 12). Anders formuliert: Stellten Bodenreform und Kollektivierung als Kernelemente der „sozialistischen Umgestaltung auf dem Lande“ die stringente Umsetzung eines politisch motivierten Herrschaftsanspruchs der SED-Führung dar oder waren sie doch eher das Resultat ökonomischer Notwendigkeiten, Unwägbarkeiten und Zwangslagen sowie traditionaler Vorprägungen ihrer zentralen Akteure? Dix nähert sich dieser Fragestellung sehr spezifisch, indem er die ländliche Siedlungsplanung der Jahre 1945 bis 1955 in den Mittelpunkt seiner Argumentation rückt. Damit betritt er Neuland, denn bisher hat in der historischen Forschung lediglich das im September 1947 per SMAD-Befehl Nr. 209 initiierte Neubauernbauprogramm Berücksichtigung gefunden, darüber hinaus ist wenig bekannt über die bauliche Planung, Entstehung und Entwicklung von Neubauerngehöften, Beispieldörfern, MTS-Bereichen und weiterem.

Im ersten Kapitel widmet sich der Verfasser in bisher nicht gekanntem Detailreichtum wichtigen Institutionen und Akteuren, um so den administrativen wie personellen Hintergrund der anstehenden Entscheidungen zu konturieren. Zu Recht betont er die mangelnde Kompetenz der SED in Fragen der Landwirtschaft, interessant ist hier jedoch vor allem der Nachweis, dass viele Experten auf dem Feld der ländlichen Siedlung ihre Karriere bereits im Dritten Reich begonnen und etwa im Warthegau „an exponierter Stelle“ (S. 93) Erfahrungen gesammelt hatten. Die SED-Führung als vermeintliche Bewahrerin antifaschistischer Traditionen konnte oder wollte auf diese Erfahrungen nicht verzichten, so dass eben jene Spezialisten ab den späten vierziger Jahren umfassend in die Dorfplanungen der DDR einbezogen wurden.

Im folgenden Kapitel analysiert Dix ausführlich die Zusammenhänge zwischen der ländlichen Siedlung und der Bodenreform während der Jahre 1945 bis 1952. Ausgehend von den Zielstellungen der nach Moskau emigrierten KPD-Führung zeichnet er ein im Allgemeinen überzeugendes Bild von der politischen Ausgangslage, den ökonomischen Notwendigkeiten und den daraus resultierenden Rahmenbedingungen für den Neu- bzw. Umbau der ländlichen Siedlungsstruktur. Es muss jedoch grundlegend bezweifelt werden, ob der Einfluss von Fordismus und Taylorismus tatsächlich derart umfangreich war, wie dies der Autor suggeriert. Natürlich eröffnete die ungebremste Fortschrittseuphorie der SED-Führung den Fachleuten die Möglichkeit, die Kleinhöfe der Neubauern in ihren Planungen zu optimieren, deren Grundrisse zu typisieren und ihre Bauteile zu normieren. Die Realität jedoch sah anders aus. Der extreme Mangel an Baumaterialien jeglicher Art, die häufige Isolation der Neubauern in den Dörfern, ganz allgemein der Widerspruch zwischen zentralen Vorgaben und lokalen Möglichkeiten verhinderten eine breite Durchsetzung derartiger Planspiele fast vollständig. Dieser Umstand wird durchaus auch vom Autor anerkannt, aufgrund seiner Fokussierung auf die Planungsebene und ausgewählte Beispieldörfer jedoch nicht im gebührenden Umfang berücksichtigt.

Das abschließende Kapitel evaluiert die Dorfplanung vor dem Hintergrund der Kollektivierung bis zum Jahre 1955, in dem Dix den Abschluss der grundlegenden Planungen zur Ausgestaltung des „sozialistischen Dorfes“ verortet. Dabei betont er den Zäsurcharakter des Jahres 1952, da mit den ersten Gründungen von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) auch ein Paradigmenwechsel in Bezug auf die Siedlungspolitik einherging. Bäuerlichen Einzelhöfen wurde nun kaum noch Bedeutung beigemessen, dafür rückte die Entwicklung und Etablierung „sozialistischer Dörfer“ in den Mittelpunkt.

Abermals stand nun eine radikale Veränderung des ländlichen Erscheinungsbildes an, die sich jedoch nicht auf praktische Erfahrungen stützen konnte. Stärker als bei der Bodenreform wurde daher das sowjetische Modell herangezogen, dessen Strukturen sich die DDR-Landwirtschaft nun ohnehin in zunehmendem Maße anpasste. Am Beispiel der umfänglich geförderten Musterdörfer arbeitet Dix die wesentlichen Elemente der Dorfplanung heraus: „die Schaffung eines neuen Dorfplatzes durch öffentliche Gebäude, die herausgehobene Bedeutung eines Kulturhauses [...], die Zusammenfassung der Wirtschaftsanlagen in der Flur, die Umnutzung der alten Bausubstanzen im alten Dorfkern zu Wohnzwecken und nicht zuletzt die park- und kulissenartige Grüngestaltung“ (S. 397f.). Doch in der Praxis klaffte selbst in den Musterdörfern eine nicht zu schließende Lücke zwischen Anspruch und Realität – für die Mehrheit der Gemeinden waren diese anspruchsvollen Planungen ohnehin nie relevant.

Insgesamt ermöglicht die vorliegende Arbeit einen detaillierten Einblick in einen bisher kaum beachteten Themenbereich der agrarhistorischen Entwicklung des ostdeutschen Teilstaates zwischen 1945 und 1955. Dabei wird deutlich – und hier bestätigt sich die Ausgangsthese des Verfassers –, dass die beschriebene agrarstrukturelle Transformation keineswegs aus einem kommunistischen „Masterplan“ resultierte, den die SED-Führung stringent durchzusetzen vermochte. Vielmehr zwangen die Rahmenbedingungen oftmals zu einer Modifikation des eingeschlagenen Weges. Trotz durchaus zu verzeichnender Erfolge wurden die beiden grundlegenden Zielstellungen der ländlichen Siedlungsplanung letztlich verfehlt. Weder gelang es, ein weitumfassendes System von Neubauernsiedlungen zu installieren, noch ließen sich die ehrgeizigen Pläne in Bezug auf das „sozialistische Dorf“ in die Realität umsetzen. Unter anderem deshalb wird auch weiterhin zu fragen sein, ob es sich bei der Bodenreform und bei der Kollektivierung tatsächlich um „zwei Varianten der ländlichen Modernisierungspolitik“ (S. 410) gehandelt hat.

Dies schmälert jedoch keineswegs den Wert der Studie. Dem eigenen Anspruch wird Andreas Dix durchaus gerecht, denn es ist ihm gelungen, einen originären „Beitrag zu einem vollständigeren und differenzierteren Bild der Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone und der frühen DDR“ (S. 22) zu leisten. Ein umfangreicher biografischer Anhang zu den wichtigsten Akteuren sowie zahlreiches Bildmaterial ergänzen die Arbeit.

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