Cover
Titel
Dwa stulecia Polski i Europy. Teksty pisane W róznych porach wieku


Autor(en)
Holzer, Jerzy
Reihe
Poznanskie Towarzystwo Przyjaciół Nauk Wznowienia Tom 17
Anzahl Seiten
521 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas R. Hofmann, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Nicht jedem Wissenschaftler widerfährt gegen Ende seiner akademischen Laufbahn die Ehre einer Werkrückschau in Form einer Auswahl seiner unselbständig gedruckten Schriften. Allein der Umfang des hier vorzustellenden Bandes mit 47 Texten Jerzy Stanisław Holzers (geb. 1930), des Warschauer Zeithistorikers und vormaligen Direktors des Instituts für Politische Studien der Polnischen Akademie der Wissenschaften, lässt die Wertschätzung vermuten, derer sich der Autor in Polen erfreut. Allein, diese Wertschätzung war und ist nicht ganz unumstritten. Zuletzt kam Holzer in diesem Frühsommer ins Gerede, als die polnische konservative Presse seine Tätigkeit für die polnische Staatssicherheit Mitte der 1960er-Jahre zum Thema machte. Holzer hatte sich öffentlich dazu bekannt, 1965 anlässlich einer Reise in die Bundesrepublik Deutschland mit der Abfassung von Stimmungsberichten beauftragt worden zu sein; unter dem Eindruck seiner damaligen Begegnungen habe er sich von seiner naiven Einstellung zu einer vermeintlichen „patriotischen Pflicht“ verabschiedet und fortan eine regimekritische Haltung eingenommen.1 Der Versuch misslang, aus dieser Episode eine Causa Holzer zu konstruieren. Die Diskussion um Holzers „Agententätigkeit“ jedoch warf ein Schlaglicht auf den aus westlicher Perspektive schwer überschaubaren Meinungswirrwarr, der einerseits auf einem spezifischen Typus von Patriotismus beharrt und „Spionage“ gegen einen angeblichen äußeren Gegner auch dann als vaterländische Pflichterfüllung geltend macht, wenn sie den Interessen eines kommunistischen Regimes diente, der andererseits Vorwürfe und Insinuationen gegen alle erhebt, die sich aufgrund ihrer öffentlichen Position in den Geruch der Regimenähe brachten.

In einen solchen Geruch konnten Zeithistoriker in Volkspolen leicht geraten. Denn entweder stellten sie sich offen als Parteihistoriker in den Dienst der staatlichen Propaganda und riskierten auf diese Weise ihr wissenschaftliches Renommee, oder sie bedienten sich bei der Behandlung politisch heikler Themen einer äsopischen Sprache, die außerhalb des engeren Kreises der Eingeweihten leicht missverstanden werden konnte. Dies zumindest ist die Alternative, die Holzer in einem kurzen Essay von 2001 über die „Missbrauchte Geschichte“ aufmacht (S. 291-294). Eine dritte Möglichkeit erwähnt er nicht, nämlich den strittigsten Themen möglichst auszuweichen und sich in seinen Publikationen in einen vermeintlich wertungsfreien, meist faktenhuberischen, oft sterilen und manchmal unlesbaren Positivismus zu flüchten – dessen methodischer Geltungsanspruch bis heute in den Historiografien des östlichen Europa nachwirkt. Polen, das mit Ungarn um den Rang der „lustigsten Baracke im Sowjetblock“ konkurrierte, erfreute sich, wie Holzer zurecht anmerkt, noch der am vergleichsweise wenigsten gegängelten Zeitgeschichtsforschung. Man würde an dieser Stelle jedoch gerne mehr und nicht zuletzt aus autobiografischer Erfahrung darüber wissen, wie die damalige Zensur2 und besonders die von Holzer ausdrücklich eingeräumte Selbstzensur im Einzelnen funktionierten. Es kennzeichnet weitgehend den gegenwärtigen historiografiegeschichtlichen Diskurs in Polen, dass Holzer uns einen solchen Einblick nicht gewährt.3

Bleibt vorläufig die auf der Grundlage der Veröffentlichungen zu leistende textimmante Analyse, für die eine Sammelveröffentlichung wie die vorliegende ein willkommenes Hilfsmittel sein könnte. Es spricht zunächst für den Mut des Autors, unterschiedliche Texte aus dem Zeitraum 1959-2001 offenbar ohne redaktionelle Neubearbeitung wiederabdrucken zu lassen. Die Texte sind allerdings sehr ungleich über den Entstehungszeitraum verteilt; aus der Periode 1959-1970 stammen nur zwei, 1971-1981 entstanden vier, weitere zehn 1982-1988, während 31 in der Zeit seit dem Runden Tisch von 1989 veröffentlicht wurden. Von den vor 1989 geschriebenen Texten erschienen einige zuerst in westlichen Ländern auf deutsch oder englisch und sind mithin in dieser Ausgabe für die polnischen Leser interessanter als für die westlichen.

Die Texte sind aufgeteilt in sieben Blöcke, betitelt mit „Die europäische Ordnung“ – Beiträge zur allgemeinen europäischen Geschichte seit dem Versailler Vertrag; „Sozialismus – Kommunismus“ – mit einem besonderen Schwerpunkt auf der Geschichte der Polnischen Sozialistischen Partei (PPS), der sich Holzer immer wieder gewidmet hat; „Politische Kultur und Moral“, darunter einige essayistische Texte über das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Vertreibungen; „Deutschland“ – auch zur deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts hat Holzer einschlägig publiziert 4; „Geschichte der Zweiten Republik“ mit zwei Aufsätzen wiederum zur polnischen Parteiengeschichte; „Solidarność“ – gemeint ist sowohl die erste freie Gewerkschaft des Ostblocks5 als auch Solidarität als politisch-gesellschaftliches Phänomen; schließlich noch fünf Beiträge zur neueren Geschichte der Juden in Polen. Diese Gruppierung ist weder thematisch konsistent noch schöpft sie den im Titel des Sammelbandes angekündigten Betrachtungszeitraum aus – das 19. Jahrhundert wird nur in einigen Beiträgen über die galizische Judenheit berührt. Wünschenswert wäre ein Gesamtverzeichnis der Schriften Holzers, das leider ebenso fehlt wie ein bei der gestreuten Thematik besonders nützliches Sach-, Organisations- und Institutionenverzeichnis, das die Personen- und Ortsnamensverzeichnisse sinnvoll ergänzt hätte.

Die thematische und stilistische Heterogenität der ausgewählten Texte macht es schwierig, das Buch als Ganzes zu bewerten. Zum einen finden sich spezialistische faktografische Studien etwa zur Geschichte der polnischen Linksparteien. Daneben stehen für Handbücher, Lexika und Überblickswerke geschriebene, nicht annotierte Texte, z.B. ein für den Interessierten nützlicher Überblick über die jüdischen politischen Parteien im Polen der Zwischenkriegszeit. Schließlich gibt es auf aktuelle politische Themen gerichtete Texte, an die die Frage gestellt werden muss, inwieweit sie über die Tagesaktualität hinaus Bestand haben. Als Beispiel sei genannt ein 1997 zu Zwecken der Politikberatung verfasstes und hier erstmals veröffentlichtes Gutachten zur „Einstellung deutscher politischer Kreise zu Russland“, das auf den ersten Blick enttäuscht, weil es nicht viel mehr bietet als ein Regest von um die Mitte der 1990er-Jahre veröffentlichten Äußerungen deutscher Politiker aller Parteien zur Frage der NATO-Osterweiterung und der Einbindung Russlands in ein europäisches Sicherheitskonzept. Für den deutschen Leser ist immerhin interessant zu sehen, wie ein polnischer Sachkenner die preußisch-deutsche Russlandpolitik in eine seit dem 18. Jahrhundert über alle politischen Systembrüche hinweg bewahrte Kontinuität stellt, die sich insbesondere dadurch auszeichnete, dass eine Polen- und Ostmitteleuropapolitik meist nur als Funktion der Einstellungen gegenüber dem übermächtigen Nachbarn im Osten in Erscheinung trat und Polen bis in die Gegenwart selten als politischer Partner eigener Ordnung wahrgenommen wurde. Vor diesem Hintergrund ist das für polnische Beobachter wie Holzer charakteristische Misstrauen nicht mehr überraschend, das hinter jeder deutschen Annäherung an Russland eine Wiederbelebung der alten deutsch-russischen machtpolitischen Komplizenschaft auf Kosten Polens entdecken will, wobei die allfälligen Bekenntnisse zu einer europäischen demokratischen Friedensordnung aus polnischer Sicht zur bloßen „Phraseologie“ in modernem Gewande werden (S. 387-402).

Dieser Text offenbart jedoch wie andere einen Mangel, den die stark politologisch und parteiengeschichtlich ausgerichteten Arbeiten Holzers generell kennzeichnen, nämlich die fehlende Berücksichtigung innenpolitischer und gesellschaftlicher Einflüsse auf die „große Politik“. Bei aller faktografischen Informiertheit im Einzelnen, wirken Holzers Beiträge deswegen streckenweise steril, weil ihnen die gehörige zeit- und gesellschaftsgeschichtliche Kontextualisierung fehlt; auch theoretische und methodologische Reflexion ist seine Sache eher nicht. Zudem neigt Holzer allzu oft zu dichotomischen Konstruktionen, die keine Grautöne für eine der Sache adäquatere Analyse zulassen; etwa, wenn er den Begriff der „Krise“ in kommunistischen Staaten in einem Text von 1988 durch einen definitorischen Trick auf die politische Systemfrage eingrenzt und sozioökonomische Krisenerscheinungen ausklammert. Vor dem Hintergrund zeitgeschichtlicher - nicht nur polnischer - Erfahrungen lässt sich darüber hinaus eine These wie diese sehr in Zweifel ziehen: „Für die Frage der Reformfähigkeit eines Systems ist es jedoch unwichtig, ob die Veränderungen akzeptiert werden oder nicht.“ (S. 186) Vielleicht verrät sich aber gerade an dieser Stelle ein auch die Arbeiten Holzers durchziehendes, die polnische Kulturgeschichte seit der Teilungszeit prägendes Denkaxiom, nämlich das der systemischen Unabhängigkeit von Staat und Gesellschaft, die als prinzipielle Gegensätze gesehen werden.

Die Beiträge lassen hier und da erkennen, wie die von Holzer angesprochene äsopische Sprache der Zeitgeschichte unter volkspolnischen Vorzeichen funktionierte. In seinem Beitrag „Hitler und der Hitlerismus“ etwa, den Holzer 1970 anlässlich der polnischsprachigen Erstveröffentlichung von Allen Bullocks bekannter Hitlerbiografie veröffentlichte, diskutiert er den „Hitlerismus“ durchaus nicht selbstverständlich als eine besondere Variante des „Faschismus“ (S. 13-18). Die damals in Westdeutschland gerade Fahrt aufnehmende Auseinandersetzung zwischen intentionalistischen und strukturalistischen Deutungen des Nationalsozialismus bleibt zwar außen vor, dafür wird jedoch klar, dass Holzer im Kern auf den „Totalitarismus“ im Allgemeinen zielt. Zugleich wird das gesteigerte Interesse verständlich, das die polnische Forschung diesem Begriff in den Jahren nach der Wende entgegengebracht hat.

Fazit: Die vor 1989 publizierten Texte Holzers sind heute großenteils vermutlich weniger für die Spezialforschung als vielmehr als Dokumente der zeitgenössischen polnischen Historiografie interessant. Die publizistischen Beiträge aus jüngerer Zeit sind durch die nachfolgenden Ereignisse gedanklich meist überholt; immerhin belegen sie eine bei den Historikern hierzulande fast schon außer Gebrauch gekommene Freude an der tagesaktuellen politischen Positionsbestimmung.

Anmerkungen:
1 Lesser, Gabriele, Stasi-Hysterie und Rufmord in Polen, in: taz Nr. 7691 vom 16.6.2005, S. 10; Holzer, Jerzy, Byłem naiwny. Rozmawiał Paweł Wroński [Ich war naiv. Ein Gespräch mit Paweł Wroński], 15.6.2005, URL: http://serwisy.gazeta.pl/kraj/1,62267,2766858.html (4.8.2005).
2 An einer Stelle (S. 505) ist in einem Aufsatz von 1983 eine zensurbedingte Kürzung kenntlich gemacht, die Holzer offenbar nicht mehr auf der Grundlage des Originalmanuskripts hat rückgängig machen können; bezeichnenderweise geschah der Eingriff in einem UdSSR-kritischen Kontext.
3 Hierzu jedoch sehr aufschlussreich die Selbstauskünfte polnischer Historiker in: Zbigniew, Romek (Hg.), Cenzura w PRL. Relacje historyków [Die Zensur in der Polnischen Volksrepublik. Berichte von Historikern], Warszawa 2000. Ein Beitrag Holzers fehlt in dieser Publikation.
4 Darunter auf Deutsch: Parteien und Massen. Die politische Krise in Deutschland 1928-1930 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz Beiheft 1), Wiesbaden 1975.
5 Einem breiteren Publikum in Deutschland dürfte Holzer bekannt geworden sein durch seine auch auf Deutsch erschienene Monografie: Solidarität. Die Geschichte einer freien Gewerkschaft in Polen, München 1985.

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