S. Hofmann: Umstrittene Körperteile

Cover
Titel
Umstrittene Körperteile. Eine Geschichte der Organspende in der Schweiz


Autor(en)
Hofmann, Simon
Erschienen
Bielefeld 2016: Transcript – Verlag für Kommunikation, Kultur und soziale Praxis
Anzahl Seiten
330 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Merve Winter

Mit dem Buch Umstrittene Körperteile: Eine Geschichte der Organspende – das zugleich die Veröffentlichung seiner Dissertation darstellt – beansprucht Simon Hofmann, eine Forschungslücke in der kulturhistorischen Untersuchung der Organspende in der Schweiz zu schliessen. Er zeichnet darin die Geschichte der Organspende von ihren Anfängen bis zur Verabschiedung des Transplantationsgesetz 2004 nach. Diese Geschichte, die auf vielen Ebenen eine sehr voraussetzungsvolle war, ist zugleich auch immer eine Geschichte des Körpers sowie der gesellschaftlichen Bedeutung und Bewertung von Medizin. Die medizinische Technik steht bei Hofmanns Untersuchung allerdings nicht im Vordergrund, sondern vielmehr der kulturelle Umgang mit dem Verfahren der Organspende. Das «Organ» begreift er dabei als Schnittstelle zwischen realen medizinischen, sozialen und marktwirtschaftlichen Praktiken auf der einen und Diskursen, Metaphern und Phantasien auf der anderen Seite. Voraussetzung für den Ausbau der Organspende war dabei (und ist es immer noch!) eine enge Kooperation vieler Bereiche und Organisationen mit jeweils unterschiedlichen Interessen. Die kulturellen Aushandlungs- und Deutungskämpfe, die von diesen verschiedenen Institutionen ausgefochten werden, sind Teil von Hofmanns Untersuchung. Methodisch greift er dabei auf die Diskursanalyse in Anlehnung an Michel Foucault zurück, indem er das Sprechen über die Organspende einerseits im Sinne einer Begrenzung des Sagbaren innerhalb einer bestimmten Ordnung begreift und andererseits der Frage nachgeht, wer diese Regeln eigentlich bestimmt, wie also Diskurs und Macht miteinander verquickt sind (Wer darf wie über die Organspende sprechen?). Die Organspende begreift er dabei mit Foucault als ein medizinisches Dispositiv, also als ein Macht-Wissen-Netz von Institutionen, Diskursen und Praktiken. Diese Perspektive ergänzt gleichsam die der Diskursanalyse, indem sie daran erinnert, dass die Hervorbringung von Macht und Wissen nie nur auf sprachlicher Ebene stattfindet, sondern diskursives Wissen auch immer mit ausserdiskursiven Machtformen verbunden ist. Indem Hofmann unterschiedliche Akteurs-Gruppen differenziert, beleuchtet er die Geschichte der Organspende drei Mal aus einem jeweils anderen Blickwinkel: der medizinischen Praxis, der verschiedenen medialen Repräsentationen und der rechtlich-politischen Sphäre, wobei er diese Ebenen, die in anderen Studien oft isoliert betrachtet werden, miteinander in Beziehung setzt.

Die zentrale Frage des Buches, nämlich wie es eigentlich zur kulturellen Krise der Organspende kam, nachdem die medizinisch-technischen Probleme weitestgehend aus dem Weg geräumt wurden, beantwortet Hofmann folgendermassen: Er identifiziert drei Diskurse um die Organspende – den medizinischen, den ökonomischen und den moralischen – und stellt fest, dass diese drei Diskurse sich zwar einerseits ergänzen und gegenseitig stützen, sich andererseits aber auch wechselseitig konterkarieren. Der moralische Diskurs um die «gute Organspende », konnte sich nach Hofmann nie hegemonial stabilisieren, weil er an seinen Rändern immer unterminiert wurde durch Geschichten, die das Tabuisierte, das Unheimliche und Bedrohliche der Organspende zum Sprechen brachten: die medial ausgeschlachteten Geschichten und Fiktionen über Organhandel, Organraub und menschliche Ersatzteillager. So ist die Geschichte der Organspende und des Sprechens über sie immer auch eine Geschichte von Ambivalenzen und Paradoxien. Diese Widersprüchlichkeit ist dabei angelegt in der Technik der Organtransplantation selbst, welche die Grenzen der klassischen medizinischen Logik zu sprengen droht: Um Leben zu retten, ist sie auf den Tod und die körperliche Desintegration angewiesen. Um den hypokratischen Eid nicht zu brechen, muss der Tod beziehungsweise der Todeszeitpunkt selbst anders und neu definiert werden, denn ohne Hirntod-Konzept keine Organtransplantation. Damit ist die Geschichte der Organtransplantation aber auch immer eine der kontinuierlichen Bemühungen um ihre Legitimierung. Das Sprechen über die Organspende ist damit von zwei gegensätzlichen phantasmatischen Szenarien strukturiert, die zwei Seiten einer Medaille abbilden: den Traum vom verlängerbaren und beherrschbaren Leben und den Sieg über den Tod einerseits (Diskurs der «guten Organspende ») und andererseits das Szenario, das auf die Figur des Spenders gerichtet ist und von gewaltsamer Ausbeutung, Verstümmelung und Verwertung handelt (Diskurs vom Organhandel). Hofmanns Untersuchung findet ihren Abschluss in der kritischen Würdigung des Organspendegesetzes von 2004, dessen Ziel es seiner Ansicht nach primär war, Rechtssicherheit zu schaffen und Missbrauch vorzubeugen, weniger dagegen, die Organspendezahlen zu erhöhen, weswegen Hofmann auch von einem «Misstrauensgesetz» spricht. Seine inhaltliche Stärke bezieht das Buch meines Erachtens aus der Erkenntnis, dass das menschliche transplantierbare Organ immer schon beides war: Geschenk UND Ware. Hofmann hält die Spannung aus, diese Dialektik nicht nach der einen oder anderen Seite hin auflösen zu wollen im Sinne einer Fortschritts- oder Verfallsgeschichte. So kann Hofmann zeigen, dass dem «Siegeszug der Transplantationsmedizin» von Anfang an eine Dialektik innewohnte, die es anzuerkennen gilt. Hofmann tut dies, indem er eine Zwischenposition anbietet, die weder auf eine Trivialisierung noch eine Dramatisierung der Organtransplantation abzielt.

Um eine umfassendere Geschichte der Organspende zu schreiben, wie der Untertitel des Buches es nahelegt, hätte Hofmann aus meiner Sicht allerdings noch die Lebendorganspende in seine Untersuchung miteinbeziehen können; denn diese ist gerade auch aufgrund des Organmangels stets eng mit der Postmortalspende verbunden gewesen. Die Konzentration auf den Schweizer Raum hingegen scheint nachvollziehbar und konsequent, weist die Studie doch in diesem Zusammenhang auf einige regionale Besonderheiten wie die Nähe der Transplantationsmedizin zur Schweizerischen Pharmaindustrie und die sehr geringen Spendezahlen in der Schweiz hin (zweitletzter Platz in Westeuropa). Die Lektüre dieses sehr sorgfältig recherchierten Buches wird aus meiner Sicht einzig durch die vielen Fussnoten erschwert, die erst umständlich am jeweiligen Kapitelende nachgeschlagen werden müssen und bei denen erst im Nachhinein erkennbar ist, ob es sich dabei um Quellenangaben oder um längere inhaltliche Erklärungen handelt.

Zitierweise:
Merve Winter: Rezension zu: Simon Hofmann, Umstrittene Körperteile. Eine Geschichte der Organspende in der Schweiz, Bielefeld: Transcript Verlag, 2016. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 2, 2017, S. 268-270.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 2, 2017, S. 268-270.

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