Cover
Titel
Maribor/Marburg an der Drau. Eine kleine Stadtgeschichte


Autor(en)
Griesser-Pečar, Tamara
Erschienen
Anzahl Seiten
372 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Monika Stromberger, Institut für Geschichte, Abteilung für Zeitgeschichte, Karl-Franzens-Universität Graz

Diese „kleine Stadtgeschichte“ ist alles in allem ein historischer Stadtführer mit Anspruch. Als Stadtführer weist das Buch sich aus, weil es die Geschichte der Stadt im Ortsbild verankert, teilweise sehr genaue topographische Skizzierungen bietet und die Beschreibung von Bezirken, Straßen und Gebäuden aufweist. Historische Fotos lockern auf und illustrieren das Geschriebene. Der „Anspruch“ ergibt sich daraus, dass wissenschaftliche Literatur zitiert und aufgeführt wird, sicher nicht in Hinblick auf Vollständigkeit, aber doch auf Nachvollziehbarkeit des Gebotenen. Zudem wird die Stadtentwicklung eingebettet in die Geschichte der Region, man erfährt von generellen Entwicklungen der Region Maribor in der Habsburgermonarchie und in der Zeit der beiden Jugoslawien. Es geht schließlich um nichts Geringeres, als zu zeigen, was Maribor „wirklich“ ist (Umschlagtext): „Denn was Marburg wirklich ist, erschließt sich […] erst aus einem Blick in die Geschichte.“ (S. 9)

Der Anlass für das Buch wird nicht verhehlt und liegt auch auf der Hand: die derzeitige Position der Stadt Maribor als Kulturhauptstadt Europas. In diesem Rahmen sei dies ein versöhnendes Buch, so die Einleitung, die gleich die wichtigsten Brennpunkte im Umgang mit der Erinnerung in diesem Raum definiert (die österreichische Verwaltung, die Unterdrückung der Slowenen bis 1918, die Vertreibung der Deutschen nach 1918 bzw. 1945, der Kommunismus). Dabei wären nicht die „Völker“ und „Menschen“ an allen Verwerfungen schuld, sondern nur Strategien, Ideologien und Politiker (S. 11).

Eingangs wird der Name der Stadt Marburg/Maribor erläutert, der umso interessanter ist, als es sich bei „Maribor“ nicht um eine bloße Übersetzung des deutschsprachigen Namens handelt, sondern um eine literarische Erfindung. Amtlich wurde diese Bezeichnung neben der deutschsprachigen erst 1910.

Wie für Stadtführer üblich wird der zeitliche Rahmen von den etwas nebulosen ersten Spuren der Besiedlung der Region einige tausend Jahre vor Christus bis zur – wie auch immer zu definierenden – Gegenwart gespannt, wobei die letzte Phase nur sehr kursorisch abgehandelt wird, ein schneller Sprung von Titos Tod 1980 zum Beitritt zur Europäischen Union Sloweniens 2004. Eingeteilt in kurze Kapitel ergibt sich einmal eine chronologische Ordnung, dann wieder ein sachlicher Zusammenhang. Bisweilen entgleitet die verständlich geschriebene Darstellung auf wissenschaftlicher Basis ein wenig ins Sagen- und Märchenhafte, wenn lokale Anekdoten und Erzählungen einfließen; das steigert möglicherweise die Versöhnlichkeit, sicherlich aber die Unterhaltsamkeit.

Der Anspruch auf „richtige“ Erkenntnis lässt außer Acht, dass die gewählten Kapitelabschnitte selbstverständlich eine spezifische Perspektive auf historische Abläufe schaffen und dass damit Bilder geschaffen werden, denen zuweilen sehr vertraute Schemata des kulturellen Gedächtnisses der Region zugrunde liegen (auch etwas Versöhnliches, natürlich). So finden sich im Kapitel „Der wirtschaftliche Niedergang“ vertraute Feinde wieder (die „Türken“), Napoleons Wirken kann im Lichte steirischer Geschichte offenbar nur als verheerend definiert werden (anders in Krain/Kranjska dežela um Ljubljana, wo die napoleonische Zeit gern als Beginn der slowenischen Selbstbehauptung dargestellt wird) im Gegensatz zu den Reformen des 18. Jahrhunderts, namentlich der Lichtgestalten Maria Theresia und Joseph II. Auch regionale Heroen lassen sich so schnell ausmachen, ihnen werden eigene Kapitel gewidmet: Anton Martin Slomšek, der erste Bischof von Maribor, und General Rudolf Maister, der Kriegsheld von 1918.

Wobei die Autorin bemüht ist, die für diese Region (immer noch) bedeutende Thematik der nationalen Auseinandersetzungen zwischen „Deutschen“ und Slowenen ausgewogen und distanziert zu betrachten – wenn auch das Paradigma ethnischer Herkunft („Völker“) niemals in Frage gestellt wird. Eine ganze Reihe von Kapitel ist der Entwicklungsphase dieses Antagonismus gewidmet, von den ersten Bildungsvereinen für Slowenen bis hin zur (teilweisen) Vertreibung der „deutschen“ Minderheit aus der Stadt nach 1918. Die Präsenz der Minderheit verschwindet dann analog zu ihrem sinkenden Anteil an der Bevölkerung – mit Ausnahme der Phase der Okkupation durch die Nationalsozialisten – bis zu den gegenwärtigen neuen Möglichkeiten für sie, versöhnlich zuletzt.

Deutlich präsent ist die Geschichte der christlichen Kirchen, insbesondere der katholischen, wobei ein „trauriges Kapitel“ auch auf die Ausweisung der jüdischen Bevölkerung im 15. Jahrhundert verweist. Die bedeutende Rolle der katholischen Kirche in diesem Raum ist evident, mit Slomšek erhält sie auch eine Schlüsselrolle in der Entwicklung der slowenischen Nationalbewegung. Beim Blick auf den Kulturkampf des 19. Jahrhunderts nimmt Griesser-Pečar tendenziell die Seite der national orientierten, slowenischen Katholiken ein, wenn sie die gegenreformatorische Vertreibung der Protestanten im 16. Jahrhundert (im Zusammenhang mit diesen entstand das erste slowenischsprachige Buch) eine „Schande“ nennt, die Protestanten des 19. Jahrhunderts jedoch als radikale Deutschnationale darstellt. Ein wenig evoziert dies das Bild des katholischen Slowenen als einzig „wahren“ Slowenen, wie in der zeitgenössischen Auseinandersetzung gehandelt. Schließlich steigt die katholische Kirche noch zum „Staatsfeind Nummer eins“ auf, als Jugoslawien kommunistisch wird, der von den Kommunisten unterstützte Ciril-und-Method-Verein wird von Griesser-Pečar nicht als legitime Representation katholischer Kultur akzeptiert.

Auch ein weiteres Spannungsfeld im gegenwärtigen politischen Diskurs wird präsentiert und vielleicht noch etwas eindeutiger dargestellt: die Frage der Massenmorde durch das kommunistische Regime nach dem Zweiten Weltkrieg. Hier sind heftige Diskussionen sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der politischen Öffentlichkeit im Gange. Die Position der Autorin dabei ist klar, Zwiespältigkeiten ausgeschlossen. Das wird deutlich in der Darstellung des kommunistischen Widerstands gegen die Okkupation und der farbigen Schilderung der Massenmordstätten: ein Gegenbild zur Propaganda des kommunistischen Regimes wird kreiert. „Versöhnung“ meint die ehemaligen Gegner jenseits der geographischen Grenzen, nicht jene jenseits der politischen Trennlinien.

Es ist nicht einfach, zumindest 900 Jahre Stadtgeschichte in integrativer Perspektive – die politische, ökonomische, soziale und kulturelle Dimension umfassend – auf rund 300 Seiten zu skizzieren, schwierige Thematiken kurz zusammenfassend wiederzugeben und dabei „versöhnend“ zu wirken, wie ja im Einleitungskapitel postuliert. Das Buch liest sich leicht und bringt einen guten Überblick über die Geschichte der Region, viele interessante und auch amüsante Details. Unklar ist die Zitierungsstruktur: Manchmal gibt es sehr viele Fußnoten, an vielen Stellen gar keine; manchmal werden sogar Primärquellen zitiert, doch die Auswahl ist nicht nachvollziehbar. Aber insgesamt erfüllt das Buch seinen Zweck: eine „kleine“ Stadtgeschichte zu bieten, einen Überblick mit deutlichen Verweisen auf zentrale Problematiken und allgemeine Entwicklungen, die diese Region definieren, garniert mit netten Illustrationen und hilfreich bei der Suche nach weiterer Literatur zu dem einen oder anderen „Bild“.

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