Titel
Abgrund Metz. Kriegserfahrung, Belagerungsalltag und nationale Erziehung im Schatten einer Festung 1870/71


Autor(en)
Steinbach, Matthias
Reihe
Pariser Historische Studien 56
Erschienen
München 2002: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
167 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jürgen Herres, Marx-Engels-Gesamtausgabe, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Auch die Geisteswissenschaften haben die Geschichte des Krieges und seiner gesellschaftlichen Folgen wieder verstärkt entdeckt, was nicht zuletzt der Tübinger Sonderforschungsbereich „Kriegserfahrungen“ belegt. In dem hier anzuzeigenden kleinen Buch, das in der Reihe des Deutschen Historischen Instituts Paris erschienen ist, steht die Belagerung von Metz, eine der militärisch entscheidenden Ereignisse des Krieges von 1870/71, im Mittelpunkt. Die Belagerung war durch die Schlachten von Vionville/Mars-la-Tour und Gravelotte/St. Privat am 16. bzw. 18. August 1870 eingeleitet worden und hatte bis zum 27. Oktober 1870 angedauert. An ihrem Beispiel hat sich Matthias Steinbach das Ziel gesetzt, gestützt auf Augenzeugenberichte, Briefe, Tagebücher und Erinnerungen, ein exemplarisches Bild vom Leben im Krieg zu entwerfen. Sein Buch ist die überarbeitete Fassung eines Aufsatzes, der 1996 bereits in den Militärgeschichtlichen Mitteilungen (55, 1996, S. 1-49) unter dem Titel „Metz 1870 - Zum Alltag einer Belagerung im Deutsch-Französischen Krieg“ erschienen ist.

In insgesamt sieben Kapiteln schildert Steinbach zunächst den Ort des Geschehens. Metz mit normalerweise 48 000 Einwohnern und 9000 Festungssoldaten (während der Belagerung sollten es insgesamt 250 000 Menschen, darunter allein 180 000 Soldaten werden) war nach 1866 zu einer modernen Festung erweitert worden und galt zu Kriegsbeginn als das stärkste Glied innerhalb des französischen Festungsgürtels entlang der belgisch-luxemburgisch-deutschen und der Schweizer Grenze. Steinbach gibt dann einen kurzen Überblick über Vorgeschichte und die ersten Kämpfe sowie die Schlachten um Metz Mitte August 1870. Als die Belagerung begann, lagen auf den Schlachtfeldern um Metz an die 30 000 Gefallene, Schwerverwundete und Sterbende. Im Gegensatz zu der späteren fast mythischen Aufladung der Kriegserfolge, bestimmte das „Totengräbergeschäft“ - die deutschen Truppen mussten die Toten beider Parteien bestatten - die Erinnerung der Soldaten. Über den gesamten Zeitraum der zehnwöchigen Belagerung erfüllte Verwesungsgestank die Stadt und die Umgebung. Den Belagerungsalltag, den Kleinkrieg mit den französischen Festungstruppen und Freischärlern (Franctireurs) schildert Steinbach vor allem aus der Sicht der Belagerer, aber auch auf die Situation in Metz versucht er zumindest einzugehen. Ruhr und Typhus, die sich beiderseits der Belagerungslinien ausbreiteten, und vor allem der Hunger, zwangen die in Metz zusammengedrängte französische Rheinarmee zur Aufgabe. Auf deutscher Seite war der Glaube an die - dann fast bedingungslos erfolgte - Kapitulation zum Schluss fast geschwunden. Wäre die Festung ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgt gewesen, so hätte die Belagerung für die Deutschen während des Winters mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Fiasko führen können. Im Anhang gibt Steinbach einige Quellen in Auszügen wieder, u.a. die Kapitulationsurkunde vom 28. Oktober 1870.

Steinbach thematisiert den Kontrast zwischen unmittelbarer Kriegswahrnehmung - soweit diese heute noch nachvollziehbar ist - und späterer öffentlicher Deutung und Stilisierung. Wie er insbesondere am Beispiel der Aufzeichnungen des preußischen Ordonnanzoffiziers Hans von Kretschmann zeigt, die 1903 von dessen Tochter Lily Braun veröffentlicht wurden und Skandal machten, war er groß. Auch wenn Steinbach seinen Anspruch einer „perspective totale“ schon allein deshalb nicht einlösen kann, da er die französischen Erfahrungen allzu wenig berücksichtigt, handelt es sich um ein lesenswertes Buch.

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