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Titel
DruckBilder. Stereotype und Geschlechtercodes in den antipolnischen Diskursen der "Gartenlaube" (1870-1930)


Autor(en)
Koch, Angela
Reihe
Literatur - Kultur - Geschlecht: Große Reihe 21
Erschienen
Köln 2002: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
368 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stephan Scholz, Historisches Seminar, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Der deutsche Polendiskurs des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ist nicht nur für die kleine Gruppe derer, die sich mit der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte beschäftigen, ein lohnendes Forschungsgebiet. Wie die Arbeit von Angela Koch, die 2001 an der Berliner Humboldt-Universität als Dissertation angenommen wurde, in überzeugender Weise zeigt, kann die Analyse des diskursiven Umgangs der Deutschen mit Polen und den Polen auch Aufschluss über die bestimmenden Mechanismen und Prozesse der deutschen Nationsbildung generell geben.

Koch geht, wie mittlerweile üblich, von einem konstruktivistischen Nationsverständnis aus und verfolgt die Konstituierung und Stabilisierung der deutschen Nation durch die Verfahren diskursiver Abgrenzung von anderen Nationalitäten und Ausgrenzung inferior gedachter Gruppen. Zurecht weist Angela Koch in ihrem theoretisch-systematischen Teil, der besser an den Anfang als an das Ende der Arbeit platziert worden wäre, auf die Defizite der konstruktivistischen Nationalismusmodelle von Gellner, Hobsbawm und Anderson hin. Diese haben die geschlechtsspezifischen Implikationen der Nationsbildung nicht nur weitgehend ignoriert, sondern auch die Vorstellungen einer mit Männlichkeit verbundenen Nation nicht selten selbst reproduziert und kolportiert. Im Gegensatz dazu rückt Koch die Verbindungen und Interferenzen von Nations- und Geschlechterdiskurs in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung, die sie anhand von Polenstereotypen vornimmt, wie sie zwischen 1870 und 1930 in der „Gartenlaube“, einer der bekanntesten und verbreitetsten Unterhaltungs- und Familienzeitschriften der Zeit, präsentiert wurden.

Die Bedeutung von Polenstereotypen für die diskursive Konstruktion der deutschen Nation hat für die zwei Jahrzehnte vor der Reichsgründung erst kürzlich Berit Pleitner deutlich gemacht, ebenfalls anhand von vermeintlich unpolitischen Familienzeitschriften. Dabei hat sie auch auf die Verschränkung von nationalem und Geschlechterdiskurs im allgemeinen und die geschlechtsspezifische Aufladung des Polendiskurses im besonderen hingewiesen 1. In der Arbeit von Koch steht dieser Zusammenhang nun im Zentrum des Interesses.

Mit den Mitteln einer gleichermaßen sensibel wie präzis angewandten Diskursanalyse weist Koch nach, wie in Kaiserreich und Weimarer Republik mit geschlechtlich codierten Stereotypisierungen ständig an einer Sexualisierung der nationalen Konkurrenzbeziehung gearbeitet wurde, die je nach historischem Kontext unterschiedlich ausfallen konnte, aber immer die Form eines asymmetrischen Dualismus besaß. Drei Phasen der geschlechtlichen Codierung der Polenstereotype macht Koch aus, die zeitlich mit dem deutschen Kaiserreich, dem Ersten Weltkrieg und der Weimarer Republik zusammenfallen.

In der Zeit des Kaiserreiches bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges stehen die polnischen Ostprovinzen Preußens im Vordergrund. Koch zeigt überzeugend, dass die polnische Landschaft und Bevölkerung in dieser Zeit als weiblich-passive Verfügungsmasse des deutschen, männlich gedachten Kolonisators präsentiert wird, dem ein diskursiv entmaskulinisierter Pole als etwaiger Konkurrent nicht gefährlich werden kann. Die Bemächtigung des polnischen Raumes durch den deutschen Mann erscheint häufig in der codierten Form eines sexuellen Aktes, der seine Potenz und Herrschaft positiv charakterisiert.

Während des Ersten Weltkrieges verschiebt sich der Fokus weiter nach Osten auf die russischen Teilungsgebiete Polens, die von den Deutschen nun erobert wurden. Bevölkerung und Landschaft werden jetzt als Braut chiffriert, die dem Werben und Begehren des deutschen Soldaten erwartungsvoll entgegensehnt. Liebes- und Ehemetaphorik dienen gleichermaßen dazu, sowohl die militärische Eroberung als auch die Installierung eines asymmetrisch-patriarchalen Verhältnisses zu legitimieren. Die Eindeutschung polnischer Ortsnamen markiert in Analogie zum Namenswechsel der Frau bei der Eheschließung die Unterstellung unter die Herrschaft des deutschen Bräutigams. Polen verbleibt im Status der Unselbständigkeit.

Nach der deutschen Niederlage und den Gebietsabtretungen an Polen verändern sich die Stereotypisierungen. Der ‚verlorene deutsche Osten’ wird nun als „Mutter Heimat“ stilisiert, zu der eine natürliche, organisch-biologische und daher unauflösliche Bindung besteht. Der Pole erscheint nun zwar als durchaus maskulin, allerdings in der Fratze des Vergewaltigers der deutschen „Mutter Heimat“. Damit werden in drastischer Weise Unrechtmäßigkeit und Brutalität des Gebietsverlustes im Osten stereotyp vermittelt. Der deutsche Mann erscheint gegenüber dem Polen dabei nicht als machtloser, d.h. impotenter Verlierer, sondern als rechtmäßiger Kolonisator und Befruchter des Bodens, dem nur durch unehrenhaftes und verbrecherisches, also wiederum unmännliches Verhalten, die Verfügungsgewalt über das weiblich codierte Land entzogen werden konnte. Mit dem Appell an seine Männlichkeit wird der moralische Druck auf das Festhalten an einer Revision der Ostgrenze forciert.

Angela Koch gelingt es, die enorme Bedeutung geschlechtsspezifischer Codierungen von Stereotypen aufzuzeigen, die im Wechselspiel von Auto- und Heterostereotypen zur diskursiven Konstruktion einer inferioren polnischen und einer überlegenen deutschen Nation und damit zur Nationsbildung und -stabilisierung generell führen. Sie vernachlässigt dabei jedoch mitunter die Verbindung mit anderen Codierungen wie der konfessionellen oder der sozialen. So weist Koch „eine direkte Verknüpfung von antipolnischen mit antikatholischen Haltungen“ (S. 51) in der protestantisch geprägten „Gartenlaube“ ausdrücklich zurück, obwohl die von ihr zitierten Texte eine Verbindung der Feminisierung der Polen und der Katholiken zur Zeit des Kulturkampfes durchaus nahe legen (über Stereotype wie Irrationalität, Passivität, Rückschrittlichkeit) 2. Auch das Stereotyp der ‚starken polnischen Frauen’ kann Koch nur unzureichend interpretieren, indem sie es durch den historischen Kontext des Ersten Weltkrieges zu erklären versucht, obwohl das Bild schon wesentlich älter ist. Hier wäre stärker die soziale Codierung in der eindeutig dem bürgerlichen Diskurs zugehörigen „Gartenlaube“ zu berücksichtigen, dem die Verhaltensmuster adliger Frauen, die sich teilweise erheblich von den Idealen des bürgerlichen Frauenbildes unterschieden, vielfach fremd sind und der häufig zwischen Faszination und Ablehnung changiert. Abgesehen davon hat Angela Koch jedoch ein anregendes und lesenswertes Buch geschrieben, das für die Nationalismusforschung, die Geschlechtergeschichte und die Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen gleichermaßen ein Gewinn ist.

Anmerkungen:
1 Pleitner, Berit: Die ‚vernünftige’ Nation. Zur Funktion von Stereotypen über Polen und Franzosen im deutschen nationalen Diskurs 1850 bis 1871 (= Mitteleuropa – Osteuropa. 3), Frankfurt a.M. 2001, S. 199-215.
2 Zur Feminisierung der Katholiken im liberalen Diskurs vgl. Borutta, Manuel: Das Andere der Moderne. Geschlecht, Sexualität und Krankheit in antikatholischen Diskursen Deutschlands und Italiens (1850-1900), in: Rammert, Werner u.a. (Hgg.): Kollektive Identitäten und kulturelle Innovationen, Leipzig 2001, S. 59-75. Zur Historiographie der These einer Feminisierung des Katholizismus im 19. Jahrhundert und zur Diskussion der These selbst vgl. Schneider, Bernhard: Feminisierung der Religion im 19. Jahrhundert. Perspektiven einer These im Kontext des deutschen Katholizismus, in: Trierer theologische Zeitschrift 111 (2002), S. 123-147.

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