Titel
Imperial Rule.


Herausgeber
Miller, Alexei; Alfred Rieber
Erschienen
Anzahl Seiten
Preis
$ 47.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Kusber, Historisches Seminar Abteilung VI: Osteuropäische Geschichte, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz

Die Erforschung von Imperien ist derzeit en vogue. Für das Zarenreich und die Sowjetunion hat sich vor allem um die Zeitschrift „Ab Imperio“ und ihre Redakteure eine lebhafte Forschungsdebatte entwickelt, die unterdessen zahlreiche regionale, thematische und zeitliche Verästelungen erfahren hat. 1 Für das Habsburgerreich steht die Erforschung der Vielgestaltigkeit und der Kohäsionskraft des Imperiums schon länger auf der Forschungsagenda. 2 Dabei wird nach der Bedeutung des Imperiums für soziale, politische, wirtschaftliche Gruppen und verschiedener Ethnien (oder deren Schnittmengen) in verschiedenen Kontexten gefragt, während der Vergleich zwischen Imperien zumeist skeptisch betrachtet wird.

Der hier anzuzeigende Sammelband teilt diese Skepsis nicht. Er geht von einem heuristischen Mehrwert des Vergleichs aus und vereinigt daher vor allem Beiträge, die sich als Einzelstudien zu verschiedenen Imperien, aber auch komparatistisch lesen lassen.

Drei Beiträge sind freilich auch in sich vergleichend angelegt: Der Beitrag von Norman Stone, Sergei Podbolotov und Murat Yasar zeigt anregend wie in einem Brennglas Möglichkeiten und Grenzen des Vergleichs, vor allem aber erfolgreich auch das Maß an Kompetenz und Kooperation, die es hierfür braucht, will man nicht Äpfel und Birnen miteinander vergleichen. In ihrem Beitrag über „The Russians and the Turks: Imperialism in the Era Empires” arbeiten die Verfasser einige grundlegende Eckpunkte für einen zu verfeinernden Vergleich heraus: So sind ihnen interessante Einsichten über die Bedeutung des byzantinisch-imperialen bzw. des mongolisch-imperialen Erbes für das Osmanische Reich respektive das Zarenreich gelungen. Auch stimmt für beide Imperien sicherlich, dass man sich das Konzept des Nationalismus über Kulturkontakt und Kulturtransfer aus dem Westen in jeweils spezifischer Weise und vor allem vergleichsweise spät aneignete. Schließlich war für beide Imperien ebenso konstitutiv wie folgenreich, dass Türken und Russen jeweils nicht die Mehrheit der Bevölkerung darstellten. Aber auch Unterschiede und Reichweite des Vergleichs in der Staatsorganisation werden angesprochen, so dass insgesamt mit diesem Aufsatz eine solide Ausgangsbasis für einen weiteren Vergleich gegründet ist.

Ein kleines historiografisches Kabinettstückchen ist Alfred Rieber in seinem epochenübergreifenden Vergleich eurasischer Grenzzonen verschiedener kontinentaler Imperien gelungen (The Comparative Ecology of Complex Frontiers), in dem er messianische und mythische Traditionen eines unterstellten Expansionismus solcher Imperium und das vieldiskutierte Paradigma des „clash of civilizations“ hinterfragt. Dominic Lieven vergleicht in seinem knappen Beitrag Charakteristika des Russischen und des Britischen Empire und findet hier mehr Vergleichspunkte, als man bislang bei flüchtigen Gegenüberstellungen des kontinentalen und des maritimen Imperiums par excellence erkannt hat.

In den übrigen Beiträgen wird jedoch nicht immer erkennbar, worin das Potential des Vergleichs liegt. Zwar wird in jedem einzelnen Beitrag deutlich, dass es sinnvoll ist, wie die Herausgeber Alexei Miller und Alfred Rieber in ihrer Einleitung betonen, dem Paradigma des Nationalen und des Nationalismus das der imperialen Dimension hinzuzufügen. Welche Erklärungskraft es jedoch im einzelnen und vor allem im Vergleich hat, lässt sich in den Themengruppen anhand der einzelnen Beiträge, die überarbeitete Beiträge einer Moskauer Konferenz aus dem Jahre 2003 sind, nicht immer klar erkennen. In der Sektion zu „Nationalismus und Imperialer Herrschaft“ vermag Alexei Miller in seinem Beitrag interessant darzulegen, dass sich der russische Nationalismus durchaus auf das gesamte Imperium beziehen konnte, verrät damit aber eigentlich nur, was spätestens seit der Arbeit von Andreas Renner gut bekannt ist. Vor allem für die deutsche Geschichtswissenschaft aufschlussreich ist hingegen Philipp Thers Plädoyer, die imperiale Dimension des wilhelminischen Kaiserreichs, die etwa durch Thomas Nipperdey und Hans-Ulrich Wehler kaum wahrgenommen wurde, auszuloten: Kolonialpolitik hatte eben nicht nur eine „überseeische“ Dimension, sondern bezog sich auch auf die slavischen Untertanen des Kaisers.

In dem Block zu „Legitimität und imperialer Herrschaft“ betrachtet Maciej Janovskij moderne und traditionelle Elemente der imperialen Legitimation des Habsburger Kaisers (Franz Joseph), Paul Werths Beitrag handelt von religiöser Toleranz und Religionspolitik im russländischen Imperium, während Selim Deringil der Bedeutung von Konversion und Apostasie für den Wandel imperialer Identitäten im Osmanischen Reich nachgeht. In dem Themenblock zu „Kern“ und Peripherie finden sich neben Lievens und Riebers Beiträgen Aufsätze zur Bedeutung der Russisch-Amerikanischen Kompanie für den imperialen Kontext (Ilya Vinkovetsky) und zum „langen“ Niedergang des spanischen Imperiums, in dem Sebastian Balfour freilich fallweise auch Vergleichspunkte zu anderen Imperien sucht.

Insgesamt vereinigt der Band lesenswerte, sehr gut dokumentierte und teils archivaliengesättigte Beiträge, die eine fundierte Ausgangsbasis für weitere, womöglich stärker fokussierte vergleichende Forschungen darstellen können. Sicher haben die Herausgeber recht, und dies zeigt der Sammelband eindrucksvoll, dass es in Imperien mehr zu untersuchen gibt als das spannungsreiche Verhältnis von Zentrum und Peripherie. Und so bleibt dem von Rieber und Miller zusammengebrachten Forschungsverbund zu wünschen, dass er seine Arbeit mit Nachfolgebeiträgen, die das Fundament für den Vergleich von Imperien verbreitern, fortsetzen kann. In ihrem Vorwort stellen die Herausgeber die Sinnhaftigkeit einer Typologie von Imperien in Frage. In der Tat: Wenn man sich die Zahl der behandelten Imperien anschaut (in unterschiedlichen Räumen und Epochen, maritime und kontinentale Imperien), dann hat man sich vielleicht in diesem ersten Schritt zu viel vorgenommen. Nachfolgeprojekte vermögen diese Disparatheit jedoch sicher auf spannende Weise auszugleichen.

Anmerkungen:
1 Siehe die teils programmatischen Beiträge in: Mogilner, M.; Glebov, S.; Kaplunovskij, A.; Gerasimov, I.; Semyonov, A. (Hgg.), Novaja Imperskaja Istorija Post-Sovetskogo Prostranstva. Kazan. Center Issledovanij Nacionalisma i Imperii, Kazan, 2004.
2 Hierzu jüngst: Maner, Hans-Christian (Hg.), Grenzregionen der Habsburgermonarchie im 18. und 19. Jahrhundert. Ihre Bedeutung und Funktion aus der Perspektive Wiens. Münster 2005 (Mainzer Beiträge zur Geschichte Osteuropas. Band 1).

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension