E. Spevack: Allied Control and German Freedom

Cover
Titel
Allied Control and German Freedom. American Political and Ideological Influences on the Framing of the West German Basic Law (Grundgesetz)


Autor(en)
Spevack, Edmund
Reihe
Geschichte 36
Erschienen
Münster 2001: LIT Verlag
Anzahl Seiten
571 S.
Preis
€ 40,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marcus M. Payk, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Über die Brisanz der Frage, inwieweit das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 als eine eigenständig deutsche Verfassung oder doch eher als ein „Diktat der Alliierten“ zu werten sei, ist die Zeit hinweggegangen. Das Problem eines demokratischen Legitimationsdefizits durch die „Verfassungsschöpfung unter Besatzungsherrschaft“ (R. Morsey) ist zwar wiederholt aufgeworfen, größtenteils aber unter Hinweis auf den eigenständig deutschen Anteil an der Entstehung des Grundgesetzes sowie auf die akklamatorische Funktion der ersten und der nachfolgenden Bundestagswahlen verworfen worden. Und mittlerweile haben diverse Selbstvergewisserungen, zuletzt zum 50. Jahrestag des Grundgesetzes, gezeigt, wie tief der 1979 von Dolf Sternberger diagnostizierte „Verfassungspatriotismus“ in der bundesrepublikanischen Mentalität verankert ist.

Beste Voraussetzungen also, nochmals einen näheren Blick auf die genauen Umstände der Bonner Verfassungsschöpfung von 1948/49 zu werfen. Als Nachzügler zu den anlässlich des 50jährigen Jubiläums erschienen Neuerscheinungen und Neuauflagen zur Geschichte des Parlamentarischen Rates hat Edmund Spevack dazu die Studie „Allied Control and German Freedom“ vorgelegt, die es unternimmt, die amerikanischen politischen und ideologischen Einwirkungen auf die Verfassungsarbeit des Parlamentarischen Rates darzustellen und zu bewerten. Es ist in diesem Zusammenhang leider zugleich auf den traurigen Umstand hinzuweisen, dass der Autor, Mitarbeiter des DHI Washington und Lektor an der Harvard University, kurz nach Abschluss des Manuskriptes einer langjährigen Krankheit erlegen ist.

Das Buch gliedert sich in 25 Kapitel, die in sechs übergreifenden Teilen zusammengefasst werden. Von diesen beziehen sich allerdings nur drei auf die unmittelbare Bonner Verfassungsarbeit. Die im Anschluss an die Einleitung in Teil II („The Context 1941-1949“) ausgeleuchteten Vorläufe und Vorbedingungen der institutionellen Weststaatsgründung bilden eine hilfreiche, den Forschungsstand zusammenfassende Einführung und stellen eine solide, etwas zu umfangreich geratene Zusammenschau amerikanischer Deutschlandpolitik und der vorlaufenden Verfassungsgebung in den Ländern der US-Zone dar. Nur begrenzt sinnvoll wirkt dagegen das in Teil VI („Aftermath“) gezeichnete Panorama einer Konsolidierungs- und Rezeptionsgeschichte des Grundgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland; hier liefert der Autor dicht gedrängt einige Aspekte, denen im Grunde eine weiterführende Ausarbeitung zu wünschen ist.

Bleiben die Teile III, IV und V als Herzstücke der Studie. Spevack widmet sich in je einem großen Überblick den amerikanischen (III) wie den deutschen Absichten (IV) vor Beginn der Verfassungsarbeiten, indem er die maßgeblichen Institutionen und Akteure beider Seiten aufzeigt. Vor diesem Hintergrund folgt schließlich eine detaillierte chronologische Analyse der Tätigkeit des Parlamentarischen Rates zwischen „Cooperation and Conflict“ (V). Die Quellenbasis, über die Spevack dabei verfügt, ist stattlich: Neben den einschlägigen offiziösen Beständen aus deutschen und amerikanischen Archiven werden die Nachlässe von über 20 Akteuren herangezogen. Besonders aber die Durchsicht der OMGUS- und HICOG-Bestände nach den verstreuten relevanten Materialien verdient hervorgehoben zu werden. Hingegen bleiben manche Arbeiten aus der neueren Forschungsliteratur unberücksichtigt oder finden doch nur am Rande Erwähnung, was insbesondere für die 1999 erschienene Habilitationsschrift von Heinrich Wilms 1 gilt, die in mehrfacher Hinsicht einer ähnlichen Fragestellung folgt. Und schließlich mindern kleinere Flüchtigkeitsfehler, mehr aber noch die gelegentlich wortwörtliche Wiederholung ganzer Textpassagen, zuweilen das Lesevergnügen.

Dies schmälert indes nicht den grundsätzlichen Wert von Spevacks Buch. Es ist am stärksten dort, wo es sich auf die Interaktionen der Akteure konzentriert und zeigt, mit welchen Interessen beide Seiten an das Projekt eines westdeutschen Staates herangingen, welche Konflikte entstanden und wie sie beigelegt wurden. Die in den Kap. 12 und 16 versammelte biografische Galerie der „Constitution Framers“ bietet dazu eine instruktive Zusammenstellung der relevanten Personen und ihrer Netzwerke und leistet für einzelne Namen, so bei den OMGUS-Mitarbeitern Edward H. Litchfield und Kurt Comstock Glaser, wertvolle, wenngleich meist nur knappe Pionierarbeit. Konform zum bisherigen Forschungsstand zeigt Spevack anhand zahlreicher Einzelpunkte, dass die US-Besatzungsbehörden (und das State Department) über ihre Verbindungsstäbe die Tätigkeit des Parlamentarischen Rates sehr genau verfolgten und sich durchaus nicht scheuten, steuernd einzugreifen.

Die hinreichend bekannten, „öffentlichen“ Interventionen (so etwa die alliierten Memoranden vom 19.10. und 22.11.1948, 2.3. und 22.4.1949) und die gleichfalls zumindest in den Grundzügen bekannte Tätigkeit der amerikanischen Verbindungsoffiziere können nun in den breiteren Diskussions- und Entscheidungskontext der beiden Seiten eingeordnet werden. Dabei ist sich Spevack durchaus bewusst, dass die Rekonstruktion von vorwiegend in persönlichen Gesprächen vermittelten Anstößen und Einwirkungen rasch an die Grenzen der Überlieferungen stößt. Um so größer der Gewinn, den der Autor aus manchen der gesichteten Nachlässe zusammentragen kann.

Etwas problematischer hingegen fällt die Darstellung der ideellen und ideengeschichtlichen Beeinflussungen aus. Die im Untertitel als „ideological influences“ versprochene Anleihen und Anteile an der amerikanischen Verfassungstradition und ihren Spezifika bleiben trotz zahlreicher Details im Ganzen eher undeutlich. So werden im Abschnitt „American Plans for Constitutional Exports to Germany“ (Kap. 13) zwar die amerikanischen Konzepte in Umrissen kenntlich, doch eigentlich handelt es sich hier um eine Gegenüberstellung und Prüfung einzelner Aspekte der Verfassungsgebung bzw. von Normkomplexen des Grundgesetzes auf ihre Verwandtschaft mit der amerikanischen Verfassung. Damit aber bleibt Spevack gelegentlich unter den Möglichkeiten seines Themas. Die Frage nach dem Ursprung einzelner Bestimmungen des Grundgesetzes im Sinne eines einfachen „Exports“ amerikanischer Verfassungsideen (über deren Definition bereits unter den OMGUS-Mitarbeitern Uneinigkeit herrschte) verstellt eher die Sicht auf ein weitaus subtileres gegenseitiges Beeinflussungsgeflecht.

Eine stärkere Berücksichtigung von Ansätzen und Einsichten der jüngeren Kulturtransferforschung hätte mit Blick auf solche neuralgischen Gegenstände wie Demokratie- oder Verfassungsvorstellungen womöglich zeigen können, dass beide Seiten sich nicht zuletzt an einem abstrahierten Modell „westlicher Demokratie“ orientiert haben. Mithin wäre gerade bei den „ideological influences“ ein stärkerer inhaltlicher Fokus auf die Prozesse der Vermittlung und der wechselseitigen Überzeugung, auf die Konstruktion gemeinsamer Wertorientierungen und die Verschmelzung von normativen Zielsetzungen wünschenswert gewesen.

Wie wird nun abschließend der amerikanische Einfluss auf die Entstehung des Grundgesetzes vom Autor bewertet? Hier scheint sich Spevack möglicherweise selbst nicht ganz sicher zu sein, denn seiner Studie fehlt das, was man gemeinhin als Fazit, Bilanz, Resümee oder Zusammenfassung bezeichnen kann. Und das letzte Unterkapitel („The Spirit of 1948/49“) ist mit etwas mehr als einer halben Seite einfach zu kurz geraten, um diese Funktion erfüllen zu können. Ein zusammenfassender Überblick und eine Gesamteinschätzung der erarbeiteten Befunde würde zumindest dem Bedürfnis der Leserschaft entgegenkommen, sich rasch über die Hauptthesen zu orientieren, die in der dargebotenen eindrucksvollen Detailfülle nicht immer recht deutlich werden wollen.

Ungeachtet dessen handelt es sich aber bei Spevacks Buch um eine profunde und kenntnisreiche Untersuchung. Sie wird – so ist zu hoffen – nicht übersehen werden, wenn dereinst die noch ausstehenden großen Arbeiten über die bundesrepublikanische Verfassungsgeschichte und das Grundgesetz geschrieben werden.

Anmerkungen:
1 Heinrich Wilms, Ausländische Einwirkungen auf die Entstehung des Grundgesetzes, Stuttgart 1999.

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