Titel
History Woman.


Herausgeber
O’Dowd, Mary; Porciani, Ilaria
Reihe
Storia della Storiagrafia 46
Erschienen
Milano 2004: Jaca Book
Anzahl Seiten
160 S.
Preis
€ 30,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Angelika Epple, Universität Freiburg

Dass Frauen nicht nur Geschichte haben, sondern auch Geschichte geschrieben haben, ist eine Erkenntnis, die sich erstaunlich langsam in der historischen Zunft durchsetzt. Die meisten Überblickswerke oder Lexika der Historiographiegeschichte kommen denn auch ohne die Erwähnung weiblicher Kollegen aus. Ambitioniertere zeichnen – nicht ohne einen Schuss Selbstironie – ein „Gruppenbild mit Dame“.

Gibt es vielleicht keine Forschungsliteratur zu Historikerinnen? Mag diese Ausrede bis vor einigen Jahren noch eine gewisse Plausibilität gehabt haben, so hat sich dies spätestens mit dem neuen Jahrtausend dramatisch verändert. Mehrere Qualifikationsarbeiten – unter anderem auch zu Historikerinnen in Deutschland – sind in den letzten Jahren entstanden. 2004 haben Mary O’Dowd und Ilaria Porciani einen ergiebigen Sammelband zusammengetragen und als Sonderheft der Fachzeitschrift „storia della storiografia“ veröffentlicht: „History women“ nimmt sich in zwölf Aufsätzen europäischen und nordamerikanischen Historikerinnen der letzten 200 Jahre an.

In dem einleitenden Überblicksartikel der beiden Herausgeberinnen wird ein gänzlich neues Bild der Historiographiegeschichte entwickelt. Ihr Ziel, so formulieren O’Dowd und Porciani, sei es, zu einem ‚gegenderten’ Verständnis erstens der Geschichte der Geschichtsschreibung und zweitens der Geschichte der historischen Profession beizutragen. Es ginge ihnen also nicht schlicht darum, neue Personen in die Geschichtsschreibung einzufügen, sondern den überlieferten Kanon der Geschichtsschreibung und dessen Ein- und Ausschlussmechanismen zu verstehen. Dabei wählen sie wenn auch keinen globalen, so doch einen europäischen Zugang unter Einschluss Nordamerikas. Auf 30 Seiten liefern die Herausgeberinnen einen Überblick über die in den letzten Jahren entstandenen Forschungsarbeiten zu Historikerinnen einerseits und zur Geschlechtergeschichte der Historiographie andererseits. Die Ausrede, es gebe hierzu keine lebhafte Forschungsdiskussion, verliert damit in Zukunft ihre Geltung.

Die folgenden elf Aufsätze kommen dem in der Einleitung entwickelten geschlechtergeschichtlichen Anspruch auf sehr unterschiedliche Art und Weise nach. Es wird dabei deutlich, dass vor einer Geschlechtergeschichte der Historiographie im eigentlichen Sinne häufig die mühsame archäologische Arbeit steht, Historikerinnen aus den verschütteten Schichten des historiographischen Gedächtnisses freizulegen. Es zeigt sich, dass der Stand der Geschlechtergeschichte so heterogen ist wie die national unterschiedlichen historiographischen Traditionen.

Jo Tollebeck widmet sich dem Salon als eines gesellschaftlichen Ortes, an dem Geschichte nicht nur diskutiert, sondern auch produziert wurde. Im „Salon Ranke“, der von der Irin Clarissa von Ranke in Berlin geführt wurde, thematisierte man Geschichte ebenso wie im „Salon vert“, dem Pariser Salon von Julie de Quérangal, die mit dem liberalen Historiker Augustin Thierry verheiratet war. Tollebeck betont, dass in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Schreiben von Geschichte häufig ein Familienunternehmen gewesen sei, bei dem sich beide Geschlechter engagiert hätten. Erst mit dem Entstehen wissenschaftlicher Institutionen sei der Ausschluss der weiblichen Arbeit und des weiblichen Gedächtnisses strikter geworden.

Auch Maria Pia Casalena untersucht die „lieux officiels de l’histoire“ in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wendet sich dabei allerdings neben Frankreich auch Italien zu. Sie arbeitet die „participation cachée des femmes à la construction de l’histoire nationale“ (S. 41) heraus. Im Mittelpunkt ihrer Analyse steht das „gendering“ der wissenschaftlichen Arbeit an der nationalen Historiographie. Frauen, so ihre Hauptthese, seien zwar weniger sichtbar, aber dennoch an der Verbreitung, Hierarchisierung und Vermittlung dieser nationalen Geschichtsschreibung beteiligt gewesen.

Ebenfalls mit dem Entstehen einer nationalen Geschichtsschreibung beschäftigt sich Irène Herrmann. Sie untersucht die Schweizer Historiographiegeschichte. Obwohl die Schweiz zu den ersten Ländern gehörte, die Frauen den Zugang zum Hochschulstudium eröffneten, wurde Frauen gleichzeitig die Beteiligung „à la chose publique“ verweigert. Die Erzählungen der Historikerinnen, so Herrmann, befänden sich damit genau auf dem Schnittpunkt eines fundamentalen Paradoxons: „Par leurs écrits, elles ont efficacement travaillé à l’élaboration d’un ordre politico social qui les ignore, en tant que femmes mais aussi en tant qu’historiennes.“ (S. 68) Damit hätten sie genau das System gestützt, das sie ausschloss. Gerade weil das Ausgeschlossene eine große Bedeutung habe, dies fügt Herrmann als weitere Widersprüchlichkeit an, beweise die Abwesenheit von Frauen bei historischen Rezensionen bis heute die Bedeutung, die sie in diesem Prozess spielten.

Unterschiedliche Typen irischer Historikerinnen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden von Nadia Clare Smith vorgestellt. Sie unterscheidet dabei nicht-akademisch geschulte Historikerinnen, die aufgrund ihrer nationalen und religiösen Gesinnung in der National University of Ireland (NUI) Lehrstühle erhielten, die studierten Trinity College Akademikerinnen und schließlich die außeruniversitären Historikerinnen und Journalistinnen. Dabei betont sie die besondere Schwierigkeit, in einer religiös gespaltenen Gesellschaft mit konfessionellen Parametern umgehen zu müssen, die zugleich Karrieremöglichkeiten bestimmten.

Gianna Pomata untersucht die Ursprünge der Frauengeschichtsschreibung in der London School of Economics (LSE). Charlotte Payne Townshend Shaw ermöglichte seit 1905 ein zweijähriges Scholarship an der LSE, das sie ab 1911 ausschließlich auf Frauen beschränkte. Außerdem benannte sie selbst die Forschungsthemen, die sich mit der sozioökonomischen Stellung von Frauen in England vor der industriellen Revolution beschäftigten. Im Folgenden vollzieht Pomata den Weg zweier Historikerinnen nach, die beide das begehrte Stipendium erhielten: Eileen Power und Alice Clark. Obwohl man also klar sagen kann, Frauengeschichte habe sich dank des Shaw Scholarship an dem radikalen Umfeld der renommierten LSE entwickelt, wurden die Zusammenhänge in den bekannten Monografien zur LSE, wie z.B. in der von Ralf Dahrendorf 1, stets übergangen. Gianna Pomata füllt diese Lücke und weist somit einmal mehr die unterbrochenen Traditionslinien nach, die Frauengeschichte immer wieder scheinbar neu beginnen lassen.

Deutsch-jüdischen Historikerinnen zwischen Diaspora und Heimat in der deutsch-jüdischen Nachkriegshistoriographie spürt Hannah-Villette Dalby nach. Sie behandelt dabei vier Frauen: Hannah Arendt, Eleonore Sterlin, Eva Gabriele Reichmann und Selma Stern. Sie hebt hervor, dass diese Frauen im Gegensatz zu deutschen Historikerinnen bereits von den Zeitgenossen eine nicht unproblematische Schlüsselrolle zugeschrieben bekamen, die sie zu Mentorinnen auf dem Weg der Westdeutschen in die Demokratie machte.

„Engendering the writing and teaching of history in mid-war Greece“ lautet der Titel von Effi Gazi. Um die Arbeiten und die Lehre der Historikerin Rosa Imvrioti entwickelte sich einer der „most turbulent and dramatic intellectual, political, and educational conflicts in Greec‘s modern history“ (S. 126). Gazi arbeitet anhand des Skandals um die Qualität der Lehre Imvirotis heraus, wie politische Ideen, Geschichtsschreibung und -unterricht mit gender images in der Zwischenkriegszeit ineinander griffen. Obwohl Rosa Imvrioti nie offiziell für ihre feministisch orientierte Lehre verurteilt wurde, wendete sie sich nach dem Skandal von diesen Themen ab. Somit gelang es, feministische Ideen aus der linken Politik der Zwischenkriegszeit zu verbannen.

Frauen der norwegischen und dänischen Geschichtsschreibung zwischen 1900 und 1960 untersucht Ida Blom. Dabei ist der Genitiv durchaus doppelt gemeint: Es geht ihr sowohl um Frauen als Objekte und als Subjekte der Geschichtsschreibung. Zunächst skizziert sie die Entwicklung, die wie in anderen Ländern auch Frauen aufgrund der verwehrten universitären Würden als Amateurinnen an die Ränder der Geschichtsschreibung drängten. Obwohl im Nachbarland Schweden Ellen Friis bereits 1883 und in Dänemark Anna Hude 1893 promoviert wurde, gelang es in Norwegen erst Ingrid Semmingsen 1951 einen Doktortitel zu erwerben. Blom zeichnet anhand akademischer und außeruniversitärer Geschichtsschreibung von Frauen den langen Weg bis zur Eingliederung der Frauengeschichte in die universitäre Forschung Skandinaviens nach.

Mervi Kaarninen und Tiina Kinnunen wenden sich der finnischen Geschichtsschreibung zu. Wie in anderen europäischen Ländern ging auch in Finnland die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts eine enge Verbindung mit dem Nationalismus ein. Diese Verbindung war die Ursache für den Ausschluss von Frauen als Thema und als Produzentinnen von Geschichtsschreibung. Kaarninen und Kinnunen gelingt es, diesen im 19. Jahrhundert entwickelten Blick aufzulösen und Historikerinnen anhand zahlreicher Beispiele in die Geschichte der finnischen Geschichtsschreibung zurückzuschreiben. Damit ermöglichen sie zugleich Einblicke in den Prozess, wie historisches Wissen über Ausschlüsse, Abwesenheit und Unsichtbarkeit generiert wird.

Auf die mühsame Suche nach bulgarischen Historikerinnen vor dem zweiten Weltkrieg macht sich Krassimira Daskalova. Und auch hier gilt, was auf andere nationalen Historiographien zutrifft. Daskalova wird fündig und eröffnet so ein neues Verständnis der „Politics of a Discipline“. In ihrem Ausblick liefert sie erstmals statistisches Material über Historikerinnen in Bulgarien. Die vergleichsweise hohe Anzahl von Historikerinnen an wissenschaftlichen Instituten erklärt sie damit, dass Frauen neben der fachlichen Eignung ein besonderes Maß an politischer Loyalität zugeschrieben wurde und „family connections“ in kommunistischen Regimen eine große Rolle spielten.

Anna Scattigno untersucht am Beispiel der „Società Italiana delle Storiche“ die Bedeutung von Frauenvereinen an den europäischen Universitäten, die sich seit der Ende der 1980er-Jahre überall bildeten. Dabei zeichnet sie die große Schwierigkeit nach, mit der „die Geschichte der Frauen“ zu kämpfen hatte, um in die so genannte allgemeine Geschichte eingegliedert zu werden. Sie betont dabei jedoch auch, wie sich die „histoire générale“ selbst unter dem Druck der Frauengeschichte geändert hat.

In fast allen Aufsätzen des Bandes wurde deutlich, wie stark unser Blick auf die Geschichte der Geschichtsschreibung vom überlieferten Kanon der Historiographie geprägt ist. Der Schatten des 19. Jahrhunderts ist so stark, dass er die Sicht auf den Einfluss von Frauen auf die Produktion von historischem Wissen noch immer verdunkelt. Es ist daher unumgänglich, in einem ersten Schritt diesen Einfluss sichtbar zu machen. Weitere Schritte müssen dann folgen, die es ermöglichen, Funktionen der Ein- und Ausschlussmechanismen unter geschlechtergeschichtlicher Perspektive zu analysieren. Erst so wird die systematische Bedeutung der Kategorie „Geschlecht“ für die Ordnung des historischen Wissens deutlich. Dies ist nicht in allen Aufsätzen gleichermaßen gelungen. Der Sammelband verdeutlicht daher beides, wie wichtig eine Geschlechtergeschichte der Historiographie ist und wie schwierig sie zu realisieren ist. Viel ist hier noch zu tun, zumal, wenn „Europa-Historiker“ nicht unter sich bleiben sollen oder wollen.

Anmerkung:
1 Dahrendorf, Ralf, A History of the London School of Economics and Political Science, 1895-1995, Oxford 1995.

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