Titel
Wschodniopruskosc. Tozsamosc regionalna i narodowa w kulturze politycznej Niemiec. Ostpreußentum. Regionale und nationale Identität in der politischen Kultur Deutschlands


Autor(en)
Traba, Robert
Reihe
Prace Komisji Historycznej Poznanskiego Towarzystwa Przyjaciól Nauk, Wydzial Historii i Nauk Spolecznych 64
Anzahl Seiten
471 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Hackmann, Universität Greifswald / University of Illinois, Chicago

Robert Trabas Buch wurde 2005 mit dem Klio-Preis für historische Bücher in Polen ausgezeichnet und ist mittlerweile in zwei Auflagen vergriffen. Wenn man fragt, weshalb ein Buch über ostpreußische Identität so großes Interesse in Polen findet, so bieten sich zwei Erklärungen an: Zum einen gibt es in Polen eine breite historische Diskussion über die Frage, warum es in Ostpreußen zwischen 1848 und 1939 trotz einer nicht geringen polnischsprachigen Bevölkerung keine nennenswerte Bindung an die polnische Nation gab, sondern vielmehr nach dem Ersten Weltkrieg eine deutsche Vorpostenmentalität in der Region dominierte. Zum anderen hat sich um 1990 im Nordosten Polens unter dem Stichwort „offener Regionalismus“ eine kulturelle Neuorientierung in der polnisch-litauisch-jüdischen Kontaktzone entwickelt, die sich nicht mehr ethnisch, sondern multikulturell definiert. Daran hatten neben dem in Sejny gegründeten Kulturverein „Pogranicze“ („Grenzland“) – der übrigens als erster Verlag Tomasz Gross’ “Nachbarn“ in Polen veröffentlicht hatte – vor allem die Kulturgesellschaft „Borussia“ in Olsztyn / Allenstein Anteil, an deren Entstehen Robert Traba maßgeblich beteiligt war. Die Beschäftigung mit den kulturellen Relikten der preußisch-deutschen Zeit und die Verortung dieser Geschichte im kollektiven Gedächtnis der heutigen Bewohner prägt die Aktivitäten der „Borussia“. Aus diesem Spannungsverhältnis zwischen aktuellen regionalen kulturellen Aneignungsprozessen und der Betrachtung der früheren nationalen Konfliktsituation resultiert, so darf man vermuten, das große polnische Interesse an Trabas Buch.

Worum aber geht es in der vorliegenden Publikation? Die deutsche Übersetzung des Titels als „Ostpreußentum“ klingt sperriger als im Polnischen, sie ist mit ihrer Konnotation der Antiquiertheit und der Nähe zu „Volkstum“, „Deutschtum“ usw. aber doch zutreffend, wenn es um die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts geht. Im Fokus der Untersuchung stehen die Jahre 1914 bis 1933, und so lässt der Untertitel zunächst erwarten, dass der Beitrag Ostpreußens zur Präformation des Nationalsozialismus behandelt wird. Traba geht aber über eine solche Beschränkung der Frage nach der politischen Kultur hinaus, denn, so konstatiert er, die ostpreußische Grenzlandmentalität war nicht allein auf das rechte politische Spektrum beschränkt. Stattdessen will er in Anknüpfung an Marion Gräfin Dönhoff die Wirkungskraft des Mythos Ostpreußens in der deutschen Gesellschaft untersuchen. Wenn ein solcher Ansatz zunächst etwas traditionell anmuten mag, so markiert Trabas breite theoretische Fundierung, die neben französischen, deutschen und englischsprachigen soziologischen wie politikwissenschaftlichen Ansätzen zu politischer Kultur und kollektivem Gedächtnis auch die zu diesen Themen anregende polnische Forschung rezipiert, ohne jeden Zweifel neue Zugänge zur mentalitätsgeschichtlichen Erforschung des deutschen Ostens.

Die Studie gliedert sich in drei Teile, die Traba „soziale Wirklichkeit“, „imaginierte Wirklichkeit“ und „gesellschaftliche Inszenierung“ nennt. Der erste Teil behandelt die staatlichen und gesellschaftlichen Träger ostpreußischer Identität und beginnt mit den Folgen der Kriegshandlungen in der Region 1914-1915. Im Wiederaufbau der zerstörten Siedlungen, der Organisation der Volksabstimmung nach dem Versailler Vertrag im Sommer 1920 sowie der Finanzierung von Vereinen der Heimatbewegung sieht der Verfasser die zentralen Felder für eine staatliche Identitätspolitik. Anschließend werden die Parteienlandschaft und die konfessionelle Struktur knapp skizziert, ausführlicher geht Robert Traba dann auf die explosionsartige Entwicklung der Heimatbewegung in Reaktion auf die vorübergehende russische Besetzung und das Kriegsende ein. Sie umfasste Anfang 1921 mehr als 250.000 Mitglieder in über 1.100 Vereinen und damit mehr als 10 % aller Einwohner Ostpreußens. Als einen weiteren wichtigen Aspekt erörtert Traba die Entwicklung der Bildungsarbeit und der Jugendvereine, denen er eine wichtige Rolle in der Verbreitung eines ostpreußischen Heimatdiskurses zuschreibt. Bereits hier wird deutlich, dass eine (deutsche) Grenzlandmentalität ein allgemeines Phänomen der Region seit 1914 war. Es sei jedoch dahingestellt, ob der Begriff „Transmissionsriemen“ für freiwillige Assoziierungen in diesem Kontext wirklich passend ist; zweifellos trugen staatliche Maßnahmen aber in ganz erheblichem Maße dazu bei, das Selbstverständnis der Region zu prägen.

Der zweite Teil befasst sich mit Themen, in denen sich ostpreußische Identität manifestierte. Traba verortet sie in Diskursen von „Heimat“ und „Volk“, „Bollwerk“ sowie „Krieg“ und „Feind“. Dazu hat er eine große Zahl publizistischer und belletristischer Texte umfassend ausgewertet und partiell auch Bildmaterial herangezogen. Sein Auswahlkriterium war hier die Popularität der Texte und Bilder, weniger dagegen die literarische oder wissenschaftliche Qualität. Für die Ausprägung des Heimatdiskurses verweist der Verfasser auf die internationalen Debatten um 1900, allerdings geht er auf die bis weit in das 19. Jahrhundert hineinreichende rechtliche Dimension nicht ein. Zusammen mit einer perspektivisch längeren Betrachtung des Vaterlandsdiskurses hätten sich hier vielleicht noch weitere Aspekte für die fundamentale Bedeutung der Heimat- und Vaterlandsrhetorik nach 1918 ergeben, in deren Begründung Max Worgitzki, der Organisator der deutschen Abstimmungspropaganda, eine zentrale Rolle spielte. Der Heimatdiskurs konnte an frühere Deutungsmuster vor 1914 anknüpfen, er war einerseits anational, da er auch Polen und Litauer einbezog, sofern diese nicht national orientiert waren, zugleich war er andererseits eindeutig auf Deutschland bezogen. In der Betrachtung der Bollwerk- und Kriegsdiskurse sind zahlreiche Indizien für eine Ausweitung einer deutsch-nationalistischen Identität zu erkennen, in der seit der Kriegszeit auch Gender-Aspekte eine Rolle spielen. Am interessantesten ist jedoch Robert Trabas Erörterung der Landschaft als ethnisch-regional-nationaler Matrize ostpreußischer Identität. Der Verfasser arbeitet hier heraus, dass die symbolische Anreicherung der Landschaft mit der Intention einherging, sie von der ethnisch „anderen“ Bevölkerung der Masuren und Litauer abzulösen. Einen zentralen Aspekt in dieser Neudeutung der Landschaft bildeten die zahlreichen Kriegsgräber, die der Landschaft auch abseits der Friedhöfe eine neue Prägung gab.

In einem wichtigen Unterkapitel dieses zweiten Teils erörtert Traba neben den konservativen bzw. rechten Diskursen von Volk und Heimat auch die Auffassungen der „anderen“, das heißt vor allem Sozialdemokraten sowie Polen und Litauer. Dieser Abschnitt ist das Relikt einer ursprünglich breiter angelegten vergleichenden Betrachtung, deren weitgehende Ausgrenzung der Verfasser damit begründet, dass es namentlich bei den Polen keinen vergleichbaren regionalen Diskurs gegeben habe. Dagegen lässt allerdings der litauische Ostpreußendiskurs doch erkennen, dass sich hier unter dem Stichwort „Kleinlitauen“ eine eigenständige Form ostpreußisch-litauischer Identität entwickelte. Die Analyse der sozialdemokratischen Einstellungen fokussiert Traba auf den Oberpräsidenten August Winnig, der wegen seiner Unterstützung des Kapp-Putsches zurücktreten musste. Den ostpreußischen Adel sieht Traba dagegen nicht als eigenständigen Träger regionaler Identität.

Teil drei gilt den Präsentationsformen ostpreußischer Identität, die Traba an drei Themen erörtert: erstens dem politischen Totenkult, Heldenhainen und Ehren- bzw. Soldatengräbern, zweitens dem Tannenberg-Ehrenmal und dem Hindenburg-Kult sowie drittens der Volksabstimmung 1920. Die Beispiele führen plastisch vor Augen, wie sich die Diskurse von Heimat, Heldentum und Bollwerk in Architektur, Stadt- und Landschaftsplanung sowie in Jubiläumsfeiern spiegelten. Außerdem hebt Robert Traba die Inszenierung von jugendlichem Heldentum hervor. Wünschenswert wäre insbesondere für diesen Teil eine bessere Qualität der Abbildungen gewesen.

Die Manifestationen ostpreußischer Identität waren keineswegs statisch. Im Schlusskapitel befasst sich Traba mit dem „Ostpreußentum“ im Dritten Reich und analysiert seinen Wandel von einer mosaikhaften, von zahlreichen unterschiedlichen Elementen geprägten Struktur zu einer monolithischen, völkisch-nationalsozialistischen, wie sie bereits in Untersuchungen zum Tannenberg-Nationaldenkmal herausgearbeitet wurden.1 Wenn in der bisherigen Diskussion in erster Linie die nichtdeutschen Bevölkerungsgruppen im Blickpunkt solcher Tendenzen zu einer monolithischen Formierung des „Ostpreußentums“ standen, so hebt Robert Traba mit Recht hervor, dass dieser Prozess sich nicht auf diese Gruppen beschränkte und insbesondere unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine besondere Dynamik entfaltete. Diese Veränderungen hin zu einer einförmigen Gestalt äußerten sich nicht nur in der Gleichschaltung von Assoziationen als Vermittler ostpreußischer Identität und in der Zunahme nationalsozialistischer Ideologie, sondern nicht zuletzt auch im Wandel der Inszenierungen, etwa von den Feiern anlässlich der Abstimmung 1920 zu den Feiern im Tannenberg-Nationaldenkmal und der zunehmenden Berufung auf die Deutschordensgeschichte.

Insgesamt betrachtet, bestätigt Robert Trabas Studie die Befunde von der regionalen Fundamentierung des deutschen Nationalismus und macht zugleich deutlich, dass das Grenzlandbewusstsein praktisch die gesamte ostpreußische Bevölkerung erfasste. Von der Grenze als „Ort der Annäherung“ war in Ostpreußen vor 1945 nicht viel zu spüren, treffender für diese Zeit ist dagegen Trabas Formulierung vom „Land der tausend Grenzen“.2 Wenn das vorliegende Buch eine Frage offen lässt, dann ist das die, in wieweit sich ostpreußische Mentalität als ein über die deutsche Bevölkerung hinausreichendes Phänomen konstatieren lässt. Zweifellos hat Robert Traba recht, wenn er die Dominanz der deutschen Grenzlandmentalität hervorhebt, andererseits deutet er auch an, dass es einen litauischen Ostpreußendiskurs gab, der sich nicht nur aus der Kontroverse mit deutschen Autoren einerseits und Tendenzen zu einer gesamtlitauischen Nationsbildung andererseits speiste. Diese Vielschichtigkeit von Identitätskonstruktionen zu erforschen, prägt zweifellos den Reiz der Studien über Ostpreußen, wie Traba bereits in zahlreichen anderen Publikationen gezeigt hat. Und auch die gesellschaftlichen Prozesse, sich die polykulturelle Vergangenheit Ostpreußens in Polen seit 1990 anzueignen, sind nicht denkbar ohne die Idee, dass eine regionale Prägung jenseits nationaler Grenzen gibt.

Dieser Wunsch des Rezensenten nach einer weiter gefassten Perspektive ist freilich in Essays eher zu erfüllen als in einer wissenschaftlichen Monographie, und so sei der Wert der vorliegenden Arbeit noch einmal hervorgehoben: Ohne jeden Zweifel hat Robert Traba ein ausgesprochen anregendes und gut geschriebenes Buch vorgelegt, das der Forschung zu Mentalitäten im östlichen Mitteleuropa im 19. und 20. Jahrhundert zahlreiche neue Impulse gibt. Für die des Polnischen nicht mächtigen Leser hat das Buch eine kurze deutsche Zusammenfassung, und fast noch wichtiger, eine deutsche Übersetzung des Inhaltsverzeichnisses.

Anmerkungen:
1 Tietz, Jürgen, Das Tannenberg-Nationaldenkmal. Architektur, Geschichte, Kontext, Berlin 1999.
2 Die Grenze als Ort der Annäherung: 750 Jahre deutsch-litauische Beziehungen, hg. v. Arthur Hermann, Köln 1992, und dagegen Robert Traba: Kraina tysiaca granic. Szkice o historii i pamieci/ Land der tausend Grenzen. Skizzen zu Geschichte und Gedächtnis, Olsztyn 2003.

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