A. Behr: Diplomatie als Familiengeschäft

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Titel
Diplomatie als Familiengeschäft. Die Casati als spanisch-mailändische Gesandte in Luzern und Chur (1660–1700)


Autor(en)
Behr, Andreas
Erschienen
Zürich 2015: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
383 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Florian Hitz, Institut für Kulturforschung Graubünden

Das Königreich Spanien, und unter diesem das Herzogtum Mailand, liess seine diplomatische Repräsentation bei den Eidgenossen und Bündnern im 17. Jahrhundert durch Angehörige einer einzigen Familie wahrnehmen. Über vier Generationen hinweg besetzten die Casati, Mailänder Patrizier, die Gesandtschaft bei den nördlichen Nachbarn. Andreas Behr hat in seiner von Volker Reinhardt betreuten Freiburger Dissertation die finanziellen Bedingungen, organisatorischen Formen, sozialen Vernetzungen und klientelistischen Praktiken dieser bemerkenswerten Mission untersucht.

Auf der Makroebene der spanischen Institutionen und Aussenbeziehungen fällt das Phänomen einer «Gesandtschaftsdynastie» völlig aus dem Rahmen. Die Frage, «wie und warum die Familie Casati über 100 Jahre lang beinahe nahtlos den spanisch-mailändischen Gesandten in der Schweiz stellen konnte», muss daher auf der Mikroebene, «in der akteursbezogenen, personengebundenen Perspektive », beantwortet werden (S. 13). Dabei liegt der Fokus auf der letzten Phase der Casati-Ära, auf der dritten und vierten Generation, mit den Gesandten Alfonso II. (1667–1681) und Carlo (1686–1703). Diese Eingrenzung ermöglicht einen besseren Überblick und ist umso eher zu verantworten, als die erste Generation, mit Alfonso I. (1594–1621), ihre Darstellung schon in Rudolf Bolzerns Studie Spanien, Mailand und die katholische Eidgenossenschaft (1982) gefunden hat.

Die besondere Rolle, welche die Casati spielten, beruhte auf spezifischen
Voraussetzungen, sowohl in wirtschaftlicher wie in sozialer Hinsicht. Die spanischen Botschafter wurden im Allgemeinen schlecht entlohnt und hatten dabei ihre Repräsentationsspesen selbst aufzubringen. Die Casati aber schafften es, sich diese Auslagen von der Mailänder Finanzkammer vergüten zu lassen, die auch den grössten Teil ihres Lohnes zahlte. Die an Eidgenossen und Bündner auszurichtenden Pensionsgelder flossen den Gesandten derweil aus Madrid zu. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten konnten sie auf ihr Eigenkapital und auf eidgenössische oder kaiserliche Kredite zurückgreifen.

Entscheidend blieb aber, dass die Casati selbst für den Fiskus tätig waren: Sie bekleideten regelmässig die Mailänder Quästur – und zwar parallel zu ihrer diplomatischen Tätigkeit. Mit diesen Doppelbesetzungen bildeten die Casati «eine in der Forschung bisher unbekannte, höchst erstaunliche Ausnahme» (S. 130) in der spanisch-mailändischen Staatsverwaltung. Eben dieser exzeptionelle Umstand machte sie zu einer der höchstprivilegierten Familien Mailands. Durch rege Heiratsbeziehungen innerhalb der lombardischen Führungsschicht stabilisierten sie ihre Stellung. So konnten sie sich die Charge in Luzern und Chur – und damit einen interessanten «Nischenplatz» (S. 108, 133, 323, 333) in der Verwaltung des spanischen Gesamtreichs – dauerhaft sichern. Und umgekehrt sorgte das quasi-erbliche Gesandtenamt dafür, dass der Glanz ihres Namens nicht verblasste.

Die spezifischen Formen der spanisch-mailändischen Vertretung in der Schweiz werden veranschaulicht durch einen Vergleich mit der diplomatischen Repräsentation Frankreichs. Der prächtige Ambassadorenhof in Solothurn war ein ausgesprochenes Machtzentrum und ein Knotenpunkt für den diplomatischen Verkehr der Eidgenossen. Frankreich war denn auch mit allen Dreizehn Alten Orten alliiert, verfügte über starke eidgenössische Soldtruppen und zahlte grosse Pensionssummen an zahlreiche Klienten. Gegen den übermächtigen französischen Konkurrenten und seine aggressive Expansionspolitik versuchte Spanien- Mailand, die Eidgenossen und Bündner als Schutzwehr für die Lombardei, als Korridor zur Freigrafschaft Burgund (die dennoch von Frankreich annektiert wurde) und als Truppenreservoir zu gewinnen. Dabei war Spanien nur mit den katholischen Orten der Eidgenossen verbündet, nicht aber mit den reformierten. Die Casati mussten ihre Aufgabe mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln erfüllen. So residierten sie als Gesandte über Jahrzehnte hinweg in gemieteten Häusern; erst 1677 erwarben sie ein Haus in Luzern. Eben damals begannen sie sich allerdings öfter in Chur als in Luzern aufzuhalten – wobei ihre Churer Adresse heute unbekannt ist.

Das diplomatische Familiengeschäft der Casati blieb stets ein ambulantes Unternehmen. Die Gesandten pendelten zwischen Luzern und Chur und zogen sich zwischendurch auch nach Mailand zurück. Dennoch waren die beiden Gesandtschaftsresidenzen wichtige Soziabilitätsorte. Hier – oder auch in lokalen Wirtshäusern – wurden in rascher Folge kostspielige, aber für die Festigung der klientelären Beziehungen äusserst nützliche Bankette mit bis zu 300 Teilnehmern gegeben. In diesem Geltungskonsum äusserte sich die patronale Freigebigkeit der Gesandten. Die starke Verflechtung und gute Integration der Casati in den Führungsgruppen ihrer Gastländer werden belegt durch die Patenschaften, welche die Stadt Luzern und die Drei Bünde für je einen Spross der Mailänder Familie eingingen.

Um die Erlaubnis zur Söldneranwerbung oder für Truppendurchzüge zu erwirken, traten die spanisch-mailändischen Gesandten mit bestimmten Akteuren der einzelörtischen und gesamteidgenössischen sowie der bündnerischen Politik in Kontakt. Diesen Männern verschafften sie jeweils Gratifikationen, Pensionen und Solddienst-Kommandos. Während sich auf gesamteidgenössischer Ebene einige wenige bedeutende Brokers als Partner anboten, galt es in den Drei Bünden – wo die Gemeinden am Staatsruder standen – eine Vielzahl von Klienten oder potenziellen Brokers zu gewinnen.

Bei dem weit verzweigten Netzwerk der spanischen Parteigänger in den Drei Bünden ist die genaue Funktion der einzelnen Akteure manchmal nicht leicht zu rekonstruieren. Interessanterweise gehörten gerade auch Mitglieder reformierter Familien aus dem Engadin, dem Zehngerichtebund (Davos, Prättigau) und Chur zur spanischen Klientel. Hier zeigt sich die immense Bedeutung des Mailänder Kapitulats von 1639, das vom Autor allerdings nicht immer ganz schlüssig eingeordnet wird. Es stellte keine «Bündniserneuerung» (S. 144) dar, sondern bildete den ersten Vertrag überhaupt, der zwischen Spanien und den Drei Bünden abgeschlossen wurde. Und es beruhte nicht etwa darauf, dass die Spanier in den kriegerischen Auseinandersetzungen um das Veltlin die Franzosen besiegt hätten (S. 32), sondern darauf, dass die – mehrheitlich reformierte – Bündner Führungsgruppe sich für einen Bündniswechsel von Frankreich zu Spanien entschieden hatte.

Schliesslich werden die «Grenzen der Verflechtung» diskutiert. Ein bedeutendes Hindernis für die Ausdehnung des spanischen Einflusses war die traditionelle (Selbst-)Wahrnehmung Spaniens als dezidiert katholische Macht. Die Hürde des konfessionellen Gegensatzes stellte sich den Gesandten im Verhältnis zu den reformierten Orten der Eidgenossenschaft schroff entgegen. Deutlich entspannter waren die Beziehungen zu den reformierten Bündnern, nachdem diese den spanischen Dienst als neue Hauptressource entdeckt hatten. Die Casati besassen aber auch die Weisheit, sich aus innerbündnerischen Konfessionskonflikten herauszuhalten – wie das Kapitulat es verlangte – oder sogar als (annähernd) neutrale Makler darin zu vermitteln. Ausgesprochen pragmatisch, ganz am Ziel der politischen Befriedung ausgerichtet war ihre Haltung in den brisanten Fragen des Wohnsitzes von Reformierten im Veltlin und der Kapuzinermission in gemischtkonfessionellen oder reformierten Gebieten Graubündens.

Die vorliegende Arbeit überzeugt durch ihre breite Quellengrundlage und durch deren umsichtige Auswertung wie auch durch eine reflektierte und dabei doch recht anschauliche Begrifflichkeit. Die allgemeine Frage, ob man das Pensionenwesen als Phänomen einer (zwar systemischen, aber eben doch illegitimen) «Korruption» charakterisieren dürfe oder solle, wird vom Autor verneint mit dem Argument, dass Pensionszahlungen – und zwar gerade auch solche an Einzelpersonen – für die Mechanik der eidgenössischen und bündnerischen Aussenbeziehungen ein durchaus funktionsnotwendiges «Schmiermittel» bildeten (S. 258).

Zitierweise:
Florian Hitz: Rezension zu: Andreas Behr, Diplomatie als Familiengeschäft. Die Casati als spanisch-mailändische Gesandte in Luzern und Chur (1660–1700), Zürich: Chronos Verlag, 2015. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 3, 2017, S. 473-475.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 3, 2017, S. 473-475.

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