S. C. Sørlie: Solkors eller Hakekors

Titel
Solkors eller Hakekors. Nordmenn i Waffen-SS 1941–1945


Autor(en)
Sørlie, Sigurd Christian
Erschienen
Anzahl Seiten
626 S.
Preis
349 NOK
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Erol, Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Mit „Sonnenkreuz oder Hakenkreuz“1 legt der Historiker Sigurd Sørlie eine überarbeitete Fassung seiner 2015 an der Universität Oslo angenommenen Dissertation vor. Sørlie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Rolle der norwegischen Mitglieder der Waffen-SS zu erarbeiten. Zu der Geschichte der etwa 4500 Norweger, die militärisch mit der Okkupationsmacht kollaborierten, findet sich eine Vielzahl an Veröffentlichungen, jedoch sind kritische Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet rar, so dass die vorliegende Studie eine wichtige Forschungslücke schließt. Sørlie will nicht ausschließlich Militärgeschichte, sondern die Geschichte der Freiwilligen schreiben und greift hierfür, auf publizierte und unpublizierte Quellen zurück. Zentral sind die Zeugenberichte der Freiwilligen die im Rahmen der Nachkriegsprozesse protokolliert wurden, mündliche und schriftliche Berichte der Soldaten sowie persönliche, unveröffentlichte Tagebuchaufzeichnungen, Gedichte, Lieder und Feldpostbriefe. Sørlie hat seine Quellen aus Archiven in Deutschland, Norwegen, Schweden, Großbritannien, Tschechien und den Vereinigten Staaten zusammengetragen. Durch seine sorgfältige Arbeitsweise schafft Sørlie eine für den norwegischen Forschungskontext (der bei diesem Thema stark durch die Arbeit von Laien geprägt ist) bemerkenswerte Betrachtung des „Innenlebens“ von SS-Mitgliedern. Durch Verwendung von Pseudonymen wahrt er die immer noch gewünschte Anonymität der Freiwilligen.

In der Einleitung erläutert Sørlie die Struktur seiner Arbeit, gibt einen kurzen Abriss der folgenden acht Kapiteln und erleichtert dem Leser auf diese Weise die inhaltliche Orientierung. In den ersten beiden Kapiteln erarbeitet er den wissenschaftlichen Kontext. Er gibt einen Überblick über Entwicklung, Ideologie und Organisation der SS. Besonderes Augenmerk liegt auf den Zielen die hinter der Rekrutierungspolitik im okkupierten Westeuropa standen; Sørlie kommt zu dem Schluss, dass die Anwerbung ein Resultat rassepolitischer und machtpolitischer Entscheidungen war. Die Rekrutierung auf Basis der Freiwilligkeit sollte zu Beginn dem Anwerben des besten „Menschenmaterials“ Rechnung tragen (S. 43). Das gezielte Anwerben von Norwegern und der Aufbau der Standarte Nordland vollzog sich nach der Besatzung des Landes 1940. Bereits im ersten Kapitel räumt Sørlie mit der veralteten Annahme auf, dass der Beitritt von Norwegern rein dem ideellen Kampf gegen den Bolschewismus geschuldet war. Jedoch geht er speziell im zweiten Kapitel auf die Bedeutung von Revolutionsfurcht und Marxismus für die ideologische Prägung der norwegischen NS-Mitglieder ein. Auch wenn die Ziele von NS und SS nicht deckungsgleich waren, wurden die Freiwilligen zu Verfechtern der Vision eines „Großgermanischen Reiches“.

Im dritten Teil widmet sich Sørlie der Frage, warum sich Norweger in deutschen Kriegsdienst begaben. Er erstellt ein Profil der Freiwilligen, indem er diese nach sozialer, geografischer und politischer Herkunft unterteilt. Er analysiert, wie der Anwerbeprozess verlief und auf welche Angebote die Freiwilligen eingingen. Die Analyse zeigt, dass die Mehrheit sich aus politisch-ideologischen Gründen meldete. Häufig spielten idealistische Motive eine Rolle und der Glaube daran, dass Deutschland siegreich aus dem Krieg hervorgehen werde. An dieser Stelle unterstreicht Sørlie die Diskrepanz zwischen den eigentlichen Beweggründen, der SS beizutreten, und denen, die nach dem Krieg angegeben wurden.

Im vierten Kapitel geht es maßgeblich um die Ausbildung für den Kriegsdienst. Die mentale Prägung aller norwegischen Freiwilligen steht im Zentrum des Kapitels. Sørlie zeichnet den Alltag der neuen Rekruten vom Aufstehen bis zum Schlafengehen nach und macht deutlich, dass in den Übungslagern und Junkerschulen neben der militärischen großer Wert auf die charakterliche Ausbildung gelegt wurde. Im fünften Kapitel werden die Erlebnisse der Kriegsfreiwilligen in den besetzen Gebieten Ost- und Südosteuropas und an der eigentlichen Ostfront behandelt. Der Schwerpunkt liegt auf der Prägung der Soldaten durch das Leben an der Front, das Zusammenspiel von Vorurteilen gegenüber der sowjetischen Zivilbevölkerung einerseits, Sympathie und Menschlichkeit im Alltag andererseits, Gewohnheiten, sozialem Druck, Disziplinierung und bewusster Einflussnahme durch Vorgesetzte. Es geht Sørlie nicht so sehr um eine Tiefenanalyse als vielmehr um die Schilderung der Erlebnisse und Eindrücke der Freiwilligen.

Im Zentrum des sechsten Kapitels stehen die Gedanken der Freiwilligen, ihre politisch-ideologische Weltsicht. In diesem Zusammenhang untersucht Sørlie, welche Vorstellungen die Freiwilligen von der nordisch-germanischen Rasse und deren Feinden hatten. Zentral ist die Frage, ob sich die norwegischen Freiwilligen stärker mit der großgermanischen Gesellschaft oder der norwegischen Nation identifizierten. Viele der Freiwilligen fühlten sich Deutschland verpflichtet, sahen Norwegen jedoch weiter als das Vaterland an. „Im metaphorischen Sinn kann man sagen, dass sie das Sonnenkreuz höher hielten als das Hakenkreuz.“ (S. 297)

Sehr zum Gewinn der Arbeit untersucht Sørlie im siebten Kapitel die Beteiligung der norwegischen Freiwilligen an den Verbrechen Nazi-Deutschlands. Den detaillierten Schilderungen der Beteiligung norwegischer Freiwilliger an Gräueltaten sind verschiedene soziologische und psychologische Erklärungsansätze vorweggestellt, die die historischen Ereignisse kontextualisieren. Durch die Bedeutung für den norwegischen Nachkriegsdiskurs handelt es sich beim siebten Kapitel sicher um das schwierigste. Gesellschaftlich stellt die Kollaboration mit Nazi-Deutschland nach wie vor ein kontroverses Thema dar. Sørlie gelingt es, differenziert darzulegen, warum davon auszugehen ist, dass die norwegischen Freiwilligen vom Holocaust als auch von den Plänen für ein „Großgermanisches Reich“ Kenntnis gehabt haben müssen.

Im achten Kapitel werden abschließend Motivation und Kampfmoral betrachtet, die durch unterschiedliche Faktoren beeinflusst wurden und sich mit der Zeit veränderten. Sørlie argumentiert, dass die Erziehungsmethoden der SS bei den norwegischen Freiwilligen, die als „sehr unzufrieden charakterisiert wurden", nicht erfolgreich waren, wodurch die vollständige Integration der norwegischen Freiwilligen in die SS missglückte. Sørlie resümiert in der Schlussbetrachtung, dass das Anwerben von norwegischen Freiwilligen für die SS der Rassenideologie geschuldet war. Entgegen den bisherigen Annahmen wurden die norwegischen SS-Freiwilligen und die norwegischen Widerständler nicht durch die gleichen Ziele und Motive angetrieben. Sørlie unterstreicht, dass sich die Freiwilligen mit der Ideologie der SS identifizierten, Sympathien für NS-Deutschland und den Nationalsozialismus hegten, generelle rassistische und antisemitische Vorstellungen hatten, jedoch weiterhin als „glühende Nationalisten“ gesehen werden müssen. „Die kriegsfreiwilligen Norweger waren nicht nur motiviert durch den Wunsch den Kommunismus zu bekämpfen, Finnland zu helfen und die norwegische Selbstständigkeit zu unterstützen, sondern auch durch eine allgemeinere Sympathie für nationalsozialistische Ideen.“ (S. 428)

„Solkors eller Hakekors“ ist eine klar strukturierte, quellen- und kenntnisreiche Untersuchung zu den norwegischen Mitgliedern der SS. Alle Kapitel sind durch Zwischenüberschriften nochmals untergliedert was zuweilen zu einer zu starken Zergliederung führt. Für ein großes Manko ist das Lektorat verantwortlich. Karten, Abkürzungserklärungen und Erläuterungen zu militärischen Strukturen befinden sich am Ende der Publikation, ebenso wie der informative Anmerkungsapparat in Form eines Endnotenverzeichnisses. Insgesamt handelt es sich um eine äußerst lesenswerte Studie, die aufgrund der Ausführlichkeit besonders für Anfänger zu empfehlen ist.

Anmerkung:
1 Das Sonnenkreuz war das Symbol der norwegischen NS (Nasjonal Samling [Nationale Sammlung]).

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