Bohemia 43 (2002), 1

Titel der Ausgabe 
Bohemia 43 (2002), 1
Weiterer Titel 

Erschienen
München 2002: Oldenbourg Verlag
Erscheint 
Erscheinungsweise: zweimal jährlich. Je zwei Hefte ergeben einen Band
Preis
Jahrespreis € 48,00, Einzelheft € 30,00

 

Kontakt

Institution
Bohemia. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der böhmischen Länder
Land
Deutschland
c/o
Dr. Stephanie Weiss, Collegium Carolinum e.V., Hochstr. 8, 81669 München
Von
Brenner, Christiane

Bohemia
Zeitschrift für Geschichte und Kultur der böhmischen Länder
A Journal of History and Civilisation in East Central Europe
Herausgegeben im Auftrag des Collegium Carolinum von Ferdinand Seibt, Hans Lemberg und Michaela Marek

Inhaltsverzeichnis

AUFSÄTZE

Zimmermann, Volker: "Die Wahlen müssen schon vorher entschieden werden!" Das erste Nachkriegsjahr im Bezirk Ústí nad Labem und der Wahlsieg der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (1945/46)

Steinführer, Annett: Stadt und Utopie. Das Experiment Zlín 1920-1938

Boyer, Christoph: Ökonomische Effizienz und ‚Nationale Verhältnisse?: Die Siemens-Tochter Elektrotechna in der Ersten Tschechoslowakischen Republik

Šmahel, František: Das Rätsel des ältesten Prager Universitätssiegels

LITERATUR- UND FORSCHUNGSBERICHTE

Pešek, Jirí: Prag um 1600 als europäischer Sonderfall? Eine Polemik mit Leszek Belzyt

von Arburg, Adrian: Nationalstaat zum Abgewöhnen: Vilém Placeks Hlucínsko

Fiala-Fürst, Ingeborg/ Krappmann, Jörg: Deutschmährische Literatur als Forschungsgegenstand

CHRONIK

Tätigkeitsbericht des Collegium Carolinum für 2001 (Robert Luft)

Die sechziger Jahre zwischen Planungseuphorie und kulturellem Wandel (Stephanie Weiss)

Ein Jahrzehnt postkommunistischer Historiographie (Dušan Kovác)

Der ‚Realsozialismus? als soziale Frage (Jennifer Schevardo)

Geschichtskultur im Sozialismus und danach (Winfried Jilge)

Interfaces. Alteritäten in der tschechischen, polnischen und deutschen Sprache, Literatur und Kultur (Dorothea Uhle)

Deportation, ‚ethnische Säuberung', Genozid (Martin Zückert)

Regionen und Regionalismus in den böhmischen Ländern in Geschichte und Gegenwart (Anneke Hudalla)

Literatur unter dem Hakenkreuz. Böhmen und Mähren 1938-1945 (Stefan Zwicker)

Forschungen zur Geschichte Mitteleuropas nach 1945 (Volker Zimmermann)

Das 6. Münchener Bohemistentreffen (Christiane Brenner)

Wendepunkte in den deutsch- tschech(oslowak)ischen Beziehungen (Jennifer Schevardo)

NEUE LITERATUR

Pekný, Tomáš: Historie Židu v Cechách a na Morave (Jirí Kosta)
Otte, Anton/Krížek, Petr (Hgg.): Židé v Sudetech - Juden im Sudetenland (Jörg Osterloh)
Kosta, Jirí: Nie aufgegeben (Ferdinand Seibt)
Pazi, Margarita: Staub und Sterne (Steffen Höhne)
Chmelíková, Jitka: Osud chebských Židu (Rudolf M. Wlaschek)
Aussiger Schoulet. Geschichten und Erinnerungen eines alten Aussigers von Bedrich Rohan (Zbynek Studenovský)
Krestan, Jirí/Blodigová, Alexandra/Bubeník, Jaroslav: Židovské spolky v ceských zemích v letech 1918-1948 (Helena Srubar)
Pick, Miloš: Verstehen und nicht vergessen. Durch Theresienstadt, Auschwitz und Buchenwald-Meuselwitz (Tobias Weger)
Kryl, Miroslav: Osud veznu terezínského ghetta v letech 1941-1944 (Tobias Weger)
Koschmal, Walter/Nekula, Marek, Rogall, Joachim (Hgg): Deutsche und Tschechen. - Dies. (Hgg.): Ceši a Nemci (Jan Šícha)
Karg, Ina: Begegnungen mit Literatur und Kultur in Böhmen (Václav Maidl)
Vencovský, František u.a. (Hgg.): Dejiny bankovnictví v ceských zemích (Christoph Boyer)
Veldrup, Dieter: Frauen um Herzog Ladislaus (Joachim Bahlcke)
Kopicková, Božena/Vidmanová Anežka: Listy na Husovu obranu 1410-1412 (Karel Hruza)
Kreuz, Petr: Postavení a pusobnost komorního soudu v soustave ceského zemského trestního soudnictví doby predbelohorské (Karel Malý)
Kollmann, Josef: Valdštejn a evropská politika 1625-1630. - Ders.: Valdstejnuv konec (Herbert Langer)
Parez, Jan/Kuchárová, Hedvika: Hyberni v Praze (Johanna von Herzogenberg)
Köllner, Alena: Buchwesen in Prag (Stephan Niedermeier)
Jakubcová, Alena/Ludvová, Jitka/Maidl, Václav (Hgg.): Deutschsprachiges Theater in Prag (Philipp Ther)
Gimpl, Georg: Weil der Boden selbst hier brennt. Aus dem Prager Salon der Berta Fanta (Ferdinand Seibt)
Duppler, Jörg/Groß, Gerhard P. (Hgg.): Kriegsende 1918 (Ivan Šedivý)
Stranák, Dušan a kol.: Život a pusobení profesora Miroslava Bohácka (Helmut Slapnicka)
Bukey, Evan Burr: Hitlers Österreich (Volker Zimmermann)
Pustejovsky, Otfrid: Die Konferenz von Potsdam und das Massaker von Aussig (K. Erik Franzen)
Lehmann, Friedrich: Der Wandel der Ortsnamen in den ehemals deutsch besiedelten Gebieten der Tschechoslowakei (Adrian von Arburg)
Knapík, Jirí: Kdo spoutal naši kulturu (Christiane Brenner)
Kosatík, Pavel: Fenomén Kohout (Stefan Zwicker)
Foitzik, Jan (Hg.): Entstalinisierungskrise in Ostmitteleuropa 1953-1956 (Ivan Pfaff)
Merkel, Wolfgang/Puhle, Hans-Jürgen: Von der Diktatur zur Demokratie (Dieter Segert)
Verdery, Katherine: The Political Lives of Dead Bodies (Stephanie Weiss)

ZUSAMMENFASSUNGEN

Volker Zimmermann

"Die Wahlen müssen schon vorher entschieden werden!"

Das erste Nachkriegsjahr im Bezirk Ústí nad Labem und der Wahlsieg der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (1945/46)

Die Erforschung der kommunistischen Machtdurchsetzung in der Tschechoslowakei nach 1945 vernachlässigte bisher die regionale Entwicklung. Dabei kann eine Analyse der Tätigkeit regionaler Parteiorganisationen und Verwaltungsbehörden sowie Reaktionen der dortigen Bevölkerung auf die politische und gesellschaftliche Lage durchaus neue Sichtweisen auf dieses Thema bieten. Der Beitrag zeigt anhand des ehemals mehrheitlich von Deutschen besiedelten nordböhmischen Bezirks Ústí nad Labem (Aussig), wie die KPTsch bereits im ersten Nachkriegsjahr mit Hilfe des systematischen Ausbaus ihrer regionalen Parteiorganisation die Vorherrschaft gewann. Die anderen Parteien setzten diesen Bemühungen keine Grenzen, sondern trugen im Gegenteil mit einer nationalistischen Propaganda zu einer Verschärfung des gesellschaftlichen Klimas bei, das aber vor allem die KPTsch für sich zu nutzen verstand. Die Wahlen im Mai 1946 zeigten schließlich, dass Bezirke wie Ústí nad Labem eine Speerspitze der Kommunisten bildeten - ihre unangefochtene politische und gesellschaftliche Dominanz war dort bereits zwei Jahre vor dem "Siegreichen Februar 1948" Realität.

Annett Steinführer

Stadt und Utopie. Das Experiment Zlín 1920-1938

Die mährische Stadt Zlín erlebte in der Zwischenkriegszeit eine für die Erste Tschechoslowakische Republik beispiellose städtebauliche Entwicklung, die eng an den Aufstieg der Firma Bat'a von einem kleingewerblichen Schuhproduzenten zu einer weltweit tätigen Aktiengesellschaft geknüpft war. Zugleich handelt es sich bei Zlín um mehr als um die bekannte Geschichte städtischer Expansion durch Industrialisierung. Vielmehr verbanden sich mit dem städtischen Aus- und Aufbau deutlich utopische Elemente einer "besseren" Gesellschaft. Ausgehend von den biographischen, betriebswirtschaftlichen, städtebaulichen und architektonischen Aspekten der Entwicklung Zlíns werden in dem Beitrag die engen wechselseitigen Verbindungen zwischen den einzelnen städtischen Teilbereichen aufgezeigt und Zlín als Experiment in die Ideengeschichte der Sozial- und Stadtutopien eingeordnet.

Christoph Boyer

ÖKONOMISCHE EFFIZIENZ UND "NATIONALE VERHÄLTNISSE": DIE SIEMENS-TOCHTER ELEKTROTECHNA IN DER ERSTEN TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

Weil die Erste Tschechoslowakische Republik eine wirtschaftliche Vereinnahmung durch das Deutsche Reich als Vorstufe der politischen Hegemonie fürchtete, wurden die Aktivitäten reichsdeutscher Tochtergesellschaften im Land, insbesondere aber deutsche Ingenieure und Manager auf Schlüsselpositionen dieser Unternehmen argwöhnisch beobachtet. Ökonomischer Nationalismus, oft in Verbindung mit dem Bestreben, lästige Konkurrenz auszuschalten, war jedoch keineswegs das einzige Motiv der Prager Wirtschaftspolitik. Wie das Beispiel der Siemens-Tochter Elektrotechna zeigt, wirkten die Interessen der einheimischen Banken, der Belegschaft und der behördlichen Großabnehmer als Hemmschuhe gegen allzu drastische Eingriffe in die Leistungs- und Ertragsfähigkeit des Unternehmens. Hier wie in den deutsch-tschechoslowakischen Wirtschaftsbeziehungen überhaupt überwölbte Pragmatismus vielfach die nationalpolitischen Konfliktlinien.

František Šmahel

DAS RÄTSEL DES ÄLTESTEN PRAGER UNIVERSITÄTSSIEGELS

In der letzten Zeit ist das älteste erhaltene Siegel der Prager Universität, das bis heute ihre statuarische Insignie ist, zum Objekt eines breiteren Forschungsinteresses geworden. Auf der Grundlage der Quellenanalyse lässt es sich als gesichert annehmen, dass die aus drei Fakultäten zusammengesetzte Universität ein eigenes großes Siegel hatte und dass dieses mit dem Siegelbild des erhaltenen silbernen Petschaft identisch war. Indessen ist es nicht sicher, ob das nachweislich ‚größere' Siegel der Rechtsfakultät mit dem großen Siegel der aus drei Fakultäten bestehenden Universität übereinstimmte, weil von ihm weder ein Abdruck noch eine Beschreibung erhalten sind. Da beide Universitäten ihre Privilegien aus der Gründungsurkunde für die gesamte Prager Hochschule ableiteten, war es für sie sozusagen unerlässlich, auch nach außen als eine Korporation aufzutreten. So gesehen könnte die umstrittene Legende eine Kompromisslösung gewesen sein. Weil die Doktoren und Magister der drei Fakultäten das große Siegel in den Jahren 1408 bis 1417 als ihre Insignie betrachteten, verliert sich damit die letzte Stütze für die Konstruktion, die auf der institutionellen und sozialen Auslegung des Begriffes universitas scholarium in der Legende des großen Siegels der Prager Universität begründet war.

Jirí Pešek

PRAG UM 1600 ALS EUROPÄISCHER SONDERFALL ? EINE POLEMIK MIT LESZEK BELZYT

Das Buch des polnischen Forschers soll topographische und demographische Aspekte der gesellschaftlichen und ethnischen Struktur Prags und Krakaus vergleichen. Der polemische Text konzentriert sich auf die Prager Problematik: Es wird auf eine Reihe grundsätzlicher Fehler der Publikation hingewiesen (z.B. hinsichtlich der Prager Judenstadt), auf die Vernachlässigung der modernen (nicht nur tschechischen) Literatur zum Thema und darauf, dass die Interpretation an Arbeiten aus der Zwischenkriegszeit angelehnt ist, die von einem überspannten Nationalismus geprägt sind. Vor allem aber wird Belzyts unkritische Arbeit mit Quelleneditionen kritisiert, die sich auf die Zahl, auf die soziale und besonders die nationale Struktur Prags während der Rudolfinischen Zeit beziehen. Belzyt übernimmt ihre fachlich inkorrekte Auslegung, die bis an die Grenzen der Manipulation geht, er widerlegt die bisherige Interpretation der Forschung nicht durch Argumente - diese lässt er außer Acht oder rektifiziert sie ohne Angabe von Gründen und methodischen Verfahren. Damit reißt er Prag aus dem Kontext der Geschichte mitteleuropäischer Städte. Anstelle eines Vergleichs zweier Metropolen bietet er nur eine parallele Beschreibung.

Adrian von Arburg

NATIONALSTAAT ZUM ABGEWÖHNEN Vilém Placeks Hlucínsko

Die jüngere Vergangenheit des Hultschiner Ländchens (Hlucínsko) bietet aufgrund ihrer Verworrenheit und des ethnisch nicht eindeutig kategorisierbaren Charakters seiner autochthonen Bewohner reiches Anschauungsmaterial über den praktischen Umgang von erklärten Nationalstaaten mit der nationalen Frage. Die langjährige Zugehörigkeit zu Preussen (1742-1920), das Scheitern der Integration in der Ersten Tschechoslowakischen Republik (1920-1938), die abermals mit Deutschland erlebten Kriegsjahre (1939-1945) und schliesslich die zweite ‚Rückkehr' zur Tschechoslowakei schufen im Hultschiner Ländchen eine spezifische Identität. Ausgehend von der 2000 erschienenen Synthese "Prajzáci aneb k osudum Hlucínska" 1742-1960 (‚Die Preussen' oder zum Schicksal des Hultschiner Ländchens 1742-1960) von Vilém Placek verweist der vorliegende Literaturbericht auf zahlreiche weitere Beiträge tschechischer Forscher zu dieser historischen Landschaft an der Peripherie. Der zeitliche Betrachtungsschwerpunkt liegt dabei in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Ingeborg Fiala-Fürst/Jörg Krappmann

DEUTSCHMÄHRISCHE LITERATUR ALS FORSCHUNGSGEGENSTAND

In den Jahren der "Normalisierung" war die Erforschung der deutschen Literatur aus Böhmen und Mähren nicht gestattet. Wissenschaftler, die nach der Niederschlagung des Prager Frühlings von ihren Stellen entfernt worden waren, befassten sich jedoch bereits in den siebziger und achtziger Jahren mit Autoren und Werken deutscher Schriftsteller. Auf ihren Sammlungen konnte die Arbeitsstelle zur Erforschung der mährischen deutschsprachigen Literatur aufbauen, die 1998 an der Universität Olmütz gegründet wurde. Der vorliegende Arbeitsbericht gibt Auskunft über die Ziele, die Forschungsfelder und Aktivitäten der Olmützer Arbeitsstelle. Dabei werden die Probleme und Potentiale diskutiert, die in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einer "literarischen Provinz" liegen. Es wird gezeigt, wie die "Wiederentdeckung" vergessener und vermeindlich minder interessanter Schriftsteller die Perspektive des gesamten Faches Germanistik erweitern kann, zugleich aber für eine interdisziplinäre wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der deutschmährischen Literatur geworben.

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