Handlung Kultur Interpretation. Zeitschrift für Sozial- und Kulturwissenschaften 14 (2005), 2

Titel der Ausgabe 
Handlung Kultur Interpretation. Zeitschrift für Sozial- und Kulturwissenschaften 14 (2005), 2
Weiterer Titel 
Themenschwerpunkt Geschichtsbewußtsein interkulturell

Erschienen
Frankfurt am Main 2005: Humanities Online
Erscheint 
2 Hefte pro Jahr (Mai bzw. November); Gesamtumfang ca. 384 Seiten
Anzahl Seiten
205 S.
Preis
€ 17,00 bzw. sFr 29,50; text- und seitenidentische digitale Heftausgabe: € 8,90

 

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Institution
Handlung Kultur Interpretation. Zeitschrift für Sozial- und Kulturwissenschaften
Land
Deutschland
c/o
Redaktionsanschrift: Elfriede Billmann-Mahecha, Alexander Kochinka Universität Hannover Philosophische Fakultät Institut für Pädagogische Psychologie Bismarckstr. 2 30173 Hannover Tel.: 0511-7628355 Fax: 0511-7628381 Kontaktadresse des Vertriebs: Humanities Online Im Staffel 95 60389 Frankfurt am Main e-mail: editor@humanities-online.de Tel.: 069-46007600 Fax: 06946007601
Von
Kölbl, Carlos

Aus der Einführung

Problemaufriß
Als das Geschichtsbewußtsein als Gegenstand empirischer Forschung entdeckt war, war es bis zu kulturvergleichenden Studien und der Frage nach einem interkulturellen Geschichtsbewußtsein nicht mehr weit. Ans Ende gelangt sind diese Bemühungen keineswegs. Sie haben vielmehr noch einen weiten Weg vor sich. Seit gut einem Jahrzehnt mehren sich die Bemühungen, historische Sinnbildungsprozesse in kulturellen Kontexten aus ganz unterschiedlichen disziplinären, theoretischen sowie methodologisch-methodischen Perspektiven in den Blick zu bekommen. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand. Es reichen diesbezüglich wenige Hinweise in Form von Schlagworten: Migration, Vertreibung, Flucht, aber auch Tourismus, die massenhafte Verbreitung von Telekommunikationstechnologien, die Entstehung inter- und supranationaler politischer und wirtschaftlicher Zusammenschlüsse, die Pluralisierung von Lebensformen sowie die damit verbundene drastische Zunahme an Differenz-, Alteritäts- und Alienitätserfahrungen lassen auch das historische Bewußtsein derjenigen Menschen, die diesen Entwicklungen ausgesetzt sind und sie in ihrer Weise mittragen und gestalten, alles andere als unberührt. Ein nicht unerheblicher Teil der Menschheit sieht sich heute aufgrund des angedeuteten sozio-historischen Wandels vor der Herausforderung, sich mit einer Vielzahl fremder, bisweilen konfligierender und widerstreitender geschichtlicher Narrative auseinandersetzen zu »müssen«, jedenfalls damit in Berührung zu kommen, und uno actu vor der nicht minder dringlichen Herausforderung eines dramatischen Umbaus ihres eigenen historisch vermittelten Selbstverständnisses. Dabei gilt es, gerade die paradoxen und gegenläufigen Effekte von Globalisierungsprozessen nicht aus den Augen zu verlieren. Diese Prozesse verlaufen bekanntlich keineswegs geradlinig, sondern gehen oftmals mit einer vehement betriebenen Rehabilitierung lokaler und partikularer Traditionen und Praktiken einher, teilweise mit ihrer »Wiederentdeckung« und Neuerschaffung im Zeichen einer »postkolonialistischen« Ära. Vielfach stehen diese Gegenbewegungen im Zeichen der Selbstbestimmung und Selbstbehauptung und beanspruchen das Etikett der Emanzipation.

Ein willkürlich herausgegriffenes, interessantes Beispiel stellen neuere indigene Bewegungen in den Andenrepubliken Südamerikas dar, deren Mobilisierung etwa in Bolivien und Ecuador zu dramatischen politischen Verwerfungen geführt hat, wobei der »Präsidentensturz« nur ihre augenfälligste Manifestation ist. Keineswegs zufällig ist auch der Beginn der neo-zapatistischen Revolte im Süden Mexikos 1994 mit der Errichtung der Freihandelszone NAFTA, an der Kanada, die Vereinigten Staaten von Amerika und Mexiko partizipieren, zusammengefallen. Ebenfalls hochsymbolischen Charakter haben in diesem Zusammenhang die Proklamationen vom notwendigen Ende der seit der »Entdeckung« Amerikas angeblich 500 Jahre währenden Knechtschaft unter fremdem Joch. Daher wäre nichts verfehlter als die Vorstellung einer widerspruchsfreien und »harmlosen« Konstitution eines globalisierten und global gleichermaßen gültigen modernen, interkulturell aufgeklärten Geschichtsbewußtseins. Dies wird durch die Asynchronität geschichtlicher Entwicklungen, mithin die »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen«, einen bisweilen höchst unübersichtlichen machtgesteuerten Kampf um die Durchsetzung von Geschichtsbildern und -deutungen sowie eine Binnendifferenzierung des Projekts der Moderne im Sinne von »multiple modernities« wirksam verhindert.

Vor diesem Hintergrund stecken die nachfolgend abgedruckten Beiträge zu einem interkulturell inkludierenden Begriff des Geschichtsbewußtseins, zur Rolle nationaler Aspekte in einem international informierten jugendlichen Geschichtsbewußtsein, zur Tradierung des Zweiten Weltkriegs im europäischen Gedächtnis, zu sozialen und psychischen Grundlagen des Antisemitismus, zu interkultureller Geschichte und monokulturellem Weltbild, zu den Potentialen von Weltgeschichte- und Globalgeschichte-Curricula, zum Nutzen einer »Writing Culture« im Geschichtsunterricht sowie zu Angeboten des Fremdverstehens in deutschen, französischen und englischen Geschichtsschulbüchern Areale eines zu einem beträchtlichen Teil noch fruchtbar zu machenden Forschungsfeldes ab. Der vorliegende Themenschwerpunkt hat keinen Überblickscharakter und wartet nicht mit einer ausgefeilten Systematik auf. Er kann aber in begrifflichen Analysen und empirischen Fallbeispielen Konturen eines dynamischen und vielversprechenden multi-, inter- und transdisziplinären wissenschaftlichen Unternehmens sichtbar werden lassen, dessen intensivierte Inangriffnahme längst überfällig ist. Bevor wir auf die einzelnen Beiträge etwas näher eingehen, möchten wir in aller Kürze auf das Verhältnis von Kultur und Geschichte eingehen, drei Lesarten der Abbreviatur »Geschichtsbewußtsein interkulturell« vorstellen und uns an einigen Stichworten zur weiteren Ordnung des Forschungsfelds versuchen.

Inhaltsverzeichnis

Carlos Kölbl und Jürgen Straub
Geschichtsbewußtsein im Kulturvergleich, interkulturelles Geschichtsbewußtsein.
Zur Einführung 199

Andreas Körber
Geschichtsbewußtsein interkulturell – oder:
Plädoyer für einen interkulturell inkludierenden Begriffsgebrauch 212

Michele Barricelli
Jugend meets nation. Beobachtungen zu aktuellen Artikulationsformen jugendlichen Geschichtsbewußtseins im Zeichen popkultureller Erneuerung der Nation 228

Claudia Lenz und Harald Welzer
Zweiter Weltkrieg, Holocaust und Kollaboration im europäischen Gedächtnis. Ein Werkstattbericht aus einer vergleichenden Studie zur Tradierung von Geschichtsbewußtsein 275

Karola Brede
Über soziale und psychische Grundlagen des Antisemitismus. Daniel J. Goldhagen: »Hitlers willige Vollstrecker« revisited 296

Wolfgang Geiger
Interkulturelle Geschichte und monokulturelles Weltbild 319

Susanne Popp
»…the examination of local phenomena from a global point of view…«. Didaktische Potentiale welt- und globalgeschichtlicher Perspektiven für das historische Lernen 343

Michael Riekenberg
Writing Culture im Geschichtsunterricht 364

Elisabeth Erdmann
Der Beitrag der Geschichtsschulbücher zum Verständnis des Fremden. Prolegomena zu einer komparativen Analyse 380

Autorinnen und Autoren 397

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