Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 71 (2023) 2

Titel der Ausgabe 
Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 71 (2023) 2
Weiterer Titel 
Politische Repräsentation ländlicher Bevölkerungen in der Vormoderne

Erschienen
Frankfurt am Main 2023: DLG-Verlag
Anzahl Seiten
144 S.
Preis
Abopreis: € 81,00; Einzelheft: € 40,00

 

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Institution
Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie : ZAA
Land
Deutschland
PLZ
60489
Ort
Frankfurt am Main
Straße
Eschborner Landstr. 122
c/o
Geschäftsführende Herausgeber: Johann Kirchinger (johann.kirchinger@theologie.uni-r.de) Gunter Mahlerwein (guntermahlerwein@aol.com) Versand: DLG-Verlag GmbH ZAA Redaktion
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0 69/2 47 88-451
Fax
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Von
Gunter Mahlerwein

Stefan Brakensiek/Niels Grüne

Editorial: Politische Repräsentation ländlicher Bevölkerungen in der Vormoderne

Einleitung

Die Frage nach der politischen Handlungsfähigkeit ländlicher Bevölkerungen vor dem Zeitalter der Revolutionen zählt zu den ideologisch aufgeladenen Themen der historischen Forschung. Namentlich für den deutschen Bereich hatten Günther Franz und Franz Schnabel eine wirkmächtige Position markiert, als sie in den 1930er-Jahren feststellten, dass die Landbewohner nach dem gescheiterten Bauernkrieg von 1524-1526 „keine politische Rolle mehr“ gespielt hätten bzw. „vom Schauplatz der Geschichte“ abgetreten seien (Franz 1933: 480; Schnabel 1931: 199). Die zahlreichen Studien, die dagegen vor allem seit den 1970er-Jahren die vielfältigen Initiativen und Partizipationsweisen von Dorfgemeinden und lokalen Akteursgruppen während der Frühen Neuzeit zu dokumentieren suchten, trugen vor diesem Hintergrund oft den Charakter einer Ehrenrettung, die das vermeintlich autoritäre Erbe der deutschen Geschichte insgesamt tangierte (im Überblick z.B. Holenstein 1996: 75-81, 101-112; Troßbach 1993: 78-87; Troßbach/Zimmermann 2006: 78-103, 155-169). Mit dem Begriffspaar von Herrschaft und Genossenschaft (Otto Gierke) bot sich zudem ein Interpretationsschema, das ländlicher Selbstorganisation und Teilhabe per se eine obrigkeitskritische Dimension zu verleihen schien. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit solchen Phänomenen hat sich daher lange im Horizont der politischen Rehabilitierung des gemeinen Manns und anti-feudaler bzw. anti-etatistischer Widerständigkeit bewegt.
In neueren Arbeiten hat sich mittlerweile zwar ein Perspektivenwechsel vollzogen, der im Konzept der empowering interactions gebündelt werden kann und generell darauf abzielt, die politischen Verhaltensformen ländlicher Personenkreise jenseits dualistischer Deutungsmuster in die komplexen Strukturen frühneuzeitlicher Ständegesellschaften und expandierender Staatlichkeit einzubetten (Blockmans/Holenstein/Mathieu 2009). Allerdings ist in der empirischen Erprobung dieses Ansatzes die bäuerliche Beteiligung an territorialen Vertretungskörperschaften – als Spezialfall ständischer Herrschaftspartizipation – bisher weithin ausgespart worden, obwohl ihr die Forschung zuvor teilweise eine erhebliche Beweislast aufgebürdet hatte, nicht zuletzt für den Übergang zum modernen Parlamentarismus (Bosl 1977; Blickle 1981: 61-91; 1982; 1986: 535-546); und obwohl angebliche freiheitliche Traditionen als „Bauernrepublik“, etwa in Dithmarschen (von Schlachta 2015b), sich seit dem 19. Jahrhundert tief in regionale Identitätskonstruktionen eingeschrieben haben. Das vorliegende Heft will dazu beitragen, dieses Desiderat aufzuarbeiten.
Es widmet sich institutionalisierten Formen überlokaler politischer Repräsentation ländlicher Bevölkerungen im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit. Dabei wird das Problem der Inklusion und Exklusion von Angehörigen der bäuerlichen Ober- und Mittelschichten in Landschaften, Landsgemeinden, Landständen, Reichstagen etc. betrachtet und danach gefragt, welche konkreten und systemischen Folgen die unterschiedlichen Partizipationsmodelle hatten. Inwieweit gelang es Vertretern aus dem dörflichen Milieu, als eigene Kraft aufzutreten und wahrgenommen zu werden? Wurden sie im Rahmen regionaler bzw. territorialer Korporationen von nicht-teilhabeberechtigten Individuen und Gruppen als Adressaten für spezifische Forderungen und Supplikationen genutzt? Begünstigten formalisierte Aushandlungs- und Konsensbildungsprozesse mit bäuerlichen Repräsentanten umgekehrt die Autorität und Funktionalität (fürsten-)staatlicher Herrschaft? Lässt sich mithin das für die vormoderne Kommunikation zwischen Obrigkeiten und Untertanen entwickelte Modell der empowering interactions fruchtbar auf derartige Körperschaften anwenden?
Im Folgenden wird zuerst der analytische Zuschnitt dieses Modells genauer skizziert und vom älteren, eher emphatisch und dualistisch ausgerichteten Paradigma des Kommunalismus abgegrenzt. Danach kommen jene zwei Forschungsfelder zur Sprache, die für die Kontextualisierung bäuerlicher politischer Repräsentation besonders ins Gewicht fallen: Ständeversammlungen und ländliche (Herrschafts-)Teilhabe. Am Ende richtet sich der Fokus auf die einzelnen Aufsätze, die auch einen europäischen Vergleich erlauben, und auf die Bausteine, die sie zu einer möglichen Neubewertung liefern.

Leitbegriffe: (Repräsentations-)Kommunalismus und empowering interactions

Kommunalismus ist ein durch Peter Blickle in den 1980er-Jahren geprägter politischer Ordnungsbegriff, der von einer Strukturverwandtschaft vormoderner Stadt- und Landgemeinden ausgeht. Im Spätmittelalter hätten Städte und Dörfer als Korporationen über ein hohes Maß an Eigenständigkeit verfügt, mit Satzungskompetenz, eigenen repräsentativen Organen und gemeindlichen Ämtern, lokaler Rechtsprechung, gemeinschaftlichem Eigentum an der Allmende und an kommunalen Gebäuden sowie Organisation der Nutzung und Pflege dieses Gemeineigentums. Die Binnenstruktur der Gemeinden sei durch Häuser gegliedert gewesen, an denen die politischen Rechte und Pflichten der Bürger und Bauern hingen. Gemeindliche Ämter wurden ausschließlich von Hausvätern wahrgenommen, der Kommunalismus in Stadt und Land ist deswegen auch als „Hausväterdemokratie“ bezeichnet worden, die von verbindlichen Werten – Frieden, gemeiner Nutzen, Hausnotdurft und rechtliche Gleichheit – gekennzeichnet gewesen sei (Blickle 2000a). Die Theologie der Reformatoren mit der Betonung des Gemeindechristentums und dem Recht der Gemeinden, ihre Pfarrer frei zu wählen, habe eine hohe Passfähigkeit mit dieser kommunalen Lebenswelt aufgewiesen, was die rasche Rezeption der reformatorischen Lehre unter Bürgern und Bauern erkläre. Der Bauernkrieg sei auf den gescheiterten Versuch zurückzuführen, den Kommunalismus (unter dem Dach eines vom Kaiser geführten Reiches) als biblisch legitimierte politische Ordnung zu verallgemeinern. Auch nach dem blutigen Ende dieses politischen Experiments habe in den Landschaften, den überörtlichen Ständevertretungen im deutschen Südwesten, kommunalistisches Denken und Handeln fortgewirkt (Blickle 2000b). Blickle geht dabei von einer Affinität zwischen Kommunalismus und freistaatlichem Republikanismus aus (Blickle 1986). Der entstehende neuzeitliche Staat habe im Zeichen des Absolutismus die politische Autonomie in den Dörfern und Städten zurückgedrängt, begleitet von zunächst gewaltsamem, später zunehmend verrechtlichtem Widerstand.
In Anlehnung an Blickles lokal und kleinregional dimensioniertes Modell sind das in diesem Heft beleuchtete Recht von Landgemeinden, „Vertreter zu periodisch zusammentretenden Gremien zu entsenden, in denen das gesamte Territorium betreffende Fragen besprochen wurden“, und die damit verbundenen Praktiken bisweilen als Repräsentationskommunalismus apostrophiert worden (Dillinger 2004: 31). Obgleich sich dieser Terminus in der Forschung nicht durchgesetzt hat, soll er im Ensemble mit anderen Interpretationsangeboten im Resümee noch einmal aufgegriffen werden, um die Beiträge konzeptionell zu verorten.
Das Konzept des Kommunalismus ist von Beginn an scharf kritisiert worden. Zum einen wurden die Ähnlichkeit von städtischen und dörflichen Formen politischer Partizipation und die Nähe bäuerlicher Repräsentation zum Republikanismus in Abrede gestellt (Press 1975; 1989; 1991). Zum anderen wurde der egalitäre Charakter der allermeisten Landgemeinden bestritten und stattdessen auf die verbreitete Oligarchisierung der sozio-politischen Ordnung hingewiesen, die sich in vielen Regionen zu einer dauerhaften ständischen Sonderung zwischen verschiedenen dörflichen Sozialgruppen zuspitzte (Friedeburg 1996). Und dennoch, auch wenn in der aktuellen Forschung Kommunalismus keine bedeutende Rolle mehr spielt, bildet die „Entdeckung“ der politischen Partizipation des gemeinen Manns in Dorfgemeinden und darüber hinaus in territorialen Vertretungskörperschaften ein bleibendes Verdienst der historischen Arbeiten, die von Peter Blickle und seinen Schülerinnen und Schülern vorgelegt wurden (Blickle 1973; 1982; 1991; 1998). Das erweist sich auch im Zusammenhang mit dem Konzept der empowering interactions, das von André Holenstein für eine Tagung entwickelt wurde, die unter der Überschrift „Staatsbildung von unten“ stand (Holenstein 2009). Die Forderungen von einzelnen Untertanen, Gruppen oder Korporationen sowie die damit verbundenen sozialen Auseinandersetzungen hätten der Staatsbildung von Beginn an ihren Stempel aufgedrückt. Vor allem die Lösung solcher Konflikte wurde an die Fürsten und ihre Amtsträger herangetragen und ganz allgemein als genuine Aufgabe von legitimer Herrschaft angesehen. Indem einzelne Personen oder Gruppen an den Fürsten bzw. seine Amtsträger herantraten und um die gesetzliche Regelung eines Problems, um die Schlichtung eines Streits oder um Sanktionierung von Normverstößen baten, schrieben sie ihnen Macht zu, die sie ohne diese Initiativen von unten nicht gehabt hätten. Indem spezifische Mängel adressiert wurden (und andere nicht), bestimmten die Untertanen die Agenda staatlichen Handelns mit. Das Konzept der empowering interactions geht – anders als die älteren Kategorien – nicht von einem grundsätzlichen Antagonismus zwischen Herrschern und Beherrschten aus, wobei Letztere per se widerständig agiert hätten, sondern fokussiert auf die Interaktion zwischen „oben“ und „unten“. Im Rahmen dieser Kommunikationsprozesse habe es zwar durchaus Gewinner und Verlierer geben können, häufig hätten jedoch beide Seiten von einer gelungenen Konfliktregulierung profitiert. Wie Holenstein es in dem gleichnamigen Sammelband einleitend umreißt: „‚Empowering interactions‘ suggests that both the representatives of particular interests and the state benefited from such interactions. In a specific sense, both parties became more powerful: the bearers of particular interests received authoritative support, while the state broadened its social acceptance and legitimacy“ (Holenstein 2009: 26).

Forschungskontext I: Ständeversammlungen jenseits des Dualismus

Es gehört zu den Kennzeichen der älteren Historiographie, die Beziehung von Herrschern und ständischen Vertretungskörperschaften primär als Antagonismus aufzufassen (Krüger 2003: 45-51; Schorn-Schütte 2004: 124-128; Duchhardt 2007: 169-176). Die Kompetenz- und Machtverteilung zwischen den beiden Polen erschien als ein Nullsummenspiel, in dem die eine Seite lediglich das gewinnen konnte, was die andere einbüßte (Carsten 1959: 422-444). In entwicklungsgeschichtlicher Perspektive stellte sich unter einem solchen dualistischen Paradigma die Auffächerung der politischen Systeme im Europa der Frühen Neuzeit häufig als ein Vorgang dar, in dem das Übergewicht des einen oder des anderen Prinzips als Definitionsmerkmal figurierte (van Dülmen 1982: 178-192; Krüger 2003: 76-78). Exemplarisch habe sich etwa in England, nach whiggistischer Lesart, 1688/89 der Parlamentarismus auf Kosten der Krone durchgesetzt, während Frankreich nicht zuletzt durch Ausschaltung der États généraux seit 1614/15 zum Muster der zentralisierten Monarchie avancierte (Wende 2001: 127-128, 133-135; Schorn-Schütte 2009: 133-146). Der deutschsprachige Bereich ließ sich wegen seiner Fragmentierung weniger eindeutig zuordnen, kannte aber Fälle französischen Zuschnitts mit ausgeprägten fürstenstaatlichen Strukturen und vermeintlich domestizierten Landständen (z.B. Brandenburg-Preußen, Österreich, Bayern); demgegenüber galt die Fortexistenz korporativer Herrschaftsteilhabe mit Widerstands- und Blockadepotential auf Reichs- wie Territorialebene eher als Faktor – je nach weltanschaulicher Couleur negativ oder positiv konnotierter – politischer Stagnation (Krüger 2003: 27-31). Sieht man vor diesem Hintergrund den wesentlichen Ansatzpunkt für eine erweiterte Partizipation von Ständeversammlungen darin, über den Hebel der Steuerbewilligung auf die Gesetzgebung auszugreifen und, zum Beispiel durch Gravamina und Petitionen, allgemeinpolitische Initiative zu entfalten, mochte somit der Eindruck aufkommen, dass derartige Mitwirkungsrechte nur gegen die fürstlich-monarchische Spitze erkämpft und behauptet werden konnten – oder eben in variierendem Maße an sie verloren gingen.
Schon früh sind allerdings Zweifel an solchen dichotomischen Modellen und unilateralen Prozessalternativen erhoben worden. Zunächst gilt es in zeitlicher Hinsicht zu differenzieren. Die Anfänge ständischer Repräsentation im Spätmittelalter verbanden sich häufig mit dynastischen und/oder kriegerischen Krisenlagen, deren fiskalische und gesellschaftliche Bewältigung einer Verbreiterung der politischen Mitbestimmung innerhalb der kirchlichen, adeligen, stadtbürgerlichen und bisweilen auch bäuerlichen Eliten bedurfte (Krüger 2003: 1-10; Reinhard 1999: 216-226). Die daraus erwachsenden, vor allem für das 15. und 16. Jahrhundert charakteristischen Strukturen apostrophierte Gerhard Oestreich 1967 als Finanzstaat, in dem namentlich die ständische Steuer- und Schuldenwirtschaft sich als funktional für die Staatsbildung erwiesen habe, bevor unter den Vorzeichen des Militär-, Wirtschafts- und Verwaltungsstaats die fürstlichen Regierungen den Ton angegeben hätten (Oestreich 1967). Oder wie Wolfgang Reinhard bündig konstatierte: „Das Ständewesen war für Monarchien auf einem mittleren Entwicklungsniveau ein ausgezeichnetes Instrument zur Mobilisierung von Ressourcen, zur Produktion von Konsens und Landespatriotismus“ (Reinhard 1999: 223).
Ferner ist in mehreren Studien herausgearbeitet worden, dass Ständeversammlungen und vergleichbare repräsentative Institutionen auch unter den Bedingungen intensivierter fürstlicher Herrschaft bis ins 17. und 18. Jahrhundert hinein zum Teil erheblichen Einfluss auf das legislative Handeln zu nehmen vermochten. Dies betraf insbesondere die Justizorganisation und Rechtskodifikationen sowie generell die Policey-Gesetzgebung (z.B. Gewerbe-, Agrar-, Lebensmittel-, Sicherheitspolitik), d.h. verschiedene Felder der inneren Staatsbildung (Blickle/Ellis/Österberg 1997). Im Heiligen Römischen Reich sind beispielsweise die Landgrafschaft Hessen-Kassel, Kursachsen und das Herzogtum Württemberg als genauer untersuchte Fälle zu nennen (Würgler 1998; Schirmer 2007: 80-86; Fuhrmann 1998). Selbst für Frankreich lässt sich zeigen, dass zumindest die parlements und in den pays d États zudem die Provinzialstände hierbei weiterhin eine aktive Rolle spielten (Iseli 2003: 111-130; 2009: 90-95). Obwohl nach 1650 auf dem Kontinent die Stände vielfach in die Defensive gerieten, bedeutet das demnach keineswegs, dass sie aus der politischen Mitgestaltung komplett ausschieden (Luebke 2008: 480-482).
Schließlich kann man grundsätzlich einwenden, dass die Annahme einer immanenten Rivalität zwischen Herrschern und Ständeversammlungen den Kern der Sache verfehle und nicht allein Konsens und Kompromiss überwogen, sondern oftmals auch Win-win-Situationen im Sinne einer wechselseitigen Legitimitäts- und Machtsteigerung eintraten. Stilbildend für eine solche Interpretation, die auf den Ansatz der empowering interactions vorauswies, wirkte bereits in den 1950er-Jahren Geoffrey Eltons Buch „The Tudor Revolution in Government“, das die Genese eines souveränen englischen Nationalstaats aus der Kooperation von Krone und Parlament im 16. Jahrhundert erklärte: Die königliche Emanzipation von Rom auf der Basis parlamentarischer Gesetze habe letztlich beide Verfassungsorgane nachhaltig gestärkt (Elton 1953). Diese Deutungslinie hat sich ebenso für andere Themen, z.B. den fiscal-military state des 18. Jahrhunderts (Brewer 1989: 137-161), etabliert und ist mit einiger Verzögerung auch in der deutschsprachigen Forschung auf fruchtbaren Boden gefallen. Sie leitet – ungeachtet der evidenten Häufung von Ständekonflikten seit dem Dreißigjährigen Krieg – etwa jüngere Arbeiten zu Kursachsen oder Hessen-Kassel und deren konzeptionelle Folgerungen an (Flügel 2017: 449-530; Matzerath 2019; Neu 2013: 477-500). Auch für die Habsburgermonarchie zeichnet sich in der aktuellen Forschung zum 17. und 18. Jahrhundert ein Konsens ab, der die Stände in den österreichischen Ländern sowie in Böhmen und Mähren eher als Partner der Krone denn als antagonistisches Gegenüber sieht (Ammerer u.a. 2007; Mat’a/Winkelbauer 2006).

Forschungskontext II: Ländliche Herrschaftsteilhabe und ständische Repräsentation

Das Modell der empowering interactions beruht empirisch auf einer Fülle von Untersuchungen, welche die Einbindung nicht-gouvernementaler Akteure in Prozesse der Herrschaftsverdichtung und Staatsbildung erhellen: sei es horizontal auf lokaler bzw. gemeindlicher und korporativer Ebene, sei es vertikal im Rahmen obrigkeitlich kanalisierter Kontroll- und Kommunikationsformen wie Visitationen, Vogt- und Rügegerichten oder Suppliken (Rublack 1997; Ogilvie 1999; Holenstein 2003; Brakensiek 2005; 2009). Dass sich die Handlungsoptionen nicht auf die simple Polarität von Unterwerfung oder Resistenz reduzierten, trifft dabei prinzipiell auch für rurale Bevölkerungsgruppen zu. Erstaunlicherweise ist jedoch das Phänomen dörflich-bäuerlicher Vertreter auf Ständeversammlungen in der Diskussion kaum berücksichtigt worden. Welchen Beitrag können also bisherige Studien zur ländlichen Repräsentation in diesem Forschungszusammenhang leisten?
Laut einem Überblick des Staatsrechtlers Johann Jacob Moser aus dem Jahr 1769 existierten im Alten Reich rund 90 Territorien mit ständischen Vertretungsinstitutionen, von denen nach dieser Darstellung freilich nur vier ein eigenes Korpus ländlicher Gesandter aufwiesen: das Hochstift Basel, die Grafschaft Ostfriesland, das Fürststift Kempten und die Grafschaft Tirol (Krüger 2003: 18-26; Luebke 2008: 481). Neueren Forschungen zufolge stößt man indes sehr viel häufiger auf das Recht ländlicher Gemeinden, Deputierte für ständische Gremien zu bestimmen. Eine jüngere Zusammenschau listet mehr als 20 zusätzliche Fälle in Herrschaften des Reichs auf (Dillinger 2008: 12-13; siehe auch Dillinger 2010; Dillinger/Mocek 2007). Im europäischen Maßstab müssten etwa die Länderorte der Schweizer Eidgenossenschaft, die Provinz Friesland in den Vereinigten Niederlanden und das Königreich Schweden hinzugerechnet werden (Luebke 2008: 481-482), so dass sich insgesamt das Bild einer vielleicht quantitativ wie geographisch immer noch peripheren, aber keineswegs marginalen Variante ländlicher politischer Partizipation abzeichnet. Johannes Dillinger ist deshalb zu der vordergründig paradoxen Einschätzung gelangt, dass die „Repräsentation der Landbevölkerung […] ein seltenes, weit verbreitetes Element der staatlichen Ordnungen der Frühen Neuzeit“ war (Dillinger 2008: 14).
Neuere Arbeiten zum besonders markanten Hausmannsstand in Ostfriesland verdeutlichen, dass es sich dabei keineswegs um einen auf die Moderne verweisenden Gegenentwurf zur fürstenstaatlichen Ordnung handelte (Dillinger 2008: 144-271; Luebke 2003; 2004; Tieben 2012: 527-660; 2009; Cronshagen 2014: 151-168; Kappelhoff 1982: 32-56). Stattdessen beruhte die bemerkenswert dauerhafte Partizipation von bäuerlichen Repräsentanten darauf, dass sie sich nahtlos in die Logik der ständischen Gesellschaft einfügten, einschließlich des korporativen Organisationsmodells und der Vorstellung einer Identitätsrepräsentation („die Stände sind das Land“). Unbeschadet seiner suggestiven Mobilisierungskraft (und entgegen späteren Vereinnahmungen) erscheint der Topos der „friesischen Freiheit“ somit weniger in utopisch-liberalem als korporativ-libertärem Licht (Luebke 2007). So nimmt es auch nicht wunder, dass die „Bauernpolitiker“ (Dillinger 2013) nicht nur zur sozio-ökonomischen Oberschicht in ihren Gemeinden zählten, sondern dass ihre Teilhabe an den Verhandlungen der Ständeversammlungen durch altes Recht und Herkommen begründet wurde (analog zu Ostfriesland und Tirol: von Schlachta 2007: 406-417; 2015a: 148-162). Trotz einer im Konflikt mit dem Landesherrn oder den adligen Ständevertretern immer wieder bemühten „kommunalistischen Rhetorik“ (Tieben 2012: 678-679), die darauf abhob, dass sämtliche Gemeindeeinwohner sich untereinander einig seien und sie alle zusammen entschieden hätten, handelte es sich bei den Inhabern des passiven Wahlrechts um eine ständisch abgesonderte, herausgehobene innergemeindliche Elite. Wahlen erfolgten im Zuge ritueller Kommunikation unter Anwesenden, wobei die Einhaltung schriftlicher Ordnungen weniger bedeutsam war als lokale politische Konstellationen und das Ansehen der Kandidaten. David Luebke betont die Bedeutung von Patronage, auch dies ein typisches Merkmal vormoderner Politik (Luebke 2008: 482-483). Johannes Dillinger geht noch einen Schritt weiter, indem er die Repräsentanten als „Expertokratie“ bezeichnet, weil – hier wie in vergleichbaren Fällen! – oftmals nicht Angehörige der dörflichen Gesellschaft selbst, sondern juristisch-administrative Fachleute aus dem Stadtbürgertum oder bisweilen gar aus dem fürstlichen Verwaltungsapparat entsandt wurden (Dillinger 2008: 525; 2010: 42-43; zu Schwäbisch-Österreich Mocek 2008). Prinzipiell bilde die Beteiligung ländlicher Vertreter am territorialstaatlichen Regiment daher lediglich ein „mögliches Element […] von Staatlichkeit“, keineswegs eine eigenständige Herrschaftsform (Dillinger 2008: 526).
Als in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Fassade der Identitätsrepräsentation durch ländliche Eliten in den ostfriesischen Gemeinden bröckelte, weil die unterbäuerliche Bevölkerung gegen die Bevormundung durch die Großbauern protestierte, billigte ihnen die fürstliche Landesherrschaft Partizipationsrechte zu, weil sie nach lokalen Koalitionspartnern gegen das Kartell der traditionellen Gemeinderepräsentanten suchte. Auch diese „kleinen Leute“ bedienten sich einer „kommunalistischen Rhetorik“ gegen den angeblichen Eigennutz der großbäuerlichen „Vormünder“. Erneut muss man jedoch feststellen, dass der Eindruck einer dem hierarchischen Prinzip entgegengesetzten Organisationsform in erster Linie auf Rhetorik beruhte, keineswegs auf einer gelebten kommunalistischen Praxis (Tieben 2012: 678-679).

Die Beiträge in diesem Heft

Adelina Wallnöfer widmet sich der Vertretung ländlicher Gerichtsgemeinden auf den Ständeversammlungen im spätmittelalterlichen Tirol und verknüpft die Resultate ihrer einschlägigen Monographie (Wallnöfer 2017) mit den Erkenntniszielen dieses Hefts. Zuerst wird die eigenständige Repräsentation ruraler Gerichtskorporationen auf den Landtagen seit Beginn des 15. Jahrhunderts verwaltungs-, agrar- und sozialgeschichtlich situiert. Gegenüber einer vermeintlich peripheren Lage schälen sich die offensive territorialfürstliche Adelspolitik, die Schaffung von Gerichtssprengeln mit zentralen administrativen und fiskalischen Funktionen und die Festigung gemeindlich-genossenschaftlicher Strukturen infolge zersplitterter Grundherrschaftsverhältnisse als maßgebliche Erklärungsfaktoren heraus. Dass die Gerichte frühzeitig den vierten Stand der partizipationsberechtigten Landschaft bildeten, hing denn auch mit innerdynastischen Konflikten zusammen, in denen sich der letztlich siegreiche Habsburger Graf Friedrich IV. von Tirol (reg. 1406-1439) angesichts der Opposition des regionalen Adels unter anderem auf die Städte und Dörfer stützte. Die institutionalisierte Landtagspraxis eröffnete den Gerichtsgemeinden in der Folge die für landständische Verfassungen typischen Möglichkeiten, über ihre Gesandten (Landtags-/Gerichtsboten) mittels Gravamina die Gesetzgebung zu beeinflussen, während umgekehrt die Teilhabe an der Bewilligung fürstlicher Steuern deren Akzeptanz seitens der Untertanen steigern mochte. Die von den Landtagsboten eingebrachten Forderungen betrafen etwa Preisobergrenzen von Lebensmitteln, Exportsperren für Getreide oder Zuzugsbeschränkungen. Damit spiegelten sie durchaus agrarisch-handwerkliche Anliegen wider, die von den engeren Interessen jener – bäuerliche Landwirtschaft, Gastgewerbe, Handel, Kapitalgeschäfte und Amtstätigkeit kombinierenden – lokalen Elite („Ehrbarkeit“) abweichen konnten, der laut Wallnöfers prosopographischen Studien das Gros der Gerichtsvertreter entstammte. Da die Autorin die Auswahlverfahren der Landtagsboten „ansatzweise demokratisch“ nennt und die Vollmachtsbriefe bisweilen explizit auf die Kleinbesitzer (Söllleute, Ingehäusen) rekurrierten, dürfte sich hierin eine Spielart jenes participatory constraint zeigen, den Randolph Head für Graubünden als Gegengewicht zu Oligarchisierungsprozessen konstatiert (siehe unten). Bedauerlicherweise geben die einschlägigen Forschungen zum Tiroler Landtag jedoch keinen Aufschluss, ob Indizien einer solchen Rückbindung der dörflichen Oberschicht an die Belange der breiteren ländlichen Gesellschaft im Rahmen ständischer Repräsentation auch vom 16. bis 18. Jahrhundert noch zu beobachten sind (Köfler 1985; von Schlachta 2007; 2015a).
Randolph Head wendet sich mit dem „Freistaat der Drei Bünde“ (Graubünden) einem Gemeinwesen zu, das aufgrund einer breiten politischen Beteiligung, die ihre Legitimität aus den weitgehend autonomen Gerichtsgemeinden bezog, nicht wenigen Historikerinnen und Historikern als Inbegriff „frühmoderner Demokratie“ gilt. Doch weniger die historischen Voraussetzungen, Ausformungen sowie normativen Grundlagen der Partizipation stehen im Fokus der Betrachtung. Vielmehr geht es darum, neuere Konzepte als Interpretamente der Entwicklung in Graubünden in einer dynamischen politischen Phase während des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts auf den Prüfstand zu stellen. So führt der Beitrag mit participatory constraint quellennah und argumentativ überzeugend einen erklärungskräftigen Begriff zur Erfassung frühneuzeitlicher Beteiligungswirklichkeit und Konfliktregelung in Graubünden ein. Zwar seien Formen der politischen Beteiligung und Einflussnahme, wie sie seit den 1570er-Jahren bis ca. 1620 während einer gegen die politische Dominanz und Exklusionstendenzen mächtiger Clans gerichteten Reformbewegung begegneten, durchaus mit dem Konzept empowering interactions vereinbar – man denke nur an Petitionen und Verhandlungen, von denen dem Beitrag zufolge auch in Graubünden Gebrauch gemacht wurde. Weit typischer war im Freistaat jedoch die – notfalls gewaltsam betriebene – Machtbegrenzung der Eliten. Die Reformbemühungen mündeten in rituelle „Fähnlilupfe“, d.h. bewaffnete Versammlungen der Milizen einer oder mehrerer Gerichtsgemeinden, sowie Strafgerichte, in denen sich der Unmut über das – so der Vorwurf – intransparente und auf den Eigennutz gerichtete Regierungsgebaren der Magnaten entlud. Das Ziel bestand darin, so viele Entscheidungen wie möglich von den zentralen repräsentativen Institutionen des Freistaates in öffentliche Abstimmungen auf Gemeindeebene zu verlagern. Die mit participatory constraint umschriebene Praxis, die Macht und das Handeln einflussreicher Magnatenclans und wohlhabender Familien einzuschränken, erlebte ihren Höhepunkt zwar im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert. Sie beruhte jedoch auf Traditionen der politischen Kultur Graubündens, die sich bereits seit dem Ende des 15. Jahrhunderts verfestigt und dazu beigetragen hatten, dass ländliche Versammlungen von ihren nominellen Herren die Schaffung von Institutionen für die politische Teilhabe der ländlichen Bevölkerung erzwangen. In den Ilanzer Artikelbriefen von 1524 und 1526 wurde der fortan geltend gemachte Anspruch der Gerichtsgemeinden zum Ausdruck gebracht, die ultimative Macht in Graubünden zu sein, ein enormer Unterschied zu dem auf grundsätzliche Anerkennung hierarchischer Herrschaftsstrukturen beruhenden Konzept der empowering interactions. Bereitet war der Boden für eine politische Denkweise, die den zeitweiligen Zuwachs an Macht und Einfluss adliger Familien kritisch hinterfragte und als unter Umständen gewaltsam abzuwehrende Usurpation interpretierte.
Johannes Dillinger behandelt die Rolle der als „Landschaften“ bezeichneten, klein dimensionierten bäuerlichen Korporationen in den küstennahen Gebieten des Herzogtums Gottorf (im heutigen Schleswig-Holstein) und ihr Verhältnis zur Herrschaft vom 16. bis 18. Jahrhundert. „Herrschaft“ ist dabei nicht nur – wie vordergründig leicht angenommen werden könnte – im Sinne des landesfürstlichen Anspruchs auf Botmäßigkeit und deren zuweilen konflikthaften Äußerungsformen zu verstehen. Vielmehr geht es in dem Beitrag um die unmittelbare bäuerliche Teilhabe an Herrschaft und um deren Ausübung. Es handelt sich um eine Perspektive, die auf geographisch und infrastrukturell bedingte Präsenz- und Vollzugsdefizite des (ausgangs des 18. Jahrhunderts schließlich mit dem dänischen König identischen) Landesfürsten zurückgeführt wird. Ein regionaler Adel fehlte, die Bauern erscheinen als „das einzige Gegenüber der Herrschaft“ in den gottorfischen Landschaften. Die Frage, ob in den Küstengebieten eine Herrschaft über Bauern oder eine Herrschaft mit Bauern (Wunder 1986) bestanden habe, stellt sich zumindest im Hinblick auf das 16. Jahrhundert als „Scheinalternative“ dar. Der Wirklichkeit weit näher komme „eine Herrschaft von Bauern über andere Bauern“. Die Landschaften übernahmen nämlich viele administrative Funktionen (in Rechtsprechung, Steuererhebung und Wahrung der Policey), die andernorts von fürstlichen Bürokratien wahrgenommen wurden, übten demzufolge (folgt man dem bekannten Diktum von Max Weber) „Herrschaft im Alltag“ aus. Im Lichte einer sozial- und verfassungsgeschichtlichen Herangehensweise werden die gottorfischen Landschaften als politische Institutionen und als soziale Verbände im Kontext sich wandelnder politischer Konjunkturen und Machtverhältnisse untersucht. Wesentliche Grundlage der Analyse ist ein umfassender Überblick über das ausdifferenzierte, in bunter terminologischer Vielfalt begegnende Ämterwesen in sämtlichen gottorfischen Territorien mit landschaftlicher Repräsentation. Jenseits dieser semantischen Vielfalt werden die Strukturprinzipien, die den Landschaften gemeinsam waren, herausgearbeitet, insbesondere das sich seit dem 17. Jahrhundert verstärkende Nebeneinander vertikal und horizontal-lokal ausgerichteter Herrschaftsmuster sowie die durch den erhöhten staatlichen Finanzbedarf und innergemeindliche Vertrauenskrisen vorangetriebene soziale Öffnung der Landesversammlungen. Diese waren traditionell nur Mitgliedern der ländlichen Oberschicht zugänglich gewesen, so dass sich die Partizipation der Landschaften an der Herrschaft als Kooperation lokaler Eliten mit dem Landesherrn beschreiben lässt. Konkrete Beispiele von Korruption und Nepotismus enthüllen die systemischen Gefährdungen einer wesentlich auf dem altständischen Notabelnprinzip beruhenden landschaftlichen Verfassung. Im 18. Jahrhundert führten Korruptionsvorwürfe dazu, dass situative und informelle Bündnisse der weniger wohlhabenden Eingesessenen mit dem fernen Landesherrn entstanden, die der Macht der landschaftlichen Repräsentanten und insbesondere den Amtsträgern unter ihnen Grenzen setzten, die man als participatory constraint kennzeichnen kann. Aufgrund dessen wurde der Kreis der Mitglieder der Landesversammlung sozial erweitert.
Mit Schweden erörtert Martin Almbjär schließlich die Spielräume bäuerlicher politischer Partizipation am Beispiel eines frühneuzeitlichen Königreichs, das im europäischen Kontext eine Sonderstellung einnahm (Blickle/Ellis/Österberg 1997: 121-124, 128-132, 147-150). Ging in anderen großräumigen europäischen Monarchien die Beteiligung ländlicher Bevölkerungsgruppen nicht über lokale bzw. regional-provinziale Versammlungen und Gremien hinaus, so waren in Schweden die Bauern – neben Adel, Klerus und Bürgern – als eigener Stand im Reichstag (Riksdag) vertreten. Wie auch noch im 19. Jahrhundert (Bengtsson/Olsson 2020), rekrutierten sich die Delegierten hauptsächlich aus der ruralen Notabelnschicht. Ein erster Schwerpunkt des Beitrags liegt auf den sozialen und politischen Bedingungen sowie der Entwicklung bäuerlicher Teilhabe auf dem – neben dem königlichen Souverän und dem Reichsrat (Riksråd) – höchsten politischen Organ Schwedens. Darüber hinaus werden die oft kontroversen historiographischen Zuschreibungen nachgezeichnet, die um den Bauernstand und seine politische Relevanz kreis(t)en. In chronologischer und systematischer Perspektive wird deutlich, dass die bäuerliche Partizipation einen von Diskontinuitäten überlagerten dynamischen und komplexen Prozess darstellte, der von Faktoren wie Krieg, Wirtschaftskonjunkturen und sozialen Beziehungen abhing. Nicht zuletzt aus der gemeinsamen Frontstellung gegen den Adel resultierten die geschilderten vertikalen Solidaritäten zwischen der Krone und der Bauernschaft, allerdings mit der Konsequenz, dass die Vertreter der ländlichen Untertanen eigene Teilhaberechte – und damit auch den Status des Riksdag in seiner Gesamtheit – im politischen Kräftefeld zugunsten der königlichen Position preisgaben. Der Frage, ob partizipatorische Ansprüche der Bauern wiederholt politischer Opportunität geopfert wurden, geht der umfangreiche Forschungsüberblick nach. Im Lichte dieser Tendenz diskutiert Almbjär am Ende das Konzept der empowering interactions, indem er die ambivalenten Effekte betont. So sei zwar die Rolle des Riksdag mit seinen bäuerlichen Delegierten als Forum staatlicher Legitimitätsstiftung schwerlich zu leugnen. Es müsse jedoch bezweifelt werden, dass die schwedische Bauernschaft im Rahmen der Interaktionsprozesse ihrerseits einen Zugewinn an obrigkeitlich sanktionierter Autorität als politischer Akteur erzielen konnte.

Resümee

Die eigenständige Repräsentation ländlicher Bevölkerungen in territorialen Vertretungskörperschaften verdient mindestens aus zwei Gründen Aufmerksamkeit: zum einen wegen ihrer relativen Häufigkeit; zum anderen, weil ihr die ältere Forschung nicht selten paradigmatische Bedeutung für eine proto-demokratische Partizipationskultur beigemessen hat. Angesichts der Verankerung überlokaler Mitspracherechte in der Landgemeinde scheint es zunächst nahezuliegen, sie als einen Ausläufer des Kommunalismus zu betrachten, zumal auch die Rhetorik der politischen Kommunikation vielfach in diese Richtung wies. Jüngeren Studien und den Beiträgen dieses Hefts zufolge ist eine solche Kategorisierung jedoch nachhaltig zu relativieren. Die Herrschaftsteilhabe zählte zu den ständischen Privilegien bestimmter dörflicher Statusgruppen, kam also nicht den Landbewohnern per se zu. Und bei den Delegierten offenbart sich eine faktische Verengung auf sozio-ökonomische Oberschichten sowie bürgerliche Fachleute, die als Oligarchisierung bzw. Expertokratie charakterisiert werden kann. Zudem lässt sich nicht eindeutig zeigen, dass eine separate Vertretung (gegenüber dem Regelfall ständischer Verfassungen ohne bäuerliche Kurie) tatsächlich die Durchsetzungschancen für ländlich-agrarische Belange steigerte. Demnach wird man auch den Begriff des Repräsentationskommunalismus als irreführend einstufen müssen, soweit er den emanzipatorisch-progressiven Subtext des ursprünglichen Kommunalismusmodells fortschreibt.
Das Konzept der empowering interactions liefert insgesamt eine passendere Interpretationsfolie für die empirischen Befunde der neueren Forschung, die im vorliegenden Heft exemplarisch dokumentiert werden. Es beugt einer Exotisierung ländlicher Repräsentation vor, indem es sie in ein breites Spektrum nahezu ubiquitärer Kommunikations- und Teilhabepraktiken in frühneuzeitlichen Gemeinwesen einzuordnen erlaubt. In einem spezielleren Sinne trägt es den für die Persistenz bäuerlicher Vertretung fundamentalen politisch-sozialen Koalitionen Rechnung, die typischerweise (aber nicht durchgängig!) den Fürstenstaat und das platte Land gegen Adel und/oder Städte zusammenbanden. Allerdings bedarf es zweier wichtiger Einschränkungen: Erstens konnte ein dezidiert kollaboratives Verhältnis zwischen Herrschaft und ländlichen Delegierten mit einer Erweiterung obrigkeitlicher Kompetenzen durchaus zu einer Aushöhlung der ständischen Teilhaberechte von Bauern führen. So ließe sich etwa im Falle Schwedens überspitzt von disempowering interactions sprechen, weil die bäuerlichen Vertreter eine Schwächung des Riksdag zugunsten des Königs begünstigten. Zweitens konzentrierte sich das wechselseitige Ermächtigungspotential der empowering interactions seitens der ländlichen Bevölkerung im Zeichen von Oligarchisierung und Expertokratie zumeist auf eine schmale Elite, die sich bis zu einem gewissen Grad von ihrem sozialen Umfeld abkoppelte und eigene Interessen verfolgte.
Genau hier setzt der Begriff des participatory constraint an, den Randolph Head für die Kontrolle und Disziplinierung (ländlicher) politischer Eliten im Kontext vormoderner Teilhabestrukturen in die Debatte einbringt. Dieses Phänomen mag für die politische Kultur Graubündens besonders konstitutiv gewesen sein, es lässt sich aber ebenso in anderen Länderorten der Alten Eidgenossenschaft feststellen (Suter 2010: 185-198), darüber hinaus beispielsweise in Ostfriesland und – von den nachfolgend behandelten Beispielen – auch im Herzogtum Gottorf. Deshalb dürfte sich diese Perspektive generell für die Erfassung regionaler Vergleichsfälle eignen – etwa mit Blick auf die in einigen deutschen Territorien während des 17. Jahrhunderts sich erhebende Kritik an den Befugnissen der ländlichen Notabelnschicht und die damit einhergehende Installation neuer kommunaler Repräsentativorgane. Ferner ist für künftige Forschungen zu empfehlen, die situativen Bedingungen und Ausformungen von participatory constraint und ihre Konsequenzen für den semantischen Horizont im Auge zu behalten. So vermag das Konzept nicht nur partizipationsbasierte Machtbegrenzungen abzudecken, sondern auch den gleichsam freiwilligen Partizipationsverzicht – zum Beispiel in einer Konstellation, die sich durch hohes Vertrauen der Regierten in das Regierungshandeln auszeichnet. Jedenfalls bietet participatory constraint eine fruchtbare Kategorie, um im Rahmen von empowering interactions die Realitäten, Wahrnehmungen und Verwerfungslinien der politischen Repräsentation ländlicher Bevölkerungen gesellschaftlich zu differenzieren. Denn sie verweist nachdrücklich sowohl auf die dem ständischen System inhärenten Exklusionseffekte wie auch auf die schon in der Vormoderne beobachtbaren sozialen und institutionellen Gegenkräfte, ohne diese gleich in eine epochenübergreifende Demokratietradition zu stellen.

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Inhaltsverzeichnis

Beiträge

Stefan Brakensiek/Niels Grüne
Editorial: Politische Repräsentation ländlicher Bevölkerungen in der Vormoderne

Adelina Wallnöfer
Die ländlichen Gerichtsgemeinden auf den spätmittelalterlichen Tiroler Landtagen

Randolph C. Head
Local communes, militias, and elite politics in Graubünden, ca. 1520-1620: Empowering interactions or participatory constraint?

Johannes Dillinger
Landschaft und Herrschaft in den gottorfisch-dänischen Gebieten

Martin Almbjär
The peasantry at the early modern Swedish Riksdag

Forum

Karsten Linne
Von der Besatzungs- zur Entwicklungspolitik: der Agrarwissenschaftler Otto Schiller

Abstracts

Rezensionen

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